Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 307 - Vasishta über den Weg der Befreiung

Der Nachkomme von Janaka sprach:
Du sagtest, oh Erster der Rishis, daß die Einheit das Unvergängliche ist und die Vielfalt als das Vergängliche gilt. Ich habe jedoch das Wesen dieser beiden noch nicht klar verstanden. Manche Zweifel lauern noch in meinem Geist. Du sagst, unwissende Menschen betrachten die Seele in Verbindung mit der Vielfalt, während die Weisen mit Erkenntnis die Seele als das Eine und stets Gleiche sehen. Ich selbst jedoch, kann dies nicht erkennen und deshalb auch nicht verstehen, wie das sein kann. Und all deine Begründungen für die Einheit und Vielfalt des Unvergänglichen und Vergänglichen sind mir aufgrund meines unruhigen Denkens schon wieder entfallen. Ich möchte deshalb noch einmal deine Belehrung bezüglich der Einheit und Vielfalt hören, über das, was erkennt, und das, was nicht erkennt, über die verkörperte Seele, über Erkenntnis und Unwissenheit, über das Vergängliche und Unvergängliche, über Sankhya und Yoga. Bitte belehre mich ausführlich, tiefgründig und wahrhaftig!

Vasishta sprach:
Ich werde dir deine Fragen beantworten. Höre mich, oh Monarch, wie ich dir speziell die Methoden des Yogas erkläre. Die Meditation ist die wichtigste Übung der Yogis und ihre höchste Kraft. Die Kenner des Yoga sprechen von zwei Arten der Meditation. Die eine ist die Konzentration des Geistes, und die andere wird Pranayama (Regulierung des Atems) genannt. Das Pranayama gilt als verbunden mit den natürlichen Qualitäten, die Konzentration des Geistes nicht. Die Zeit der Meditation, so sagt man, sollte nur beim Essen und beim Entleeren von Urin und Kot unterbrochen werden. Durch das Zurückziehen der Sinne von ihren Objekten mithilfe des Denkens und der Vernunft sollte der Weise, der sich gereinigt hat, entsprechend den zweiundzwanzig Arten der Atemführung die verkörperte Seele mit dem Selbst vereinen, was jenseits der vierundzwanzig Prinzipien (der Natur und der Unwissenheit) ist. Die Weisen sehen dieses Selbst in allen Teilen des Körpers wohnen und betrachten es als unvergänglich und unwandelbar. Und man sagt, es geschieht durch die gennannten zweiundzwanzig Methoden, daß dieses Selbst erkannt werden kann. Doch man weiß, daß nur der den Yoga beständig ertragen kann, dessen Geist von sündhaften Leidenschaften frei ist. So sollte man sich von allen Anhaftungen und übermäßiger Ernährung lösen, die Sinne zügeln und seinen Geist am Abend und am Morgen auf das Selbst richten. Oh König von Mithila, nachdem man die Sinne durch das Denken und das Denken durch die Vernunft beruhigt hat, soll man unbeweglich in der Stille verweilen, wie ein Fels. Wenn der Weise, der auf den Wegen des Yogas erfahren ist, so unerschütterlich wie ein Holzpfahl und unbeweglich wie ein Berg wird, dann sagt man, daß er im Yoga verweilt. Wenn dann niemand in ihm mehr hört, riecht, schmeckt, sieht und fühlt, wenn der Geist von allem Verlangen frei ist, wenn man keine Ziele mehr verfolgt und keine Gedanken mehr hegt, wenn dieser Körper wie ein Stück Holz verweilt (aber der Geist höchst bewußt ist), dann sprechen die Weisen vom vollkommenen Yoga. In solch einer Zeit erstrahlt der Yogi wie eine Kerze, die an einem windstillen Ort brennt. Während dieser Zeit ist man von seiner Körperlichkeit befreit und mit dem Brahman vereint. Wer solche Vollkommenheit erreicht hat, muß nicht mehr steigen oder fallen. Wenn dann der Yogi das Selbst erkennt, so entspricht das dieser völligen Einheit zwischen dem Erkennendem, dem Erkannten und der Erkenntnis, von der wir so oft sprechen.

So offenbart sich im Yoga das Selbst von selbst im Herzen der Yogis, wie eine rauchlose Flamme oder eine hellstrahlende Sonne im klaren Licht der Erkenntnis. Dieses Höchste Selbst ist ungeboren und die Essenz des Nektars der Unsterblichkeit, wie es von den hochbeseelten Brahmanen gesehen wird, die in den Veden erfahren und voller Intelligenz und Weisheit sind. Es ist kleiner als das Kleinste und größer als das Größte. Dieses Selbst wird von den Wesen nicht begriffen, obwohl es in allen wohnt. Durch die reine Vernunft allein kann es mittels der Leuchte des Denkens als Schöpfer der Welten geschaut werden. Es ist jenseits der dichten Dunkelheit und noch höher als das, was man Ishvara (Höchster Herr) nennt. Die Kenner der Veden, die alles durchschaut haben, nennen Es den Erleuchter der Dunkelheit, das reine Licht jenseits der Unwissenheit, das ohne Eigenschaften und gleichzeitig alle Eigenschaften ist. Das ist es, was man den Yoga der Yogis nennt. Was sonst gibt es noch über den Yoga zu sagen? Auf diesem Weg können die Yogis das Höchste Selbst schauen, das Unvergängliche und Unwandelbare.

All das, was ich dir so ausführlich erzählt habe, entspricht der Lehre des Yogas. Nun werde ich dir berichten, wie in der Sankhya Lehre dieses Höchste Selbst (bzw. die Höchste Seele) durch die stufenweise Auflösung der Unwissenheit erkannt wird. Die Sankhyas, deren Lehre auf der Natur (Prakriti) beruht, sagen, daß die ungestaltete Natur die höchste Ursache ist. Aus dieser ungestalteten Natur, oh Monarch, entsteht das zweite Prinzip, was sie Mahat (universelle Intelligenz) nennen. Und wie wir hörten, fließt aus diesem Mahat das dritte Prinzip mit dem Namen Bewußtsein. Die Sankhyas, die mit Selbsterkenntnis gesegnet sind, sagen, daß danach aus dem Bewußtsein die fünf feinstofflichen Elemente des Hörens, Sehens, Fühlens, Schmeckens und Riechens entstehen. Diese acht werden als Natur bezeichnet. Durch Umwandlung dieser acht entstehen dann weitere sechzehn. Diese sind die fünf grobstofflichen Elemente von Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde, die fünf Handlungsorgane, die fünf Sinnesorgane und das Denken. Die Weisen, die dem Sankhya Weg gewidmet und darin höchst erfahren sind, betrachten diese vierundzwanzig Prinzipien als umfassend für die ganze Sankhya Lehre.

Woraus etwas entsteht, darin vergeht es auch wieder. Werden sie erst nacheinander aus der Höchsten Seele geschaffen, vergehen diese Prinzipien in umgekehrter Reihenfolge auch wieder darin. Damit entfalten sich zu jeder neuen Schöpfung die natürlichen Eigenschaften, um schließlich wieder zu vergehen, wie die Wellen des Ozeans steigen und fallen. Oh Bester der Könige, auf diese Weise finden Schöpfung und Untergang der Natur statt. Die Höchste Seele ist alles, was bleibt, wenn die universale Auflösung kommt. Und die Höchste Seele ist es, welche die vielgestaltigen Formen entfaltet, wenn eine neue Schöpfung beginnt. So, oh König, haben es die Weisen mit Selbsterkenntnis gelehrt. Durch die Natur (die Prakriti bzw. auch das Karma) wird das Höchste Wesen (der Purusha) veranlaßt, diese Vielfalt zu entfalten und in die Einheit zurückzukehren. Das ist die Eigenschaft der Natur. Und es ist das allerkennende Wesen, das die Vielfalt und die Einheit der Natur erscheinen läßt - die Einheit, wenn diese Welt zurückgezogen wird, und die Vielfalt, wenn die Schöpfung entfaltet wird. So befruchtet die Seele die Natur, welche die Eigenschaft des Gebärens und des Wachsens hat, um die vielfältigen Formen anzunehmen. Deswegen heißt die Natur auch Feld, und die Seele wird Feldkenner genannt. Der Feldkenner belebt das Feld. Deshalb, oh großer König, sagen auch die Ersten der Yatis, daß die Seele das Belebende ist. Wahrlich, wir haben gehört, daß aufgrund der Präsenz der Seele über alle Felder, die Seele auch „Präsident“ (bzw. das „Gegenwärtige“) genannt wird. Und weil sie das ungestaltete Feld erkennt, deswegen heißt sie auch der Feldkenner (Kshetrajna). Und weil diese Seele in das ungestaltete Feld eingeht, deshalb wird sie Purusha (Höchster Geist) genannt. Das gilt als Unterschied zwischen Feld und Feldkenner. Das Feld ist das Ungestaltete (bzw. Unbefruchtete). Die Seele jenseits der vierundzwanzig Prinzipien ist das Erkennende (und damit Befruchtende). Das ist wie der Unterschied zwischen Erkenntnis und Erkenntnisobjekt. Man sagt, das Erkenntnisobjekt ist die Natur, und die Erkenntnis ist die Seele, welche hinter allen vierundzwanzig Prinzipien steht. Das Feld, die Wahrheit und auch Ishvara (der Höchste Herr) gelten als ungestaltet, während die eigenschaftslose Seele als fünfundzwanzigstes die Wahrnehmung und Gestaltung bewirkt. Soweit, oh König, geht die Sankhya Lehre. Die Sankhyas bezeichnen die ungestaltete Natur als Ursache des Weltalls und verbinden alle grobstofflichen Prinzipien mit dem Bewußtsein, wodurch die Höchste Seele alles erkennt (als ewiger Zeuge).

So können die Sankhyas, indem sie auf rechte Weise die vierundzwanzig Prinzipien der Natur studieren und ihr wahrhaftes Wesen finden, das Eine erkennen, was hinter allem steht. Denn in Wahrheit ist die verkörperte Seele mit dieser Höchsten Seele identisch, welche allein jenseits der Natur und den vierundzwanzig Prinzipien ist. Wer diese Höchste Seele erkennt, indem er die Natur überwindet, der erreicht die Befreiung. Damit habe ich dir alles über die Sankhya Lehre aufrichtig erzählt. Wer diesen Weg geht, wird (wie die Yogis) die innere Stille finden. Wahrlich, wie die Unwissenden durch ihre Verblendung die Sinnesobjekte erkennen, so erkennen die Weisen, die von Verblendung und Unwissenheit frei sind, direkt das Brahman. Ist dieses Dasein erreicht, muß niemand mehr nach der Auflösung seines Körpers in die Welt zurückkehren. Wer in diesem Leben eine solche Freiheit hat, dem sind höchste Kraft, die unbeschreibliche Glückseligkeit des Samadhi und Unsterblichkeit gegeben, weil er das Unvergängliche erreicht hat. Wer dieses Universum nur als Vielfalt ohne Einheit betrachtet, der sieht nur durch den Schleier der Unwissenheit. Diese Menschen sind blind gegenüber dem Brahman. Oh Feindevernichter, sie müssen immer wieder in diese Welt zurückkehren und verschiedenste Körper annehmen. Wer jedoch all dies durchschaut, der gilt als allwissend und hat die Körperlichkeit überwunden. Alle Geschöpfe und damit das ganze Universum bezeichnet man als eine Wirkung der Natur. Hinter allem steht die Höchste Seele oder das Selbst. Wer diese Seele wahrhaft erkennt, der überwindet jede Angst vor der Welt, vor der Geburt und vor dem Tod.


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