Pushpak Mahabharata Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 29 – Yudhishthiras Antwort über Vergebung

Yudhishthira antwortete:
Ärger kann Geißel und auch Wohltäter der Menschen sein. Wisse, oh du Weise, daß Ärger die Wurzel allen Wohlstandes, aber auch all seiner Gegenteile ist. Denn, oh du Schöne, wer seinen Ärger beherrscht, erntet Wohlstand, und wer vom Ärger beherrscht wird, das Gegenteil. Man sieht überall, daß Zorn die Ursache für jegliche Vernichtung in dieser Welt ist. Wie kann einer wie ich sich dem Ärger verschreiben, der so zerstörend in der Welt wirkt? Der zornige Mensch begeht Sünden und tötet sogar seinen Lehrer. Der zornige Mensch beleidigt Höhergestellte mit harschen Worten, denn er kann nicht mehr unterscheiden, was gesagt werden sollte und was nicht. Es gibt keine Tat, die ein wütender Mensch nicht tut, und kein Wort, was er unausgesprochen läßt. Aus Wut kann ein Mensch einen anderen töten, obwohl er es nicht verdient hat. Aus Wut kann einer verehrt werden, der eigentlich den Tod verdient. Der zornige Mensch kann sogar seine eigene Seele in die Regionen Yamas senden. All dies Unheilsame bedenkend, kontrollieren die Weisen ihren Ärger, denn sie wünschen sich großen Wohlstand in dieser und der anderen Welt. Ja, deswegen haben die mit den friedlichen und klaren Seelen ihre Rage verbannt. Wie kann einer wie ich sich in Zorn verlieren? Oh Tochter von Drupada, indem ich all dies bedenke, erhebt sich in mir kein Zorn.

Wer sich einem wütenden Menschen nicht entgegenstellt, rettet sich und andere vor großer Gefahr. Er wird sogar als Heilung für sich und den ärgerlichen Menschen angesehen. Wenn ein schwacher Mensch, der von anderen gepeinigt wird, wütend auf die stärkeren Peiniger wird, dann wird er törichterweise zur Ursache seiner eigenen Vernichtung. Und für den, der bewußt seine Vernichtung herbeiführt, gibt es keine (seligen) Regionen nachher zu gewinnen. Deshalb wird gesagt, oh Tochter von Drupada, daß ein abhängiger Mensch seine Wut kontrollieren sollte. Und wer weise ist, wird kein Leiden erfahren, wenn er seinen Zorn beherrscht, auch wenn er gepeinigt wird. Denn er gewinnt sich Freude in der anderen Welt, weil er seinen Peiniger mit Gleichmut besiegt hat. So wird gesagt, daß der weise Mensch, ob nun schwach oder stark, immer seinem Peiniger vergeben und dessen Zwangslage nicht ausnutzen sollte. Ja, die Tugendhaften, oh Draupadi, loben den, der seine Wut besiegt hat. Nur der Aufrechte und Vergebende ist immer siegreich, denn Edelmut ist nützlicher als Unaufrichtigkeit und Sanftheit besser als grausames Benehmen. Wie kann also einer wie ich Zorn entfalten, auch wenn es darum ginge, Duryodhana zu schlagen, wenn Zorn so viele Makel hat, daß die Tugendhaften ihn aus ihrer Seele verbannen? Wer von den tiefschauenden Weisen als wahrhaft starker Charakter angesehen wird, zeigt sich nur äußerlich zornvoll und kontrolliert tatsächlich seine sich erhebende Wut. Oh du mit den schönen Hüften, wütende Menschen sehen die Dinge nicht in ihrem wahren Licht. Sie erkennen nicht den Weg und mißachten andere Menschen, ja töten sogar Unschuldige oder Lehrer. Wer also einen starken Charakter hat, verbannt die Wut in sichere Entfernung. Wer vom Zorn beherrscht wird, erlangt nur schwer Großzügigkeit, Würde, Mut, Geschick und all die anderen Eigenschaften, die zu einem wahrhaft starken Charakter gehören. Wer seiner Wut entsagt, erlangt die rechte Energie zur rechten Zeit, und dies gelingt einem zornigen Menschen nur sehr schwer und selten, du Weise.

Unwissende halten ihren Ärger für positive Energie. Doch der Ärger wurde den Menschen gegeben, um die Welt zu zerstören. Wer sich nun angemessen verhalten will, muß den Ärger loslassen. Wer den Ärger nicht loslassen kann, verliert mit der Zeit alle vorzüglichen Tugenden seiner Kaste. Mögen verblendete Narren jeden Respekt außer Acht lassen, doch ich, oh makellose Dame, kann es nicht. Gäbe es unter den Menschen nicht einige, die der Erde in Vergebung gleichen, gäbe es keinen Frieden unter den Menschen, sondern nur aus Wut geborenen Streit. Wer von seinem Herrn gezüchtigt wird und dann Gleiches mit Gleichem vergilt, oder wem Gewalt angetan wird und sich mit Gewalt rächt verursacht die Vernichtung aller Kreaturen, denn dann regiert die Sünde in der Welt. Wenn grobe Worte mit groben Worten vergolten werden, wenn der Vater den Sohn schlägt und der Sohn den Vater, wenn Ehemänner ihre Frauen züchtigen und die Frauen sich gleichermaßen rächen, wie könnte dann noch etwas gedeihen, oh Draupadi, wenn der Ärger alles beherrscht? Das Werden der Wesen kommt aus dem Frieden, oh du mit dem schönen Gesicht. Wenn der König sich im Zorn verliert, oh Draupadi, treffen seine Untertanen schon bald auf Vernichtung. Denn Zorn hat Zerstörung und Elend der Völker zur Folge. Nur Vergebung wie die Erde gewährt Geburt, Leben und Wohlstand. Oh du Schöne, man sollte unter allen Umständen vergeben, denn das sichert den Fortbestand der Menschheit. Nur der ist weise und würdig, der seinen Zorn besiegt und Vergebung zeigt, auch wenn er von Starken verletzt, beleidigt und gekränkt wird. Der Mächtige, der seinen Zorn mäßigt, gewinnt sich ewigwährende Regionen der Freude, während der Zornige töricht genannt wird und in dieser und der andere Welt Vernichtung erfährt. Oh Draupadi, der ruhmreiche und edle Kasyapa hat zu diesem Thema folgende Verse zu Ehren vergebender Menschen gesungen:

Vergebung ist Tugend. Vergebung ist Opfer. Vergebung sind die Veden. Vergebung ist Sruti (heilsames Hören). Wer das weiß, ist in der Lage, alles zu vergeben. Vergebung ist Brahma, Wahrheit, asketischer Verdienst und dessen Bewahrung, Askese, Heiligkeit und der Zusammenhalt des Universums. Menschen mit Vergebung erreichen die Regionen, die von Menschen mit vielen, verdienstvollen Opfern, Vedenkundigen und Menschen mit reichem asketischen Verdienst gewonnen werden. Wer vedische Opfer und all die verdienstvollen Riten der Religion ausführt, kommt in andere Bereiche. Doch wer Vergebung übt, gelangt in die hochverehrte Welt von Brahma. Vergebung ist die wahre Macht der Mächtigen. Vergebung ist Opfer. Vergebung ist Stille des Geistes.

Wie könnte jemand wie ich, oh Draupadi, die Vergebung nicht üben, in der Brahma, Wahrheit und Weisheit gegründet ist? Der weise Mensch sollte immer vergeben, denn wer alles vergeben kann, kommt zu Brahma. Sowohl diese als auch die andere Welt gehört denen, die vergeben können. In dieser Welt erlangen die Vergebenden Ehre und in der anderen Welt Seligkeit. Wer mit Vergebung seinen Zorn besiegt, gelangt in höhere Bereiche. Und deshalb wird Vergebung als die höchste Tugend angesehen. Ja, diese Verse sang Kasyapa über die Vergebung. So zügele dich, oh Draupadi, nachdem du dies alles vernommen hast. Gib deinem Zorn keine Macht. Unser Großvater Bhishma, der Sohn von Shantanu, wird den Frieden ehren. Krishna, der Sohn von Devaki, wird den Frieden ehren. Unser Lehrer Drona und auch Vidura werden von Frieden sprechen. Kripa und Sanjaya werden ebenfalls Frieden predigen. Und Somadatta, Yuyutsu, Dronas Sohn Aswatthaman und unser Großvater Vyasa sprechen immerzu von Frieden. Von ihnen zum Frieden überredet wird König Dhritarashtra uns unser Königreich wiedergeben. Nur wenn er sich der Versuchung anheimgibt, wird er auf Vernichtung treffen. Oh Dame, die Bharatas sind im Laufe ihrer Geschichte in eine Krise geraten, die großes Elend bringen wird. Dies spüre ich seit geraumer Zeit. Duryodhana verdient das Reich nicht, weil er nicht zur Vergebung fähig ist. So wäre auch ich ohne Vergebung dieses Reiches unwürdig. Vergebung und Sanftheit sind die Eigenschaften der Selbstbeherrschten. Sie stellen ewige Tugend dar. Deshalb sollte ich diese Eigenschaft bewahren.


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