Pushpak Bhagavata Purana Buch 5Zurück WeiterNews

5.8. Die Anhaftung von König Bharata

Der ehrenwerte Suka sprach:
Als Bharata eines Tages im großen Fluß (Mahanadi) gebadet und seine täglichen Riten vollendet hatte, saß er einige Zeit am Ufer und sang das alldurchdringende OM. Oh König, da erblickte er ein einzelnes Reh, das durstig zum Wasser gekommen war. Doch als es begierig trinken wollte, erschallte hinter ihm plötzlich ein lautes Löwengebrüll, das alle Lebewesen erschrecken kann. Als das Reh dieses schreckliche Getön hörte, sprang es aus Angst vor dem Löwen sofort über den Fluß, ohne seinen Durst gestillt zu haben. Doch bei diesem Sprung, den es vor Angst mit aller Kraft machte, verlor das schwangere Reh sein Baby, das aus dem Mutterleib rutschte und ins Wasser fiel. Erschöpft von der Fehlgeburt und dem angstvollen Sprung sank das Reh, das nun von seiner Herde getrennt war, irgendwo in einer Höhle nieder und starb. Als der weise Bharata sah, wie das Kitz von der Mutter getrennt im Fluß davongetragen wurde, betrachtete er es als Waisenkind und brachte es voller Mitgefühl in seine Einsiedelei. Er nahm es als sein Kind an, fütterte es jeden Tag, beschützte es und zog es liebevoll auf. So wurde er zunehmend an das Rehkitz gebunden, gab bald seine Gelübde auf und verlor durch diese Anhaftung seine Selbstbeherrschung und die Verehrung des Höchsten Geistes.

Er dachte bei sich:
Ach, durch das Schicksal wurde dieses arme Geschöpf von seiner Familie, Verwandten und Freunden getrennt. Es sucht meine Zuflucht und mich als Vater, Mutter, Bruder und Herde. Es hat niemand anderen und vertraut ganz auf meinen Schutz. So hängt es in jeder Hinsicht von mir ab, sei es im Lernen, Ernähren, Lieben oder Beschützen. Ich denke, daß es sicherlich falsch ist, ein Lebewesen zu vernachlässigen, das meinen Schutz gesucht hat. Deshalb sollte ich ohne Reue so handeln. Zweifellos werden alle ehrenwerten und frommen Menschen, auch wenn sie Nichtanhaftung üben, ihre eigenen Interessen zurückstellen, um den Bedürftigen freundschaftlich zu helfen.

So wanderte, badete, ruhte, saß und aß er mit dem jungen Rehkitz, und sein Herz wurde mehr und mehr von anhaftender Zuneigung gebunden. Wenn er in den Wald ging, um Blumen, Brennholz, Kusha-Gras, Kräuter, Früchte, Wurzeln und Wasser zu holen, nahm er aus Furcht vor Wölfen, Hunden oder anderen Raubtieren das junge Reh immer mit. Auf dem Weg trug er es voller Liebe sogar ab und zu auf seinen Schultern, oder hielt es, wie es Kinder lieben, auf seinem Schoß oder an seiner Brust während er schlief und erfreute sich sehr daran. Und wenn er seine Verehrungen darbrachte, stand er manchmal schon vor der Beendigung auf und kümmerte sich voller Freude um das Rehkitz, segnete es und sprach: „Oh mein liebes Kind, ich wünsche dir alles Gute!“

Wenn er das Rehkitz manchmal nicht sah, war er so besorgt und aufgeregt, wie ein erbärmlich geiziger Mann, der seinen Reichtum verloren hatte. In dieser Sorge verlor er jegliche Vernunft, wurde von einem Strom der Gedanken überwältigt und grübelte oft:
Oh Weh! Wo bist du mein Liebes? Ich fürchte, dieses Waisenkind ist in große Verzweiflung gefallen. Hoffentlich wird es zurückkommen und mir vertrauen, daß ich ein Freund seiner Art bin, nicht wie die bösen Jäger, die kein Erbarmen kennen. Wann werde ich mich wieder am Anblick erfreuen, wie dieses von den Göttern beschützte Geschöpf im Garten meiner Einsiedelei glücklich umherläuft und Gras knabbert? Ach, wurde das arme Geschöpf vielleicht von einem Rudel Wölfe oder Hunden oder von einem einsam wandernden Tiger verschlungen? Oh je, der Höchste Herr der Welt und Herr der drei Veden, der zum Wohle aller erstrahlt, geht bereits unter (in Gestalt der Sonne), und immer noch ist dieses Kind, das die Mutter mir anvertraut hat, nicht zurückgekehrt! Wann wird dieser kleine Prinz zu mir zurückkommen und mich wieder glücklich machen, wo ich für dich meine vielen Askese-Übungen aufgegeben habe? Du warst so niedlich anzuschauen und konntest mit deiner Art all mein Unglück zerstreuen. Wenn ich meine Augen schloß, um zu meditieren, spieltest du mit mir und hast mich schüchtern voller Liebe mit den Spitzen deiner Hörner geneckt, die so weich wie Moos waren. Wenn ich darüber verärgert war, weil du das Kusha-Gras für die Verehrungsriten beschmutzt hattest, zogst du dich sogleich erschrocken zurück und legtest dich mit gezügelten Sinnen nieder, wie es der Sohn eines Heiligen tun würde. Ach, welche Buße der härtesten Askese könnte auf dieser Erde den Reichtum der süßen, kleinen, schönen und liebeswürdigen Hufabdrücke dieses empfindsamen Geschöpfes ersetzen, das immer befürchten muß, verloren zu gehen?! Mir zeigen sie den Weg zum Reichtum des Waldes, der überall von ihnen geziert wird und zu einem Ort der Opfer für Götter und Brahmanen wurde, um den Pfad zum Himmel zu gehen. Möge doch der Mondgott, der nun majestätisch am Himmel steht und freundlich auf alle Wesen der Nacht blickt, voller Mitgefühl das empfindsame Kitz beschützen. Zuerst hast du deine Mutter wegen der Angst vor einem Raubtier verloren und jetzt den Schutz meiner Einsiedelei, weil du dich verirrt hast. Ach, möge doch der Mondgott aus Mitgefühl mit seinen Strahlen, die so friedlich und kühl wie nektargleiches Wasser aus seinem Angesicht strömen, mein brennendes Herz heilen, das wie eine rote Lotusblüte in schmerzlichen Flammen steht und einem Waldbrand gleicht wegen der Trennung von dem Rehkitz, das zu meinem Sohn geworden ist.

Mit solchen Gedanken wurde er aufgrund seiner vorherigen Taten von einem Geist überwältigt, der den illusorischen Wunsch verwirklichte, ein Rehkitz als Sohn zu besitzen. Damit scheiterte er an seinen Yoga-Übungen, seiner Entsagung und schließlich auch an der Hingabe zum Höchsten Herrn. Wie hätte er auch durch diese Bindung an den Körper eines Lebewesens, die zum Hindernis geworden war, das höchste Ziel seines Lebens erreichen können? Wie war es nur geschehen, daß er zuvor seinen leiblichen Söhnen entsagen konnte, aber an diesem Rehkitz so anhaftete?

Nun, mit dieser Anhaftung durch Schutz und Fürsorge des jungen Hirsches wurde König Bharata auf dem Yoga-Weg behindert und mißachtete das wahre Bedürfnis seiner Seele, während sich mit schnellen Schritten die Zeit seines Todes näherte, wie eine Schlange, die in ein Mauseloch eindringt. Und während er starb war der junge Hirsch an seiner Seite und klagte wie ein Sohn. Und weil sein Geist während des Sterbens diese intensive Anhaftung hatte, wurde er danach als ein Hirsch wiedergeboren. Doch aufgrund seiner Verdienste konnte er sich an die vorhergehende Existenz erinnern. Mit dieser Erinnerung erkannte er die Ursachen für seine Geburt als Hirsch in seinen Taten der Anhaftung und sprach voller Reue:
Ach, was für ein Elend! Ich bin von der Lebensweise der Selbstbeherrschten abgefallen, obwohl ich meine leiblichen Söhne und mein Haus verlassen hatte und in der heiligen Waldeinsamkeit lebte, wie ein Asket, der in vollkommenem Einklang mit dem Höchsten Herrn seine Zuflucht in der Höchsten Seele aller Wesen sucht. Obwohl ich ständig an Vasudeva, den Höchsten Herrn, gedacht und meine Zeit mit Singen, Beten, Zuhören und Erinnern verbracht hatte, fiel mein Bewußtsein, das sich durch diese Übung zum Ewigen und Höchsten erheben wollte, durch die Zuneigung zu einem jungen Rehkitz davon ab und machte einen großen Narren aus mir.

So wandte sich der Hirsch schweigend von der Welt ab, gab seine Mutter auf, verließ die Kalanjara-Berge, wo er geboren worden war, und begab sich zu jenem Ort, wo er zuvor den Höchsten Herrn verehrt hatte, zur Einsiedelei von Pulastya und Pulaha in Salagrama, wo schon viele vorzügliche Asketen größte Entsagung übten. Hier ernährte er sich von herabgefallenen Blättern und wenigen Kräutern und wartete geduldig auf die Vereinigung mit der Höchsten Seele. Er schützte sich achtsam vor allen unheilsamen Einflüssen und lebte mit dem einzigen Wunsch, die Ursachen aufzulösen, die diese Verkörperung als Hirsch bewirkt hatten. Und schließlich legte er diesen Körper im reinigenden Wasser des heiligen Ortes ab.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter