Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 271 - Über die drei Lebensziele

Yudhishthira sprach:
Die Veden, oh Bharata, sprechen von den drei Lebenszielen bezüglich Tugend, Reichtum und Vergnügen (Dharma, Artha und Kama). Sage mir, oh Großvater, welches dieser drei in seiner Verwirklichung als Höchstes betrachtet wird.

Bhishma sprach:
Diesbezüglich möchte ich dir eine alte Geschichte über den Segen erzählen, den Kundadhara einst einem seiner Verehrer gewährte. Vor langer Zeit gab es einen armen Brahmanen, der mit dem Wunsch nach himmlischen Früchten viel Verdienst erwerben wollte. Er suchte ständig nach Reichtum, den er in großen Opfern verwenden wollte. Um seinen Zweck zu erreichen, gab er sich strengster Askese hin, und entschlossen begann er, die Götter mit großer Hingabe anzubeten. Aber trotz seiner Götterverehrung konnte er keinen Reichtum gewinnen. Daraufhin begann er nachzudenken und sprach zu sich selbst:
Wo wäre ein Gott, der bisher von den Menschen wenig verehrt ist und mir sogleich gnädig sein könnte?

Als er mit offenem Geist so nachdachte, sah er den Diener der Götter vor sich, die Wolke namens Kundadhara. Sobald er diesen Gewaltigen erblickte, erwachten im Brahmanen die Gefühle der Hingabe und er dachte:
Dieser wird mir sicherlich Wohlstand schenken, denn seine mächtige Gestalt ist vielversprechend. Er lebt (als Wolke) in nächster Nähe zu den Göttern und ist von anderen Menschen bis jetzt kaum verehrt worden. Er wird mir ohne zu zögern genügend Reichtum gewähren. Und nachdem der Brahmane sich entschlossen hatte, verehrte er diese Wolke mit Räucherwerk, Wohlgerüchen, schönsten Blütengirlanden und anderen Darbringungen. Die Wolke war bald zufrieden mit den Gebeten ihres Verehrers und dachte sich zum Wohle dieses Brahmanen:
Für einen Brahmanenmörder, einen Alkoholtrinker, einen Dieb oder einen Gelübdebrecher mag es eine Sühne geben, aber nicht für einen Undankbaren. Ungerechtigkeit ist das Kind der Begierde, Zorn ist das Kind des Neides, Habgier ist das Kind der Illusion, doch das Kind von Undankbarkeit ist das Unfruchtbare (das Tote). (Deshalb sollte ich dem Brahmanen für seine Verehrung dankbar sein…)

Danach wurde dieser Brahmane, als er auf seinem Bett aus Kusha Gras schlief, von der Energie des Kundadhara durchdrungen und schaute die himmlischen Wesen in einem Traum. So erfuhr dieser Brahmane mit der gereinigten Seele, der die Sinneslust überwunden hatte, aufgrund seiner Leidenschaftslosigkeit, Buße und Hingabe während der Nacht die Wirkung seiner Verehrung für Kundadhara. Oh Yudhishthira, er schaute den hochbeseelten Manibhadra (den Anführer der Yakshas und General von Kuvera, dem Gott des Reichtums) voll strahlender Herrlichkeit inmitten der Götterschar, wie er seine Verfügungen gab. Er sah, wie die Götter durch gute Taten veranlaßt viel Reichtum und sogar ganze Königreiche den Menschen schenkten oder ihnen entzogen, wenn sie von der Güte abfielen und ihr Verdienst erschöpft war. Er sah, oh Stier der Bharatas, wie sich der strahlende Kundadhara vor all den Göttern in Gegenwart aller Yakshas tief verneigte und zu Boden warf. Und der hochbeseelte Manibhadra sprach auf Befehl der Götter zum ihm:
Was ist dein Begehr, oh Kundadhara?

Daraufhin antwortete Kundadhara:
Wenn die Götter mit mir zufrieden sind, dann seht diesen Brahmanen, der mich ganz besonders verehrt. Für ihn erbitte ich eine Gunst, die ihm Gutes bringen möge.

Als Manibhadra dies hörte, sprach er erneut auf Geheiß der Götter zum glanzvollen Kundadhara:
Heil dir, oh Kundadhara, erhebe dich! Deine Bitte wird erfüllt, sei glücklich! Wenn dieser Brahmane Reichtum wünscht, dann werde ich ihm auf Befehl der Götter soviel Reichtum geben, wie dein Freund begehrt.

Doch da bedachte Kundadhara das schwankende und vergängliche Dasein der Menschen und richtete sein Herz, oh Yudhishthira, zum Wohle des Brahmanen auf den Weg der Entsagung. Und wahrlich, Kundadhara sprach:
Ich bitte, oh Geber des Reichtums, nicht um Reichtümer für diesen Brahmanen. Ich wünsche, ihm eine andere Gunst zu gewähren. Ich erbitte für diesen Verehrer von mir keine Berge von Perlen und Edelsteinen oder sogar diese ganze Erde mit all ihren Reichtümern. Ich wünsche ihm Gerechtigkeit und Tugend (Dharma). Möge sein Herz daran Freude finden. Gerechtigkeit sei sein Fundament und Tugend sein kostbarer Besitz. Das ist der Segen, den ich ihm wünsche.

Manibhadra sprach:
Die Früchte der Tugend sind stets auch Herrschaft, vielfältiger Reichtum und Glück. Möge er diese Früchte genießen, frei von allen körperlichen Qualen.

Bhishma fuhr fort:
Also erbat der ruhmreiche Kundadhara wiederholt Gerechtigkeit und Tugend (das Dharma anstatt Artha und Kama) für diesen Brahmanen. Die Götter waren darüber höchst beglückt. Und Manibhadra sprach:
All die Götter sind mit dir und diesem Brahmanen zufrieden. Er soll ein tugendhafter und hochbeseelter Mensch werden. Sein Geist sei dem Dharma gewidmet.

Daraufhin war der Wolkenberg Kundadhara sehr froh, oh Yudhishthira, weil sich sein Wunsch erfüllt hatte. Denn gerade dieser Segen ist wahrlich schwer zu erreichen. Sogleich (als er aus seinem Traum erwachte) betrachtete der Brahmane seine feinen Kleider und andere Habseligkeiten um sich herum und fühlte kein Verlangen mehr danach. Und er sprach zu sich:
Wenn die da oben meiner Opfergaben (mit viel Reichtum) nicht bedürfen, wer sonst bedarf ihrer? Ich sollte besser in die Wälder gehen, um ein Leben der Gerechtigkeit und Tugend zu führen.

Bhishma fuhr fort:
Durch die Gnade der Götter konnte er der Welt entsagen, und so ging dieser Erste der Brahmanen in die Wälder, um dort reinigende Askese zu üben. Er lebte von Früchten und Wurzeln, die übrigblieben, nachdem Götter, Gäste und Geister ernährt waren, und dabei war der Geist dieses Zweifachgeborenen beständig auf das Dharma gerichtet, oh Monarch. Allmählich entsagte er auch den Früchten und Wurzeln und ernährte sich von den Blättern der Bäume. Dann entsagte er den Blättern und lebte allein vom Wasser. Dann entsagte er dem Wasser und lebte viele Jahre allein von Luft. Doch seine Lebenskraft ließ über die ganze Zeit nicht nach. Es war wahrlich ein Wunder. So war er ganz dem Dharma hingegeben und übte strengste Entsagung, wodurch ihm nach langer Zeit die göttliche Sicht zuteil wurde. Da erkannte er: „Wenn mich irgend jemand um Reichtum bitten würde, und ich wäre mit ihm zufrieden, wahrlich mein Segen würde nicht unerfüllt bleiben.“ Doch mit strahlendem Gesicht, das vom Lächeln erhellt war, ging er weiter den Weg der Entsagung. Und als er noch höhere Vollkommenheit erreicht hatte, da erkannte er, daß er allein durch seinen Willen Größtes erschaffen konnte: „Wenn mich irgend jemand um Herrschaft bitten würde, und ich wäre mit ihm zufrieden, er würde unverzüglich ein König werden, denn meine Worte könnten nie unwahr sein.“ Und während er dies erkannte, zeigte sich ihm Kundadhara durch seine Freundschaft zum Brahmanen und nicht weniger durch den asketischen Erfolg, den der Brahmane erreicht hatte, oh Bharata. Der Brahmane empfing ihn mit den üblichen Verehrungen und war über diesen Gast höchst erstaunt, oh König.

Da sprach Kundadhara zu ihm:
Eine hohe göttliche Sicht ist dir gegeben worden. Schau damit die Wege der Könige (mit ihrem Reichtum) in allen Welten.

So sah der Brahmane mit seiner göttlichen Sicht von Ferne viele tausende Könige, wie sie in der Hölle versanken. Und Kundadhara sprach weiter:
Als du mich mit ganzer Hingabe verehrtest, warst du voller Sorgen. Was hätte ich zu deinem Wohl tun sollen, und welcher Segen wäre zu deinem Heil gewesen? Schau nur, schau selbst, welche Wege die Menschen gehen, wenn sie die Befriedigung ihrer sinnlichen Wünsche erflehen. Die Tore des Himmels bleiben ihnen verschlossen.

Bhishma fuhr fort:
Da schaute der Brahmane die vielen Menschen, die in dieser Welt leben und Sinneslust, Zorn, Habgier, Angst, Stolz, Träumerei, Faulheit und Verblendung umarmen.

Und Kundadhara sprach weiter:
Mit diesen Lastern sind all diese Menschen gefesselt, und die Götter nehmen sie nicht zu sich auf. Auf Befehl der Götter werden sie von ihren Lastern von allen Seiten gequält und beunruhigt. Ohne die Gunst der Götter bleibt dem Menschen der Weg zu Gerechtigkeit und Tugend (dem Dharma) verschlossen. Allein durch ihren Segen bist du fähig geworden, selbst Königreiche und Reichtum durch die Kraft deiner Buße zu verleihen.

Bhishma fuhr fort:
So angesprochen, verneigte sich der gerechte und tugendhafte Brahmane tief vor diesem Wasserträger, warf sich demütig nieder und sprach:
Du hast mir wahrlich einen großen Segen gewährt. Vergib mir, daß ich einst aus Unwissenheit über deine edle Zuneigung und aus Eigensinn und Begierde die heilsame Liebe (der himmlischen Wesen) zu uns nicht erkannte.

Darauf sprach Kundadhara zum Besten der Zweifachgeborenen „Ich habe dir vergeben!“, umarmte ihn liebevoll und ging seiner Wege. So wanderte auch der Brahmane durch alle Welten, nachdem er durch die Gnade von Kundadhara auf dem Weg der Entsagung die Vollendung erreicht hatte. Durch die Kraft, die aus Tugend und Entsagung gewonnen ist, wird man fähig, durch die Himmel zu schweben, alle Wünsche und Ziele zu erfüllen und schließlich das Höchste zu erreichen. Die Götter, Brahmanen, Yakshas und alle anderen Himmlischen und Heiligen verehren stets die Gerechten und Tugendhaften, nicht die Reichen und Begehrlichen. Die Götter waren ihm wahrlich gnädig, weil sein Geist dem Dharma gewidmet war (und nicht dem Artha und Kama). Wenn auch der Reichtum ein kleines und vergängliches Glück verleihen kann, wahre Glückseligkeit kommt aus Gerechtigkeit und Tugend.


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