Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 267 - Über das Strafen in der Königsherrschaft

Yudhishthira fragte:
Wie sollte der König seine Untertanen beschützen, ohne irgend jemanden zu verletzen? Dies frage ich dich, oh Großvater. Belehre mich, oh Erster der Tugendhaften!

Bhishma sprach:
Diesbezüglich wird die alte Geschichte über ein Gespräch zwischen König Dyumatsena und seinem Sohn Satyavat erzählt. Als eines Tages auf Befehl seines Vaters (Dyumatsena) einige Leute zur Hinrichtung vorgeführt wurden, da sprach Prinz Satyavat folgende unvergleichliche Worte:
Manchmal erscheint die Gerechtigkeit wie Ungerechtigkeit, und manchmal erscheint die Ungerechtigkeit wie Gerechtigkeit. Wie kann es möglich sein, das die Hinrichtung von Menschen eine gerechte Tat ist?

Darauf sprach König Dyumatsena:
Wenn die Verschonung von jenen, die Strafe verdienen, Gerechtigkeit ist, oh Satyavat, und dadurch die Räuber verschont werden, dann würde jedes Recht verschwinden und Anarchie herrschen. Der Sinn von „Das ist mein, und jenes gehört ihm.“, könnte im Kali Zeitalter nicht aufrechterhalten werden. Gewerbe und Handel würden untergehen. Wenn du jedoch weißt, wie die Welt ohne Bestrafung der Übeltäter weiterbestehen kann, dann sprich zu mir.

Satyavat sprach:
Die drei Kasten der Kshatriyas, Vaisyas und Shudras sollten unter der geistigen Führung der Brahmanen stehen. Nach ihrem Vorbild mögen die drei Kasten die Grenzen der Gerechtigkeit bewahren. Dann werden auch alle anderen folgen. Und wenn einer sich vergehen sollte, dann möge ihn ein Brahmane belehren. Nur die Unbelehrbaren sollten dem König zur Bestrafung übergeben werden mit den Worten: „Er kennt, aber mißachtet das Gesetz!“ Ohne das Leben des Übeltäters zu zerstören, sollte der König dann das tun, was die heiligen Schriften gebieten. Anders sollte der König nicht handeln, nachdem er auf rechte Weise die Art des Vergehens geprüft und die Gesetze der Tugend bedacht hat. Denn durch das Töten der Übeltäter bestraft der König auch immer eine Vielzahl Unschuldiger, wie Ehefrau, Mutter, Vater und Kinder. Deshalb sollte der König, wenn jemand seine Herrschaft verletzt, die Bestrafung sorgfältig bedenken. Mancher Übeltäter bessert sein Verhalten durch das Vorbild der Tugendhaften und kann sogar tugendhafte Kinder haben. Der Übeltäter sollte deshalb nicht an der Wurzel ausgerissen werden. Die Ausrottung des Bösen steht nie mit der ewigen Tugend im Einklang. Die Strafe soll ihnen die Möglichkeit geben, ihre Untaten zu sühnen. Dafür gibt es Geldbuße, Ketten und Kerker. Auch ihre Verwandten sollten nicht durch Repressalien verfolgt werden. Wenn sie sich jedoch in Gegenwart des Priesters und anderen unter deren Schutz stellen und geloben „Oh Brahmane, wir möchten nie wieder eine sündhafte Tat begehen!“, sollten sie es verdienen, ohne jede Strafe freigelassen zu werden. Das ist das Gebot des Schöpfers selbst. Sogar ein Brahmane mit rasiertem Kopf, der in Hirschfelle gehüllt ist und den Bettelstab trägt, sollte bestraft werden (wenn er schuldig geworden ist). Wenn hochstehende Menschen sich vergehen, sollte ihre Bestrafung sogar entsprechend strenger sein. Und jene, die wiederholt gegen das Gesetz verstoßen, verdienen keine Nachsicht mehr wie beim ersten Mal.

Dyumatsena sprach:
So lange jene Grenzen, innerhalb derer sich die Menschen (vernünftigerweise) verhalten sollten, nicht überschritten werden, so lange reicht es aus, die Gerechtigkeit (bzw. das Gesetz) zu erklären. Wenn sie jedoch alle Grenzen überschreiten und nicht mit dem Tode bestraft würden, können diese Grenzen nicht lange bestehen. Es gab wohl vergangene Zeitalter, wo die Menschen noch fähig waren, mit Milde regiert zu werden. Sie waren höchst wahrhaft (in Worten und Taten) und nur wenig dem Streit zugeneigt. Sie gaben nur selten dem Zorn nach und wenn doch, dann war ihr Zorn beherrschbar. Damals war das Wort „Schande!“ eine ausreichende Strafe für Übertretungen. Danach kam die Bestrafung durch harte Worte und Kritik. Darauf folgten die Geldstrafen und Degradierungen. So herrscht nun in unserem Zeitalter die Todesstrafe, und selbst damit kann die wachsende Boshaftigkeit kaum zurückgehalten werden. Ein gemeiner Räuber achtet weder die Menschen noch die Götter, die Gandharvas oder Ahnen. Wen achtet er überhaupt? Ist er des Menschseins noch würdig? Er raubt die Lotusblüten und Ornamente von den Leichnamen und ist eine schlimmere Plage als Gespenster. Wer möchte mit solchen Übeltätern in Gemeinschaft leben und ihnen vertrauen?

Satyavat sprach:
Wenn es nicht möglich ist, aus diesen Verblendeten ehrliche Menschen zu machen und sie zu retten, ohne sie zu töten, reicht es dann nicht, ab und zu ein Exempel zu statuieren?

Dyumatsena sprach:
Könige ertragen große Bemühungen, damit ihre Untertanen im Wohlstand gedeihen können, und sind beschämt, wenn sich Diebe und Räuber in ihrem Königreich vermehren. Deshalb üben sie selbst Entsagung, damit Diebesgelüste und Neidgedanken gar nicht erst aufkommen, und ihre Untertanen glücklich leben können. Allein durch Ehrfurcht (vor dem König bzw. dem Gesetz) kann das Volk ehrlich gemacht werden. Gute Könige töten die Übeltäter nie aus Angst vor ihnen. Gute Könige regieren ihre Untertanen höchst erfolgreich durch tugendhaftes Vorbild. Wenn der König gerecht handelt, ahmen ihn die höherstehenden Untertanen nach und diese sind wiederum das Vorbild für das ganze Volk. Denn dies ist die Natur der Menschen, daß sie in ihrem Verhalten denen folgen, die sie als Höhergestellte betrachten. Ein König, der sich selbst nicht zügelt, aber andere zügeln möchte, wird zum Gespött der Leute, weil er ein Sklave seiner Sinne inmitten der weltlichen Vergnügungen geworden ist.

Ein Mensch, der aus Arroganz oder Verblendung gegen den König (bzw. das Gesetz) verstößt, sollte auf jeden Fall gezügelt werden. Nur dadurch wird verhindert, daß er neue Straftaten begeht. Doch bevor er andere zügelt, die Strafe verdienen, sollte der König zuerst sich selbst zügeln. Nur dann kann er sogar Freunde und nahe Verwandte konsequent bestrafen. Denn in einem Königreich, wo keine konsequente Gerechtigkeit herrscht, werden die Straftaten zunehmen, und die Gerechtigkeit wird abnehmen. Dies lehrte mich einst ein Brahmane, der mit Milde und Weisheit gesegnet war. Wahrlich, das Gleiche hörte ich auch von unserem Großvater, oh Sohn, der sein Volk friedlich und voller Mitgefühl regierte. Sie sagten: „Im goldenen Krita Zeitalter sollten die Könige ihre Untertanen mit völlig gewaltlosen Mitteln beherrschen. Im Treta Yuga schwindet diese Gerechtigkeit um ein Viertel, und die Könige werden sich entsprechend verhalten. Im Dwapara Yuga ist es nur noch die Hälfte und im Kali Yuga ein Viertel. Im Laufe des Kali Yugas schwindet dann die Gerechtigkeit durch die Unwissenheit der Könige und der Natur dieses Zeitalters, bis nur noch ein Sechzehntel vom letzten Viertel übrigbleibt.“ Wenn, oh Satyavat, durch die erstgenannten Methoden (der Gewaltlosigkeit) die Gerechtigkeit nicht bewahrt werden kann, dann sollte der König in Anbetracht des Lebensalters und der Fähigkeit der Menschen unter den Bedingungen des gegenwärtigen Zeitalters die geeigneten Strafen auferlegen. Wahrlich, diesen Weg hat Manu, der Sohn des Selbstgeborenen, aus Mitgefühl für die Menschen aufgezeigt, damit sie (durch Erfahrung) Erkenntnis finden können, um schließlich Befreiung zu erreichen.


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