Pushpak Mahabharata Buch 13Zurück WeiterNews

Kapitel 32 - Die Geschichte von Sivi und der Taube

Yudhishthira sprach:
Oh Großvater, oh Weisheitsvoller, der du in allen Zweigen des Wissens wohlerfahren bist, ich wünsche dich zum Thema der Aufgaben und der Gerechtigkeit weiter zu hören. Erkläre mir aufrichtig, oh Führer der Bharatas, was die Verdienste jener Personen sind, die den lebenden Wesen der vier Arten Schutz gewähren, wenn sie darum bitten.

Und Bhishma sprach:
Oh Sohn des Dharma mit der großen Weisheit und dem weitverbreiteten Ruhm, höre die folgende alte Geschichte bezüglich des großen Verdienstes, wenn man denen Schutz gewährt, die ihn demütig suchen. Eines Tages stürzte eine schöne Taube, die von einem Falken gejagt wurde, vom Himmel herab und suchte den Schutz des höchst seligen Königs Vrishadarbha (der auch Sivi genannt wird). Als der reinbeseelte Monarch die Taube sah, wie sie in seinem Schoß voller Angst Zuflucht suchte, da tröstete er sie und sprach:
Sei beruhigt, oh Vogel, und fürchte dich nicht. Woher kommt deine große Angst? Was hast du getan, daß du deine Sinne an die Angst verloren hast und mehr tot als lebendig bist? Deine Farbe, oh schöner Vogel, gleicht einer frisch aufgeblühten blauen Lotusblume. Deine Augen ähneln dem Farbton des Granatapfels oder der Asoka Blüte. Fürchte dich nicht! Ich bitte dich, sei beruhigt. Wisse, indem du Zuflucht bei mir gesucht hast, wird keiner mehr den Mut haben, nur daran zu denken, dich anzugreifen. Du hast nun einen Beschützer gefunden, der über dich wacht. Wenn nötig, werde ich heute für dich sogar mein Königreich von Kasi aufgeben oder auch mein Leben. Deshalb sei beruhigt und habe keine Angst mehr, oh Taube!

Darauf näherte sich der Falke und sprach:
Dieser Vogel wurde mir als Nahrung bestimmt. Mögest du mir ihn übergeben, oh König! Ich habe diesen Vogel mit großer Mühe verfolgt und schließlich überwältigt. Sein Fleisch, Blut, Mark und Fett wird mir von großem Nutzen sein. Damit wird dieser Vogel meinen Hunger stillen können. Stell dich nicht, oh König, auf diese Weise zwischen ihn und mich. Quälend sind Durst und Hunger, die in meinen Gedärmen nagen. Gib diesen Vogel frei! Ich kann die Schmerzen des Hungers nicht länger ertragen. Er ist meine Beute, die ich gejagt habe. Schau, wie sein Körper von meinen Flügeln und Krallen verletzt wurde. Schau, wie sein Atem bereits schwach geworden ist. Es ziemt sich nicht für dich, oh König, ihn vor mir zu beschützen. In der Ausübung deiner Macht bist du zum Schutz der Menschen berufen, die darum bitten, wenn sie von anderen angegriffen werden. Woher nimmst du jetzt die Macht über die Wanderer der Lüfte, wie mich durstgequälten Vogel? Deine Macht möge sich über deine Feinde, deine Diener, Verwandten und die Streitigkeiten zwischen deinen Untertanen erstrecken. Wahrlich, sie mag sich über dein ganzes Königreich ausbreiten wie auch über deine eigenen Sinne. Aber deine Macht erstreckt sich nicht über das Himmelsgewölbe. Zeige deine Heldenkraft über deine Feinde, die dich bedrängen, und übe die Herrschaft über sie aus. Über die Vögel im Himmel hast du jedoch keine Herrschaft. Wahrlich, wenn du bestrebt bist, Verdienst zu gewinnen (indem du diese Taube beschützt), dann ist es auch deine Pflicht, mich zu unterstützen (und das zu tun, was meinen Hunger stillen und mein Leben retten kann)!

Bhishma fuhr fort:
Diese Worte des Falken hörend, war der königliche Weise höchst verwundert. Und ohne sie zu mißachten, antwortete ihm der König, der das Wohl aller Wesen suchte:
Ich lasse noch heute einen Stier, Eber, Hirsch oder Büffel für dich schlachten, damit du deinen Hunger durch solche Nahrung stillen kannst. Doch niemals werde ich jemanden aufgeben, der hingebungsvoll meinen Schutz gesucht hat. Schau doch, oh Falke, diese Taube verläßt meinen Schoß nicht!

Doch der Falke sprach:
Ich esse nicht, oh Monarch, das Fleisch eines Ebers, Ochsen oder ähnlicher Tiere. Welches Verlangen sollte ich nach solcher Nahrung haben? Ich such jene Nahrung, die meiner Art auf ewig bestimmt worden ist. Die Falken ernähren sich nun einmal von Tauben. Das ist das ewige Gesetz. Wenn du jedoch solche Zuneigung zu dieser Taube fühlst, oh sündloser Sohn des Usinara, dann gib mir soviel Fleisch von deinem eigenen Körper, daß es diese Taube aufwiegen kann!

Und der König sprach:
Groß ist die Gunst, die du mir heute erweist, indem du solche Worte zu mir sprichst. Ja, ich werde tun, was du erbittest.

So sprach dieser Beste der Monarchen und begann, sein eigenes Fleisch abzuschälen, damit es das Gewicht der Taube aufwiegen möge. Inzwischen hörten in den inneren Gemächern des Palastes die Gattinnen des Königs, die mit Juwelen und Edelsteinen geschmückt waren, was geschehen war, riefen „Oh!“ und „Weh!“, und verließen voller Kummer ihre Gemächer. Und dieser Lärm des Wehgejammers der Damen wie auch der Minister und Diener im Palast vermischte sich bald mit dem Grollen von Gewitterwolken. Der Himmel, der bisher ganz klar gewesen war, bedeckte sich rundherum mit dichten Wolken. Sogar die Erde begann zu beben aufgrund dieser mächtigen Tat des Monarchen voller Wahrhaftigkeit. Und der König fuhr fort, das Fleisch von seinen Seiten, Armen und Schenkeln abzuschneiden und füllte damit schnell die Schale der Waage, um die Taube aufzuwiegen. Doch soviel er auch hineinlegte, die Taube war immer schwerer. Als der König schließlich nur noch ein Skelett aus Knochen war, ohne jegliches Fleisch, und ganz mit Blut bedeckt, wünschte er sogar, seinen ganzen Körper hinzugeben und stieg selbst auf die Waagschale, in welche er bereits sein ganzes Fleisch gegeben hatte. In diesem Moment erschienen die drei Welten mit Indra an ihrer Spitze an diesem Ort, um seine mächtige Tat zu bezeugen. Die himmlischen Kesselpauken und verschiedenen Trommeln wurden von unsichtbaren Wesen geschlagen und erklangen im Raum. Dann regnete es den Nektar der Unsterblichkeit auf König Vrishadarbha, sowie himmlische Girlanden, Blüten, Düfte und Gefühle in Hülle und Fülle. Die Götter erschienen, und die Gandharvas und Apsaras begannen, in großer Schar zu singen und um ihn zu tanzen, wie für den Großen Vater Brahma selbst. Dann bestieg der König einen himmlischen Wagen, der an strahlender Herrlichkeit einem goldenen Palast glich, geschmückt mit schönen Bögen und Säulen wie aus Lapislazuli sowie unzähligen Juwelen und Edelsteinen. Und es erhob sich der königliche Weise Sivi durch das Verdienst dieser Tat zum ewigen Himmel.

Deshalb handle auch du, oh Yudhishthira, mit ganzer Wahrhaftigkeit zum Wohle aller, die deinen Schutz suchen! Wer jene beschützt, die ihm hingegeben sind, durch Liebe und Zuneigung verbunden oder von ihm abhängen, und wer Mitgefühl mit allen Wesen hat, der wird große Glückseligkeit erreichen. Der gerechte König, der die Tugend und Wahrheit achtet, kann durch seine aufrichtigen Taten alles Wünschenswerte erhalten. So wurde auch dieser Herrscher des Königreichs von Kasi, der königliche Weise Sivi mit der reinen Seele, der großen Weisheit und unverwirrbaren Heldenkraft, in allen drei Welten für seine wahrhaften Taten berühmt. Jeder, der mit Wahrhaftigkeit jene beschützt, die um Schutz bitten, wird sicherlich ein ebenso glückliches Ende erreichen (wie Sivi), oh Bester der Bharatas. Und wer diese Geschichte des königlichen Weisen Vrishadarbha voller Hingabe rezitiert oder hört, für den wirkt sie zweifellos reinigend von jeder Sünde.


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