Kapila sprach:
Wer in der Häuslichkeit lebt, genießt immer wieder die Freuden von Tugend, Wohlstand und Liebe (Dharma, Artha und Kama) und handelt entsprechend. Auch wenn er die Götter und Ahnen mit Opferriten verehrt, wird er von Begierde ergriffen und wendet sich davon ab, dem Höchsten Herrn zu dienen, um Befreiung (Moksha) zu erreichen. Er haftet an der Verehrung für Götter und Ahnen an, so daß er (nach dem Tode den Väterweg) zum Mond geht und den Somasaft trinkend in diese Welt zurückkehren muß. Erst wenn sich Vishnu (zur universalen Auflösung) auf dem Schlangenbett von Ananta zur Ruhe legt, löst sich diese Welt der anhaftenden Hausväter auf.
Wer jedoch die Aufgaben der Tugend erfüllt, ohne nach Wohlstand und Liebe zu greifen, und handelt, ohne an den Früchten anzuhaften, kann mit reinem Bewußtsein zufrieden sein. Denn soweit sie diese Tugend des Nichthandelns üben und ohne Besitzanspruch und Eigennutz die Aufgaben im Leben erfüllen, wird ihr Bewußtsein durch Güte gereinigt. Sie folgen dem Pfad der Erleuchtung und nähern sich dem Höchsten Geist (Purusha), der die Ursache für die Entstehung, Erhaltung und Auflösung der Welt ist und sich in allen Wesen verkörpert und offenbart. Bis zum Ende der beiden Parardhas, die das Leben von Brahma umfassen, wohnen sie in Betrachtung des Höchsten in den höchsten Welten. Und nach zwei Parardhas (2x50 Brahma-Jahre, insgesamt 311 Billionen Menschen-Jahre) gehen sie zufrieden in das Ungestaltete ein, das durch die drei natürlichen Qualitäten (von Güte, Leidenschaft und Trägheit) gestaltet und von den natürlichen Prinzipien der universalen Intelligenz, des Ichbewußtseins, den fünf Elementen mit Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde sowie den zugehörigen Sinnen usw. überdeckt wird. So gehen die Yogis, die den langen Weg vollendet haben, in das Brahman ein. Sie haben Atem und Gedanken beherrscht, das wahnhafte Ichbewußtsein überwunden, den Nektar der Unsterblichkeit getrunken, den Höchsten Geist erreicht und das ursprüngliche Brahman verwirklicht.
Deshalb, liebe Mutter, nimm durch Hingabe Zuflucht zum Höchsten Herrn, von dessen Herrlichkeit du nun gehört hast und der im Lotus aller Herzen wohnt. Schau, Brahma, der Schöpfer aller Geschöpfe und Quell der Veden, die großen Weisen und Yogis wie die Kumaras und Siddhas sowie die Verkünder der Yoga-Lehre mit reiner Sicht haben den Wahn der Anhaftung an die Früchte eigennütziger Taten aufgelöst und das Brahman mit dem Höchsten Geist erreicht. Und doch werden sie im Laufe der Zeit durch die Verkörperung des Höchsten Herrn im Wechselspiel der natürlichen Qualitäten wie zuvor wieder geboren. Und das gilt auch für alle anderen hohen Wesen und Heilige, die sich am Reichtum des Dharmas erfreut haben und zurückkehren, wenn die natürlichen Qualitäten wieder zu wirken beginnen.
(Denn sie werden zur Heilung jener geboren,) die ihre Gedanken an das fruchtbare Handeln in der Welt binden und in der Erfüllung ihrer Aufgaben immer wieder nach den Früchten ihrer vermeintlich eigenen Taten greifen. Mit Leidenschaft versorgen sie ihren Haushalt und beten zu den Ahnen, um ihre Begierden zu befriedigen, sind voller Ängste und können ihre Sinne nicht beherrschen. Solche Menschen folgen nur den drei Lebenszielen von Tugend, Wohlstand und Liebe und interessieren sich nicht für das kosmische Spiel des Höchsten Herrn, der mit göttlicher Macht den Madhu-Dämon getötet hat und höchsten Interesses würdig ist. Sie verschmähen den Nektar der Geschichten über den Allmächtigen und hören vom Schicksal getrieben lieber weltliche Geschichten. In dieser Hinsicht verhalten sie sich wie Hausschweine, die Abfall fressen. Sie gehen nach dem Tod in der dunkler werdenden Jahreshälfte, wenn die Sonne nach Süden wandert, (auf dem Väterweg) in das Reich der Ahnen, um in ihren Familien wiedergeboren zu werden und immer weiter an den Früchten der Taten anzuhaften. Durch göttliche Fügung fallen sie immer wieder auf die Erde herab, nachdem die angesammelten Verdienste ihrer tugendhaften Taten erschöpft sind.
Deshalb solltest du, oh Mutter, mit ganzem Herzen den Höchsten Herrn verehren und mit liebevoller Hingabe seine Zuflucht suchen, denn seine Lotusfüße sind allein verehrenswert. Die liebevolle Hingabe zu Vasudeva, dem Höchsten Herrn, wird schon bald die weltliche Anhaftung lösen und jene Weisheit gewähren, die zur Erkenntnis des Brahman führt. Wenn das Bewußtsein des Verehrers bezüglich der Sinneswahrnehmung völlig ausgeglichen ist, unterscheidet es nicht mehr zwischen angenehm und unangenehm. Diese gleichmütige Einsicht löst die weltliche Anhaftung und man erhebt sich frei von Verlangen und Ablehnung auf eine übernatürliche Ebene. Diese einzigartige und vollkommene Erkenntnis des Herrn wird je nach Sichtweise und Verständnis als Höchstes Brahman, Höchste Seele, Höchster Geist oder Höchster Herr bezeichnet.
Das große Ziel, das ein Yogi in dieser Welt durch Yoga verwirklichen kann, besteht in der vollkommenen Nichtanhaftung (d.h. Befreiung). Für alle anderen, die der Erkenntnis des Brahman abgeneigt sind, erscheint das Eigenschaftslose in verschiedenen Formen und wird irrtümlicherweise als Klang, Gefühl usw. wahrgenommen. Wie das Welten-Ei durch die drei natürlichen Qualitäten (der Güte, Leidenschaft und Trägheit) aus der universalen Intelligenz, dem Ichbewußtsein und den fünf Elementen gebildet wird, so bildet sich auch der Körper eines Lebewesens aus den fünf Sinnes- und Handlungsorganen mit dem Denken durch das individuelle Bewußtsein (aus dem Eigenschaftslosen bzw. Ungestalteten). Das kann ein Yogi erkennen, der mit Vertrauten und Hingabe im Yoga beständig ist, und damit die weltliche Anhaftung lösen.
Oh Mutter, damit habe ich dir die Erkenntnis des Brahman erklärt, das als Höchste Natur (Prakriti) und Höchster Geist (Purusha) verstanden wird. Sowohl der Yoga der Erkenntnis (Jnana-Yoga) als auch der Yoga der Hingabe zu mir (Bhakti-Yoga) sind nötig, um die Anhaftung an die natürlichen Qualitäten zu lösen und das zu erreichen, was man den Höchsten Herrn (Bhagavan) nennt. So wie die Sinne ein Objekt mit vielen Eigenschaften unterschiedlich wahrnehmen, so wird der eine Höchste Herr in den verschiedenen heiligen Texten unterschiedlich beschrieben. Während täglicher Arbeit, Opferriten, Wohltätigkeit, Askese, Vedenstudium, Meditation, Sinnes- und Gedankenzügelung, Yogaübung, Verehrung, Dienst und Hingabe, ob im Handeln oder Nichthandeln - durch Selbsterkenntnis wird man ohne Anhaftung überall den Höchsten Herrn mit und ohne Eigenschaften wahrnehmen.
Damit habe ich dir, liebe Mutter, die vier Arten der Hingabe erklärt (durch Güte, Leidenschaft, Trägheit und Transzendenz) sowie das unsichtbare Wirken der Zeit, die alle Wesen bewegt, und auch die Arten des Lebens in Unwissenheit, die durch das angesammelte Karma entstehen. Wer daran anhaftet, verliert sich in Verwirrung. Doch diese Lehre ist nicht für übelgesinnte und stolze Menschen geeignet, die nur heuchlerisch dem Dharma der Tugend und Gerechtigkeit folgen. Sie sollte auch nicht an gierige Menschen weitergegeben werden, die am Hausleben anhaften und mich oder meine Verehrer verachten. Diese Lehre ist für alle hingebungsvollen und freundlichen Menschen geeignet, die mir vertrauen, das Wohlergehen aller Wesen suchen und wünschen, mir uneigennützig zu dienen. Oh Mutter, sprich zu denen, die sich mit friedvollem Geist von der äußeren Welt zurückziehen, keinen Neid pflegen, nach Reinheit suchen und mich lieber als alles andere haben. Wer nur einmal voller Vertrauen all dies gehört oder gelesen hat und sein Bewußtsein auf mich allein richtet, wird zweifellos mein Sein erreichen.