Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 319 - Yajnavalkya über die Selbsterkenntnis

Yajnavalkya sprach:
Du fragtest mich, oh Monarch, nach diesem Höchsten Brahman, das im Unentfalteten wohnt. Deine Frage berührt ein sehr tiefes Mysterium. So höre mich voller Achtsamkeit, oh König! Indem ich voller Hingabe den vedischen Geboten folgte, offenbarte mir Surya (der Sonnengott) den Yajur Veda, oh König. Mit strengster Buße verehrte ich damals den heißstrahlenden Gott. Als der mächtige Surya, oh Sündloser, mit mir zufrieden war, sprach er: „Erbitte einen Segen, oh Rishi, den du in deinem Herzen wünschst, auch wenn er schwer erreichbar ist. Ich werde ihn dir mit Freude gewähren, denn es ist nicht einfach, meine Gnade zu gewinnen.“ Da verneigte ich mich tief vor dem Ersten der wärmenden Leuchtkörper und sprach zu ihm: „Ich habe kein tiefgründiges Wissen des Yajur Veda. Bitte gib mir diese Weisheit der Opfersprüche in kürzester Zeit.“ Auf meine Bitte antwortete der Heilige: „Ich werde dir den Yajur Veda geben. Aus der Essenz der Rede gebildet, wird die Göttin Sarasvati in deinen Körper eintreten.“ Dann befahl mir der Gott, meinen Mund zu öffnen, und ich folgte ihm. So trat die Göttin (des Lernens) Sarasvati in meinen Körper, oh Sündloser, und ich begann in ihrer Energie zu brennen. Unfähig, diesen Schmerz zu ertragen, sprang ich in einen kühlenden Fluß. Ich verstand nicht, was der hochbeseelte Surya mir damit Gutes getan hatte, und wurde sogar zornig mit ihm. Doch während ich noch in der Energie der Göttin brannte, sprach der heilige Surya zu mir: „Ertrage dieses brennende Gefühl nur für eine Weile. Es wird bald vergehen und sich abkühlen.“ Und wahrlich, bald war es abgekühlt, und als mich der Schöpfer des Tages wieder zufrieden sah, sprach er:
Der ganze Veda mit allen Zweigen und den Upanishaden wird in deinem inneren Licht erscheinen, oh Zweifachgeborener! Du wirst der Welt den ganzen Satapatha (eine Beschreibung der vedischen Rituale in Verbindung mit dem Yajur Veda) verkünden, oh Erster der Brahmanen, und danach wird sich dein Geist dem Pfad der Befreiung zuwenden. Du wirst jenes Höchste erreichen, das auf dem Wege von Sankhya und Yoga erreichbar ist!

So sprach der göttliche Surya zu mir und verschwand hinter den Asta Bergen. Nachdem ich diese Worte gehört hatte, und Surya dahingegangen war, ging auch ich voller Heiterkeit nach Hause und konzentrierte mich auf die Göttin Sarasvati. Sogleich erschien die Verheißungsvolle vor meinen Augen, die mit allen Vokalen und Konsonanten geschmückt ist und die Silbe OM als Diadem auf ihrer Stirn trägt. Da brachte ich der Göttin entsprechend der Traditionen das übliche Arghya (Gastgeschenk) dar und widmete ein weiteres dem Surya, diesem Ersten aller wärmespendenden Götter. Nachdem diese Aufgabe erfüllt war, nahm ich voller Hingabe an diese beiden Göttlichen meinen Platz ein. Daraufhin erschienen der ganze Satapatha Brahmana mit allen Mysterien, den Auszügen und Nachträgen von selbst vor meinem geistigen Auge, was mich mit großer Freude erfüllte. Dann lehrte ich den Satapatha hundert guten Schülern, was allerdings meinem hochbeseelten Onkel mütterlicherseits (Vaisampayana) unangenehm war, der ebenfalls viele Schüler versammelt hatte. Alsdann übernahm ich strahlend inmitten meiner Schüler, wie die Sonne selbst, die Leitung des großen Opfers deines hochbeseelten Vaters, oh König. In diesem Opfer erhob sich jedoch ein Disput zwischen mir und meinem Onkel über die Frage, wer das Dakshina für die Rezitation der Veden erhalten sollte. Vor den Augen von Devala nahm ich die Hälfte des Dakshina (und gab die andere Hälfte meinem Onkel). Dein Vater, Sumantra, Paila und Jaimini und andere Asketen waren diesbezüglich meiner Meinung. Oh Monarch, so erhielt ich vom Sonnengott die fünf mal zehn Opfersprüche des Yajur Veda. Dann studierte ich die Puranas mit Romaharshan. Die Mantras der Opfersprüche und die Göttin Sarasvati vor Augen, konnte ich dann mithilfe der Inspiration von Surya dieses ausgezeichnete Satapatha Brahmana verfassen und vollbrachte damit als Erster diese große Aufgabe. Damit wurde der Weg, den ich gehen wollte, vollendet, und ich gab das ganze Werk an meine Schüler weiter. Wahrlich, so empfingen meine Schüler von mir den vollständigen Veda mit allen Zweigen. Und meine Schüler, rein an Geist und Körper, waren aufgrund dieser Belehrung höchst erfreut. Nachdem ich dieses Wissen formuliert hatte, das ich von Surya empfing und aus fünfzig Zweigen besteht, meditiere ich nun beständig über das große Ziel dieses Wissens, das Brahman.

Oh König, als der Gandharva Viswavasu, der in den heiligen Schriften wohlgebildet war, den Nutzen dieses Wissens für die Brahmanen, die enthaltene Wahrheit und das große Ziel dieses Wissens untersuchte, wandte er sich an mich und stellte mir insgesamt vierundzwanzig Fragen bezüglich dieser Veda. Schließlich stellte er mir auch die fünfundzwanzigste Frage, bezüglich der Wissenschaft, die sich mit den Schlußfolgerungen des logischen Denkens beschäftigt. Seine Fragen waren wie folgt: Was ist das Weltall, und was ist es nicht? Was ist das Weibliche und das Männliche? Wer ist Mitra, und wer ist Varuna? Was ist Wissen, und was ist das Objekt des Wissens? Wer ist verblendet, und wer ist erleuchtet? Was ist das Ich? Ist es vergänglich oder unvergänglich? Wer verschlingt die Sonne? Wer ist die Sonne? Was ist Wissen, und was ist Nichtwissen? Was ist bewegt, und was ist unbewegt? Was ist anfangslos, unvergänglich und vergänglich? Dies waren die ausgezeichneten Fragen, die mir König Viswavasu, jener Erste der Gandharvas, gestellt hatte. Und nachdem ich so gefragt wurde, wollte ich aufrichtig antworten und sprach: „Warte eine Weile, bis ich über deine Fragen nachgedacht habe!“ Und der Gandharva antwortete „So sei es!“, und saß schweigend. So rief ich die Göttin Sarasvati wieder in meinen Geist, und die Antworten auf diese Fragen erschienen ganz von selbst, wie die Butter im Quark. Mit Sicht auf die Kunst der Schlußfolgerung butterte ich mit meinem Verstand, oh Monarch, die Upanishaden und ergänzenden Schriften bezüglich der Veden. Dann erklärte ich ihm die vierte Lehre, die von der Befreiung der verkörperten Seele handelt, wie ich sie dir, oh Erster der Könige, bereits verkündet habe. Danach sprach ich zu König Viswavasu:

Höre jetzt die Antworten, die ich dir auf deine verschiedenen Fragen gebe, welche du an mich gestellt hast. Zuerst fragtest du mich: „Was ist das Weltall und was ist es nicht?“ Das Weltall ist die gestaltende Natur mit den leidvollen Eigenschaften von Geburt und Tod. Es ist von den natürlichen Qualitäten (des Sattwa, Rajas und Tamas) geprägt, wovon alle erscheinenden Prinzipien erfüllt sind. Jenseits des Weltalls ist allein der Höchste Geist ohne jegliche Eigenschaften. Dann fragtest du „Was ist das Weibliche und was ist das Männliche?“. Damit ist das Gleiche gemeint, das Weibliche ist die gestaltende Natur, das Männliche ist der reine Geist. Ähnlich ist auch Varuna die Natur (das Wasser und die Naturgewalt) und Mitra der Höchste Geist (die Sonne, welche die Welt erleuchtet und belebt). So gilt auch das Wissen als Natur und das Objekt des Wissens als Geist. Der Verblendete (die verkörperte Seele) und der Erkennende oder Erleuchtete sind beide eigenschaftsloser Geist. Du fragtest mich auch nach dem „Ich“, und ob es vergänglich oder unvergänglich ist. Ich antworte dir: Das Ich ist der Höchste Geist. Vergänglich ist es in Verbindung mit der Natur, unvergänglich ist es jenseits der Natur. So gilt auch die Natur als Unwissenheit und das, was man Erkenntnis nennt, ist der Geist. Du hast mich auch nach dem Bewegten und Unbewegten gefragt. Höre dazu meine Antwort: Das Bewegliche ist die Natur, welche der Umwandlung unterliegt und damit auch der Entstehung und Zerstörung. Das Unbewegte ist der Höchste Geist, weil er, ohne sich selbst zu wandeln, sowohl Schöpfung als auch Zerstörung trägt. Das Wissen ist Natur, während das Nichtwissen (die eigenschaftslose Erkenntnis) der Höchste Geist ist. Beide, Natur und Geist, gelten als anfangslos, unendlich, ungeboren, ewig und unzerstörbar. So sehen es die Kenner des Höchsten Selbst. Hinsichtlich des Potentials für immer neue Schöpfungen bezeichnet man die Natur als unvergänglich und ewig. Der Höchste Geist ist unvergänglich und ewig, weil er keiner Umwandlung unterliegt. Vergänglich sind an der Natur nur die Erscheinungen, aber nicht die Natur selbst. Deshalb bezeichnen sie die Gelehrten als unzerstörbar. Die Natur wirkt aufgrund ihrer Wandelbarkeit als Ursache der Schöpfung. So erscheinen die Geschöpfe und verschwinden wieder, aber nicht die Natur selbst. Auch deshalb ist die Natur unvergänglich.

Damit habe ich dir die Schlußfolgerungen aus der vierten Lehre im Einklang mit der Vernunft erklärt, welche die Befreiung zum Ziel haben. Durch die Kunst der Schlußfolgerung und die Hingabe zum Lehrer erworben, sollten die Rig, Saman und Yajur Veden mit ganzer Hingabe studiert und die heiligen Gebote beachtet werden, oh Viswavasu. Oh Erster der Gandharvas, wer die Veden mit all ihren Zweigen studiert hat, aber die Höchste Seele nicht erkennt, von der alle Geschöpfe ihre Geburt nehmen und in die sie alle wieder eingehen, dieses Eine, um dessen Erkenntnis sich alle Veden drehen, wahrlich, wer nicht erkennt, worauf die Veden hindeuten, der hat sie erfolglos studiert und trägt ihre Last vergebens. Wer Eselsmilch quirlt, um gute Butter zu gewinnen, der wird kaum erfolgreich sein. So werden auch die Studierenden der Veden, die nicht nach dem tiefen Wesen von Natur und Geist suchen, erfolglos bleiben und in ihrer Unwissenheit nur leeres Wissen mit sich herumtragen. Man sollte voller Hingabe sowohl die Natur als auch den Geist durchschauen, so daß man das Rad von Geburt und Tod überwinden kann. Man sollte das Leiden in diesem Rad der Geburten tiefgründig erkennen, den Weg der karmischen Taten meiden und den Yoga Weg zur Unsterblichkeit gehen. Oh Sohn des Kasyapa, wer beständig über das Wesen der verkörperten Seele und ihre Verbindung mit der Höchsten Seele meditiert, kann sich von allen Eigenschaften erlösen und die Höchste Seele erkennen. Die verkörperte Seele sieht sich in ihrer Unwissenheit stets getrennt von der ewigen und ungeborenen Höchsten Seele. Wer jedoch mit Weisheit gesegnet ist, der erkennt, daß beide in Wahrheit ein und dasselbe sind. So gewinnen die Sankhyas und Yogis eine tiefe Einsicht in das Leiden im Rad von Geburt und Tod und erkennen das Einssein der verkörperten Seele mit der Höchsten Seele.

Viswavasu sprach:
Du sagtest, oh Erster der Brahmanen, daß die verkörperte Seele unvergänglich und in Wahrheit identisch mit der Höchsten Seele ist. Das ist wahrlich schwer zu verstehen. Mögest du deshalb noch einmal zu diesem Thema sprechen. Ich hörte diesbezüglich bereits die Lehren von Jaigishavya, Asita Devala, dem Weisen Parasara, dem intelligenten Varshaganya, Bhrigu, Panchasikha, Kapila, Suka, Gautama, Arshtishena, dem hochbeseelten Garga, Narada, Asuri, dem intelligenten Pulastya, Sanatkumara, dem hochbeseelten Sukra und von meinem Vater Kasyapa. Später hörte ich sogar die Lehren von Rudra, dem intelligenten Vishvarupa, von verschiedenen Göttern, Pitris und Daityas. Ich habe alles vernommen, was sie sagten, als sie allgemein über dieses ewige Ziel der Erkenntnis sprachen. Ich wünsche jedoch auch zu hören, was du zu diesem Thema mithilfe deiner Intelligenz sprichst. Du bist der Erste aller Zweifachgeborenen, ein gelehrter Verkünder der heiligen Schriften und mit großer Intelligenz gesegnet. Es gibt nichts, was dir verborgen ist. Oh Brahmane, du bist ein Ozean der heiligen Lehre, so erzählt man sich in der Welt der Götter und Ahnen. Die großen Rishis, die in der Region von Brahma wohnen, sagen, daß Surya selbst, der ewige Herr aller Leuchtkörper, dein Lehrer ist. Oh Yajnavalkya, du hast die ganze Lehre der Sankhyas und sogar der Yogis erhalten. Zweifellos bist du erleuchtet und hast das ganze Weltall vollkommen durchschaut. Ich wünsche, deine Lehre über diese Erkenntnis zu hören, welche in dir entstanden ist wie die Butter aus der Milch.

Und Yajnavalkya sprach:
Oh Erster der Gandharvas, du bist sicherlich fähig, jegliches Wissen zu erfassen. Und da du mich gefragt hast, so höre meine Belehrung, wie ich sie selbst von meinem Lehrer erhalten habe. Die Natur, die ohne Intelligenz ist, wird von der verkörperten Seele erkannt und niemals umgekehrt, oh Gandharva. Weil sich die verkörperte Seele in der Natur widerspiegelt, wird die Natur auch Erscheinung genannt von den Sankhyas und Yogis, welche die ursprünglichen Prinzipien durchschaut haben, wie sie in den heiligen Schriften erklärt werden. Oh Sündloser, die Höchste Seele ist reine Erkenntnis. Durch sie erkennt die verkörperte Seele die Natur. Die verkörperte Seele denkt jedoch, daß ihre eigene Erkenntnis die Höchste ist. Wahrlich, obwohl sie erkennt, erkennt sie doch (in ihrer Unwissenheit) nicht die Höchste Seele, die reine Erkenntnis. Ein Mensch mit Weisheit sollte sich nie mit den Erscheinungen der Natur identifizieren als eine verkörperte Seele mit eigenständiger (persönlicher) Existenz. Sie lebt in der Natur wie die Fische im Wasser, dahingetrieben von ihrem eigensinnigen Wesen. Und wie der Fisch, obwohl er im Wasser lebt, getrennt davon betrachtet wird, so wird auch die verkörperte Seele betrachtet. Überwältigt vom Ichbewußtsein und unfähig, die Einheit mit der Höchsten Seele zu erkennen, überwältigt durch die Unwissenheit ihres eigensinnigen Denkens und ihre Identifizierung mit der Natur, sinkt die verkörperte Seele immer weiter ab. Wäre sie vom Ichbewußtsein befreit, würde sie sich erheben. Wenn die verkörperte Seele erkennen könnte, daß alles Eins ist, und die Identifizierung mit den Naturgestaltungen auflöst, in der sie wohnt, dann, oh Zweifachgeborener, würde sie die Höchste Seele erkennen und die Einheit mit dem Universum erreichen. Das Höchste ist Eins, oh König, und die verkörperte Seele etwas „Anderes“. Weil die Höchste Seele hinter der verkörperten Seele steht, betrachten die Weisen beide als ein und dasselbe. Aus diesen Gründen greifen die Yogis und Sankhyas, die eine tiefe Einsicht in das Leiden von Geburt und Tod gewonnen haben und mit Selbsterkenntnis gesegnet wurden, die in Körper und Geist rein sind und der Höchsten Seele hingegeben, nicht nach der verkörperten Seele als etwas Beständiges. Wer die Höchste Seele erkennt und jegliches Ichbewußtsein als getrennte Person verliert, wer mit dem Höchsten Eins wird, alles durchschaut und damit Allwissenheit erreicht, der wird vom Zwang der Wiedergeburt befreit.

Oh Sündloser, damit habe ich zu dir über die unintelligente Natur, die intelligenzbegabte verkörperte Seele und die allerkennende Höchste Seele gesprochen, wie es in den heiligen Schriften erklärt wird und inwieweit man sich durch Worte der Wahrheit nähern kann. Wer keinen Unterschied mehr zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten (zwischen Subjekt und Objekt) sieht, ist sowohl Einheit als auch Vielfalt, ist die erste Ursache des Weltalls und sowohl verkörperte als auch Höchste Seele.

Viswavasu sprach:
Oh Mächtiger, du hast ordnungsgemäß und wahrhaft über das gesprochen, was der Ursprung aller Götter ist und zur Befreiung führt. Du hast gesprochen, was ausgezeichnet und heilsam ist. Möge dir unerschöpflicher Segen sein und möge dein Geist stets mit dieser Einsicht verbunden bleiben!

Yajnavalkya fuhr fort:
Nachdem der König der Gandharvas so gesprochen hatte, erhob er sich strahlend in seiner ganzen Herrlichkeit gen Himmel. Zuvor ehrte mich der Hochbeseelte der Tradition gemäß, indem er mich rechtsherum umschritt, und ich sah ihn höchst zufrieden. So verbreitete er meine Lehre unter den Himmlischen bis hinauf in die Regionen Brahmas, sowie unter allen anderen, die den Weg der Befreiung gehen, seien es die Bewohner der Erde oder der niederen Bereiche, oh König. Allen Sankhyas auf dem Weg der Erkenntnis, allen Yogis auf dem Weg des Yoga und auch allen anderen, die den Pfad der Befreiung gehen, ist damit diese heilsame Lehre zuteil geworden, oh Löwe unter den Königen. Denn Befreiung fließt aus wahrhafter Erkenntnis. Ohne Erkenntnis kann sie nie erreicht werden. So lehren es die Weisen, oh Monarch. Deshalb sollte man mit ganzer Kraft nach wahrhafter Erkenntnis hinter allen Erscheinungen suchen, wodurch man aus dem Rad von Geburt und Tod befreit werden kann. Ob man dieses hohe Wissen von einem Brahmanen, Kshatriya, Vaisya oder sogar einem niedriggeborenen Shudra erhält, man soll es stets mit Hingabe verehren. Denn Geburt und Tod können den nicht ergreifen, der voller Hingabe ist. Alle Arten der Menschen sind im Grunde Brahmanen, denn alle stammen von Brahma ab. Alle Menschen sprechen das Brahman aus. Mithilfe der Vernunft, die von Brahma kommt und von Brahma geleitet wird, habe ich diese Lehre verfaßt, welche von der Natur und dem Höchsten Geist handelt. Wahrlich, dieses ganze Weltall ist Brahma. Vom Mund des Brahma entsprangen die Brahmanen, von seinen Armen die Kshatriyas, aus seinem Bauchnabel die Vaisyas und von seinen Füßen die Shudras. Alle diese Kasten sollten deshalb als Einheit betrachtet werden. Durch ihre Unwissenheit allein nehmen die Menschen mal diese und mal jene Geburt an, oh König, die zur Ursache für ihre besonderen Aufgaben wird. Ohne Erkenntnis fallen alle Kasten der Menschen, getrieben durch die leidbringende Unwissenheit, in verschiedenste andere Lebensarten entsprechend den Prinzipien der Natur. Deshalb sollte jeder, so gut er kann, nach Erkenntnis suchen, und jeder ist dazu berechtigt. Wer Selbsterkenntnis hat, ist ein Brahmane. Alle Menschen können dies erreichen und folglich steht auch der Weg zur Befreiung für alle offen. Das, oh König, lehren die Weisen. So haben ich alle Fragen, die du mir gestellt hast, der Wahrheit gemäß beantwortet. Zerstreue nun all deinen Kummer und verfolge diese Fragen bis zum anderen Ufer, denn sie waren gut. So möge dir ewiges Heil sein!

Bhishma fuhr fort:
Nach der Belehrung durch den weisen Yajnavalkya wurde der König von Mithila von tiefer Heiterkeit erfüllt. Der König ehrte diesen Ersten der Asketen, umschritt ihn und verabschiedet vom Monarchen, verließ dieser den Hof. Nachdem König Daivarati diese Lehre für den Weg der Befreiung erhalten hatte, verteilte er eine Million Kühe und eine Menge von Gold, Edelsteinen und Juwelen an die zahlreichen Brahmanen. Dann setzte der alte König seinen Sohn als Herrscher der Videhas ein und begann, das Leben der Yatis zu führen. Nachdem er alle gewöhnlichen Pflichten und die Entsagung wohlbedacht hatte, studierte der König die Lehre der Sankhyas und übte den Yoga als Einheit. Sich selbst als unendlich betrachtend, begann er über das Ewige und Unabhängige zu meditieren. Er entsagte allen gewöhnlichen Lebensaufgaben und jeder Gewalt, überwand Tugend und Laster, Richtig und Falsch, Geburt und Tod und alle anderen Gegensätze, die den Prinzipien der Natur angehören. Denn sowohl die Sankhyas als auch Yogis erkennen, daß diese Gegensätze in der Welt allein aus dem Spiel des Entstehens und Vergehens erscheinen. Die Weisen sagen, daß das Bahman jenseits von Gut und Böse ist, selbstseiend, das Höchste vom Höchsten, ewig und vollkommen rein. Deshalb werde auch du, oh Monarch, volkommen rein! Der Geber, der Empfänger der Gabe, die Gabe und das Gewünschte sind alle im Bereich der Natur. Die Seele ist stets das eine Selbst. Wer könnte da ein „anderer“ sein? In diesem Geist solltest du leben. Wer nicht erkennt, was die Natur mit ihren Eigenschaften und der Geist ohne Eigenschaften ist, der sollte zu den heiligen Pilgerorten gehen und Opfer durchführen, um sich von seiner Unwissenheit zu reinigen. Weder durch das Studium der Veden, noch durch Buße oder Opfer kann man, oh Sohn der Kurus, das Brahman erlangen. Nur wer das Höchste oder Ungestaltete erkennt, wird dafür als würdig erachtet. Wer das Mahat verehrt, geht in den Bereich des Mahat. Wer das Bewußtsein verehrt, geht in den Bereich des Bewußtseins, und wer das Höchste verehrt, wird das Höchste erreichen. Wer in den heiligen Schriften erfahren ist und das ewige Brahman erkennen kann, das hinter der gestaltenden Natur steht, der wird das sehen, was Geburt und Tod überwindet, das Eigenschaftslose, das existiert und gleichzeitig nicht existiert.

All dieses Wissen empfing ich vom Nachkommen des Janaka, der es von Yajnavalkya erhalten hatte. Dieses Wissen ist etwas sehr Hohes. Kein Opfer kann sich damit vergleichen. Mithilfe dieses heilsamen Wissens kann man den Ozean der Welt durchqueren, der voller Probleme und Gefahren ist. Kein Opfer kann dies zustande bringen. Die Weisen sagen, Karma, Geburt und Tod kann man nicht durch gewöhnliche Anstrengung überwinden. Durch Opfer, Buße, Gelübde und Tugend gelangen die Menschen in den Himmel. Aber von dort müssen sie wieder zur Erde fallen. Deshalb verehre voller Hingabe das Höchste, das Vollkommene, Reine und Heilige, was jenseits aller Erscheinungen ist. Durch die Erkenntnis des Erkennenden, oh König, wird das Opfer der Selbsterkenntnis vollbracht. Dann wirst du die Wahrheit schauen. So gab damals Yajnavalkya dem König Janaka dieses Heilsame, das aus dem Studium der Upanishaden und anderen heiligen Schriften gewonnen werden kann. Das ewige und unwandelbare Höchste war das Thema, über das der große Rishi den König von Mithila belehrte. Damit eröffnete er ihm den Weg zum Brahman, dem Vollkommenen und Unsterblichen jenseits aller Arten des Leidens.


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