Pushpak HarivamshaZurück WeiterNews

3.17. Der Weg des Handelns zur Befreiung

Vaisampayana sprach:
Der Spalt, den die aufsteigende Sonne in der Erde hinterlassen hatte, wurde mit dem Berg Mainaka gefüllt. Weil er hochstrebend zum Himmel aufragt, wird er Berg (Parvata) genannt. Weil er unbeweglich feststeht heißt er Massiv (Achala), und aufgrund seines Wesens (als Weltachse) heißt er Meru. Auf seinem weiträumigen Gipfel wohnt der höchst gesegnete Brahma, vom Höchsten Geist gezeugt, aus der Natur geboren und als Schöpfergott verkörpert. Die Energie des Brahman nahm auf diesem Gipfel eine strahlende, feuergleiche Form an. Wie ein Wort aus dem Höchsten Geist erschien Brahma mit vier strahlenden Gesichtern wie vier vorzügliche Brahmanen mit vollkommener Erkenntnis des Brahman, und aus ihrem Atem entstanden die vier Veden. Er ist es, der die Erde aus dem Wasser hob und im Raum hält. Obwohl er unsichtbar ist, nimmt er für die Wesen eine sichtbare Gestalt an. Die Wohnstätte von Brahma (Brahmaloka) auf dem Gipfel des Meru befindet sich an der Grenze zwischen Himmel und Erde. Man sagt, er ist hunderttausend Yojanas hoch und ein Viertel davon breit. Doch seine wahre Größe kann niemand bemessen, selbst in tausenden Jahren nicht. Seine Größe ist imaginär und nicht bestimmbar wie die Weite einer Wüste oder die Tiefe eines Ozeans. Oh König, um den Berg Meru herum befinden sich vier Stützberge, die bereits hundert Yojanas hoch sind. Die heiligen Kenner des Brahman sagen, daß der Meru selbst tausendmal größer ist und unzählige weitere Qualitäten besitzt. Er beschützt mit den Göttern, Maruts, Rudras, Vasus und Viswadevas die Regenten der Erde. Oh König, mit dem göttlichen Geist von Vishnu erhält er die Erde, die aus Feuer und Wasser entstanden ist, in seinem Brahman Körper. So wird alles von der Energie Vishnus getragen.

Die wahrhaften Brahmanen, die dem Vedenstudium hingegeben sind, preisen das Brahman mit verschiedenen Gelübden und Hymnen. Denn im Brahman existieren alle Welten, und das Brahman durchdringt alles, sei es entfaltet oder unentfaltet. Aus dem Brahman entstehen die täglichen Lebensaufgaben, und wer sie mit reinen Gedanken, Worten und Taten vollbringt verehrt das Brahman und wirkt zum Wohlergehen aller Wesen. Aus dem Brahman atmen die Veden, und wer sie wahrhaft kennt, handelt uneigennützig auf höchst wohltätige Weise. Denn all die begehrten Früchte unserer Taten sind nur winzigkleine Fünkchen im ewigen Brahman. Die Brahmanen mit wahrhafter Sicht sagen sogar, daß dieses ganze Universum nur ein winzigster Teil des Brahman ist, das als Höchste Seele alles durchdringt. Dieses eine Brahman wird von allen Zweifachgeborenen in ihren Opfern verehrt. Entsprechend ihrer geistigen Neigungen verwenden sie dafür verschiedene Namen wie Brahma, Indra, Mitra, Varuna und viele andere. Doch hinter all diesen Namen steht immer das eine Brahman. Dieses Brahman erscheint in grobstofflicher und feinstofflicher Form als weibliche Natur und männlicher Geist. Als Brahma erkannte, daß beides reine Intelligenz ist, erschuf er zuerst die Vereinigung von weiblich und männlich. Damit brachte der göttliche Brahma die Wonne in die Welt, erfreute sich mit seiner Göttin (seiner Shakti) und zeugte Nachkommen (wie Kasyapa usw.). Doch trotz dieser Freude ist Brahma der Erste aller Brahmanen, die demütig handeln und beständig den Weg zur Befreiung gehen. Aus diesem Strom (der Freude) wurde der fruchtbare Soma (Mond) geboren und mit ihm Maheshvara, der Herr der wilden Geister. Dieser Strom floß über Maheshvara und weihte ihn zum natürlichen (bzw. wesenhaften) König über die tobenden Geister, weshalb er heiliger Fluß genannt wird. Dieser Strom hat seinen Ursprung im Reich von Brahma, fällt kraftvoll vom Himmel auf die mächtigen Berge herab und fließt in sieben großen Armen über die Erde, weshalb er (bzw. sie) Ganga genannt wird. Die göttliche Ganga teilt sich weiterhin in tausende Flüsse, gewährt unzählige heilige Badestätten und macht auf ihrem langen Weg zum Ozean die Erde fruchtbar.

Oh König, so entfalteten sich die grobstofflichen Elemente aus den feinstofflichen und Brahma erwachte aus der universalen Intelligenz, um die Schöpfung zu beginnen. Aus seinen vier Lotusmündern strömten die vier Veden, die zur geistigen Führung der Menschheit wurden. Aus seiner Erkenntnis entstand das heilige Opfer, das mit vier Priestern auf vier Beinen steht, und der Große Vater Brahma ist der Herr des Opfers. Das sind die vier Beine des Dharma, welche die ganze Welt aufrechterhalten. Als erstes der Schülerstand (Brahmacharya), als zweites der höchst heilige Stand des Hausvaters, als drittes der spirituelle Rückzug des Waldeinsiedlers und als viertes der besitzlose Bettelmönch, der sich mit dem ewigen Brahman vereint. Diese vier Lebensweisen gelten als die vier Beine des Dharmas und sind der Weg zum Himmel. Im Schülerstand entwickeln sich die mentalen Fähigkeiten durch die Yoga-Übung und das Verständnis der Veden wie der zunehmende Mond. Die Hausväter verehren und ernähren durch ihr Verhalten (wie Opfer und Gastfreundschaft) entsprechend der Veden die Ahnen und die Rishis auf dem Berg Meru (sozusagen die Waldeinsiedler und Bettelmönche).

(Hinweis: Hier endet zunächst die Übersetzung von M.N.Dutt und fährt mit Kapitel 20 fort. Wir stützen uns bis dahin auf die französische Übersetzung von A.Langlois.)

Die Waldeinsiedler reinigen ihre geistige Sicht und zügeln ihre Sinne im Yoga, um sich zum hohen Gipfel des Berges Meru zu erheben. Sie sitzen mit verschränkten Beinen, geradem Rücken, leicht geneigtem Kopf und die Hände vor dem Bauch ineinandergelegt. Ihr Körper verweilt in Ruhe, und sie üben Meditation. Mit dem Segen vom Herrn des Yogas konzentrieren sie ihr Bewußtsein im Punkt zwischen den Augenbrauen. Wenn das Denken schweigt, die Sinne von der Welt zurückgezogen und von Anhaftung befreit sind, dann entfaltet sich das reine Vishnu-Bewußtsein, und die Gottheit erscheint wie ein helles Licht am Himmel, der klare Mond in der Dunkelheit oder die tausendstrahlige Sonne. Dieser Glanz ist unvergleichlich. Doch solange die Sicht von Illusion verdunkelt ist, kann man dieses ewige Wesen nicht erkennen, das sich in einem Körper zeigt, der Sonne und Mond als seine Augen hat und im himmlischen Licht erstrahlt. Die Zweifachgeborenen, welche die Veden kennen, Tugend üben und die Höchste Seele suchen, sind für diese mystische Erkenntnis bereit. Anderen bleibt sie verschlossen. Denn wer die unheilsamen Anhaftungen pflegt, die uns im Strudel der Welt verstricken, die Entsagung verachtet und die Wege des Yogas verläßt, kann die Höchste Seele nicht erkennen. Durch illusorische Gedanken wird der Geist, der Ursprung aller Elemente, an die Erde gebunden und treibt uns zu karmischen Taten, die uns beständig im Netz des Todes fangen. So widmet sich der besitzlose Bettelmönch ganz und gar dem Yoga und der Meditation, gibt alle weltlichen Bindungen auf und geht den Weg der Befreiung (Moksha), so daß er eines Tages im Brahman verschmilzt. Er vereint diese ganze Schöpfung mit Gayatri und seiner Seele, umgeben vom klaren Licht des Mondes, im Punkt zwischen den Augenbrauen und erkennt das göttliche Wesen, das unkörperlich, ewig, unvergänglich und unendlich wie das reine Licht des Mondes erscheint und von den Sinnesorganen mit dem Denken nicht ergriffen werden kann.

Vom strahlenden Gott strömen die Rig und Yajur Veden aus den Augen und die Saman und Atharva Veden von der Spitze seiner Zunge. Mit ihrer Geburt nehmen die Veden einen Körper an, mit dem sie auf der Erde erscheinen, und so entsteht aus ihrem ewigen Geist das Opfer (Yajna), das den Atharva Veda als Kopf hat, den Rig als Hals und Brust, den Saman als Herz und Rücken, sowie den Yajur als Bauch, Beine und Füße. So zeigt sich das ewige Wesen des Opfers, das aus dem Geist der Veden geboren wird. Durch das Opfer sind alle Wesen glücklich, und die drei Welten werden vor Unheil beschützt. Wer durch die Weisheit der Veden und die Übung des Yogas die Vollkommenheit im Handeln und ewige Reinheit erreicht hat und auf diese Weise zum Ursprung aller Wesen zurückgekehrt ist, wird für immer von den karmischen Fesseln des Handelns befreit. Die in den Veden gelehrten Munis nennen ihn Siddha, den Vollkommenen, und so kann Vollkommenheit in der Welt sein. Auf diese Weise beschreiben die gelehrten und askesegeprüften Brahmanen in den Versen der Veden und Upanishaden, wie das Opfer aus Vishnu geboren wurde.

Da fragte Janamejaya:
Ich verstehe, daß der Yogi den Ansturm seiner Gedanken zügeln soll. Doch wie soll er handeln, um dieses Ziel zu erreichen?

Und Vaisampayana antwortete:
Es gibt keine äußeren Handlungen, die dafür notwendig wären. Es ist ein innerer, geistiger Weg, den die tugendhaften und askesereichen Zweifachgeborenen zur Erkenntnis der Wahrheit gehen. Das gewöhnliche, weltliche Leben kann kein wahres Licht in die Seele bringen, ohne Demut und Entsagung zu üben, ohne dem Dharma zu folgen und mit ganzem Herzen die Befreiung zu wünschen. Man sollte sich beständig vom angesammelten Karma reinigen, alle Zweifel auflösen, der Weisheit der Veden folgen, seine Lehrer ehren und sich mit gefalteten Händen verneigen. Der schweigende Muni, der den Weg zur Befreiung geht, sollte Tag und Nacht seine Sinne zügeln und den Geist auf das göttliche Wesen richten. So steigt er durch die Kraft der Seele zur ewigen Region von Vishnu auf. Er wird tiefste Versenkung in der Meditation erfahren, und sein Denken erlischt im Höchsten, dem Brahman. Frei von persönlichen Interessen und weltlichen Anhaftungen löst er die Fesseln der Wiedergeburt und erreicht das Brahman. Dieses ewige Brahman nennt man auch das Unvergängliche. Man verliert es durch Anhaftung an die Früchte des Handelns und erreicht es durch wahrhafte Erkenntnis. Ein Brahmane, der ein demütiges und zurückgezogenes Leben in dieser von Vishnu gezeugten Welt führt, der sich aus allen Bindungen der Natur erhebt und jegliche Begierden überwindet, muß in dieser Welt nicht wiedergeboren werden. Denn obwohl er in dieser Welt handelt, sammelt er keine Taten (kein Karma) an, weil seine Seele nicht an deren Früchte gebunden ist. Ein Wesen kehrt aufgrund seiner Anhaftung in dieses Leben zurück, die es bezüglich der irdischen Dinge angesammelt hat. Befreiung erreicht es, wenn sich das Auge der Erkenntnis öffnet und jede Anhaftung erlischt. So soll man in der Welt ohne Anhaftung handeln, um seine Lebensaufgabe zu erfüllen. Damit lösen sich eines Tages die Fesseln der Sinne und des Denkens, und das Wesen erreicht die höchste Befreiung, so daß es nie wieder in einen irdischen Körper zurückkehren muß.


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