Vaisampayana sprach:
Die Nacht war vorüber, der Morgen brach an. Die Brahmanen, welche sonst von Almosen lebten, standen vor den Pandavas, welche bereit waren, in den Wald einzutreten. Da sprach König Yudhishthira zu ihnen:
Wir wurden unseres Reiches und unserer Reichtümer beraubt und sind nun bereit, im einsamen Wald zu leben. Wir hängen nun von Früchten, Wurzeln und der Jagd ab. Außerdem ist der Wald voller Gefahren und wimmelt nur so von Raubtieren und Reptilien. Mir scheint, ihr werdet hier viele Entbehrungen und Schmerzen erleiden müssen. Doch wenn Brahmanen leiden, können sogar die Götter überwältigt werden. Ich jedenfalls werde es nicht ertragen können. So bitte, ihr Brahmanen, kehrt lieber wieder um!
Die Brahmanen erwiderten:
Oh König, unser Weg ist genau der, den ihr jetzt beschreiten werdet. Es frommt dir nicht, uns wegzuschicken, denn wir sind deine ergebenen Bewunderer und üben wahrhaftige Religion. Die Götter zeigen ihren Verehrern Mitgefühl, und besonders den Brahmanen, welche ein beherrschtes Leben führen.
Yudhishthira sprach:
Ihr Zweifachgeborenen, ich habe stets großen Respekt vor den Brahmanen. Doch die Verzweiflung hat mich mit Verwirrung erfüllt. Auch meine Brüder, welche Früchte und Wurzeln sammeln sollen und Hirsche jagen, sind von Trauer ganz verwirrt und erregt wegen der bekümmerten Draupadi und dem Verlust unseres Königreiches. Ach, so verwirrt, wie sie sind, kann ich sie nicht mit so schwerwiegenden Aufgaben betrauen.
Die Brahmanen sagten:
Oh König, laß keine Sorge wegen unseres Lebensunterhaltes in dein Herz. Wir werden uns selbst versorgen, dir folgen und mit Meditationen und Gebeten dein Wohlergehen fördern. Mit angenehmer Unterhaltung werden wir dich und uns selbst erfreuen.
Da sagte Yudhishthira:
Nun, es muß zweifellos sein, wie ihr es sagt, denn in Begleitung von Zweifachgeborenen bin ich immer zufrieden. Doch mein gefallener Status macht, daß ich mich als Ziel von Rüge und Tadel betrachte. Wie kann ich mit ansehen, wie ihr euch aus Liebe zu mir mühsam ernährt, durch eurer eigenen Hände anstrengende Arbeit? Wo ihr es doch nicht verdient, irgendwelche Schwierigkeiten zu ertragen? Oh, Schande über die üblen Söhne Dhritarashtras!
Vaisampayana fuhr fort:
Mit diesen Worten setzte sich der König weinend auf die Erde nieder. Da sprach ein gelehrter Brahmane namens Saunaka zu ihm, denn er war mit der Philosophie der Seele, mit Sankhya und Yoga vertraut.
Saunaka sprach:
Täglich tausende Gründe für Kummer und hunderte für Angst überwältigen nur den Unwissenden und nicht den Weisen. Sicher, vernünftige Menschen wie du lassen sich niemals von Taten verleiten, welche wahrem Wissen entgegenhandeln, mit Übel belastet sind und der Erlösung im Wege stehen, oh König. In dir lebt dieses Verstehen, welches mit den acht Attributen behaftet ist, aus dem Studium der Schriften kommt und von dem gesagt wird, daß es in der Lage ist, vor Übel zu bewahren. Männer wie du lassen sich nicht lähmen durch Armut, Krankheit, Sorgen oder bekümmerte Freunde. Höre! Ich werde dir die Zeilen zitieren, die einst der ruhmreiche Janaka über die Beherrschung der Seele sang. Diese Welt leidet nun einmal unter körperlichen und geistigen Gebrechen. Höre, wie man sie mildern kann:.
Krankheit, Berührung mit schmerzhaften Dingen, mühevolle Plage und Sehnsucht nach verheißungsvollen Dingen – dies sind die vier Ursachen für Leiden. Krankheiten kann man mit Medizin lindern. Geistige Leiden versucht man, mit Yoga Meditation zu heilen (wortwörtlich: zu vergessen). Kluge Ärzte kümmern sich daher immer zuerst um die geistigen Leiden ihrer Patienten, indem sie freundlich mit ihnen sprechen und ihnen angenehme Dinge anbieten. Wie ein heißes Eisen in einem Wasserglas das Wasser erwärmt, so bringt mentales Leiden immer auch körperliche Schmerzen hervor. Und wie Wasser Feuer löscht, so heilt wahrhafte Erkenntnis die geistige Unruhe. Wenn dann der Geist Frieden findet, findet auch der Körper Entspannung. Es scheint, daß Begierde die Ursache für alle geistigen Sorgen ist. Es ist das Begehren, welches die Kreaturen auf alle Arten leiden läßt und sie elend macht.
Wahrlich, Begehren ist die Quelle für alles Elend, alle Ängste, alle Freuden, jeden Kummer und alle Arten von Schmerz. Aus dem Begehren kommen alle Ziele (Absichten) und auch die Neigung zu weltlichen Gütern. Beides sind unheilsame Quellen, wobei das Begehren übler ist als die beiden Letzten.
Wie nur ein kleiner Funke in der Krone eines Baumes schließlich den ganzen Baum bis zur Wurzel verbrennt, so vernichtet das kleinste Begehren sowohl Tugend als auch Verdienst (Gewinn), Dharma und Artha. Nicht derjenige, welcher sich von weltlichem Besitz zurückgezogen hat, gilt als einer, der der Welt entsagt hat. Doch wer in beständigem Kontakt mit der Welt lebt und sich ihrer Makel bewußt ist, der ist wahrlich als einer zu bezeichnen, welcher der Welt entsagt hat. Seine Seele hängt von nichts ab, und er ist frei von allen (üblen) Leidenschaften. Deshalb sollte niemand seine Neigungen auf Freunde oder Besitz richten. Und die begehrende Zuneigung zu sich selbst sollte durch Wissen zum Erlöschen kommen. Wie die Lotusblüte nicht vom trüben Wasser verunreinigt wird, so werden die Seelen von Menschen, welche zwischen vergänglich und ewigwährend unterscheiden können, welche dem Ewigen hingegeben folgen, mit den heiligen Schriften vertraut sind und durch Weisheit gereinigt wurden, niemals vom begehrenden Verlangen bewegt. Der Mensch, den Neigung bewegt, wird durch endlose Wünsche gepeinigt. Diese Wünsche in seinem Herzen nähren den Durst nach weltlichen Gütern immer mehr. Ja, dieser Durst ist sündhaft und wird als Quelle für alle Sorgen und Ängste angesehen. Es ist dieser schreckliche Durst, der mit Sünde beladen ist und uns zu ungerechten Taten verleitet.
Glücklich ist, wer diesem Durst entsagen kann. Die Niedriggesinnten können ihm niemals entsagen, und er vergeht nicht mit ihrem Körper. Dieser Durst ist wahrlich (wie) eine gefährliche Krankheit. Er kennt keinen Anfang und kein Ende.
Lebt er im Herzen, dann vernichtet er die Kreaturen wie ein Feuer aus geistiger Tiefe. Und wie das Holz vom Feuer verzehrt wird, welches es nährt, so werden die Menschen mit unreiner Seele verbrannt, die im Herzen die Habgier hegen. Die mit Leben gesegneten Kreaturen haben immer Angst vorm Tod. Die Reichen leben immer in Sorge vor König und Dieben, vor Überflutung und Brand und sogar vor ihren eigenen Verwandten. Und wie ein Klümpchen Fleisch in die Luft geworfen, von Vögeln verschlungen werden kann, am Boden von Raubtieren gefressen wird und im Wasser von den Fischen, so ist ein reicher Mann überall diesen gefährlichen Sorgen ausgesetzt. Für viele Menschen ist ihr Reichtum auch ihr Verhängnis. Wer im Reichtum sein Glück sucht, hängt zu sehr daran und erfährt kein wahres Glück. Die Anschaffung von Reichtümern vergrößert sogar die Narrheit und Habgier immer mehr. Ja, Reichtum kann die Ursache für Geiz, Hochmut, Prahlerei, Angst und Sorge sein. Diese Übel der Menschheit sehen die Weisen in Reichtümern. Denn Menschen nehmen grenzenloses Elend auf sich, nur um Reichtümer zu erlangen und zu horten. Auch das Bewahren dieser Schätze ist immer mit Sorgen beladen. Manchmal wird sogar das Leben geopfert, um an Reichtum zu gelangen. Das Verlieren von Reichtümern ist ebenfalls schmerzlich. Und sogar geliebte Menschen werden für ebendiesen Reichtum zu Feinden. Doch wenn schon der Besitz von Reichtum mit soviel Elend verbunden ist, sollte man seinen Verlust nicht beklagen.
Nur die Unwissenden sind unzufrieden. Die Weisen sind immer im Frieden. Der Durst nach Schätzen kann niemals gestillt werden. Zufriedenheit ist höchstes Glück. Und so sagen die Weisen, daß Zufriedenheit das Höchste ist, was man erstreben kann. Die Weisen wissen um die Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit, dem Leben und gehorteten Schätzen, von Wohlstand und der Gesellschaft von geliebten Menschen. Sie begehren all dies nicht. Daher sollte man davon ablassen, Reichtümer zu erstreben und sich den damit verbundenen Schmerz aufzuladen. Kein Reicher ist von Sorgen frei. Deshalb loben die Tugendhaften denjenigen nicht, der sich nach Reichtum sehnt. Und was diejenigen betrifft, die aus tugendhaften Gründen nach Reichtümern streben, kann man sagen, es ist besser, davon abzulassen. Denn es ist immer empfehlenswert, den Schlamm gar nicht erst zu berühren, als ihn sich hinterher abwaschen zu müssen, nachdem man sich beschmutzt hat. Nun Yudhishthira, es frommt dir nicht zu begehren. Wenn du Tugend hast, dann befreie dich von der Sehnsucht nach weltlichem Besitz.
Yudhishthira antwortete:
Oh Brahmane, ich wünsche mir keinen Reichtum, um mich nachher daran zu erfreuen. Nur für den Unterhalt der Brahmanen wünsche ich mir Besitz. Dabei treibt mich keine Habgier. Denn für welch anderen Zweck führen wir ein häusliches Leben, als diejenigen gut zu versorgen und zu beschützen, welche mit uns sind? Von allen Wesen sieht man, daß sie ihre Nahrung untereinander teilen. Und deshalb sollte ein Hausvater einen Teil seiner Nahrung an die Yatis und Brahmacharins abgeben, welche den Hausstand aufgegeben haben. Im Hause der Guten sollte es niemals an Gras (für einen Sitz), Platz (zum Ausruhen), Wasser (zum Löschen des Durstes und Waschen der Füße) und lieben Worten mangeln. Den Müden sollte ein Bett oder einen Sitz, den Durstigen Wasser und den Hungrigen Nahrung angeboten werden. Dem Gast gebühren aufmerksame Blicke, ein fröhliches Herz und liebe Worte. Der Gastgeber sollte sich erheben, seinem Gast entgegen gehen, ihn grüßen und ihm einen Sitz anbieten. Das ist ewiges Dharma. Wer kein Agnihotra durchführt, sich nicht um die Kühe kümmert, oder seine Familie, Gäste, Freunde, Söhne, Ehefrauen und Diener versorgt, wird für seine Unterlassung von Sünde verzehrt. Niemand sollte nur für sich allein kochen. Niemand sollte ein Tier töten, ohne es den Göttern, Ahnen und Gästen zu widmen. Niemand sollte Nahrung zu sich nehmen, die nicht den Göttern und Ahnen geweiht ist. Indem man morgens und abends etwas Essen auf den Boden streut für die Hunde, Chandalas und Vögel, sollte man das Vaiswadeva Opfer durchführen. Was übrigbleibt, nachdem man den Göttern und Ahnen geopfert hat, ist wie Ambrosia. Und was übrigbleibt, nachdem man die Gäste gespeist hat, wird Vighasa genannt und gleicht ebenfalls Ambrosia. Einen Gast zu bewirten kommt einem Opfer gleich. Und die freundlichen Blicke für den Gast, die Aufmerksamkeit, die man ihm widmet, die lieben Worte für ihn, den Respekt, den man ihm zollt und Essen und Trinken für ihn sind die fünf Gaben (Dakshina) in diesem Opfer. Wer einem fremden, erschöpften Reisenden unverzüglich Essen bringt, gewinnt sich großen Verdienst. So folgen die häuslich Lebenden dieser Praxis, denn der so gewonnene religiöse Verdienst ist immens. Nun, oh Brahmane, was sagst du dazu?
Saunaka sprach:
Wohlan, diese Welt ist voller Widersprüche! Was die Guten beschämt, erquickt die Übelgesinnten. Von Unwissenheit und Leidenschaft getrieben werden Narren zu Sklaven ihrer eigenen Sinne und vollführen viele scheinbar verdienstvolle Taten, um ihre selbstsüchtigen Begierden zu stillen. Mit halbgeöffneten Augen werden sie von ihren verführerischen Sinnen irregeleitet, so wie ein ungeschickter Wagenlenker von nervösen und hintertriebenen Pferden. Wenn einer der sechs Sinne sein spezielles Objekt entdeckt, dann erhebt sich Begehren im Herzen, sich an diesem Objekt zu erfreuen. Stellt sich die Freude an diesem Sinnesobjekt ein, entsteht ein Wunsch und der gebiert als nächstes einen Entschluß. Und wie ein Insekt sich in die Flamme stürzt, weil es das Licht liebt, so fällt der Mensch in das Feuer der Versuchung und wird von den Pfeilen der Sinnesobjekte durchbohrt, die der Wunsch aussendet, welcher den Samen des Entschlusses bildet. So wird er vom unaufhaltsam gesuchten, sinnlichen Vergnügen geblendet, ist in tiefe Unwissenheit und Torheit gehüllt, hält dies irrtümlich für den Zustand von Glück und kennt sich selbst nicht! So fallen die Wesen dieser Welt aus Unwissenheit, Tatendrang und Verlangen von einem Zustand in den anderen, wie ein sich unablässig drehendes Wagenrad. Sie wandern von einer Geburt zur anderen und durchlaufen den ganzen Kreis der Existenzen von Brahma zum Grashalm, im Wasser, auf der Erde und im Himmel.
Das ist der Werdegang der Unwissenden. Doch höre nun den Weg der Weisen, die sich bedingungslos der Tugend widmen und Befreiung suchen. Die Veden sagen es deutlich: Handle, doch verzichte auf die Frucht der Handlung. So solltest du ohne Abhimana handeln.(lit. ohne das Motiv, sich dabei zu verbessern, oder sogar ohne jegliches Motiv). Opfern, Studium, Almosen, Buße, Wahrhaftigkeit in Rede und Tat, Kontrolle der Sinne und Verzicht auf Begierde – dies sind die erklärten acht Haupttugenden, welche den wahrhaften Pfad ausmachen. Die ersten vier pflastern den Weg zu den Ahnen. Ihnen sollte man ohne Abhimana folgen. Die vier letzten werden von den Frommen geübt, damit sie den Himmel der Götter erlangen. Die Reinen im Geiste folgen immer allen acht Pflichten. Wer zum Zwecke der Erlösung die Welt überwinden will, sollte bei jeder Handlung jegliches Verlangen beiseite lassen. Damit beherrscht er wirksam die Sinne, ist standhaft in seinen Gelübden, dient hingebungsvoll dem Lehrer, schränkt ernsthaft seine Nahrung ein, studiert gewissenhaft die Veden, entsagt der Handlung als (fruchtbringendes) Mittel und zügelt sein Herz. Indem die Götter sowohl Begehren als Abneigung bezwangen, gewannen sie Wohlstand. Durch ihren Reichtum an Yoga (und das Handeln ohne Verlangen) regieren die Rudras, Sadhyas, Adityas, Vasus und Aswin Zwillinge die Kreaturen. So handle wie sie, oh Sohn der Kunti, ohne jegliches Verlangen. Strebe mit schwerer Buße nach Erfolg im Yoga, oh Bharata. Du hast schon erfolgreich die Schulden für deine Ahnen getilgt und Verdienst aus Taten und Opfern angesammelt. Doch nun bemühe dich um Buße und diene den Zweifachgeborenen. Wer mit asketischem Verdienst gekrönt ist, kann tun, was ihm beliebt. So strebe nach Askese, um deine hehren Ziele zu verwirklichen.