Pushpak Mahabharata Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 209 – Der Vogelfänger über Karma

Der Vogelfänger fuhr fort:
Es ist ein geflügeltes Wort unter den Erfahrenen, daß die Wege der Rechtschaffenheit subtil, vielfältig und unendlich sind. Wenn das Leben auf dem Spiel steht und zur Vermählung darf man eine Unwahrheit sagen. Denn manchmal führt eine Lüge zum Triumph für die Wahrheit, oder eine Wahrheit schwindet zur Lüge dahin. Welches Verhalten zum Wohle aller Wesen führt, dies wird als Tugend erkannt. Erkenne ihre subtilen Wege, denn oft wird die Tugend ins Gegenteil verkehrt. Oh Tugendhafter, die Handlungen der Menschen sind nun einmal heilsam oder unheilsam, und unzweifelhaft ernten wir ihre Früchte. Der Unwissende ist bereits tief gefallen, wenn er die Götter grob beschimpft und nicht weiß, daß dies eine Wirkung seines eigenen Karma ist. Die Toren, die Leidenschaftlichen und die Launenhaften erreichen immer das Gegenteil von dem, was sie wollen. Weder Studium, Moral noch persönliche Anstrengung kann ihnen helfen. Wenn die Früchte unserer Mühen nur von uns abhingen, dann würden wir immer zur Erfüllung unserer Wünsche gelangen, einfach durch Streben. Doch man sieht, daß fähige und kluge Menschen in ihrem Bestreben fehlen, und ihnen die Früchte ihrer Bemühungen verwehrt bleiben. Und umgekehrt kann es geschehen, daß Menschen, die andere immerzu kränken und täuschen, ein fröhliches Leben führen. Manche erlangen Wohlstand ohne Arbeit, und andere mühen sich bis zum Äußersten und bekommen nicht einmal das Nötigste. Manche ehrgeizige Menschen ehren die Götter und üben strenge Buße, um Söhne zu bekommen, und nach der angemessene Zeit im Mutterleib wird es doch nur ein unrühmlicher Abkömmling ihrer Familie. Und andere, die unter denselben Umständen ins Leben kamen, leben anständig mit viel Luxus, Reichtum und Korn, welches ihre Ahnen angesammelt haben.

Die Krankheiten, unter denen die Menschen leiden, sind ohne Zweifel das Resultat ihres eigenen Karmas. Manche werden von ihnen verfolgt, wie schwache Rehe vom Jäger, und sind voller Sorgen. Andere jagen die Krankheiten, wie der Jäger das Wild, und suchen die Hilfe von fähigen Ärzten mit ihrem Vorrat an Medizin. Oh bester Ausüber der Religion, du hast sicher auch schon beobachtet, wie Menschen, in deren Macht es lag, sich an allen schönen Dingen auf Erden zu erfreuen, dies nicht konnten, weil ihre Eingeweide sie quälten. Und Starke und Mächtige leiden Elend und erhalten sich gerade so am Leben. Jeder Mensch ist diesbezüglich hilflos, wird von Elend und Illusion überwältigt, und wieder und wieder vom mächtigen Strom seiner karmischen Taten hin- und hergetrieben. Gäbe es die absolute Freiheit der Handlung, würde keine Kreatur sterben, verfallen oder ihr übles Schicksal abwarten, denn jeder würde immer alles Begehrenswerte erlangen. Alle Menschen streben mit ganzer Kraft danach, ihre Nachbarn zu überflügeln, und immer schlagen sie fehl. Viele Menschen werden unter demselben Stern geboren und stehen unter dem Einfluß desselben guten Schicksals, und doch sieht man große Unterschiede in der Reife ihrer Handlungen. Niemand, oh guter Brahmane, kann sich in dieser Welt sein Los selbst zuteilen. Denn die Taten der vergangenen Leben tragen in diesem Leben hier ihre Früchte. Seit unerdenklichen Zeiten wissen wir, daß die Seele ewigwährend ist, und der Körper dem Verfall unterliegt. Wenn also ein Leben endet, dann wird nur der Körper vernichtet, doch der Geist wandert weiter, mit seinen Handlungen eng verwebt.

Nun bat Kausika, der Brahmane:
Ob Bester von denen, die um die Regeln des Karma und die gute Rede wissen, ich möchte ganz genau erfahren, wie die Seele ewig wird.

Der Vogelfänger antwortete:
Der Geist stirbt nicht, er wechselt nur die Wohnung. Nur Törichte meinen, alle Kreaturen sterben, doch dies ist irrig. Die Seele geht zu einem anderen Körper, und dieser Wechsel der Heimstatt wird Tod genannt. In der Welt der Menschen erntet niemand das Karma eines anderen. Was immer man tut, ganz sicher erfährt man auch dessen Konsequenzen, denn einmal gehandelt, sind sie da. Die Tugendhaften bekommen noch größere Tugenden, die Sündigen werden zu Übeltätern. Die Menschen werden stets von ihren Taten verfolgt, und von ihnen beeinflußt werden sie wiedergeboren.

Der Brahmane fragte:
Warum nimmt der Geist seine Geburt? Warum wird sein Wesen sündig oder tugendhaft? Und wie, guter Mann, kommt es, daß man in einer sündigen oder tugendhaften Familie geboren wird?

Der Vogelfänger antwortete:
Dieses Geheimnis scheint in der Zeugung begründet zu sein. Ich werde es dir kurz erläutern, oh Brahmane, wie der Geist seine Geburt nimmt unter der angesammelten Last von Karma, die Gerechten in einer tugendhaften und die Gemeinen in einer sündigen Geburt. Mit tugendhaften Handlungen gelangt man in den Status der Götter. Mit einer Mischung aus guten und schlechten Taten erlangt man den menschlichen Status. Durch das Schwelgen in Sinnlichkeit und ähnlichen demoralisierenden Dingen wird man in der niederen Spezies der Tiere geboren. Und mit sündigen Taten kommt man in die höllischen Bereiche. Vom Elend der Geburt, des Alterns und Sterbens geplagt ist der Mensch hier unten dazu bestimmt, unter den üblen Konsequenzen seiner eigenen Taten zu verrotten. So wandert unser Geist von den Fesseln seines Karmas gebunden durch tausende Geburten und den Höllenbereich. Aufgrund ihrer eigenen Taten müssen Lebewesen in der nächsten Welt leiden, und durch ihre Reaktion auf dieses Elend nehmen sie noch niedere Geburten an. So sammeln sie immer neuen Vorrat an Handlungen an und leiden daraufhin Qualen über Qualen, wie kranke Menschen noch giftige Nahrung verschlingen. Und obwohl sie leiden, halten sie sich selbst für fröhlich und glücklich. So lockern sich ihre Fesseln nicht, neues Karma erhebt sich, und vom Leiden getrieben, werden sie in dieser Welt herumgewirbelt wie an einem Rad.

Wenn sie aber ihre Fesseln abstreifen, sich durch ihre Taten vom Karma reinigen, Enthaltsamkeit üben und meditieren, dann erreichen sie paradiesische Regionen durch genau diese Taten. Dort kennt man kein Elend, nur Glückseligkeit. Der sündige, dem Laster verfallene Mensch kommt auf seinem Weg niemals ans Ende seiner Schandtaten. Deshalb müssen wir nach Tugend streben, um uns von Ungerechtigkeit fernzuhalten. Wer sein Herz mit Dankbarkeit erfüllt und keinen Groll hegt, ist dem Guten geneigt. Solcher erlangt Reichtum, Tugend, Glück und den Himmel. Wer sich von Sünden reinigt, weise und vergebend ist, gerecht und selbstbeherrscht erfreut sich an dieser Welt und der nächsten. Man sollte den Guten und Gerechten folgen, welche in allen Bereichen der Religion und des Lebens erfahren sind, und nach ihrem Beispiel handeln. Es ist die Pflicht eines Menschen, seinem angestammten Beruf nachzugehen. So gerät man nicht in Verwirrung. Der Weise erfreut sich an Tugend und lebt durch Gerechtigkeit. Er wässert damit die Pflanze, die ihm zum Besten gedeiht, und befriedet damit seinen Geist. So wird er zufrieden in dieser und gewinnt sich Glück in der nächsten Welt. Tugendhafte Menschen, guter Brahmane, sind überall zu Hause und erfreuen sich an Schönheit, Duft, Klang und Berührung, wie es ihnen beliebt. Denn dies ist der Lohn für Tugend.

Der Mensch von erleuchteter Sichtweise, oh großer Brahmane, sucht niemals Befriedigung in den schönen Früchten der Gerechtigkeit. Mit dem Licht der spirituellen Weisheit in seinem Innern werden ihm Schmerz und Vergnügen gleich lieb, und die Laster der Welt verwickeln ihn nicht mehr. Mit freiem Willen blickt er gleichmütig auf weltliche Ziele und bleibt dennoch der Tugend treu. Er erkennt, daß alles Weltliche vergänglich ist, haftet an nichts mehr an, hofft nicht mehr auf bloßes Glück, sondern verfolgt alle Mittel zur Erlösung. So verstrickt er sich nicht mehr in weltliche Angelegenheiten, meidet alle Arten von Sünde, wird gegenwärtig und endlich erlöst. Spirituelle Weisheit ist die wichtigste Voraussetzung zur Erlösung. Ergebenheit und Vergebung sind ihre Wurzeln. So erfüllt er alle seine Wünsche. Und mit gezügelten Sinnen, Wahrhaftigkeit und Geduld gelangt er in die höchste Wohnstatt von Brahma, oh guter Brahmane.

Erneut fragte Kausika:
Oh du Tugendhafter und beständig Pflichtbewußter, du sprichst über die Sinne. Was sind die Sinne? Wie kann man sie zügeln? Warum ist es gut, sie zu zügeln? Und wie erntet man die Früchte solcher Beherrschung? Oh frommer Mann, ich möchte mich mit der Wahrheit in dieser Sache bekannt machen.


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