Pushpak Mahabharata Buch 13Zurück WeiterNews

Kapitel 12 - Die Frage nach der größeren Erfüllung

Yudhishthira sprach:
Oh König, mögest du mir aufrichtig sagen, wer aus der Vereinigung mehr Erfüllung ableiten kann, der Mann oder die Frau. Bitte löse mir meine Zweifel diesbezüglich.

Und Bhishma sprach:
Zu diesem Thema wird folgende alte Geschichte über ein Gespräch zwischen Bhangaswana und Indra als ein typisches Beispiel erzählt. Vor langer Zeit lebte ein König namens Bhangaswana. Er war äußerst rechtschaffen und als ein königlicher Weiser bekannt. Aber dieser mächtige Monarch hatte keine Kinder, oh Herrscher der Menschen, und führte deshalb das Agnishtuta Opfer durch. Doch weil in diesem Opfer der Gott des Feuers allein verehrt wird, wird es gewöhnlich von Indra nicht geliebt, obwohl es das beste Opfer für Menschen ist, die sich Nachkommen wünschen und sich deshalb von ihren Sünden reinigen wollen. Und als der höchst selige Führer der Himmlischen erfuhr, daß der Monarch das Agnishtuta Opfer durchführen wollte, begann er sogleich nach den Fehlern dieses königlichen Weisen mit der wohlgezügelten Seele zu suchen (um das Opfer zu behindern). Doch trotz seiner ganzen Wachsamkeit, oh König, konnte Indra keinerlei Fehler bei diesem hochbeseelten Monarchen entdecken (so daß es erfolgreich war, und der König mit hundert Söhnen gesegnet wurde). Einige Zeit später begab sich der König auf einen Jagdausflug. Da sprach Indra zu sich „Das ist wahrlich eine Gelegenheit!“, und verwirrte den Monarchen. Und so verirrte sich der König allein auf seinem Pferd, nachdem der Führer der Himmlischen dessen Sinne betäubt hatte. Von Hunger und Durst wurde er gequält, und bald war die Verwirrung des Königs so groß, daß er die Himmelsrichtungen nicht mehr unterscheiden konnte. Wahrlich, vom Durst gequält begann er umherzuirren. Da erblickte er einen äußerst schönen See, der mit klarem Wasser gefüllt war. Schnell stieg er von seinem Roß und ließ sein Tier trinken. Nachdem dessen Durst gestillt war, band der König sein Pferd an einen Baum und tauchte selbst in den See, um seine Waschungen durchzuführen. Doch zu seiner Überraschung fand er, daß er durch dieses Wasser in eine Frau umgewandelt worden war. Als der König sich solcherart verwandelt sah, wurde er von großer Scham überwältigt. Und mit völlig verwirrten Sinnen und Gedanken begann er, mit ganzem Herzen nachzudenken:
Ach, wie soll ich nun mein Roß reiten und in meine Hauptstadt zurückkehren? Aufgrund des Agnishtuta Opfers habe ich hundert leibliche Söhne bekommen, die alle mit großer Kraft gesegnet wurden. Ach, was soll ich ihnen sagen, nachdem ich so verwandelt wurde? Wie soll ich mich meinen Gattinnen, Verwandten und Wohlgesinnten sowie meinen Untertanen in Stadt und Land erklären? Die Rishis, die mit den Aufgaben, Tugenden und anderen Dingen wahrhaft bekannt sind, sagen, daß Milde, Sanftmut und Empfindlichkeit die Eigenschaften von Frauen sind und Aktivität, Härte und Energie die Eigenschaften von Männern. Ach, mein Kampfgeist ist verschwunden. Warum ist nur diese Weiblichkeit über mich gekommen? Wie soll ich nur als Frau mein Pferd besteigen?

Mit diesen traurigen Gedanken nahm der Monarch seine ganze Kraft zusammen, bestieg sein Roß und kam zu seiner Hauptstadt zurück, obwohl er in eine Frau verwandelt war. Seine Söhne, Gattinnen und Diener, sowie seine Untertanen in Stadt und Land waren angesichts dieser außergewöhnlichen Verwandlung äußerst erstaunt. Da sprach dieser königliche Weise, der Erste aller Redegewandten, zu ihnen:
Ich ging auf einen Jagdausflug und war von einer größeren Armee begleitet. Da verlor ich plötzlich jegliche Orientierung und verirrte mich, vom Schicksal getrieben, in einem dichten und schrecklichen Wald. Dort wurde ich so von Durst gequält, daß ich bald meine Sinne verlor. Dann erblickte ich einen wunderschönen See voller Wasservögel verschiedenster Arten. Doch als ich in seine Fluten eintauchte, um meine Waschungen durchzuführen, wurde ich in eine Frau verwandelt.

Nach diesen Worten versammelte dieser Beste der Monarchen, der nun eine Frau war, seine Gattinnen und Berater sowie alle seine Söhne und sprach zu ihnen:
Erfreut euch an diesem Königreich voller Wohlstand. Ich selbst, oh ihr Söhne, werde mich in die Wälder zurückziehen.

So sprach der Monarch zu seinen Söhnen (übergab ihnen die Herrschaft) und ging in den Wald. Dort angekommen, wohnte er in einer Einsiedelei zusammen mit einem Asketen, mit dem der verwandelte Monarch als Frau weitere hundert Söhne zur Welt brachte. Dann begab er sich mit all diesen Kindern zu jenem Ort, wo seine ehemaligen Söhne lebten, und sprach zu ihnen:
Ihr seid meine leiblichen Kinder, während ich ein Mann war. Dies sind meine leiblichen Kinder, die ich als Frau zur Welt gebracht habe. Oh ihr Söhne, erfreut euch alle gemeinsam an meinem Königreich wie Brüder von den gleichen Eltern!

Auf dieses Gebot hin, begannen alle Brüder, zusammen das Königreich als ihr gemeinsames Erbe zu regieren und zu genießen. Doch als Indra, der Führer der Himmlischen, sah, wie diese Söhne des Königs gemeinsam das Königreich friedlich regierten, wurde er von Zorn erfüllt und begann zu überlegen:
Es scheint mir, daß ich diesem königlichen Weisen mit der Verwandlung in eine Frau Gutes getan habe, anstatt ihn zu bestrafen.

Mit diesem Gedanken nahm Indra mit den hundert Opfern, der Führer der Himmlischen, die Gestalt eines Brahmanen an, der zur Hauptstadt des Königs ging, um Uneinigkeit unter den Söhnen zu säen. Und er sprach zu ihnen:
Brüder bleiben nie lange im Frieden, auch wenn sie zufällig die Söhne des selben Vaters sind. Sogar die Söhne des weisen Kasyapa, nämlich die Götter und Dämonen, stritten sich miteinander um die Herrschaft über die drei Welten. So seid auch ihr die Prinzen des königlichen Weisen Bhangaswana und die anderen sind die Kinder eines Asketen. Obwohl die Götter und Dämonen vom gleichen Vater waren, stritten sie doch miteinander. Um wieviel mehr solltet ihr gegeneinander kämpfen?! Denn dieses Königreich, das euer väterliches Erbe ist, wird einfach so von diesen Kindern eines Asketen genossen.

Mit diesen Worten konnte Indra einen Bruch unter ihnen verursachen, so daß sie bald gegeneinander in den Kampf zogen und sich gegenseitig töteten. Als König Bhangaswana davon hörte, der als eine asketische Frau im Wald lebte, brannte er im Kummer und ergoß sein Wehklagen. Der Herr der Himmlischen nahm daraufhin wieder die Gestalt eines Brahmanen an und erschien an jenem Ort, wo die asketische Dame weinte, und sprach:
Oh Schöngesichtige, welcher Kummer verbrennt dich, daß du solche Wehklagen ergießen mußt?

Da antwortete die Dame mit einer mitleiderregenden Stimme dem Brahmanen:
Meine zweihundert Söhne, oh Zweifachgeborener, sind vor ihrer Zeit getötet worden. Ich war früher ein König, oh gelehrter Brahmane, und in diesem Zustand bekam ich hundert Söhne. Diese habe ich noch in meiner eigenen Gestalt gezeugt, oh Bester der Zweifachgeborenen. Dann geschah es eines Tages, daß ich mich auf einem Jagdausflug im dichten Wald verirrte. Schließlich erblickte ich einen See und tauchte dort unter. Doch als ich wieder auftauchte, oh Erster der Brahmanen, sah ich mich in eine Frau verwandelt. So zog ich in meine Hauptstadt zurück und setzte meine Söhne als Herrscher über das Reich ein, um danach in die Wälder zu gehen. In eine Frau verwandelt gebar ich hier mit meinem Ehemann, einem hochbeseelten Asketen, weitere hundert Söhne. Sie alle wurden in der Einsiedelei des Asketen geboren, und ich brachte sie dann in die Hauptstadt. Doch meine Kinder stritten und bekämpften sich im Laufe der Zeit, oh Zweifachgeborener. So wurde ich vom Schicksal schwer gequält und verliere mich jetzt im Kummer.

Daraufhin sprach Indra die folgenden harten Worten zu ihr:
In früheren Tagen, oh Dame, verursachtest du mir großen Schmerz, weil du ein Opfer durchführtest, das von Indra nicht geliebt wird. Wahrlich, obwohl ich anwesend war, verehrtest du mich nicht entsprechend. Ich bin dieser Indra, oh Unwissender. Ich bin es, mit dem du die Feindschaft gesucht hast.

Als der königliche Weise Indra erkannte, fiel er zu dessen Füßen nieder, berührte sie mit seinem Kopf und sprach:
Sei mir gnädig, oh Erster der Götter! Dieses Opfer, von dem du sprichst, wurde mit dem Wunsch nach Nachkommenschaft ausgeführt (und nicht, um dich zu beleidigen). Mögest du mir deshalb vergeben!

Als Indra den verwandelten Monarchen in solcher Demut vor sich sah, da war er mit ihm zufrieden und wünschte, ihm einen Segen zu gewähren. Er fragte:
Welche von deinen Söhnen, oh König, soll ich dir wieder ins Leben zurückholen, jene, die du als Frau geboren, oder jene, die du als Mann gezeugt hast?

Daraufhin faltete die asketische Dame ihre Hände und sprach:
Oh Vasava, wenn ich mich entscheiden muß, dann laß jene Söhne wieder lebendig werden, die mir als Frau geboren wurden.

Da wunderte sich Indra sehr über diese Antwort und fragte noch einmal die Dame:
Warum hegst du weniger Zuneigung zu deinen Kindern, die du in Gestalt eines Mannes gezeugt hast? Warum liebst du jene Kinder mehr, die dir in deinem verwandelten Zustand als Frau geboren wurden? Wahrlich, ich möchte den Grund dieses Unterschieds bezüglich deiner Zuneigung hören. Mögest du mir alles darüber erzählen!

Und die Dame sprach:
Die Zuneigung, die von einer Frau gehegt wird, ist viel größer als die eines Mannes. Folglich, oh Indra, wünsche ich mir, das zuerst jene Kinder ins Leben zurückkehren, die mir als Frau geboren wurden.

So angesprochen, war Indra höchst zufrieden und sprach zu ihr:
Oh Dame, weil du so ehrlich bist, sollen alle deine Kinder ins Leben zurückkehren. Nun wähle dir auch noch einen anderen Segen, oh Bester der Könige. Empfange von mir, oh Gelübdetreuer, den Zustand als Frau oder als Mann, wie du es gern wünschst.

Und die Dame antwortete:
Ich wünsche, oh Indra, eine Frau zu bleiben. Wahrlich, ich wünsche nicht in den Zustand eines Mannes zurückzukehren, oh Vasava.

Auf diese Antwort fragte Indra wiederum erstaunt:
Warum, oh Mächtiger, willst du den Zustand der Männlichkeit meiden und eine Frau bleiben?

Auf diese Frage antwortete der Erste der Monarchen, der in eine Frau verwandelt worden war:
Bei der Vereinigung zwischen Mann und Frau erfährt die Frau stets eine größere Erfüllung als der Mann. Aus diesem Grund, oh Indra, wünsche ich als Frau weiterzuleben. Wahrlich, oh Erster der Götter, ich spreche aufrichtig zu dir. In meinem gegenwärtigen Dasein als Frau bin ich sehr glücklich. So bin ich mit diesem Zustand zufrieden und verlange keinen weiteren Segen von dir, oh Herr des Himmels.

Diese Worte von ihr hörend, antwortete der Herr der Himmlischen „So sei es!“, nahm seinen Abschied und stieg zum Himmel auf. So zeigt diese Geschichte, oh Monarch, daß eine Frau viel größere Erfüllung und Freude aus der Vereinigung ableiten kann als der Mann.


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