Pushpak HarivamshaZurück WeiterNews

1.50. Der Yoga-Schlaf von Vishnu

Vaisampayana sprach:
Nachdem er von den Göttern und Rishis so verehrt wurde, begab sich Hari in die himmlische Wohnstätte von Brahma, die ewige Einsiedelei von Narayana, wie sie in den Puranas beschrieben wird. Mit freudigem Herzen würdigte er die Rishis und verneigte sich vor Brahma, dem lotusgeborenen Schöpfergott. Dann betrat er jene Einsiedelei, die seinen Namen trägt und legte all seine himmlischen Waffen nieder. Dort sah er seine Wohnstätte, die einem grenzenlosen Wasser glich, wie ein Ozean, in dem die unsterblichen Götter und Rishis leben. Diese Wohnstätte war von den großen Wolken verhüllt, zu denen die allesvernichtende Samvartaka Wolke gehört, von der Dunkelheit der Sternensphäre verdeckt und jenseits des Zugriffs der Götter und Dämonen. Dort weht weder der Wind noch scheinen Sonne und Mond. Alles ist vom strahlenden Glanz der Gottheit erfüllt. Wie ein Yogi mit verfilzten Locken, so ging die Gottheit mit den tausend Gesichtern dort ein und legte sich nieder in der Stille des Yoga. Der todesähnliche Schlaf mit dunklen Augen, die das Ende der sichtbaren Schöpfung verkünden, erschien in den Augen der ewigen Gottheit. So legte sich Hari, der Meister über alle Sinne und Erster aller Yogis, auf sein himmlisches Ruhebett nieder, das so kühlend wie das Wasser des Ozeans ist. Und als der allmächtige Vishnu auf diese Weise in der Stille für die Schöpfung des Universums ruhte, begannen die Rishis und Götter ihn zu verehren. Da erschien aus seinem Nabel eine Lotusblume, so strahlend wie die Sonne, in welcher der Große Vater Brahma saß, der sowohl der Anfang als auch das Ende (der Schöpfung) ist. Diese Lotusblume hat tausend Blütenblätter, eine wunderschöne Farbe, ist lieblich anzuschauen und wohlverziert. Dann hob der Schöpfergott Brahma seine Hand, die den Faden des Karmas abspinnt und damit das Rad der Zeit mit all den weltlichen Gestaltungen in Bewegung setzt. Aus seinem Mund erschienen, vom Wind seines Atems getrieben, die Stammväter und alle anderen Geschöpfe im ewigen Werden und Vergehen. Auch die Menschen wurden auf diese Weise von ihm geschaffen und in die vier Kasten eingeteilt, damit sie entsprechend der Veden ihre Aufgaben erfüllen und ihre jeweiligen Ziele erreichen. Selbst Brahma und die unsterblichen Rishis können Vishnu nicht verstehen, wie er im Yoga vertieft aus der Stille die Illusion dieser Welt entfaltet. Diese brahmanischen Heiligen mit dem Großen Vater an der Spitze können nicht einmal herausfinden, wann Narayana schläft und wann er sich von seinem Ruhebett erhebt. Wer wacht in diesem Körper? Wer schläft? Wer handelt und wer handelt nicht? Wer erfreut sich der vielfältigen Dinge? Wer erscheint im Licht? Und wer ist im tiefsten Innersten? Die Gelehrten suchen ihn durch Argumente, Gedanken und Logik, aber können weder seine Geburt, noch seine Taten oder seine Existenz finden. Die alten Rishis haben seine Herrlichkeit in den Puranas besungen, und die Geschichten und Hymnen, die er selbst geschrieben hat, deuten auf sein unvergleichliches Wesen hin. Seine uralten Geschichten sind endlos und werden sogar unter den Göttern gehört. Alle heiligen Schriften der Veden und auch jene über die Tugenden und Aufgaben der Menschen beschreiben das Wesen und die Macht dieser Gottheit.

Der Herr erscheint als Ursprung jeglicher Geschöpfe zur Zeit der Schöpfung aller Welten und bleibt als Madhu-Vernichter stets wach für den Untergang der Dämonen. Wenn dieser unsterbliche Höchste Geist (der Purusha) seine Augen schließt, können nicht einmal die Götter noch etwas sehen. So geht er am Ende des Sommers (des Schöpfungstages) schlafen und erwacht erneut am Ende der Regenzeit (der Schöpfungsnacht). Er ist identisch mit den Veden, den Opfern und anderen, segensreichen Riten, und als Höchster Geist ist er das Ziel aller Opfer. Wenn Vishnu schläft, hören alle von Mantras geheiligten Opfer auf. Der Madhu-Vernichter erhebt sich, wenn die Opfer während des Sommers vollbracht werden. Und wenn Vishnu wieder schlafen geht, erfüllt Indra, der Herr der Wolken seine Aufgabe und läßt es regnen (so daß die Welt im Wasser versinkt).

Diese Illusion (Vishnu-Maya) von Dunkelheit, Schlaf, Weltexistenz und Todesnacht bringt allen Wesen, die in der Welt herrschen, ihren Untergang. Durch ihre Erscheinung voller Dunkelheit zerstört sie den Tag, und so stielt diese fürchterliche Illusion den Geschöpfen der Welt die Hälfte ihres Lebens. Fast alle können diese Macht nicht ertragen, gähnen wiederholt und werden vom Schlaf überwältigt, so daß sie im grenzenlosen Ozean der Illusion versinken. Diese dumpfe Müdigkeit, die aus übermäßiger Nahrung und Bemühung der Sterblichen in der Welt entsteht, kann nicht zum Wohlergehen aller führen. Sie schwächt die Macht, aus dem Traum der Existenz in dieser Welt zu erwachen, und stärkt die Einbildung von der Zerstörung ihres Lebens zur Zeit des Todes. Selbst unter Göttern ist nur Narayana fähig, der Macht dieses Schlafes zu widerstehen. Diese Illusion (Maya) ist die weibliche Begleiterin, die aus dem Körper von Vishnu geboren wurde und allen Geschöpfen den Tod bringt. Dieses Wesen mit den Lotusaugen wurde auf dem Gesicht von Narayana sichtbar. Sie verwirrt und betäubt alle Geschöpfe und kann die ganze Welt in einem Moment zerstören. Zum Wohle der Menschheit wird sie von Vishnu gehalten und von allen als treue Ehefrau verehrt, die ihrem Ehemann dient.

Während die Welt in diesem Schlaf versunken und von der Illusion verwirrt war, ruhte Vishnu in der Einsiedelei des Narayana im Yoga-Schlaf. Während dieser Yoga-Vertiefung vergingen tausende Jahre sowie das goldene Satya und silberne Treta Zeitalter. Der höchst strahlende Gott erwachte am Ende des bronzenen Dwapara Yuga, als die großen Rishis angesichts der zunehmenden Qual der Menschheit begannen, sein Lob zu singen.

Die Rishis beteten:
Oh Herr, erhebe dich aus deinem Yoga-Schlaf, der dein innerstes Wesen ist, wie eine Blütengirlande, an der man sich eine Weile erfreut. Alle Götter mit Brahma warten darauf, dich zu sehen. Oh Hrishikesha, all diese selbstkontrollierten Rishis, die in der Erkenntnis des Brahman wohlerfahren sind, singen dein Lob und begrüßen dich. Oh Vishnu, höre die vorzüglichen Worte dieser Rishis, die mit den fünf Elementen eins sind, nämlich Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum. Oh Gottheit, die sieben Rishis und alle Heiligen singen mit himmlisch segensreichen Hymnen dein Lob. Erhebe dich, oh höchst Strahlender, aus dessen Nabel der Lotus mit den tausend Blütenblättern wächst, denn ein wichtiges Werk der Götter bedarf deiner Tat.

Vaisampayana fuhr fort:
So geschah es, daß sich Hrishikesha aus dem Wasser erhob, die Dunkelheit zerstreute und in seiner großen Herrlichkeit erschien. Sogleich sah er all die versammelten Götter mit dem Großen Vater, die sich um die Welt sorgten und seine Hilfe suchten. Da sprach Narayana mit aus dem Yoga-Schlaf erwachten Augen freundliche Worte voller Vernunft und Weitsicht und fragte in Gestalt von Vishnu die Götter:
Welcher Kampf ist zu kämpfen? Was ist der Grund eurer Furcht, oh ihr Götter? Was gibt es zu tun, und wie kann ich euch helfen? Wird die Welt wieder von den übelgesinnten Dämonen gequält? Sind die Menschen wegen ihrer Schwäche wieder in Not geraten? Sprecht zu mir! Ich habe mich von meinem höchst vorzüglichen Ruhelager erhoben und stehe nun unter euch Göttern, um euer Wohlergehen zu sichern. Was kann ich für euch tun?


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