Pushpak Shiva-Purana Buch 4Zurück WeiterNews

Kapitel 3 - Kama verflucht und gesegnet

Brahma erzählte:
So gaben ihm meine Söhne, die meine Absicht verstanden, angemessene Namen. Daksha und weitere Wesen, die auf andere Dinge schauten, bestimmten ihm einen angemessenen Platz und eine Gemahlin. Und die Namen, welche meine Söhne vergaben, begründeten sie wie folgt:
Da du schon durch dein Wesen unseren Geist verwirrt und gequält hast, und sogar Brahma das gleiche Schicksal ereilte, sollst du in der Welt als Manmatha (Gott der Liebe, Verlangen) bekannt sein. Du wirst jede Gestalt annehmen können, die du wünschst. Und daher wirst du auch als Kama berühmt sein (Wunsch, Wille, Sehnsucht nach Liebe...). Niemand wird dir gleichen. Wenn du in anderen ein Hochgefühl erregst, wird man dich als Madana (Euphorie, Rausch...) kennen. Doch da du schon von Geburt an sehr stolz bist, sollst du gleichfalls Darpaka und Kandarpa heißen in der Welt (Stolz, Wollust). Alle Macht der Götter wird der deinen nicht ebenbürtig sein, und so wirst du allgegenwärtig und alles durchdringend sein. Daksha, der erste Stammvater, wird dir eine gebührende Gattin zuweisen, wie sie dir beliebt.

Doch die wunderschöne Maid, welche aus Brahmas meditierendem Geist entstand, soll Sandhya heißen (die Verbindung, Dämmerung), und ihr Glanz wird wie die Jasminblüte bezaubern.

Und Brahma fuhr fort:
Da entschied sich Kama, ab sofort unsichtbar zu wirken und packte seine Blumenpfeile fester, welche da waren: Harshana - Entzücken, Rochana - Anziehung, Mohana - Täuschung, Soshana - Schwächung und Marana - Überwältigung. Und Kama dachte bei sich:
Ich werde meine Aufgabe hier und jetzt beginnen, wie es Brahma selbst mir als ewige Pflicht auferlegt hat. Es sind alle Weisen und Brahma anwesend, und sie sollen sehen, wie entschlossen ich meiner Pflicht nachkommen werde. Sandhya ist auch hier. Sie soll meinem Zwecke dienen. Ja, ich werde meine Macht als erstes hier probieren und dann überall sonst geltend machen.

Er legte seine Blumenpfeile auf die Sehne und stellte sich in Positur. Dann spannte er wie ein großer Bogenschütze den Bogen fast bis zum Kreis und war bereit zum Schuß. In diesem Moment blies eine sanfte Brise, welchen einen jeden Anwesenden entzückte. Und Kama, der Zauberer, schoß seine Pfeile und verzauberte alle. Die Weisen, meine geistigen Söhne und auch ich waren sofort verliebt. Wir waren wie von Sinnen und starrten lustvoll auf Sandhya. Unser Begehren erhob sich mächtig, denn eine Frau ist wahrlich in der Lage, die Wollust zu erregen. Und Kama hörte nicht auf, bis wir alle völlig die Kontrolle über unsere Gefühle und Sinne verloren hatten.

Als ich die Schöne mit Blicken verschlang, gerieten meine Lebensprinzipien in Bewegung, und aus meinem Körper entsprangen 49 tierische Instinkte. Auch Sandhya wurde von Kamas Pfeilen getroffen und begann vor unseren Augen, verführerische Blicke zu werfen und zärtliche Gesten anzudeuten. Und als sie solcherart ihre Gefühle zeigte, da erschien sie uns allen noch strahlender, wie ein himmlisches Gewässer, welches mit sanften Wellen funkelt. Oh Narada, als sie so erregt war, da begehrte ich sie heftig, obwohl ich der Schöpfer und mein Körper angefüllt mit Tugend war. Ebenso erging es den Weisen, diesen ersten und besten Brahmanen. Auch sie waren in einem Zustand höchst sinnlicher Erregung. Doch Kama hörte nicht auf, seine Macht auszuüben, denn er dachte bei sich, daß die Aufgabe die ich ihm gegeben hatte, doch recht leicht wäre.

Als der göttliche Dharma erkannte, daß seine Brüder und ich, sein Vater, unter der unheilvollen Kontrolle der Lust waren, dachte er an Lord Shiva, den Beschützer der Tugend. Er konzentrierte sich auf Shiva, pries ihn und rief ihn mit lobenden Worten an, denn er sorgte sich sehr.

Dharma rief:
Oh Mahadeva, Herr der Götter, Beschützer der Tugend, Verehrung sei dir. Oh Shiva, du allein bist die Ursache von Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung. Dank der drei Eigenschaften Güte, Trägheit und Tatendrang nimmst du die Gestalt Brahmas zur Schöpfung an, die Gestalt Vishnus zwecks Erhaltung der Welten und wirst zu Rudra, wenn deren Vernichtung ansteht. Doch du selbst, bist ohne Eigenschaften. Oh Herr, du bist das vierte Wesen, frei von den Eigenschaften und ihren Einflüssen, jenseits der Natur, zwar in himmlisches Vergnügen eingetaucht und doch ohne Veränderung. Großer Herr, beschütze mich vor diesem undurchdringlichen Dickicht der Sünde. Mein Vater und meine Brüder wenden sich von mir ab.

Unverzüglich kam Shiva, der große Herr, auf diesen Ruf herbei, um Dharma zu beschützen. Über uns stehend blickte er mich, Daksha und die anderen Verwirrten an und lachte, lachte und lachte. Erst ließ uns dieses spöttische Gelächter schamvoll erröten, dann sprach der große Herr folgende, sanfte Worte:
Oh weh Brahma, wie konntest du nur von lustvollen Gefühlen überwältigt werden beim Anblick deiner eigenen Tochter? Das ist höchst unangemessen für jene, die den Pfad der Veden wandeln. Die Schwester, Tochter oder Gattin des Bruders ist wie die eigene Mutter. Niemals sollte der kluge Mann mit wollüstigen Blicken auf sie schauen. Der vollkommene Pfad der Veden liegt beständig in deinem Mund. Wie konntest du das unter dem Einfluß einer vergänglichen Leidenschaft vergessen, oh Brahma? Dein Geist sollte immer achtsam sein, du viergesichtiger Gott, und die Achtsamkeit nicht für eine erotische Tändelei aufgegeben werden. Und wie konnte es geschehen, daß deine geistigen Söhne ebenfalls der Begierde verfielen, wo sie doch abgeschieden Yoga üben und das innere Licht für immer schauen? Ach, dieser Kama ist ein Narr, denn töricht übt er seine Macht ohne Sinn für die rechte Gelegenheit aus. Warum hat er euch mit übergroßer Macht gequält? Und Schande über das Vedenstudium eines Mannes, dessen Frau es gelingt, seinen Geist übermäßig von Standhaftigkeit und Entschlossenheit abzuziehen und in launische und ausschweifende Lustbarkeiten zu verstricken.

Bei diesen Worten des Herrn schwitzte ich, Brahma, der Herr der Welten, mächtig und schämte mich sehr. Und obwohl der Drang, Sandhya einfach zu packen, immer noch in mir schlummerte, zügelte ich doch meine wallenden Gefühle und aufgeregten Sinne, denn ich fürchtete Shiva. Doch nun, oh Narada, erhoben sich von den Schweißtropfen meines Körpers die Ahnen, die Agnisvatta heißen (vom Feuer berührt) und auch solche, welche auf Erden keine Opfer durchgeführt hatten. Sie waren strahlend, hatten Lotusaugen, waren verdienstvolle Asketen und den weltlichen Dingen abgeneigt. Es waren 64.000, und noch mal 68.000 wurden Barhishads genannt - auf heiligem Gras sitzend.

Von Dakshas Schweißtropfen erhob sich eine strahlende Dame mit vorzüglichen Eigenschaften. Sie war schlank mit ebenmäßigen Hüften, die Taille wohlgeformt und mit lockigem Haar. Ihr Körper war sanft, weich und vollkommen, und sie hatte schöne Zähne nebst einer golden schimmernden Haut. Ihr Gesicht war wie der Vollmond und ihr Name Rati. Mit ihrer Schönheit konnte sie sogar Weise verzaubern. Alle Anwesenden, außer Kratu, Vasishta, Pulastya und Angiras, konnten ihre Leidenschaft zügeln und sich beherrschen. Doch den vier Männern tropfte der Samen auf den Boden, und aus dem entstanden weitere Ahnen, nämlich die Somapas (auch: Trinker von Somasaft, dem Mond Opfernde), Ajyapas (auch: Trinker von geklärter Butter), Kalins und Havismantas, welche alle zusammen auch Kavyavahas genannt werden. Sie gelten nun als die Söhne von Kratu, Vasishta, Pulastya und Angiras. All den Ahnen wurden die Aufgabe zugewiesen, Opfergaben anzunehmen. (zur Abstammung und Namensgebung der Ahnen siehe auch Harivamsha Purana 1.18)

Sandhya wurde zur Mutter der Ahnen erklärt, und sie teilte deren Aufgabe. Shiva schaute mit freundlichem Auge auf sie, und so wurde sie makellos und widmete sich tugendhaften Riten. Dann segnete Shiva alle Brahmanen und verschwand.

Und in mir, dem Großen Vater aller Welten, von Shiva gerügt und der Schande preisgegeben, erhob sich mit gewölbten Augenbrauen und steinernem Gesicht der Zorn auf Kama. Dieser las die Zeichen richtig und zog seine Pfeile nebst Bogen zurück. Doch der Zorn in mir wuchs schrecklich wie ein alles verschlingendes Feuer und ich sprach:
Hochmütig soll Kama denselben Trick mit Shiva versuchen, doch diesmal von seinem Blick zu Asche verbrannt werden.

Das waren meine Worte in Anwesenheit der Ahnen und Weisen. Kama wurde wieder sichtbar, sein Übermut war verflogen, und er sprach zu uns allen:
Oh Brahma, warum hast du mich so gräßlich verflucht? Herr der Welten, ich habe an dir keine Sünde begangen, der du dem gerechten Pfad folgen sollst. Du selbst, oh Brahma, hast mir meine Aufgabe zugewiesen. Ich habe sie nur ausgeführt. Dein Fluch ist nicht angemessen, ich habe nichts anderes getan, als du gesagt hast. Deine Worte waren: Wir alle, Vishnu, Shiva und auch ich sind die Ziele deiner Pfeile. - Ich habe das nur ausprobiert. Und darum bin ich nicht schuldig, und dein Fluch ist grausam, oh Herr.

Als ich seine Worte vernommen hatte, antwortete ich dem nun gezügelten Kama:
Ich habe dich verflucht, weil du auf mich und Sandhya als Vater und Tochter gezielt hast. Doch mein Ärger ist verflogen, so höre, oh Kama, und sei ohne Furcht. Sei glücklich, denn Shiva wird dich zwar mit seinem feurigen Blick zu Asche verbrennen, doch dann wird er selbst dir einen neuen Körper geben, wenn er sich eine Gemahlin erwählt.

Und nach diesen Worten verschwand ich vor aller Blicken. Kama und meine geistgeborenen Söhne wurden wieder froh und kehrten schnell in ihre Heimstätten zurück.


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