Pushpak Mahabharata Buch 15Zurück WeiterNews

Kapitel 26 – Vidura geht in Yudhishthira ein

Dhritarashtra fragte:
Oh Yudhishthira, bist du mit deinen Brüdern und allen Einwohnern in Stadt und Land in Frieden? Und leben die von dir Abhängigen glücklich unter dir? Sind deine Minister, Diener, Lehrer und Hochrangigen glücklich? Leben deine Untertanen frei von Angst? Folgst du den alten und traditionellen Regeln, nach denen sich ein Herrscher richten sollte? Verhältst du dich auch angemessen gegenüber Feinden, Neutralen und Verbündeten? Sorgst du für die Brahmanen und beschenkst sie reichlich? Und sind deine Diener, Gefolgsleute und das Volk selbst, ja sogar deine Feinde, mit deinem Verhalten zufrieden? Verehrst du hingebungsvoll die Ahnen und Götter? Ehrst du die Gäste mit Essen und Trinken? Folgen die Brahmanen in deinem Reich voller Hingabe ihren Pflichten und dem Pfad der Gerechtigkeit und Tugend? Und erfüllen auch alle anderen Kasten, die Kshatriyas, Vaisyas und Shudras, wie auch deine Verwandten ihre jeweiligen Pflichten? Ich hoffe, in deinem Reich muß keine Frau, kein Kind und kein alter Mann unter Not leiden oder betteln. Werden die Frauen in deinem Haus auch angemessen geehrt, oh bester Mann? Ich hoffe, daß unser Geschlecht mit dir als König nicht unter schwindendem Ruhm leiden muß.

Und geübt in der würdigen Rede fragte nun Yudhishthira seinerseits den alten Monarchen:
Wachsen dein Frieden, deine Selbstzügelung und die Klarheit deines Herzens stetig an, oh König? Ist meine Mutter in der Lage, dir ohne Erschöpfung oder Probleme zu dienen? Wird ihr Aufenthalt hier im Wald Früchte tragen? Ich hoffe, daß deine Gemahlin sich nicht länger der Trauer um den Verlust ihrer Söhne hingibt, welche unter Ausübung ihrer Kshatriya Pflichten auf dem Schlachtfeld fielen. Sie muß schon unter Kälte, Wind und langen Märschen leiden und übt noch strengste Askese dazu. Hat sie uns Sündern vergeben, die für den Tod ihrer Söhne verantwortlich sind? Oh König, wo ist Vidura? Wir können ihn nirgends entdecken. Ich hoffe auch, Sanjaya ist im Frieden und wohl bei seiner Askese.

Dhritarashtra antwortete ihm:
Mein Sohn, Vidura geht es gut. Er unterwirft sich schwerster Buße, lebt von Luft allein und hält sich von jeglicher Nahrung fern. Er ist so mager, daß man seine Arterien und Sehnen sieht. Manchmal erblicken ihn die Brahmanen im Wald.

Und noch während Dhritarashtra so sprach, erschien Vidura zwischen den Bäumen. Er hatte verfilzte Locken auf dem Kopf und kleine Steine im Mund und war extrem ausgezehrt. Er war vollkommen nackt, nur mit Schlamm beschmiert und dem Blütenstaub wilder Blumen bestäubt. Man meldete Yudhishthira sein Erscheinen, und in dem Moment hielt Vidura inne, richtete seine Blicke auf die Einsiedelei und lief sogleich wieder davon. Yudhishthira rannte ihm nach, tiefer und tiefer in den Wald. Mal konnte ihn Yudhishthira sehen, mal nicht. Laut rief er: „Oh Vidura, Vidura, ich bin es, Yudhishthira, dein Liebling!“, während er ihm mühsam folgte. Dann, auf einer einsamen Lichtung, blieb Vidura stehen und lehnte sich an einen Baum. Er war so dürr, daß er kaum noch einem Menschen ähnelte. Und doch erkannte ihn Yudhishthira, blieb vor ihm stehen und sprach ihn noch einmal an: „Ich bin es, Yudhishthira.“, und ehrte ihn grüßend. Vidura hörte dies und starrte den König mit festem Blick an. Dabei stand der Weise unbeweglich im Yoga gegründet und ging Glied für Glied in den Körper von Yudhishthira ein. So vereinte er seinen Lebensatem und seine Sinne mit denen des Königs. Wahrlich, mittels Yoga Kraft erstrahlte er als Energie und trat in den Körper von Yudhishthira ein. Dabei lehnte Viduras Körper weiter unbeweglich am Baum, den Blick starr und gerichtet. Und dann erkannte Yudhishthira, daß das Leben aus Viduras Körper gewichen war, und er selbst sich viel stärker, fähiger und tugendhafter fühlte als zuvor. Und da der König nun über hohe Energie und Weisheit verfügte, erinnerte er sich an sein Dasein vor der Geburt unter Menschen (sowohl Yudhishthira als auch Vidura sind Inkarnationen des Gottes Dharma, also von selber Essenz) und an das, was ihm Vyasa von Yoga Praxis erzählt hatte. Dann überlegte der König und wünschte, für Viduras Körper die letzten Riten durchzuführen und ihn zu verbrennen.

Doch eine Stimme sprach zu ihm:
Oh König, der Körper von dem, der Vidura genannt wurde, kann nicht verbrannt werden, in ihm ist auch dein Körper. Er ist die ewige Gottheit der Gerechtigkeit. Sein sind die glücksseligen Regionen namens Santanaka (Kontinuität), oh Bharata. Er folgte den Pflichten der heiligen Weisen. So traure nicht um ihn, oh Feindebezwinger.

Also kehrte König Yudhishthira, der Gerechte, zur Einsiedelei des Dhritarashtra zurück, und alle Anwesenden staunten sehr, als sie hörten, was geschehen war. König Dhritarashtra war sehr zufrieden und sprach zum Sohn des Dharma:
Nimm von mir diese Gaben an Wasser, Früchten und Wurzeln an. Man sagt, ein Gast sollte das annehmen, was der Gastgeber selbst nimmt, oh König.

Yudhishthira sprach „So sei es!“, und nahm die Früchte und Wurzeln an, die ihm der alte König reichte. Danach richteten sich alle unter einem Baum für die Nacht ein, nachdem sie von den Früchten des Waldes und dem Wasser genommen hatten, welches der alte König geben konnte.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter