Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 304 - Vasishta über die Seele

Vasishta sprach:
So folgt die körperbehaftete Seele aufgrund ihrer Vergeßlichkeit der Unwissenheit und nimmt nacheinander tausende Körper an. Sie gelangt zu tausenden Geburten von den niedersten Bereichen bis zu den höchsten Göttern aufgrund ihrer Verbindung mit den entsprechenden Qualitäten und Kräften. Wird sie als Menschen geboren, kann sie zum Himmel aufsteigen, kehrt vom Himmel zum Menschsein zurück oder sinkt für viele lange Jahre in die Hölle. Wie sich die Seidenraupe den Kokon fabriziert und sich mittels der Fäden ringsherum völlig einwebt, so umschließt sich auch die Seele von allen Seiten mit Eigenschaften, obwohl sie in Wahrheit jenseits davon ist (und beraubt sich damit der Freiheit). So geschieht es, daß sie sich dem Glück und Leiden unterwirft, obwohl sie eigentlich vollkommen frei davon ist. So geschieht es, daß die Seele sich als krank betrachtet, mit Kopfweh, Augenleiden, Zahnweh, Halsschmerzen, Geschwüren, Fieber, Cholera, Aussatz, Lepra, Brandwunden, Asthma, Schwindsucht und zahllosen anderen Krankheiten im Körper, obwohl sie doch jenseits aller Krankheit ist. Aus Unwissenheit sieht sie sich als geboren unter Tausenden von Geschöpfen in Tierkörpern oder sogar unter Göttern, erleidet Elend oder genießt die Früchte ihrer guten Taten. Voller Unwissenheit sieht sie sich in reine oder schmutzige Kleider gehüllt, auf dem Boden oder in Betten liegend, mit angezogenen Armen und Füßen wie ein Frosch hockend oder aufrecht sitzend in der Yogahaltung, als Bettler unter blauem Himmel wandernd oder als Herrscher in Palästen aus Ziegeln wohnend, auf rauhen Steinen, auf Asche, der bloßen Erde, auf weichen Betten oder Holzbrettern schlafend oder auf Schlachtfeldern, im Wasser oder im Sumpf sterbend. Getrieben vom Wunsch nach Früchten sieht sie sich in gute Seide oder schlechten Bast gekleidet, in Antilopen-, Schaf-, Tiger- oder Löwenfelle, in Baumwolle, Flachs, Hanf, Haargeflecht oder zahllose andere Kleidungstücke oder auch völlig nackt. Die Seele betrachtet sich als Träger verschiedenster Ornamente und Edelsteine oder als Genießer vorzüglichster Speisen. Sie betrachtet sich als täglicher Esser, manchmal nur einmal am Tag zur vierten, sechsten oder achten Stunde, manchmal aller sechs, sieben, acht, zehn oder zwölf Tage oder einmal im Monat und ernährt sich von Früchten und Wurzeln, von Ölkuchen, Quark oder Kuhmist, vom Urin der Kuh, von Gemüse, Blumen, Moos, herabgefallenen Blättern oder Früchten oder sogar allein von Luft und Wasser im Streben nach asketischem Erfolg. Die Seele betrachtet sich als Übenden vieler Gelübde und Riten, die in den Schriften geboten werden. Sie folgt den Geboten der jeweiligen Aufgaben für die vier Lebensweisen oder mißachtet diese und erfüllt andere Aufgaben zum Lebenserwerb. Sie folgt den verschiedenen Handlungen, die sie in tugendhaft und sündhaft einteilt. Die Seele betrachtet sich selbst als Genießer von ruhigen Rückzugsorten, entzückenden Schatten in den Bergen, kühlen Umgebungen von Quellen und Brunnen, einsamen Flußufern, tiefen Wäldern und heiligen Pilgerorten, die den Göttern gewidmet sind. Sie genießt die einsamen Seen, Bäche und Bergeshöhlen jenseits der menschlichen Geschäftigkeit auf der Jagd nach Gewinn, welche oft höhere Freude als die Häuser und Paläste gewähren. Die Seele sieht sich als Rezitator der vielen geheimen Mantras oder als Beobachter verschiedenster Gelübde, Regeln und Bußübungen oder als Vollbinger vielfältiger Opfer und Riten. Die Seele betrachtet sich selbst auf den Wegen der Welt als Geschäftsführer oder Händler, als Brahmane, Kshatriya, Vaisya oder Shudra, oder als Wohltäter für Arme, Blinde und Hilflose. Aufgrund ihrer Anhaftung an die Unwissenheit nimmt die Seele die verschiedenen Qualitäten von Sattwa, Rajas und Tamas an, sowie Gerechtigkeit, Reichtum und Vergnügen. Unter dem Einfluß der Natur wandelt sich die Seele in sich selbst, beobachtet, ergreift und übt all diese Dinge und identifiziert sich damit. Wahrlich, die Seele betrachtet sich sogar selbst als Rezitator der heiligen Mantras wie Swaha, Swadha und Vashat, verneigt sich vor denen, welche sie als höherstehend betrachtet, amtiert in Opfern von anderen, belehrt Schüler, macht Geschenke und nimmt sie entgegen, vollbringt Opfer und studiert die Schriften, übt die traditionellen Riten und andere Handlungen dieser Art. Die Seele betrachtet sich als verbunden mit der Geburt und dem Tod, sie streitet und kämpft. All das, so sagen die Weisen, bildet ihren Pfad der guten und schlechten Taten (ihr Karma). Dabei ist es allein die Göttin Natur, welche Geburt und Tod verursacht.

Wenn die Zeit für die universale Auflösung gekommen ist, werden alle existierenden Geschöpfe und Eigenschaften in die Höchste Seele zurückgezogen, wie die Sonne am Abend alle ihre Strahlen zurückzieht. Und wenn erneut die Zeit für die Schöpfung gekommen ist, so erschafft Er alle Geschöpfe mit ihren Eigenschaften, wie die Sonne am Morgen wieder aufgeht und ihre Strahlen entfaltet. Auf diese Weise betrachtet sich die Seele, wie in einem Spiel, mit all diesen Bedingungen verbunden, die ihre eigenen Formen und Attribute sind, unendlich in ihrer Gestaltung und ihr selbst angenehm. Auf diesem Weg beginnt die Seele, die in Wahrheit ohne Eigenschaften ist, dem Pfad der Taten anzuhaften und erschafft durch ihre eigene Umwandlung die Natur mit den Erscheinungen von Geburt und Tod. Damit identifiziert sie sich mit all ihren Taten und Bedingungen, die durch die Qualitäten von Sattwa, Rajas und Tamas geprägt werden. Auf dem Pfad der Handlungen angekommen, betrachtet die Seele besondere Taten mit besonderen Eigenschaften als ihren Weg zu besonderen Zielen. Oh Monarch, dieses ganze Weltall ist durch diese Natur verblendet und alle Geschöpfe sind von Rajas und Tamas überwältigt. Und weil die Seele von der Natur überlagert ist, entstehen auch all die Gegensätze, die zum Glück und Leiden führen. Es geschieht allein durch diese Unwissenheit, daß die verkörperte Seele solche Sorgen als die ihrigen betrachtet und sich von ihnen gejagt fühlt. Wahrlich, oh Monarch, durch ihre Unwissenheit denkt die verkörperte Seele, daß sie dieses Leiden irgendwie überwinden und in die Bereiche der Götter gehen sollte, um das Glück all ihrer tugendhaften Taten zu genießen. Durch ihre Unwissenheit denkt sie, daß sie in dieser Welt die Freuden genießen und den Kummer erleiden müßte. Durch ihre Unwissenheit denkt die verkörperte Seele:
Ich sollte mein Glück sichern! Indem ich beständig gute Handlungen vollbringe, kann ich bis ans Lebensende Glück erfahren und auch in all meinen zukünftigen Leben glücklich sein. Ansonsten würden mich durch die (sündhaften) Werke in diesem Leben unendliche Leiden treffen. Der Zustand als Mensch ist bereits leidvoll genug, weil man von hier in die Hölle sinken kann. Und aus der Hölle wird es endlos lange Jahre dauern, bevor ich als Mensch zurückkehren darf. Als Mensch sollte ich mich zum Status der Götter erheben. Doch auch von diesem hohen Zustand kann ich wieder unter Menschen fallen und dann sogar noch tiefer in die niederen Bereiche.

Wahrlich, wer diese körperliche Verbindung der Elemente und der Sinne mit dem Bewußtsein als Eigenschaften der Seele betrachtet, der muß unter Göttern, Menschen und anderen vergänglichen Geschöpfen zwischen Himmel und Hölle umherwandern. Verfangen im Egoismus, zieht die verkörperte Seele ihre Kreise durch solche Geburten. Millionen über Millionen dieser Geburten muß sie in aufeinanderfolgenden Körpern annehmen, die alle mit dem Tode enden. Wer auf diese Weise handelt und die guten und schlechten Früchte ansammelt, geht in den drei Welten durch endlose Formen, um die Früchte entsprechend zu genießen oder zu erleiden. Es ist die Natur, welche die Taten mit guten und schlechten Früchten verursacht, und es ist die Natur, welche die Früchte davon in den drei Welten genießt oder erleidet. Wahrlich, die Natur folgt dem Lauf der Taten. Ob Menschen, Götter oder andere Geschöpfe in den drei Welten, erkenne, daß alle Wesen aus der Natur (der Prakriti) entstehen und in Wahrheit ohne Eigenschaften sind. Ihre Existenz schlußfolgert man nur infolge ihrer Taten und Wirkungen. Auf die gleiche Weise schlußfolgert man auch die Existenz der Seele, die in Wahrheit ohne Eigenschaften ist, aufgrund der Handlungen, die der Körper vollbringt, wenn er durch die Seele die Erkenntnisfähigkeit empfängt. Obwohl diese Höchste Seele keinerlei Wandlung unterworfen und die erkennende Kraft ist, welche die Natur in Bewegung setzt, wohnt sie in einem wandelbaren Körper, der mit den Sinnes- und Handlungsorganen verbunden ist und betrachtet deren Tätigkeit als etwas Persönliches. So betätigen sich die fünf Sinnesorgane (Ohr, Auge usw.) und die fünf Handlungsorgane (Rede, Hände usw.) in Verbindung mit den natürlichen Qualitäten von Sattwa, Rajas und Tamas in dieser vielfältigen Welt der Objekte. Und die verkörperte Seele denkt, daß sie als getrennte Person im Leben handelt und identifiziert sich mit den Sinneserfahrungen und Taten, obwohl sie in Wahrheit gar keine Sinne besitzt. Wahrlich, obwohl sie völlig körperlos ist, eignet sie sich doch einen Körper an. Obwohl sie völlig ohne Eigenschaften ist, betrachtet sie sich doch mit Eigenschaften. Obwohl sie jenseits aller Zeit ist, sieht sie sich doch der Zeit unterworfen. Obwohl sie jenseits aller Gedanken ist, identifiziert sie sich doch mit dem Denken. Obwohl sie ohne (die vierundzwanzig) Prinzipien ist, betrachtet sie sich doch darin. Obwohl sie unsterblich ist, fühlt sie sich doch dem Tode unterworfen. Obwohl sie vollkommen still ist, sieht sie sich doch in Bewegung. Obwohl sie ohne materielle Hülle ist, lebt sie doch darin. Obwohl sie ungeboren ist, betrachtet sie sich doch als geboren. Obwohl sie jenseits aller Schuld ist, übt sie doch Buße. Obwohl sie kein Ziel hat (wofür sie kämpfen müßte), strebt sie doch nach verschiedensten Zielen. Obwohl sie ohne Wandlung ist, sieht sie sich doch wandelbar. Obwohl sie jenseits aller Angst ist, fühlt sie sich doch der Angst unterworfen. Obwohl sie unvergänglich ist, fürchtet sie doch ihren Untergang. Wahrlich, allein durch Unwissenheit denkt die Seele auf diese Weise von sich selbst.


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