Pushpak Ramayana Buch 3Zurück WeiterNews

Canto 46 - Der Gast

Der verärgerte Lakshmana konnte ihre bitteren Worte und wütenden Blicke nicht ertragen. Mit dunklen Vorboten in seiner Brust hastete er an die Seite von Rama. Da erkannte der zehnköpfige Ravana die günstige Stunde für sein geplantes Verbrechen. Er kam in Verkleidung eines Bettelasketen und erschien vor der Maithili Dame. Seine Kleidung war rot, die Haare in Büscheln, die Füße steckten in Sandalen, und er trug einen Sonnenschirm. Von der linken Schulter des Unholdes baumelten ein Stab und das Wassergefäß. Er näherte sich der lieblichen Dame, während beide Prinzen weit entfernt waren, wie sich die Dunkelheit der abendlichen Luft bemächtigt, wenn weder Sonne noch Mond am Himmel sind. Dann richtete er seine Augen auf die Dame, diese liebliche Prinzessin von makellosem Ruhm. So mag mancher Planet mit bösen Plänen sein, der sich der vom Mond verlassenen Rohini (die Lieblingsfrau des Mondes) nähert. Als der dämonische Tyrann näherkam, bewegten die Bäume, die in Janasthan wuchsen, kein Blatt mehr aus Angst und Qual. Der Wind verstummte und hörte auf zu blasen. Die fließenden Wasser der Godavari erkannten seine schrecklichen, rot aufblitzenden Augäpfel, und von jeder schnell fließenden Welle kam ein melancholisches Murmeln. Und Ravanas begieriges Auge hielt den ersehnten Moment für gekommen. In die Kleidung eines Bettlers gehüllt, also unter heiligem Deckmantel kam der gefürchtete Unhold zur Maithili Dame und fand sie, wie sie um ihren Herrn weinte. So nähert sich der schreckliche Shanischar (Saturn) der Chitra(1) am Abendhimmel. So klafft betrügerisch die mit Gras verdeckte, tiefe Quelle im frischen, grünen Feld. Er stand und starrte die Dame von Rama an, die Königin von unbeflecktem Ruhm. Mit ihren hellen Zähnen und den schönen Gliedern schien sie ihm wie der volle Mond zu sein, als sie in der Laubhütte saß und vor Kummer weinte, der sie nicht verließ. Vor Freude schlug sein Puls, als er sie in ihrem einsamen Rückzugsort beobachtete. Sie sah aus wie der Lotus und war schön anzusehen in ihren seidenen Roben von bernsteinfarbener Tönung. Bis ins tiefste Innerste traf ihn Kamas Liebespfeil. Dann murmelte er Texte mit verlogener Kunst und sprach mit sanfter Stimme die Dame in ihrer Einsamkeit an. Der Unhold dichtete mit zarter Rede, um das Herz der schönen Dame zu erreichen, diesen Stolz der Welten, die wie die Königin der Schönheit ohne ihren Lotusliebling anzusehen war: "Oh du, deren seidene Roben eine Figur umhüllen, die seltener als feinstes Gold ist, mit einer Lotusgirlande um dein Haupt, wie eine süße Quelle, die von Blüten übersäht ist, wer bist du, Schöne, was ist dein Name? Schönheit, Ehre, Glück, Ruhm, Geist, Nymphe oder Königin der Liebe, die vom Himmel herabstieg? So strahlend wie der blendende Jasmin scheinen deine kleinen, regelmäßigen Zähne in einer geraden Reihe. Wie zwei schwarze Sterne, die mit Licht erfüllt sind, sind deine Augen groß, rein und glänzend. Der Zauber deines Lächelns, deine Zähne, dein Haar und deine gewinnenden Augen, oh du Schönste, stehlen mir meine Sinne, wie der Strom des Flusses das Ufer dort drunten unterhöhlt. Wie hell und fein ist jede sich kringelnde Locke. Und wie fest diese Rundungen unter deinem Kleid! Wie einfach könnte deine zierliche Taille, süße Dame, von der Hand eines Liebhabers umspannt werden. Meine Augen, oh Schönheit, haben niemals eine Göttin oder Nymphe gesehen, die so ein hübsches Gesicht hatte. Oder eine strahlende Gandharva, himmlische Dame oder Frau von so vollendeter Figur. Die Jahre deiner zarten Jugend sind nur wenige, und die Erde hat nichts Schöneres zu bieten. Ich wundere mich, warum jemand mit deinem Gesicht hier im Walde lebt. Verlasse diesen einsamen Ort, Dame, denn der wilde Wald paßt nicht zu dir, wo schreckliche und starke Dämonen jede Gestalt annehmen können und in der Düsterkeit wandern. Diese zierlichen Füße wurden geformt, um auf Palastböden mit weichen Teppichen zu laufen oder in gepflegten Gärten zu wandern, wo jede geöffnete Knospe die Luft parfümiert. Die reichste Kleidung sollte deine Figur bedecken und die seltensten Edelsteine deinen Hals verzieren. Die süßesten Kränze sollten dein Haar binden und der nobelste Herr dein Bett teilen. Bist du verwandt, oh du mit der schönen Figur, mit den Rudras(2) oder den Sturmgöttern (Maruts, die Begleiter Indras) oder den glorreichen Vasus (strahlende Halbgötter)? Wie kann jemand, der unter den Himmlischen steht, so strahlend sein wie du? Denn niemals sucht eine Nymphe, himmlische Maid oder Göttin diesen dunklen Wald auf. Hier wandern Giganten, eine gefährliche Rasse. Was führte dich zu diesem gräßlichen Ort? Hier springen Affen von Baum zu Baum, und Bären und Tiger laufen frei herum. Die gefräßigen Löwen streifen umher, und Hyänen bellen im Dickicht. Die Elefanten preschen wütend, mächtig und furchtbar durch ihre waldige Heimat. Fürchtest du nicht, so zart und schön, wie du bist, Tiger und Löwe, Wolf und Bär? Hast du, oh wunderschöne Dame, keine Angst im einsamen, schrecklichen und wilden Wald? Wer bist du und von wem stammst du ab? Woher und warum kamst du, süße Dame, ohne einen Beschützer in diesen schrecklichen Wald, der von Gigantenbanden bewohnt ist?"

Das Lob, welches der hochbeseelte Ravana sprach, erweckte keinen Argwohn in ihrem Busen. Sein heiliger Anblick und die Brahmanenverkleidung betrogen die vertrauenden Augen der Dame. Mit rechter Aufmerksamkeit für den Gast richtete sie die Willkommensriten aus. Sie bat den Fremden, sich zu setzen und gab ihm Wasser für die Füße. Die Schale und der Wassertopf und die Kleidung, die wandernde Brahmanen tragen, verbot jedem Zweifel, sich zu erheben. Von seinem heiligen Anblick gewonnen, hielten ihre getäuschten Augen den Fremden für das, als was er erscheinen wollte. Um die Gastfreundschaft bemüht, brachte sie ihm das Beste an Waldesfrüchten und bot ihrem Gast einen Sitz an. Sie bat den Fremden, seine Füße im dargereichten Wasser zu waschen, sich zu setzen, auszuruhen und zu essen. Er starrte sie, die Freundliche und Gewandte, weiter mit gierigen Blicken an, die Frau des edelsten Königs, und sehnte sich im Herzen danach, sie zu stehlen, damit er mit dieser gräßlichen Kränkung den Tod auf Ramas Haupt bringen möge.

Die Dame hielt zwischendurch mit ängstlichen Blicken Ausschau nach Ramas Rückkehr von der Jagd mit Lakshmana an seiner Seite, doch nichts konnten ihre wandernden Augen erkennen, außer das wilde Grün des Waldes, das sich fern und weit erstreckte.



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(1) ein anderer Liebling des Mondes, eins der Mondhäuser
(2) acht Götter, die der Stirn Brahmas entsprangen, Mittel in der Schöpfung