Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 261 - Die Geschichte von Jajali und den Vögeln

Bhishma sprach:
Diesbezüglich wird die alte Geschichte über ein Gespräch zwischen Tuladhara und Jajali über das Thema Gerechtigkeit erzählt. Es gab einst einen Brahmanen namens Jajali, der als Waldeinsiedler lebte. Voll strenger Entsagung pilgerte er zu den Ufern des Meeres, und nachdem er dort angekommen war, begann er, schwerste Askese zu üben. Mit vielen Gelübden und Selbstbeherrschung, verschiedenen Fastenregeln, gekleidet in Lumpen und Tierhäuten, mit verfilzten Locken und am ganzen Körper mit Asche und Lehm beschmiert verbrachte der weise Brahmane dort viele Jahre im Schweigen (der Meditation). Im Wasser gewann der zweifachgeborene Asket große Kräfte, oh Monarch, und so wanderte er mit der Geschwindigkeit des Geistes durch alle Welten, um alles zu erkennen. Und während er körperlich im Wasser stand, überblickte er die ganze Erde, die von den Ozeanen umgrenzt ist, mit all ihren Flüssen, Seen und Wäldern. Da dachte er eines Tages: „In dieser Welt der belebten und unbelebten Geschöpfe gibt es wohl niemanden, der mir gleicht. Wer könnte mit mir unter den Sternen und Planeten im Firmament wandern und sogleich mit den Füßen im Wasser stehen?!“ Da sprachen die unsichtbaren Geister der Lüfte zu ihm: „So solltest du nicht sprechen! Es gibt einen Händler in Varanasi namens Tuladhara, der ist noch ruhmreicher als du. Doch selbst er, oh Bester der Zweifachgeborenen, ist nicht würdig, solche Worte zu sprechen, wie du es eben getan hast.“ So ermahnt von diesen luftigen Wesen, antwortete Jajali mit der strengen Buße: „Ich möchte diesen berühmten Tuladhara sehen, der so voller Weisheit sein soll.“ Als der Rishi diese Worte sprach, da trugen ihn die Geister aus dem Wasser aufs Land und sprachen zu ihm: „Oh Bester aller Zweifachgeborenen, geh diese Straße entlang!“ So angesprochen von den Geistern, ging Jajali mit bedrücktem Herzen den gewiesenen Weg. Er erreichte Varanasi, wo er Tuladhara traf und ihn mit folgenden Worten ansprach.

Da bat Yudhishthira:
Oh Herr, bitte erzähle mir noch ausführlicher, welche verdienstvollen Taten Jajali vollbrachte, wodurch er diese vollkommenen Kräfte erreichen konnte?

Und Bhishma sprach:
Oh Yudhishthira, Jajali hatte die härteste Askese voller Entsagung geübt. Er pflegte jeden Morgen und Abend seine Waschungen durchzuführen, bewahrte seine heiligen Opferfeuer und war dem Studium der Veden gewidmet. Wohlbekannt mit den Aufgaben der Waldeinsiedler, erstrahlte er voller Herrlichkeit. Er lebte damals beständig in den Wäldern und übte ununterbrochene Entsagung. Und doch betrachtete er sich nie als einen Verdienstvollen. In der Regenzeit schlief er unter freiem Himmel. Im Herbst saß er im Wasser, und im Sommer setzte er sich der brennenden Sonne und dem heißen Wind aus. Dennoch betrachtete er sich nie als verdienstvoll durch solche Taten. Er pflegte auf Asketenbetten oder der bloßen Erde zu schlafen. Immer wieder stand er in der Regenzeit unter freiem Himmel und empfing mit seinem Kopf die Regenschauer aus den Wolken. Und durch den Schmutz des Waldlebens und den vielen Regen verfilzten sich die Haare des sündlosen Rishis zu einem dichten Knäul. Der große Asket war im Innersten unbewegt, hatte aller Nahrung entsagt, lebte nur von Luft und stand im Walde wie ein Holzpfosten, ohne sich nur eine Handbreit zu bewegen. So geschah es eines Tages, oh König, daß auf dem vermeintlichen Holzpfosten ein Paar Kulinga Vögel ihr Nest bauten. Der große Rishi bemerkte dies, aber ertrug voller Mitgefühl dieses befiederte Paar, wie es in seinen verfilzten Locken aus Grasresten ihr Nest baute. Und weil der Asket unbewegt wie ein Holzpfahl stand, lebten die beiden Vögel voller Vertrauen glücklich auf seinem Kopf. So verging die Regenzeit und der Herbst kam. Von der Begierde gedrängt begattete sich das Vogelpaar gemäß dem Gesetz des Schöpfers und legten bald einige Eier voller Vertrauen auf das Haupt des Rishis, oh König. Doch der gelübdetreue und energievolle Asket sah unbeteiligt zu, und unbeeindruckt vom Treiben der Vögel bewegte sich Jajali kein Stück. Er war fest entschlossen, hohen Verdienst zu erwerben, und ließ keine Tat zu, die andere Wesen nur im geringsten verletzen könnte. So wohnte das befiederte Paar ruhig und glücklich auf seinem Kopf und flog hier und da herum, um Nahrung zu sammeln. Im Laufe der Zeit wurden die Eier reif, die Jungen schlüpften und wuchsen in diesem Nest heran. Und Jajali stand unbewegt. Beständig im Gelübde trug und bewahrte der hochbeseelte Rishi das Nest und verweilte völlig still im Yoga der Meditation. So gediehen die jungen Vögel und bekamen bald starke Flügel, während der gelübdetreue Muni zufrieden zusah. Die Eltern der Vögel waren beim Anblick ihrer beflügelten Jungen höchst glücklich und wohnten sicher auf dem Kopf des Yogis. Und bald sah der weise Jajali, wie die jungen Vögel ihre Schwingen nutzten, um jeden Abend auszufliegen und zu seinem Kopf zurückzukehren, ohne weit geflogen zu sein. Doch er blieb unbewegt. Dann sah er, wie sie von ihren Eltern verlassen und nicht weiter ernährt wurden, von selbst ausflogen und von selbst wieder zurückkehrten. Doch Jajali blieb unbewegt. Nach einiger Zeit, verließen sie ihn am Morgen, waren den ganzen Tag nicht zu sehen aber kamen am Abend zurück, um im Nest zu wohnen. Später verließen sie ihr Nest für fünf Tage, aber kehrten am sechsten Tag zurück. Doch Jajali blieb unbewegt. Erst als sie eine gewisse Vollkommenheit erreicht hatten, verließen sie ihn ganz und kehrten auch nach vielen Tagen nicht zurück. Und als sie auch nach einem Monat ausblieben, oh König, da verließ Jajali diesen Ort der Askese.

Als die Vögel nun endgültig fort waren, da staunte Jajali und dachte, hohe Vollendung erreicht zu haben. Doch damit schlich sich unbemerkt Stolz in sein Herz. Denn wie der gelübdetreue Asket erkannte, daß die Vögel ihn verlassen hatten, die er lange auf seinem Kopf getragen hatte, da bewunderte er sich und wurde von großer Freude erfüllt. Er badete sogleich in einem Fluß, goß die Opfergaben ins heilige Feuer und brachte seine Anbetungen der aufgehenden Sonne dar. Wahrlich, als die zwitschernden Vögel das Nest auf seinem Kopf verlassen hatten, da schlug sich Jajali, dieser Erste der Asketen, gegen die Brust und rief laut gen Himmel: „Ich habe großes Verdienst gewonnen und das Dharma vollendet!“ Darauf tönte eine unsichtbare Stimme aus dem Himmel herab und Jajali hörte, wie sie sprach: „Oh Jajali, du bist an Verdienst und Dharma nicht einmal dem Tuladhara gleich, der voller Weisheit, in Varanasi lebt. Doch sogar er wäre nicht würdig, solche Worte zu sprechen, wie du sie ausgerufen hast, oh Zweifachgeborener!“ Als er diese Worte hörte, wurde Jajali von Unmut erfüllt und wollte Tuladhara treffen. So wanderte er als Schweigeasket über die weite Erde und schlief dort, wo die Nacht ihn einholte. Nach langer Zeit erreichte er die Stadt Varanasi und erblickte dort Tuladhara, der als Händler mit dem Verkauf verschiedenster Artikel (Gewürze, Heilkräuter usw.) beschäftigt war. Und sobald dieser den Brahmanen herankommen sah, erhob er sich freundlich und verehrte den Gast mit den gebräuchlichen Gaben des Willkommens.

Und Tuladhara sprach:
Oh Brahmane, ich wußte das du zu mir kommst und habe dich auch gleich erkannt. So höre meine Worte, oh Erster der Zweifachgeborenen. Du hast an den Ufern des Ozeans gelebt und strengste Entsagung geübt und doch noch nicht erkannt, was wahre Gerechtigkeit und Verdienst ist. Auf deinem Weg der Askese schautest du zu, wie ein Vogelpärchen auf deinem Kopf gebrütet hat und ihre Jungen geboren wurden. Unbewegt und still hast du sie heranwachsen sehen, bis sie schließlich Federn und Flügel bekamen, flügge wurden und vom Hunger getrieben deinen Kopf verließen, um hier und dort nach Nahrung zu suchen. Und als sie schließlich ausgeflogen waren und nicht wiederkamen, sahst du ein mächtiges Werk vollbracht, fühltest Stolz in deiner Brust, oh Brahmane, und dachtest, großes Verdienst erreicht zu haben. Dann, oh Erster der Zweifachgeborenen, hörtest du vom Himmel eine Stimme, die von mir sprach und dich ermahnte. Diese Worte füllten dich mit Unmut, und so bist du hierhergekommen. Nun, was kann ich für dich tun, oh Bester der Brahmanen?


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