Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 332 - Fortsetzung der Belehrung

Narada sprach:
Der ständige Umschwung zwischen Glück und Leid kann weder durch Klugheit noch durch List oder Gewalt verhindert werden. Deshalb sollte man nicht von seinem wahren Wesen absinken, sondern so handeln, daß man sich im Selbst bewahren kann. Wer sich im Selbst bewahrt, muß niemals fallen. Im Selbst sollte man seine Liebe gründen, welche von Alter, Tod und Krankheit befreit. Die geistigen und körperlichen Krankheiten quälen den Körper wie scharfe Pfeile, die von einem starken Bogenschützen abgeschossen werden. Ein persönlicher Körper wird beständig vom Durst gefoltert und von Leidenschaften gequält. Stets bestrebt, sein Leben zu verlängern, ist er dennoch dem sicheren Untergang gewidmet. Die Tage und Nächte fließen unaufhörlich dahin und reißen unwiederbringlich in ihrem Strom die Lebenszeit aller Menschen mit sich. Der unaufhörliche Strom der hellen und dunklen Monatshälften verzehrt alle sterblichen Wesen, ohne nur einen Moment in seinem Wirken anzuhalten. Tag für Tag geht die ewige Sonne auf und unter und kocht beständig die Freuden und Sorgen aller Menschen. Während sie voller Sorge nach den guten und schlechten Sinneserfahrungen im unergründbaren Lauf des Schicksals greifen, fließen die Nächte unaufhörlich dahin und verzehren die Erinnerungen. Wahrlich, wenn die Früchte der menschlichen Taten nicht vom Schicksal abhängig wären, dann könnten sie sich jeden Wunsch augenblicklich erfüllen. Doch selbst die Intelligenten und Tugendhaften, die ihre Sinne zügeln, erreichen nicht jedes ihrer Ziele. Dagegen sieht man unwissende, kraftlose und gemeine Menschen, denen irgendwie alles gelingt und von ganz allein in den Schoß fällt. Man sieht sogar Menschen, die stets bereit sind, andere zu verletzen und alle Welt zu betrügen, und doch werden sie in ihrem Glück alt. Mancher, der nur untätig dasitzt, erhält großen Wohlstand, während andere, die sich ernsthaft bemühen, die wünschenswerten Früchte nicht ergreifen können, selbst wenn sie in Reichweite erscheinen. Erkenne dies alles als eine Wirkung der menschlichen Unvollkommenheit! So kann auch der Lebenssamen, der sich beim Anblick einer begehrenswerten Frau im Manne regt, in eine ganz andere fließen. Im Mutterschoß angelangt, kann wiederum ein Embryo entstehen oder auch nicht, wie auch nicht alle Blüten des Mangobaumes Früchte bilden. So können auch nicht alle Menschen, die sich Nachkommenschaft wünschen, ihr Ziel verwirklichen, und obwohl sie sich beständig bemühen, bildet sich dennoch keine Frucht im Mutterleib. Andere wiederum, welche die Schwangerschaft fürchten wie eine Giftschlange, bekommen gesunde Söhne, als wäre der Vater neugeboren worden. So sieht man auch enttäuschte Männer, die mit feurigem Verlangen nach Söhnen vielen Göttern opfern und strenge Entsagung üben, doch schließlich Kinder zeugen, die nach den regulären zehn langen Monaten geboren werden, aber sich mit der Zeit als Schande ihrer Familie erweisen. Andere dagegen, die durch die Tugend solcher segensreichen Riten und Gelübde empfangen wurden, bewahren sowohl Ruhm als auch Wohlstand, welchen sie von ihren Vätern geerbt haben.

Wenn sich Mann und Frau geschlechtlich vereinigen, kann sich ein Embryo in der Gebärmutter bilden, beinahe wie eine Krankheit, welche die Mutter trifft. Denn schon bald, nachdem der Lebensatem einen Körper verläßt, ergreift die verkörperte Seele einen anderen grobstofflichen Körper aus Fleisch und Blut, solange das Karma der angesammelten Taten noch nicht erloschen ist. So steht nach der Auflösung des Körpers bereits ein neuer Körper bereit, der ebenso vergänglich ist wie der vorhergehende, so wie ein Reisender von einem Boot in ein anderes umsteigt. Während der Begattung strömt der Samen, der selbst leblos ist, in die Gebärmutter. Verstehst du, durch welche Kraft der Embryo zum Leben erwacht? Dort, wohin die Nahrung im Körper zur Verdauung geht, dort wohnt auch der Embryo, aber wird nicht verdaut. In der Gebärmutter, zwischen Urin und Kot, hat die Natur den Weg bestimmt. Schon in der Frage, ob das heranwachsende Wesen dort wohnen möchte oder nicht, ist es nicht frei. Völlig hilflos ist es bezüglich dieser bedrückenden Umstände. Einige Embryos werden vorzeitig aus der Gebärmutter abgestoßen, andere kommen lebendig zur Welt, von denen wiederum manche schnell sterben, während andere alt werden. So werden durch die Begattung entsprechend Söhne und Töchter geboren, wenn der Mann seinen Samen in den Mutterleib ergießt. Und wenn sie reif genug sind, werden auch sie auf die gleiche Weise wieder Nachkommenschaft zeugen. Doch wenn die zugeteilte Lebenszeit einer Person abgelaufen ist, dann löst sich ihr Körper wieder in die fünf ursprünglichen Elemente auf, ohne daß dabei die Person (bzw. ihr Karma) verschwindet. Zweifellos gibt es kein Mittel, die Menschen vor dem Tode zu beschützen. Sie werden durch Krankheiten gejagt wie kleine Tiere von den Jägern und können nicht entkommen. Wenn sie durch Krankheiten gequält werden, können sie noch so viel Geld ausgeben, die Ärzte werden auch mit aller Kraft das Leiden nicht besiegen können. Denn sogar die wohlerfahrenen Ärzte, die in ihren Schriften gelehrt und bestens mit Arzneimitteln ausgerüstet sind, werden durch Krankheiten gequält, wie das Wild von den Jägern. Die Menschen können noch so viele Elixiere und heilkräftige Buttertees trinken, man wird sie vom Alter gebrochen sehen, wie Bäume durch starke Elefanten. Und wer behandelt die Tiere, Vögel und armen Menschen mit Medizin, wenn sie von Beschwerden gequält werden? Werden sie nicht auch krank? Wie größere Tiere die kleineren angreifen, so werden sogar die machtvollen Könige mit unbesiegbarer Heldenkraft von Krankheiten überwältigt.

So werden alle Menschen ohne festen Halt und durch Unvollkommenheit und Illusion überwältigt und von diesem übermächtigen Strom des Lebens fortgerissen, in den sie durch ihre Geburt geworfen wurden. Weder durch Reichtum, Herrschermacht oder strengste Askese können die verkörperten Wesen ihrer Natur entkommen, an die sie gebunden sind. Wenn sie allmächtig wären, dann würden die Menschen nicht altern und sterben, nichts Unangenehmes erfahren und sich alle Wünsche erfüllen. Alle Menschen wachsen und streben auf diesem Weg. Um diesen ewigen Wunsch zu befriedigen, kämpfen sie alle mit ihrer ganzen Kraft. Doch das langfristige Ergebnis stimmt selten mit ihrem Wunsch überein. Sogar achtsame Menschen, die ehrlich, tapfer und kraftvoll sind, sieht man oft, wie sie jene verehren, die vom Stolz berauscht sind wie vom Alkohol. Bei anderen wiederum, sieht man die Hindernisse auf ihren Wegen verschwinden, bevor sie diese überhaupt wahrnehmen. Andere sieht man in ihrer Armut ohne jeden Reichtum, aber frei von allen Sorgen. So zeigt sich überall eine große Vielfalt bezüglich der Früchte, die aus den vergangenen Taten gedeihen. Manche tragen die Sänften auf ihren Schultern, und andere sitzen darin. Alle Menschen suchen nach Fülle und Wohlstand. Doch nur wenige bringen es zu Wagen und Dienerschaft. Manche finden nicht einmal eine Ehefrau, während andere hunderte ihr eigen nennen. Glück und Leiden sind zwei Erscheinungen, die stets zusammen bestehen. So taumeln die Menschen zwischen Glück und Leiden. Schau nur dieses Wunder!

Deshalb laß dich bei diesem Anblick nicht von der Illusion betäuben. Überwinde sowohl Verdienst als auch Sünde! Überwinde richtig und falsch! Und wenn du richtig und falsch überwunden hast, dann überwinde auch den, der diese überwunden hat! Oh Bester der Rishis, damit habe ich dir ein großes Mysterium verkündet. Mithilfe solcher Lehren habe die Götter einst die Erde verlassen und sich zum Himmel erhoben.

Bhishma fuhr fort:
Nachdem der höchst intelligente Suka mit der inneren Stille diese Worte von Narada gehört hatte, bedachte er die Bedeutung dieser Lehre, aber konnte immer noch keine Gewißheit finden. Er verstand, daß man aufgrund der Anhaftung an Kinder und Ehegatten den Weg des Leidens geht und daß sogar das Rezitieren der heiligen Schriften mit Mühe verbunden ist. Deshalb fragte er sich selbst: „Was ist das für ein Dasein, das zeitlos und von allem Leiden frei ist, wo allein große Seligkeit ist?“ So erkannte er bald seinen Weg, und als Kenner seiner Lebensaufgabe entschloß sich Suka, dieses Höchste zu erreichen, die vollkommene Seligkeit. Und er überlegte:
Wie kann ich jede Anhaftung lösen und vollkommen befreit dieses Höchste finden, von wo es keine Rückkehr in den Ozean der vielfältigen Geburten gibt? Ich wünsche wahrlich, das höchste Dasein zu verwirklichen, das wandellose und unvergängliche, nachdem sich alle Anhaftungen gelöst haben und Gewißheit den Geist erfüllt hat. Möge ich dort sein, wo die Seele in der Stille ist, im zeitlosen, unwandelbaren und unvergänglichen Dasein. Zweifellos kann man dieses Höchste nicht ohne vollkommene Hingabe erreichen. Wo vollkommene Erkenntnis und Erleuchtung ist, kann keine karmische Anhaftung an das Handeln sein. Ich werde mich deshalb dem Yoga hingeben und diesen Körper überwinden, in dem ich noch wohne. Möge ich zum subtilen Wind werden und in den vollkommenen Glanz der Sonne eingehen (in das Brahman auf dem Götterweg). Wer in diesen vollkommenen Glanz eingeht, muß nicht mehr (unter Werden und Vergehen) leiden wie der Mond, auf dessen Weg sogar die Götterwesen zwischen Himmel und Erde entsprechend ihres Verdienstes fallen oder aufsteigen müssen (der Väterweg der Geburten). Denn immerfort wächst und schwindet der Mond. Weil ich dieses Werden und Vergehen durchschaut habe, suche ich das Dasein jenseits aller Umgestaltung. Die Sonne wärmt dagegen alle Welten mittels ihrer kraftvollen Strahlen. Sie zieht unvermindert ihre Energie aus allem, und ihre Scheibe ist beständig. Deshalb möge ich in den vollkommenen Glanz der Sonne eingehen. Dort werde ich als Unsterblicher im Selbst frei von aller Angst leben. In der Sonne wird dieser Körper von mir abfallen, und ich werde mit den großen Rishis in die unermeßliche Energie der Sonne eingehen. Vor allen Wesen, den Bäumen, Elefanten, Bergen, der Erde selbst, den Himmelsrichtungen, dem Firmament, den Göttern, Danavas, Gandharvas, Pisachas, Nagas und Rakshasas werde ich in die wahre Wesenheit aller Geschöpfe eingehen. Mögen heute alle Götter mit den Rishis meine Yogakraft schauen!

Mit dieser Entschlossenheit verabschiedete sich Suka vom weltberühmten Narada und ging mit dessen Erlaubnis zu seinem Vater. Dort verehrte er den großen Muni, den hochbeseelten und inselgeborenen Vyasa, umrundete ihn rechtsherum und nahm auch von ihm Abschied. Und als der hochbeseelte Rishi die Worte des Suka vernommen hatte, antwortete er freundlich: „Oh Sohn, oh geliebter Sohn, bleibe heute noch hier, damit sich meine Augen noch eine Weile an deinem Anblick erfreuen können.“ Doch Suka wurde von dieser Bitte nicht mehr ergriffen. Frei von aller Zuneigung und auch allen Zweifeln dachte er nur an die Befreiung und war entschlossen, diesen Weg zu gehen. So verließ er seinen Vater, den Ersten der Rishis, und begab sich zum mächtigen Bergrücken des Kailash, der von vollendeten Asketen bewohnt wurde.


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