Sanjaya fuhr fort:
Erleichtert lobte Arjuna die Worte Krishnas, und wandte sich sogleich vehement an König Yudhishthira, um ihn mit rauhen Worten zu überschütten, wie er es nie zuvor getan hatte.
Arjuna sprach:
Mach mir niemals wieder solche Vorwürfe, oh König, wenn du hier volle zwei Meilen von der Front entfernt auf deinem Bett liegst. Nur Bhima, der sich mutig mit den besten Helden schlägt, könnte mir Vorwürfe machen, weil ich im Augenblick nicht kämpfe. Er hat zur rechten Zeit mit dem Feind gekämpft, viele tapfere Herren der Erde besiegt, zahllose Wagenkrieger, riesige Elefanten, heldenhafte Reiter und mutige Krieger getötet, und unter lautem Löwengebrüll auch noch zehntausend Kamboja Männer aus den Bergen. Dieser Held vollbringt die schwersten Taten, die du niemals erreichen kannst. Mit der Keule in der Hand sprang er vom Wagen ab und zermalmte Pferde, Wagen, Elefanten und Männer. Mit seinem guten Schwert zerstückelte er alles, was sich ihm entgegenstellte. Und auch mit Wagenteilen und seinem Bogen verschlingt er den Feind. Mit Heldenmut wie Indra kämpft er mit blanken Fäusten und Füßen, zeigt seine Kraft und gibt niemals auf. Dieser Bhima hätte das Recht, mir Vorwürfe zu machen, doch nicht du, der du immer von Freunden beschützt wirst. Ganz allein kämpft er im Augenblick inmitten der Söhne Dhritarashtras, schlägt die Kalingas, Vangas, Angas, Nishadas und Magadhas nebst einer Schar wilder und rasender Elefanten. Er hätte das Recht, mich zu tadeln. Er steht auf seinem trefflichen Wagen, schwenkt den Bogen im rechten Augenblick, hat die Pfeile immer bereit und schüttet sie in Schauern über dem Feind aus. Ich habe heute schon achthundert Elefanten gesehen, denen er die Stirn gespalten und die Stoßzähne abgebrochen hat. Er dürfte mir harte Worte sagen. Die Gelehrten sagen, daß die Stärke von Brahmanen in der Rede liegt und die der Kshatriyas in den Armen. Doch du, oh Bharata, bist nur stark in Worten und auch noch herzlos. Und denkst von mir, ich wäre wie du. Dabei strebe ich immer nach deinem Wohl mit ganzer Seele, meinem Leben, meinen Söhnen und Frauen. Und trotz alledem durchbohrst du mich mit deinen Wortpfeilen, so daß es offensichtlich ist, daß wir von dir keinen Wohlstand erwarten dürfen. Du liegst in Draupadis Bett und beleidigst mich, obwohl ich für dein Wohl die größten Wagenkrieger töte. Du kennst wohl keine Sorge, und bist grausam dazu, oh Bharata. Ich habe durch dich nie Glück erfahren. Für dein Wohl hat uns der wahrhafte Bhishma die Mittel seiner Niederlage im Kampf kundgetan und wurde vom heldenhaften und hochbeseelten Sikhandin besiegt, den ich beschützt habe. Und ich kann auch keine Freude fühlen, wenn ich daran denke, daß du die Herrschaft über das Königreich zurückbekommst, denn du spielst gar zu gern. Mit unserer Hilfe möchtest du nun deine Feinde schlagen, doch hast dich verbündet mit der Art der Gemeinen. Du hast von Sahadeva oft genug vernommen, wie sündig und beschmutzt das Würfelspiel ist, und doch konntest du es nicht von deinem Weg verbannen, auch wenn es die Gemeinen ehren. Wir sinken deswegen bestimmt alle in eine gräßliche Hölle. Seit du mit den Würfeln gespielt hast, haben wir von dir nichts Freudiges mehr erfahren. Und nun, in größter Gefahr, welche du selbst heraufbeschworen hast, beschimpfst du mich. Von uns geschlagen liegen die feindlichen Truppen mit zerfleischten Gliedern und lautem Wehklagen auf dem Feld der Schlacht. Doch du warst es, der mit harter Tat all die Kauravas zu Feinden machte und ihnen nun den Tod bringt. Die Völker aus Norden, Westen, Osten und Süden liegen getroffen, verwundet, geschlagen auf dem Feld, nachdem sie die unvergleichlichsten Heldentaten auf beiden Seiten vollbracht haben. Und du warst es, der gespielt hat. Wegen dir haben wir unser Königreich verloren. Unser Elend rührt von dir her, oh König. Und nun schlägst du uns erneut, indem du die Peitsche deiner Worte auf uns niedergehen läßt. Oh König, provoziere nicht unseren Zorn.
Nachdem er so bitter zu seinem älteren Bruder gesprochen hatte, wurde Arjuna erst ganz still und dann sehr niedergeschlagen und traurig. Zwar hatte er mit diesen groben Worten nur eine kleine Sünde begangen, doch fürchtete er sehr jede kleine Abweichung vom Pfad der Tugend. Reue und Scham erfüllten den Sohn von Indra. Wieder keuchte er schwer und zog sein Schwert.
Als Krishna dies sah, sprach er schnell:
Was ist das nun wieder? Warum holst du dein himmelblaues Schwert schon wieder aus der Scheide? Sag mir den Grund, und ich werde dich beraten, damit deine Absicht erfüllt werde.
Arjuna antwortete ihm kummervoll:
Das war übel getan, und ich will mich selbst mit aller Kraft töten.
Doch Krishna besänftigte ihn:
Warum machen dich deine Worte an den König so traurig? Du willst dich selbst vernichten? Oh Feindebezwinger, dies wird von den Gerechten nicht gelobt. Oh Held unter allen Männern, du wolltest aus Angst vor Sünde deinen älteren Bruder mit der tugendhaften Seele töten. Was hättest du dann gefühlt und getan oder unterlassen? Moral ist subtil und unverständlich für die, welche unwissend sind, oh Bharata. Höre meine Worte, ich spreche zu dir! Wenn du dich selbst tötest, sinkst du in eine noch viel schlimmere Hölle, als wenn du deinen Bruder getötet hättest. So zähle mir nun mit deinen eigenen Lobesworten all deine Verdienste auf. Das wird deinen selbstsüchtigen Kummer töten, oh Arjuna.
Zustimmend mit „So sei es.“, senkte Arjuna die Waffe und begann, zum tugendhaften Yudhishthira zu sprechen:
Höre, oh König, es gibt keinen besseren Bogenschützen als mich, ausgenommen die Gottheit, welche Pinaka trägt (Shiva). Sogar ich werde als diese ruhmreiche Gottheit betrachtet. In nur einem Moment könnte ich das gesamte Universum zerstören mit allen beweglichen und unbeweglichen Dingen darin. Ich war es, oh König, der in allen Himmelsrichtungen die Könige besiegte und unter deine Herrschaft brachte. Nur durch meinen Heldenmut erhieltest du deinen himmlischen Palast und konntest das Rajasuya Opfer zu einem guten Ende bringen mit der Gabe des Dakshina. In meinen Händen siehst du die Zeichen der spitzen Pfeile und der Bogensehne mit aufgelegtem Geschoß. Auf meinen Fußsohlen sind die Zeichen der Wagen mit ihren Standarten. Niemand kann mich in der Schlacht besiegen. Ganze Völker aus dem Norden, Osten, Westen und Süden wurden niedergerungen, geschlagen, ausgelöscht und vernichtet. Nur ein kleiner Rest von Samsaptakas ist noch am Leben. Ich allein habe die Hälfte der feindlichen Armee besiegt. Nur durch mich liegt das weite und wogende Heer der Bharatas tot am Boden. Ich schlage nur jene mit meinen himmlischen Waffen, die ebenfalls himmlische Waffen kennen, und lege deshalb die drei Welten nicht in Schutt und Asche. Auf meinem siegreichen und schrecklichen Wagen werden Krishna und ich schon bald den Sohn des Suta schlagen. Möge sich der König nun freuen. Ich werde sicher Karna mit meinen Pfeilen vernichten. Entweder wird seine Mutter heute ihr Kind durch mich verlieren, oder Kunti wird durch Karna mich verlieren. Ich sage es dir aufrecht, daß ich heute meine Rüstung nicht ablegen werde, bis ich nicht Karna in der Schlacht getötet habe.
Nach diesen Worten legte Arjuna den Bogen und die anderen Waffen nieder und steckte das Schwert zurück in die Scheide. Dann ließ er schamvoll seinen diademgeschmückten Kopf hängen, faltete die Hände und bat Yudhishthira sehnlichst:
Vergib mir, oh König, und sei wieder frohen Herzens. Was ich gesagt habe, wirst du später verstehen. Ich verbeuge mich vor dir. Meine Aufgabe wird nicht länger hinausgeschoben. Schon bald wird es vollbracht sein. Karna sucht mich, und ich eile ihm entgegen. Mit ganzer Seele werde ich jetzt losziehen, um Bhima zu helfen und Karna zu schlagen. Ich gebe mein Leben für dein Wohl. Wisse, dies ist die Wahrheit, oh König.
Dann berührte Arjuna mit strahlendem Glanz die Füße seines Bruders und erhob sich, um zum Schlachtfeld zurückzukehren. Doch Yudhishthira erhob sich von seinem Lager und sprach mit kummervollem Herzen:
Oh Arjuna, ich habe übel gehandelt, und das überwältigt mich mit gräßlichem Elend. Schlage mir sofort das gemeine Haupt vom Rumpf, denn ich bin der Schlimmste aller Männer und der Vernichter meines eigenen Geschlechts. Ich bin ein Lump, der üblen Wegen folgt. Mein Verständnis ist töricht, ich bin faul und feige. Ich beleidige die Alten und bin grausam. Was würdest du gewinnen, wenn du einem wie mir folgsam dienst? Ach, noch heute werde ich Lump mich in die Wälder zurückziehen. Lebe du glücklich ohne mich. Der hochbeseelte Bhima ist würdig, König zu sein. Was soll ein Eunuch wie ich mit der Herrschaft? Ich kann deine harte, zornvolle Rede nicht ertragen. Ja, Bhima soll König sein. Nachdem so zu mir gesprochen wurde, was soll ich noch mit dem Leben?
Schon tat Yudhishthira den ersten Schritt, um in den Wald zu gehen, da verbeugte sich Krishna vor ihm und sprach:
Oh König, du kennst den gefeierten Eid, den der Wahrhaftigkeit ergebene Träger des Gandiva über Gandiva schwor. Seine Worten waren: „Wer mir sagt, ich soll Gandiva einem anderen geben, den töte ich.“ Und du hast dies zu ihm gesagt. Um seinen ernsthaften Eid nicht zu brechen, folgte Arjuna meinem Rat und hat dich, oh Herrscher der Erde, beleidigt. Denn die Kränkung eines Höhergestellten ist sein Tod, so sagt man. So ziemt es sich für dich, oh du mit den starken Armen, mir zu vergeben, denn ich flehe dich an und verbeuge mich vor dir für diesen Übertritt von uns beiden, Arjuna und mir. Wir taten es, um die Wahrhaftigkeit zu erhalten. Wir beide werfen uns deiner Gnade zu Füßen, oh großer König. Noch heute soll die Erde das Blut des üblen Karna trinken. Das schwöre ich dir. Wisse, der Sohn des Suta ist bereits tot. Er hat sein Leben verwirkt, denn du wünschst seinen Tod.
Äußerst aufgeregt hob da Yudhishthira den vor ihm knienden Krishna hoch, nahm dessen Hände in die seinen und sprach hastig:
Es ist, wie du es sagst. Ich bin der Übertretung schuldig. Und nun wurde ich von dir erweckt. Du hast mich gerettet, oh Govinda. Du hast uns heute vor einer großen Katastrophe bewahrt. Wir beide, Arjuna und ich, waren von Narrheit besessen, und du hast uns aus dem Meer des Kummers gezogen. Du bist unser Herr und deine Weisheit unser rettendes Boot, mit dem unsere ganze Familie und alle Verbündeten diesen Ozean der Verzweiflung überqueren können. Mit dir sind wir niemals ohne Meister, oh Krishna.