Pushpak Mahabharata Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 277 – Raub der Sita

Markandeya fuhr fort:
Maricha begrüßte respektvoll den Ankommenden und bot ihm Früchte und Wurzeln an. Ravana ließ sich nieder und ruhte eine Weile aus, während sich der Einsiedler an seine Seite setzte. Wortgewandt sprach dann Maricha zum ebenfalls redegewaltigen Ravana:
Dein Antlitz hat eine unnatürliche Färbung angenommen. Ist alles in Ordnung mit dem Königreich, oh Herrscher der Rakshasas? Was brachte dich hierher? Erweisen dir deine Untertanen dieselbe Treue wie einst? Was ist dein Begehr? Wisse, daß ich deinen Wunsch erfüllen werde, auch wenn es schwierig ist.

Ravana, dessen Herz von Zorn und Demütigung bewegt war, berichtete Maricha über die Taten von Rama und welche Maßnahmen nun zu ergreifen seien. Doch Maricha antwortete erschrocken:
Du solltest Rama nicht provozieren, ich kenne seine Stärke. Gibt es irgend jemanden, welcher der Wucht seiner Pfeile widerstehen kann? Dieser mächtige Mann ist der Grund, warum ich dieses asketische Leben annahm. Welches, dir übelgesinntes Wesen, hat dir diesen Vorschlag gemacht? Er will dich ruinieren und vernichten.

Nun tadelte ihn Ravana und sprach empört:
Wenn du meine Befehle nicht ausführst, stirbst du durch meine Hand.

Da dachte sich Maricha:
Wenn der Tod unvermeidbar ist, sollte ich seinem Gebot folgen, denn es ist allemal besser, durch die Hand des Höheren zu sterben.

So sprach Maricha:
Ich werde dir helfen, wie ich es vermag.

Da befahl der zehnköpfige Ravana:
Geh und verführe Sita, indem du die Gestalt eines Hirsches mit goldenem Geweih und funkelndem Fell annimmst. Wenn Sita dich erblickt, wird sie ganz gewiß Rama aussenden, dich zu jagen. So wird Sita in meine Gewalt geraten und kann von mir entführt werden. Und der schwache Rama wird bestimmt aus Kummer um ihren Verlust sterben. Dies ist die Hilfe, dich von dir fordere.

Maricha zeigte seine Demut und folgte mit traurigem Herzen seinem Herrn. Sie erreichten die abgelegene Einsiedelei Ramas und führten ihren Plan aus. Ravana nahm die Gestalt eines Asketen mit geschorenem Kopf, Kundala und einem dreifachen Stab an. Und Maricha wurde zum zauberhaften Hirsch und zeigte sich Sita.

Der goldene Hirsch

Vom Schicksal gedrängt schickte die Prinzessin von Videha Rama fort, um den Hirsch zu fangen. Und Rama wollte ihr gern den Gefallen tun, begab sich auf die Jagd und ließ Lakshmana zurück, der Sita beschützen sollte. Mit Bogen, Köcher, Kurzschwert und Armschützern aus Leguanleder jagte er dem Hirsch hinterher, wie einst Rudra dem Sternenhirsch folgte. (Tara- mrigam: Einst nahm Prajapati die Gestalt eines Hirsches an und folgte wollüstig seiner Tochter. Rudra jagte ihn mit seinem Dreizack und trennte ihm den Kopf ab. Dieser Hirschkopf Prajapatis wurde zur Sternenkonstellation Mrigashiras.) Der Rakshasa Maricha lockte Rama eine weite Strecke fort, indem er ihm hier und da erschien und sich auch wieder versteckte. Als Rama endlich erkannte, daß dies nur das Werk eines Dämonen sein konnte, nahm er einen unfehlbaren Pfeil und tötete den Rakshasa in Hirschgestalt. Tödlich getroffen ahmte Maricha Ramas Stimme nach und schrie schmerzvoll nach Lakshmana und Sita um Hilfe. Als Sita den Schrei hörte, wollte sie in dessen Richtung in den Wald eilen. Doch Lakshmana hielt sie zurück:
Ängstliche Dame, fürchte dich nicht. Wer ist so mächtig, daß er Rama bezwingen könnte? Oh du mit dem lieblichen Lächeln, gleich wirst du deinen Ehemann wiedersehen.

Doch die treue Sita war so ängstlich, daß sie den reinen Lakshmana verdächtigte. Laut weinend tadelte ihren Schwager mit groben Worten:
Du Narr, was du im Herzen begehrst, wird niemals geschehen! Ich würde mich eher selbst mit einer Waffe töten, vom Berg springen oder ins lodernde Feuer stürzen, als mit einem Lumpen wie dir zu leben. Wie eine Tigerin sich niemals unter den Schutz eines Schakals begibt, so werde ich niemals meinen Ehemann Rama verlassen.

Bei diesen schroffen Worten hielt sich der gutmütige Lakshmana, der seinen Bruder über alles liebte, die Ohren zu und machte sich allein auf den Weg, den Spuren Ramas zu folgen. Nicht einen Blick warf er der Dame mit den weichen Lippen zu, so rot wie die Frucht des Bimba Baumes. Inzwischen näherte sich Ravana in seiner besonderen Verkleidung und dem Hinterhalt im Herzen, wie ein Feuer sich unter einem Haufen Asche versteckt. Er kam als Einsiedler und hegte doch den festen Entschluß, die makellose Dame in seine Gewalt zu bringen. Die tugendhafte Tochter Janakas hieß ihn willkommen und bot ihm Früchte, Wurzeln und einen Platz zum Ausruhen an. Doch Ravana mißachtete all dies, nahm seine wahre Gestalt an und schmeichelte der Prinzessin von Videha:
Ich bin, oh Sita, der König der Rakshasas und überall unter dem Namen Ravana bekannt. Meine entzückende Stadt Lanka liegt auf der anderen Seite des großen Ozeans. Unter vielen anderen schönen Frauen wirst du dort mit mir strahlen. Oh Dame mit den weichen Lippen, laß ab vom Asketen Rama, und werde meine Gattin.

Doch die schöne Tochter Janakas verschloß ihre Ohren vor dem werbenden Redefluß und erwiderte ihm:
Sag so etwas nicht! Und wenn das ganze Himmelsgewölbe mit seinen Sternen zusammenbricht, die Erde sich in Stücke reißt und das Feuer seine Natur wechselt und kühl wird, ich werde mich niemals vom Nachkommen des Raghu lossagen. Wie könnte eine Elefantendame, die mit dem mächtigen Führer einer Herde mit aufgerissenen Schläfen lebte, diesen verlassen und mit einem Schwein leben? Wie könnte eine Frau, die bereits den süßen Wein aus Honig und Blumen gekostet hat, an billigem Arrak aus Reis Geschmack finden?

Nach diesen Worten zog sie sich mit zornig bebenden Lippen und Gliedern in ihre Hütte zurück. Doch Ravana ging ihr nach und hielt sie fest. Bei dieser groben Berührung durch den Rakshasa schwanden Sita die Sinne. So packte sie Ravana an ihrem schönen Haar und erhob sich mit ihr in die Lüfte. Nahebei lebte ein riesiger Geier namens Jatayu auf einem Berg. Er bemerkte die hilflose Dame, wie sie nun weinend und verzweifelt nach Rama rief, während Ravana sie forttrug.


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