Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Apaddharmanusasana Parva - Die Gebote in Notzeiten

Kapitel 130 - Über die Ausnahmen in Zeiten der Not

Yudhishthira fragte:
Wie sollte sich ein König verhalten, der wenig Verbündete aber dafür viele Feinde hat, dessen Schatzkammer leer und dessen Armee schwach ist, oh Bharata? Wie sollte er sich verhalten, wenn er von übelgesinnten Ministern umgeben ist, wenn seine Absichten ausspioniert werden, wenn er seinen Weg nicht klar vor sich sieht, wenn ihn ein anderer König angreift und er gegen einen Gegner kämpfen muß, der wesentlich stärker ist? Wie sollte sich ein König verhalten, dessen Staatsverwaltung schlecht funktioniert, der die Voraussetzungen von Ort und Zeit mißachtet hat, der unfähig ist, weder Frieden mit seinen Feinden zu schließen, noch deren Spaltung zu verursachen? Sollte er den Erwerb des Reichtums auch durch ungerechte Mittel suchen? Oder sollte er sein Leben aufgeben, ohne weiter nach Reichtum zu streben?

Bhishma sprach:
Bereits erfahren mit den königlichen Aufgaben hast du mir, oh Stier der Bharatas, eine sehr subtile Frage gestellt. Ohne diese direkte Frage, oh Yudhishthira, hätte ich nie darüber gesprochen. Wahrlich, Gerechtigkeit kann sehr subtil sein. Man versteht sie, oh Stier der Bharatas, mithilfe der heiligen Schriften. Durch Nachdenken über das Gehörte und indem man gute Taten vollbringt, kann jeder an seinem Platz (unter den gegebenen Bedingungen) eine rechtschaffene Person werden. Durch intelligentes Handeln des Königs allein ist der Erwerb von Reichtum nicht garantiert. Bedenke mithilfe deiner Vernunft, was als Antwort auf deine Frage zu diesem Thema gegeben werden sollte. Bedenke, oh Bharata, die wirksamen Mittel, deren sich die Könige (in Notzeiten) bedienen können. Was allerdings die wahrhafte Tugend anbelangt, da würde ich diese Mittel nicht immer gerecht nennen. Wenn die Schatzkammer mit Gewalt durch Unterdrückung (des Volkes) gefüllt wird, bringt dieses Verhalten den König an den Rand des Unterganges. Das ist die Einsicht aller intelligenten Menschen, die über dieses Thema nachgedacht haben. Welche heiligen Schriften oder Wissenschaften ein Mensch auch immer studiert, sie geben ihm nur jene Arten des Wissens, zu denen er selbst fähig ist. Solches Wissen erscheint ihm wahrhaft und angenehm. Unwissenheit führt zu Unfähigkeit bei der Suche nach geeigneten Mitteln. Dagegen werden die rechten Mittel mit Hilfe des Wissens zur Quelle großer Erfolge. So höre ohne Vorbehalte und jegliche Böswilligkeit (mit reinem Herzen) diese Belehrung.

Mit dem Schwund in der Schatzkammer schwinden auch alle anderen Kräfte des Königs. Der König sollte deshalb seine Schatzkammer füllen, wie jemand in der Wüste nach Wasser sucht. Doch auch entsprechend dieses uralten Gebotes sollte der König zur rechten Zeit seinem Volk Mitgefühl zeigen. Das ist ewige Pflicht. Für fähige und kompetente Menschen sind diese beiden Pflichten von einer Art. In Notzeiten können diese Pflichten aber auch gegensätzlich sein. Natürlich kann ein König auch ohne Reichtum (durch Buße und ähnliches) religiöses Verdienst erwerben. Das Leben selbst (das er als König beschützen sollte) ist jedoch viel wichtiger als religiöses Verdienst. Ein schwacher König, der nur religiöses Verdienst erwirbt, wird nicht einmal die geeigneten Mittel für seine Ernährung erlangen können. Und weil er als König in dieser Situation keine weltliche Macht ausüben kann, deshalb betrachtet man in Notzeiten auch jene Mittel als nützlich, die nicht unbedingt mit der Tugend im Einklang stehen. Die Gelehrten wissen jedoch, daß solche Methoden Sünde anhäufen. Was sollte deshalb der Kshatriya tun, wenn die Zeit der Not vorüber ist?

Man sollte stets so handeln, daß die Gerechtigkeit (das Dharma) nicht zerstört wird und daß man seinen Feinden nicht unterliegen muß. Eben das wurde als Aufgabe der Könige erklärt. Er sollte sich niemals ruinieren lassen. Ein Ruinierter kann weder sich selbst retten noch andere. Sich selbst zu bewahren (und sich nicht versinken zu lassen) ist oberstes Gebot. So ist es auch Gebot, daß die Zweifachgeborenen, die ihre Aufgaben kennen, entsprechende Fähigkeiten haben sollten. Bei einem Kshatriya sollten die Fähigkeiten in der Herrschaft bestehen, weil die Macht der Waffen sein großer Besitz ist. Wenn jedoch dem Kshatriya jegliche Mittel fehlen, was sollte er dann nicht ergreifen, abgesehen vom Besitz der Asketen und Brahmanen? Wie auch ein Brahmane in Notzeiten im Opfer eines Unwürdigen amtieren kann und unreine Nahrung essen sollte, so gibt es keinen Zweifel, daß ein Kshatriya (in Notzeiten) von allem Reichtum nehmen kann, außer von Asketen und Brahmanen. Welche Erlösung könnte für einen Gequälten unwürdig sein? Welcher Weg in die Freiheit könnte für einen Gefangenen ein unwürdiger Weg sein? Wenn jemand genügend gequält ist, flüchtet er sogar auf unwürdigen Wegen. Für einen Kshatriya, der aufgrund seiner dürftigen Schatzkammer und Armee vom Untergang schwer bedrängt wird, ist weder ein Leben als Bettler noch als Vaisya oder Shudra vorgesehen. Der für einen Kshatriya bestimmte Beruf ist der Erwerb von Reichtum durch Kampf und Sieg. Er sollte niemals als Bettler gehen. Wer in gewöhnlichen Zeiten durch tugendhafte Methoden lebt, die für ihn bestimmt sind, mag in Notzeiten auch davon abweichen. So kann auch ein Kshatriya in Notzeiten, wenn die üblichen Methoden nicht verfolgt werden können, durch ungerechte und unwürdige Mittel überleben. Dieses (Abweichen von der Norm) kann man auch bei den besten Brahmanen sehen, wenn ihr Lebensunterhalt bedroht ist. Und wenn sich die Brahmanen so verhalten, welche Zweifel gibt es bezüglich der Kshatriyas? Daran ist nichts Unwahrhaftes. Ohne in Verzweiflung zu versinken und dem Ruin nachzugeben, darf ein Kshatriya nehmen, was er von reichen Personen nehmen kann. Bedenke, daß der Kshatriya zwar einerseits der Beschützer aber auch der Zerstörer von Menschen ist. Deshalb sollte ein Kshatriya in Notzeiten das ergreifen, was er kann, um sein Volk zu beschützen. Keine Person in dieser Welt, oh König, kann Leben erhalten, ohne andere Wesen zu verletzen. Selbst die besten Asketen, die ein einsames Leben in den Tiefen des Waldes führen, sind darin keine Ausnahme. Ein Kshatriya sollte nicht leben, indem er sich dem Schicksal ergibt, besonders jene nicht, oh Führer der Kurus, die nach Herrschaft streben.

König und Königreich sollten sich stets gegenseitig beschützen. Das ist ein ewiges Gebot. Wie der König all seinen Besitz opfert, um ein qualvoll versinkendes Königreich zu retten, so sollte das Königreich in der Krise auch den König unterstützen. Ein König sollte auch unter äußerster Qual niemals seine Schatzkammer aufgeben, sowie auch niemals seinen Justizapparat zur Bestrafung der Übeltäter, seine Armee, seine Fürsten, Freunde und Verbündeten und alle anderen notwendigen Einrichtungen im Staat. Die in den Pflichten erfahrenen Menschen sagen, daß man beim Essen von Früchten stets einige Samen zurückbehalten sollte. Diese Wahrheit erklärte einst Samvara, der für seine große Kraft der Illusion bekannt war, und sprach:
Schande auf das Leben eines Königs, dessen Königreich ermattet. Schande auf das Leben eines Untertanen, der wegen Reichtum in ein fremdes Land umzieht.

Die Wurzeln des Königs sind Schatzkammer und Armee. Die Armee hat wiederum ihre Wurzel in der Schatzkammer. Die Armee ist die Wurzel all seiner religiösen Verdienste (bezüglich der Erfüllung seiner Aufgaben), und darauf gründet sich wiederum die Sicherheit seines Volkes. Eine Schatzkammer kann aber nie gefüllt werden, ohne andere zu bedrücken, und eine Armee kann nicht funktionieren, ohne andere zu bedrängen. Deshalb sammelt der König keine Sünde an, wenn er in Notzeiten seine Untertanen erleichtert, um die Schatzkammer zu füllen. Selbst für Opfer werden viele Handlungen durchgeführt, die mit anderer Motivation sündig wären. Aus diesem Grund sammelt der König keine Sünde an, wenn er unwürdige Handlungen begeht (um in Notzeiten seine Schatzkammer zu füllen). Um Reichtum anzusammeln, werden (in Notzeiten) oft ungerechte Mittel verfolgt. Wenn diese Mittel prinzipiell abgelehnt werden, wäre der Ruin sicher. Alle Kräfte, die in dieser Welt zerstörend und bedrängend wirken, existieren für das Streben nach Wohlstand. Dies bedenkend, sollten alle intelligenten Könige zur rechten Zeit ihre Entscheidungen treffen. Wie Tiere und andere Dinge dem Opfer dienen, das Opfer für die Reinigung des Herzens, und Tiere, Opfer und Reinigung schließlich für die Befreiung, so dienen Politik und Herrschaft für die Schatzkammer, die Schatzkammer für die Armee und schließlich alle drei, Politik, Schatzkammer und Armee, um die Feinde zu besiegen und das Königreich zu beschützen und gedeihen zu lassen.

Ich möchte an dieser Stelle ein Beispiel nennen, das die subtilen Wege der Gerechtigkeit illustriert. Ein großer Baum wird abgeschlagen, um daraus einen Opferpfahl zu machen. Beim Abschlagen müssen bereits andere Bäume, die im Weg stehen, gefällt werden. Und auch diese töten beim Umfallen andere in ihrer Umgebung. So müssen auch jene geschlagen werden, die einer wohlgefüllten Schatzkammer im Wege stehen. Ich sehe keinen anderen Weg zum Erfolg. Durch diesen Reichtum kann sowohl diese Welt wie auch die folgende erhalten werden, sowie Gerechtigkeit und religiöser Verdienst. Ein König ohne weltlichen Reichtum ist mehr tot als lebendig. Im Sinne eines Opfers (und nicht als Eigentum) sollte Reichtum mit jedem Mittel erworben werden. Die Schuld einer sündigen Tat in qualvollen Zeiten ist nicht so groß wie in guten Zeiten, oh Bharata. Keine Person kann gleichzeitig den Weg des weltlichen Reichtums und der Armut gehen, oh König! Ich fand noch nie einen (weltlich) reichen Asketen im Wald. Bezüglich des Reichtums, den man in dieser Welt finden kann, kämpft jeder gegen jeden, und die Menschen sagen: „Das möchte ich haben! Das soll mein sein!“ Es gibt nichts für einen König, oh Feindevernichter, das so lobenswert wie der Besitz eines Königreichs ist. Wenn ein König seine Untertanen mit schweren Steuern zur falschen Zeit quält, dann sammelt er große Sünde an. In Notzeiten ist das allerdings etwas anders.

Manche erwerben (verdienstvollen) Reichtum durch Geschenke und Opfer, manche, die zur Askese neigen, erwerben (spirituellen) Reichtum durch Entsagung, und andere wiederum erwerben (weltlichen) Reichtum mithilfe ihrer Klugheit. Eine Person ohne jegliches Vermögen gilt als schwach, während ein Reicher als mächtig betrachtet wird. Denn durch Vermögen (weltlich und spirituell) kann der Mensch alles erreichen. So kann auch ein König mit wohlgefüllter Schatzkammer alles vollbringen. Durch seine Schatzkammer kann der König religiöses Verdienst ansammeln, seine Wünsche nach Vergnügen erfüllen, sowie diese und die folgende Welt gewinnen. Die Schatzkammer sollte jedoch im Einklang mit der Gerechtigkeit gefüllt werden und nie durch sündhafte Methoden, außer jene, die in Notzeiten als rechtschaffen gelten.


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