Pushpak Mahabharata Buch 5Zurück WeiterNews

Kapitel 34 - Fortsetzung der Belehrung von Vidura

Dhritarashtra sprach:
Sag mir doch, was man tun sollte, wenn man keinen Schlaf findet und von den Ängsten verbrannt wird. Denn du allein, oh Bruder, bist unter uns sowohl in der Religion als auch im Verdienst gelehrt. Oh Vidura, belehre mich mit Weisheit. Oh du mit dem großmütigen Herzen, sage mir deine Meinung darüber, was für Yudhishthira vorteilhaft wäre und was auch die Kurus zum Wohlergehen führt. In Anbetracht zukünftiger Übel erkenne ich nur meine vergangenen Schulden. Ich bitte dich mit besorgtem Herzen, oh Gelehrter, sage mir aufrichtig, was Yudhishthira denkt.

Vidura sprach:
Selbst ungefragt sollte man immer aufrichtig zu dem sprechen, dessen Niederlage man verhindern möchte, auch wenn ihm die Worte nicht besonders angenehm sind. Ich werde dir deshalb sagen, oh König, was zum Nutzen der Kurus ist. Ich werde darlegen, was sowohl von Vorteil ist, als auch mit der Moral im Einklang steht. Höre mir zu.

Oh Bharata, setze dein Herz nicht auf erfolgversprechende Mittel, die ungerecht und unwürdig sind. Ein weiser Mensch muß sich nicht grämen, wenn irgendeine Unternehmung von ihm trotz richtiger und fairer Mittel erfolglos bleibt. Bevor man eine Handlung ausführt, sollte man die Fähigkeit des Handelnden, die Ursache der Handlung und ihre Wirkungen bedenken, weil alle Taten davon abhängig sind. Erst nach dieser Betrachtung sollte man eine Tat beginnen, und nicht aufgrund eines eigenwilligen Impulses. Dann wird der Weise entweder eine Handlung ausführen oder nicht, nachdem er seine Fähigkeit, die Ursache der Tat, und die Wirkung umfassend durchdacht hat.

Der König, der die Verhältnisse oder Grenzen bezüglich Territorium, Gewinn, Verlust, Reserven, Bevölkerung und Bestrafung nicht kennt, kann sein Königreich nicht lange erhalten. Wer aber das Wissen darüber erwirbt, der findet auch das Wissen über Tugend und Wohlstand (Dharma & Artha), und kann sein Königreich bewahren. Ein König sollte nicht unwürdig handeln und denken, daß ihm das Königreich für immer gehört, weil Tyrannei königlichen Wohlstand zerstört, wie das Alter die Schönheit. So verschlingt ein Fisch in seiner Begierde den Eisenhaken, der im Innern von verlockender Speise verborgen ist, ohne die Motivation der Tat und ihre Folgen zu bedenken. Wer nach Wohlergehen sucht, sollte nur das zu sich nehmen, was er ertragen und verdauen kann, und was verdaut, ihm schließlich zum Nutzen gereicht. Wer unreife Früchte von einem Baum abreißt, kann ihren wohlschmeckenden Saft nie gewinnen und verdirbt darüber hinaus ihre Samen. Wer aber eine reife Frucht zur rechten Zeit erntet, genießt ihren Saft und kann aus ihrem Samen wieder neue Früchte wachsen lassen. Wie die Biene den Honig sammelt, ohne die Blumen zu zerstören, so sollte ein König die Steuern von seinen Untertanen einnehmen, ohne sie zu verletzen. So sollte man auch die Blumen pflücken, ohne die Pflanzen zu zerstören, wie ein Blumenhändler, aber nicht wie ein Hersteller von Holzkohle.

Was geschieht mit mir, wenn ich es tue? Was geschieht mit mir, wenn ich es nicht tue? Dies bedenkend, sollte man entweder die Tat vollbringen oder vermeiden. Alle Taten, in denen sich die individuelle Anstrengung als unfruchtbar erweisen wird, sollten nicht angefangen werden. Denn wie die Frauen keinen Eunuchen als Mann haben möchten, so wünscht sich das Volk keinen Herrscher, dessen Wohlwollen unfruchtbar und dessen Zorn kraftlos ist. Der kluge Mensch zögert nicht bei solchen Taten, die nützlich sind und mit wenig Aufwand ergiebige Früchte bringen. Der König, der alle mit aufrichtigen und liebenden Augen betrachtet, gewinnt die Zuneigung seiner Untertanen, selbst wenn er schweigend sitzt.

Verlange nicht vom blühenden Baum, daß er bereits reife Früchte trägt. Und wenn die Früchte wachsen, dann bewache ihn gut, und erblicke in den unreifen Früchten bereits die zukünftig reifen Früchte. Wenn er auf diese Weise handelt, wird ein König nie geschwächt werden. Die Menschen sind immer dem geneigt, der auf allen vier Wegen angenehm ist, nämlich mit Herz, Augen, Worten und Taten. Wen alle Wesen fürchten, wie die Tiere einen Jäger, der wird seine Herrschaft bald verlieren, selbst wenn er die ganze Erde bis zu den Meeren gewonnen hätte. Wie der Wind einen Berg Wolken zerstreut, so zerstört ein unheilsam handelnder Mensch durch seine eigenen Taten das Königreich, daß ihm von seinen Vorfahren übergeben wurde. Die Mutter Erde, die voller Reichtum ist, fördert den Wohlstand jenes Königs, der Gerechtigkeit übt, wie sie seit alters her von den Guten praktiziert wird. Aber wenn der König die Moral zurückweist und ungerecht handelt, dann zieht sich die Erde in sich zurück, wie ein Stück Leder, das ins Feuer geworfen wird.

Die gleiche Kraft, die man zur Eroberung eines feindlichen Königreiches aufwenden müßte, sollte auch zur Unterhaltung des eigenen Königreiches aufgebracht werden. Tugendhaft soll ein Königreich erworben werden, und tugendhaft soll es regiert werden. Der Wohlstand, der auf dem Fundament von Tugend und Gerechtigkeit steht, kann einmal gewonnen, nie wieder verlorengehen, noch wird er seinen Besitzer jemals verlassen. Man sollte aus der ganzen Welt die Wahrheit extrahieren, selbst aus dem Wahn des Verrückten und dem Geplapper von Kindern, so wie man Gold aus Erz gewinnt. Ein kluger Mensch sollte gutes Verhalten, gute Worte und gute Taten überall sammeln, wie ein Anhänger der Sila Lebensweise die Körner von der Erde aufliest. Kühe erkennen durch ihren Geruch, Brahmanen durch die Veden, Könige durch Spione und andere Menschen durch ihre Augen.

Eine Kuh, oh König, die widerwillig Milch gibt, wird viel mehr gequält, als jene, die bereitwillig gibt. Was sich biegt, ohne daß es erhitzt werden muß, das wird von der Hitze verschont. Das Holz, das sich von selbst biegt, wird nicht erhitzt. Der kluge Mensch, der diesem Beispiel folgt, der beugt sich vor einem Stärkeren. Denn wer sich vor dem Stärkeren beugt, der verneigt sich in Wirklichkeit vor Indra selbst. Lebende Wesen hängen von den Wolken und ihrem Regen ab, Könige von ihren Ministern, Ehefrauen haben ihre Männer als Beschützer, und die Brahmanen haben die Veden als Zuflucht. Tugend wird durch Wahrhaftigkeit bewahrt, das Gelernte durch die Anwendung, die Schönheit durch die Reinigung und die hohe Abstammung durch einen edlen Charakter. Getreide wird durch das Maß bewahrt, Pferde durch die Übung, Kühe durch stetige Sorge und Frauen durch schlichte Kleidung.

Ich denke, bloße Abstammung sollte im Fall eines üblen Verhaltens nicht respektiert werden. Dagegen sollten sogar Personen aus niederer Geburt gewürdigt werden, wenn ihr Verhalten anständig ist. Wer neidisch auf den Reichtum eines Anderen ist, auf dessen Schönheit, Fähigkeiten, hohe Abstammung, Glück, gutes Schicksal oder besondere Auszeichnungen, der trägt eine Krankheit in sich, die unheilbar ist.

Wer es fürchtet, unwürdige Handlungen zu begehen oder gute Taten zu versäumen, oder vorzeitig seine Visionen zu enthüllen, der sollte sich von allem fernhalten, was den Geist berauscht. Der Stolz auf Gelerntes, auf Reichtum und Abstammung, der kann einen schwachen Menschen schnell berauschen, während die Klugen sich davor bewahren. Übeltäter, welche durch Zufall von einem Rechtschaffenen um einen Dienst gebeten werden, betrachten sich gern allzu schnell als gerecht, obwohl sie weithin als übelgesinnt bekannt sind. Es ist jedoch eine Tatsache, daß die Rechtschaffenen sowohl die Zuflucht von anderen Rechtschaffenen sind als auch die Zuflucht der Übelgesinnten. Ein Übeltäter kann allerdings niemals die Zuflucht für einen Rechtschaffenen sein. Wer in herrschaftliche Roben gekleidet ist, herrscht über eine Versammlung, der Eigentümer von Kühen über die Verteilung der wohlschmeckenden Nahrung, ein Besitzer von Fahrzeugen über Straßen, aber wer im Verhalten rechtschaffen ist, der herrscht über Alles. Gutes Verhalten ist für einen Menschen essentiell. Wer es verliert, der gewinnt nichts durch das Leben, durch den Reichtum oder durch Freunde.

Oh Stier der Bharatas, Fleisch beherrscht das Essen der Reichen, geklärte Butter das des Mittelstandes und Öl das der Armen. Das Essen, jedoch, welches die Armen haben, ist viel wohlschmeckender, denn der Hunger, der unter den Reichen selten ist, verleiht dem Essen einen besonderen Geschmack. Und man kann in dieser Welt beobachten, daß wohlhabende Menschen eine schlechtere Verdauung haben, während die Armen, oh König, sogar Holz verdauen können. Die armen Menschen haben Angst vor dem Ende ihres täglichen Erwerbs, die Mittelklasse vor dem Ende ihres Lebens, und die Hohen vor dem Ende ihrer Würde. Der Rausch des Reichtums ist mehr zu tadeln als der des Weines, weil ein mit Wohlstand berauschter Mensch nie wieder zu Sinnen kommt, bis er irgendwann alles verliert.

Wie die Bedeutung der Sterne durch die Konstellation der Planeten beeinflußt wird, so wird diese Welt durch die Sinne geformt, wenn sie unkontrolliert ihre jeweiligen Objekte suchen. Wie der Mond während der hellen Monatshälfte zunimmt, so vermehren sich die Übel für einen, der vom natürlichen Drang der fünf Sinne besiegt wird, die ihn ständig zu irgendwelchen Taten verführen. Wer versucht seine Minister zu beherrschen, bevor er sich selbst überwindet, oder versucht seine Feinde zu besiegen, bevor er seine Minister beherrscht, wird schließlich kraftlos unterlegen sein. Wer aber zuerst sich selbst überwindet, wie einen Feind, der wird sicher auch seine Minister beherrschen und schließlich all seine Feinde besiegen. Denn großes Wohlergehen wartet auf den, der seine Sinne unterworfen hat und seine Seele kontrolliert, der alle Übeltäter bestrafen kann, der mit Vernunft handelt und mit Geduld gesegnet ist.

Oh König, der Körper des Menschen ist sein Wagen, die Seele der Wagenlenker, und die Sinne sind die Rosse. Der Weise, der diese ausgezeichneten Rosse vor seinem Wagen gut beherrscht, der nimmt eine angenehme Reise durch das Leben, schläft in Frieden und wacht in Frieden wieder auf. Aber wilde und ungezügelte Pferde führen einen ungeschickten Fahrer im Laufe seiner Reise nie zum Guten. So bringen auch die ungezähmten Sinne vielfältige Übel. Der Unerfahrene, den die unkontrollierten Sinne führen, sieht das Unheilsame im Heilsamen und das Heilsame im Unheilsamen. So verwechselt er notwendigerweise Elend mit Glück. Wer Tugend und Verdienst verläßt und dem Diktat seiner Sinne folgt, der verliert schnell seinen Wohlstand, sein Leben, seinen Reichtum und seine Ehefrau. Wer über Reichtümer herrscht, aber nicht über seine Sinne, der verliert sicher seine Reichtümer an die Macht seiner Sinne.

Man sollte sich selbst durch das Selbst erkennen und seine Gedanken, Sinne und Vernunft beherrschen. So gewinnt man sich selbst zum Freund, und nicht zum Feind. Denn wer sich selbst durch das Selbst besiegt hat, der hat sich selbst zum Freund. Denn man ist sich selbst entweder ein Freund oder ein Feind. Begierde und Haß, oh König, zerstören die Weisheit, so wie ein großer Fisch ein Netz aus dünnen Fäden zerreißt. Wer in dieser Welt sowohl die Tugend als auch den Verdienst beachtet, findet die Mittel zum Erfolg, gewinnt Glück, und erreicht alles, was er benötigt. Wer aber ohne seine fünf inneren Feinde zu unterwerfen, die geistigen Ursprungs sind, andere Gegner besiegen möchte, der wird sicher von ihnen überwältigt werden. Es wurde schon oft berichtet, daß bösartige Könige wegen ihrer fehlenden Beherrschung der Sinne durch ihre eigenen Taten ruiniert wurden, verursacht durch die Lust nach Eroberungen.

Wie feuchtes Holz zusammen mit dem trockenen verbrennt, so wird ein rechtschaffener Mensch zusammen mit dem Sündigen bestraft, wenn er mit ihm Gemeinschaft pflegt. Deshalb sollte die Freundschaft mit dem Sündigen vermieden werden. Wer aus Unwissenheit scheitert, seine fünf gierigen Feinde zu kontrollieren, die fünf verschiedene Objekte haben, wird durch das Leiden überwältigt. Arglosigkeit und Einfachheit, Reinheit und Zufriedenheit, angenehme Rede und Selbstdisziplin, Wahrheit und Beständigkeit, dies sind niemals die Qualitäten eines Übeltäters. Und Selbsterkenntnis und Gelassenheit, Geduld und Hingabe zur Tugend, das Annehmen von Ratschlägen und Wohltätigkeit, diese Qualitäten, oh Bharata, gehören nie gemeinen Menschen. Nur Dummköpfe bemühen sich, einen Weisen durch falsche Vorwürfe und üble Reden zu verletzen. Die Folge ist, daß sie sich dadurch selbst die Sünden des Weisen aufladen, während dieser, befreit von seinen Sünden, vergeben kann. In der Böswilligkeit liegt die Kraft der Übeltäter, im Gesetz die Kraft von Königen, in der Zuschaustellung die Kraft der Schwachen und der Frauen, und in der Vergebung die Kraft der Tugendhaften.

Oh König, es wird gesagt, die Rede zu beherrschen ist sehr schwer. Es ist nicht leicht, lange Reden voller Bedeutung zu halten, und die Zuhörer zu entzücken. Die gewandte Rede hat großen Nutzen, doch die schlechte Rede, oh König, ist die Ursache von Übeln. Denn ein Baum, der durch Pfeile durchbohrt, oder mit der Axt gestutzt wurde, kann wieder wachsen, aber ein Herz erholt sich nie wieder, das durch üble Worte verletzt und getadelt wurde. Waffen wie Pfeile, Kugeln und bärtige Speere, können aus dem Körper herausgezogen werden, aber wenn der Dolch der Worte tief ins Herz gedrungen ist, dann kann er nie wieder entfernt werden. Die scharfen Pfeile der Worte werden vom Mund abgeschossen. Von ihnen einmal getroffen, ist man Tag und Nacht betrübt. Ein kluger Mensch sollte niemals solche Pfeile entsenden, damit sie nicht die wirklich lebenswichtigen Organe von anderen verletzen.

Wem die Götter Mißerfolg bestimmen, dem rauben sie die Vernunft, so daß er zu unwürdigen Taten neigt. Wenn der Verstand dunkel wird, und der Untergang naht, sitzt das Unheilsame, das wie Heilsames erscheint, fest im Herzen. Du willst es nicht sehen, oh Stier der Bharatas, daß deine Söhne infolge ihrer Feindschaft zu den Pandavas alle Vernunft verloren haben. Yudhishthira, der mit allen verheißungsvollen Zeichen begabt ist und es verdiente, über die drei Welten zu herrschen, ist deinen Befehlen stets gehorsam. Laß ihn, oh Dhritarashtra, über die Erde herrschen. Denn unter all deinen Söhnen ist Yudhishthira der Erste von allen Erben. Begabt mit Kraft und Weisheit, und erfahren in den Wahrheiten der Religion und des Verdienstes, hat Yudhishthira, dieser Beste aller Rechtschaffenen, viel Elend aus Güte und Zuneigung ertragen, um deinen guten Ruf, oh König der Könige, zu bewahren.


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