Pushpak HarivamshaZurück WeiterNews

3.80. Krishna und Ghantakarna

Vaisampayana sprach:
Dann erblickte Krishna die beiden fleischfressenden und höchst schrecklichen Gespenster mit Fackeln in ihren Händen. Und die Gespenster erblickten Krishna, den Sohn der Devaki, im Yoga sitzend, aber erkannten weder Vishnu noch Hari in ihm und fragten:
Wer bist du? Wessen Sohn bist du? Woher kommst du? Wozu kamst du in diesen Wald, der voll schrecklich wilder Tiere ist? Hier leben keine Menschen. Hier gibt es viele Tiger, Löwen, Wölfe und gräßliche Dämonen. Du hast einen schönen Körper mit vollkommenen Gliedern. Du erscheinst mit deiner dunklen Haut und den wundervollen Lotusaugen wie ein zweiter Vishnu. Wahrlich, du könntest der Herr von Lakshmi sein. Du erinnerst uns sehr an Vishnu, den wir verehren und suchen. Bist du ein Gott, Yaksha, Gandharva oder Kinnara? Bist du Indra, Kuvera, Yama oder Varuna, wenn du hier im schrecklichen Wald in einsamer Meditation sitzt? Oh verehrter Mann, sprich zu uns. Wir wollen die Wahrheit erfahren.

Als Vishnu, der mit drei Schritten die Welt durchmessen hatte, auf diese Weise von den Gespenstern befragt wurde, antwortete er:
Die gewöhnlichen Menschen der Welt kennen mich als einen Krieger. Ich wurde im Stamm von Yadu geboren und beachte die Pflichten eines Kshatriyas. Ich beschütze die Welt und bestrafe die Übeltäter. Nun bin ich auf dem Weg zum Kailash, um Shiva, den Herrn der Uma, zu sehen. Das ist meine Geschichte. Doch nun sagt, wer seid ihr beide? Warum seid ihr in diese Einsiedelei der Brahmanen gekommen? Dies ist ein höchst heiliger Ort, berühmt unter dem Namen Vadari. Hier leben viele Brahmanen, und gemeine Wesen haben keinen Zugang. Hier üben sich die heiligen Siddhas, die gelübdetreuen Asketen und schweigenden Munis. Diese Scharen jagender Hunde und fleischfressender Gespenster wurden hier noch nie gesehen. Hier wurden noch nie Tiere gejagt und getötet. Hier haben die Gemeinen, Bösartigen, Undankbaren und Übelgesinnten keinen Zutritt. Ich selbst bin der Beschützer dieses Ortes. Zweifellos werde ich alle bestrafen, die diesen Ort verunreinigen. Doch sagt, wer seid ihr? Woher stammt ihr? Wem gehört diese riesige Armee? Ihr dürft nicht weitergehen, denn hier leben Heilige, deren Askese nicht gestört werden sollte. Bleibt stehen und beantwortet meine Fragen! Andernfalls werde ich euch stoppen, mit meiner Kraft und meinem Wort.

So aufgefordert von Krishna, blieben die beiden fleischfressenden Gespenster stehen, und einer von ihnen mit schrecklichem Gesicht und langen Armen begann, folgende Worte aus seinem Herzen zu sprechen:
Gut, ich werde antworten. Höre mir aufmerksam zu. Zunächst verneige ich mich vor Vishnu, Hari, der ewigen Gottheit, dem ungeborenen, höchsten, reinen, segensreichen und vollkommenen Herrn des Universums. Nun höre meine Geschichte, wenn du sie hören möchtest. Ich bin ein Gespenst namens Ghantakarna. Ich trage eine häßliche Gestalt, ernähre mich von Fleisch und verbreite Schrecken unter den Wesen wie der Tod selbst. Ich bin ein Diener von Kuvera, dem Gott des Reichtums, und ein Anhänger von Shiva. Neben mir steht mein jüngerer Bruder, dem Kala und Yama gleich, der allesvernichtenden Zeit und dem Tod. Diese große Jagd geschieht zur Verehrung von Vishnu. Diese Armee steht unter meinem Befehl und dieses Rudel von Jagdhunden ebenfalls. Ich komme vom Berg Kailash, wo die Scharen der Geister und Gespenster leben (als Diener Shivas). Ich bin sehr stark und trage die Gestalt eines schrecklichen Pisachas. Einst habe ich Vishnu gehaßt und mir sogar Glöckchen an die Ohren gehängt, damit sein Name niemals in mich dringen kann. Deshalb nennt man mich Ghantakarna („Ohrglöckchen“). Dann ging ich zum Berg Kailash, pries und verehrte Shiva, der den Bullen im Banner trägt, und wurde sein Anhänger. Als Shiva mit mir zufrieden war, gewährte er mir einen Segen, und ich bat den höchst mächtigen Herrn um die große Befreiung. Doch der Dreiäugige antwortete mir auf meinen Wunsch nach Befreiung:
Es ist Vishnu, der allen die Befreiung gewähren kann. Daran gibt es keinen Zweifel. So geh nach Vadari zur Einsiedelei von Nara und Narayana und verehre Vishnu, dann wird dir Krishna die Befreiung gewähren.

Als Shiva, der Gott der Götter und Träger des Dreizacks, so gesprochen hatte, erkannte ich die wahre Größe von Vishnu, der Garuda im Banner trägt. So kam ich nach Vadari, um hier Vishnu um Befreiung zu bitten. Zuvor gab es noch eine andere Geschichte. Wenn du möchtest, höre zu. An der westlichen Ozeanküste befindet sich die Stadt Dwaraka, die vom Stamm der Yadus und Vrishnis bewohnt und von den Wellen des Ozeans umringt wird. In dieser Stadt soll Vishnu in Gestalt von Krishna als Bester der Männer leben. Oh Menschensohn, so gingen wir mit unserem Gefolge nach Dwaraka, um den Herrn zu sehen, der dort zum Wohle der Welt regiert. Denn wir wollten wirklich alles versuchen, um Vishnu, den wahren Herrn, zu finden. Er ist der Schöpfer aller Welten, der Erhalter und Vernichter. Er ist Hari, der Urgrund und die Quelle von allem. Hari hat dieses ganze Universum geschaffen. Er ist der Höchste Geist, das Wesen aller Götter, die ewige Gottheit, der Gewährer von Segen und höchst Verehrungswürdigste. Deshalb suchen wir Vishnu. Wir wollen Hari finden, den ungeschaffenen Schöpfer des Universums, den Besten aller männlichen Wesen, durch dessen Gunst die Geschöpfe entstehen, all die Lebewesen, Götter, Gandharvas und Nagas. Wir wollen den Herrn finden, die alldurchdringende Seele, durch den die ganze Welt geboren wird, unter dessen Herrschaft die Welt erhalten wird und in den sich die Welt am Ende wieder zurückzieht. Wir wollen Vishnu finden, den Schöpfer, Erhalter und Vernichter von allem. Wir wollen nur Hari sehen, den uralten Herrn der Welt, den höchsten Herrscher, den strahlenden Vishnu, der keinen Verfall kennt. Aus ihm allein entsteht Brahma, der Schöpfergott, und er allein verbirgt die ganze Welt. Nur wer ihn erkennt, kann Vollkommenheit erreichen. Er verschlingt die ganze Welt in seinem Bauch und liegt wie ein Baby auf einem Feigenblatt und strampelt mit seinen Ärmchen und Beinchen. Der uralte heilige Markandeya wanderte durch seinen Bauch und sah dort die Illusion der Welten, als würden all die großen Welten im Äußeren existieren. Er verschlingt das ganze Universum und ruht als höchste Seele auf dem Wasser des Urozeans. Die Göttin Lakshmi dient dem ewigen Gott und fächelt ihn mit weichen Wedeln. Aus seinem Nabel wächst ein riesiger, goldener Lotus mit einer wunderschönen Blüte, die zum Geburtsort von Brahma wird, dem Schöpfergott der Welt. Der große Herr der Wesen nahm die Gestalt eines Ebers an, brüllte wie eine Gewitterwolke und hob auf seinen Hauern unter dem Lob der Rishis die Erde aus dem Wasser. Deshalb suchen wir Hari, den ewigen Herrn, die Seele aller Opfer, den universalen Schöpfer und Zeuge von allem. Manche verehren ihn als Vielfalt und manche als Einheit. Wir suchen den Herrn, der überall in den Veden beschrieben wird. Manche Gelehrte sprechen von vielen Göttern und manche von einer Gottheit. Wir wünschen, den Ungeborenen zu finden, der überall in den Puranas beschrieben wird. Die uralten Rishis verehren diesen einen, höchst Verehrungswürdigen, der in Wahrheit allen Segen verleiht, der Alldurchdringende und Ungeschaffene. Wir wünschen den ewigen Vater zu sehen, der diese ganze Welt durchdringt, alles erfüllt, alles überragt und alles stützt. Was sollen wir noch sagen? Wir werden weitergehen und ihn überall suchen. Oh Menschensohn, bleibe hier oder gehe, wie du möchtest. Es ist tiefe Nacht und ich denke, wir müssen jetzt unsere täglichen Riten ausführen.

So sprach das schreckliche Gespenst mit dem häßlichen Gesicht. Dann trank es auf einer Lichtung des Waldes jede Menge Blut und aß große Stücke Fleisch. Es reinigte seinen Mund mit Wasser, legte einige Opfergaben nieder und band seinen Gürtel aus Gedärmen fester. Es breitete Kusha Gras aus und besprenkelte es mit Wasser. Es trieb die bellenden Hunde davon und setzte sich auf den bequemen Sitz zur Meditation. Dann konzentrierte das schreckliche Gespenst seinen Geist auf Vishnu, der seine Verehrer liebt, und begann, ihn wie folgt zu preisen:
Ich verneige mich vor Vasudeva, der Diskus und Keule hält und in allen Geschöpfen wohnt. Ich verneige mich vor Vasudeva, den Allwissenden und höchst Strahlenden. OM, Narayana, Vishnu und Kesava! Möge mein Geist durch deine Verehrung gereinigt werden. Möge ich nie wieder in eine so schreckliche und leidvolle Geburt fallen. Oh Herr der Sinne, möge ich durch Meditation über dich zum Botschafter der Götter werden. Möge dein Diskus meinen Körper vernichten und alle weltlichen Bindungen zerschneiden. Oh Herr, das ist mein Gebet. Du bist der Baum des Lebens, der den Bittenden alle Wünsche gewährt. Du bist es, der alles gibt. Oh Gott der Götter, wo auch immer ich geboren werde, mögest du stets in meinem Herzen leben. Das ist mein Gebet. Oh Herr, ich verneige mich vor dir und verehre dich. Möge mein Gebet zu dir stets ohne Hindernisse sein. Oh Herr, ich verneige mich wieder und wieder. Laß meinen Geist während des Sterbens klar und frei von Verwirrung sein. Oh Gott, möge mein Geist jeden Tag und jeden Moment allein auf dich gerichtet sein. Oh Herr, sei mir auch weiterhin so geneigt und denke niemals, daß ich nur ein schreckliches Gespenst bin und unwürdig für jegliches Mitgefühl. Oh Herr, sieh mich als deinen Diener. Ich verneige mich vor dir und bitte dich, sei gnädig mit mir, so daß ich andere nicht mehr quäle und meine Sinne nicht mehr den Objekten verfallen. Oh Kesava, laß mich während des Sterbens erkennen, wie die Erde meinen Geruch aufnimmt, das Wasser meinen Geschmack, das Feuer meine Sicht, der Wind mein Gefühl, der Raum mein Gehör und der Mond meinen Lebensatem. Oh Hari, mögen mich Erde und Wasser stets beschützen. Oh Vishnu, möge mich das Feuer stets beschützen, denn ich verneige mich vor dir mit dem Glanz des Feuers. Oh Krishna, mögen mich Wind und Raum vor allen Leiden bewahren. Oh Herr, laß meinen Geist überall das alldurchdringende Selbst erkennen und nicht in subjektiver Unterscheidung versinken. Denn solange der Geist in diesem Wahn gefangen ist, bewirkt er Leiden, Tod und Sünde. Oh Gott, beschütze den Geist immer wieder. Möge mein Geist rein und frei von Sünde sein. Denn solange die Sünde im Geist wirkt, sind die Sinne verfälscht, die Taten verunreinigt, und er fällt immer wieder in die Hölle. Oh Kesava, welchen Sinn hat es, diesen Körper immer nur äußerlich zu reinigen, wenn der innere Geist unrein ist? Deshalb sei gnädig und reinige meinen Geist. Sei gnädig und beschütze mich vor der großen Macht der Sinnesbegierden. Sei gnädig und beschütze meine Zunge davor, andere zu verletzen. Sei gnädig und beschütze mein Denken vor der Begierde nach dem Reichtum und den Frauen anderer. Oh Vishnu, sei gnädig und gewähre mir das Mitgefühl zu allen Wesen, unerschütterliche Hingabe zu dir und allumfassende Liebe. Doch warum so viele Worte darüber? Oh Gott der Götter, laß meinen Geist stets mit Freude bei dir sein, in Glück und Leid, im Begehren und Sattsein, im Laufen und Ruhen, im Wachen und Träumen. Oh Gottheit, ich verneige mich vor dir!

So sprach das höchst schreckliche Gespenst, das durch seinen Stamm gefallen war, aber nicht im Herzen. Es verehrte den Herrn und übte sich in Meditation. Den Körper band es mit einem Gürtel aus Gedärmen und die Sinne wie das Denken mit geistiger Konzentration. So saß Ghantakarna gelassen und meditierte über Hari, den Urgrund des Universums, über Vishnu, der in gelbe Kleider Gehüllte, und über Mukunda, den Gewährer von Befreiung, den vorzüglichen Herrn, den Höchsten Geist, den Einen und Ewigen, den Reinen, der von allen Krankheiten frei ist, der sich durch Erkenntnis offenbart und alle Lebewesen entstehen läßt. Er richtete seinen Blick auf die Nasenspitze, murmelte das heilige OM, das ewige Wort des Brahman, saß wie eine Flamme an windstillem Ort und rezitierte mit großer Verehrung die heiligen Mantras. Er erkannte die Silbe OM als reinen Ausdruck des Brahman, war höchst achtsam und widmete diesen Geist Vishnu. Er sammelte seinen Geist von aller Ablenkung befreit im Zentrum des Herzens und setzte dort den Herrn des Universums auf seinen herrlichen Lotusthron. So saß der große Yogi, der schreckliche Verzehrer von Fleisch und Blut, in gelassener Meditation und meditierte über den ewigen Vishnu, der sich in der Dreiheit von Brahma, Vishnu und Shiva verkörpert.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter