Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 239 - Über die Selbsterkenntnis

Bhishma sprach:
Durch seinen Vater solchermaßen belehrt, lobte Suka die Worte des großen Rishis und stellte weitere Fragen zum Weg zur Befreiung.

Suka fragte:
Wie kann der Weise, der in den Veden gelehrt ist, das Opfern bewahrt, Weisheit gesammelt hat und von aller Böswilligkeit frei ist, das Brahman erreichen, daß weder durch direkten Beweis noch durch Logik begriffen werden kann? Erreicht man das Brahman durch Buße, Brahmacharya, Verzicht, Intelligenz, Philosophie oder Yoga? Durch welche Mittel gewinnt man die Konzentration des Denkens und der Sinne? Mögest du mich darüber ausführlich belehren.

Vyasa sprach:
Kein Mensch erreicht hier jemals Vollkommenheit, außer durch Erkenntnis auf dem Weg der Reinigung, der Sinneszügelung und umfassenden Entsagung. Die fünf großen Elemente bilden die anfängliche Schöpfung des Selbstexistenten. Aus ihnen ist diese vielfältige Welt der Geschöpfe entstanden. Die Körper aller Wesen entstehen aus dem Erdelement, ihre Körpersäfte aus dem Wasser, ihre Augen aus dem Feuer, ihr Atem aus dem Wind und ihre Körperöffnungen aus dem Raum. In den Füßen wohnt Vishnu, in den Armen Indra, im hungrigen Magen Agni, in den Ohren die Lokapalas, die Beschützer der Himmelsrichtungen, und in der Zunge Sarasvati, die Göttin der Rede. Ohren, Haut, Augen, Zunge und Nase werden die fünf Sinnesorgane genannt. Diese existieren wegen ihrer Anhaftung an die entsprechenden Sinnesobjekte, welche sie nach Klang, Gefühl, Form, Geschmack und Geruch unterscheiden. Wie ein guter Wagenlenker seine wohlgezügelten Rosse nach Belieben auf den Weg bringt, so sollte das Denken die Sinne führen und die höhere Vernunft das Denken. Das Denken sollte der König der Sinne sein bezüglich ihrer Tätigkeiten und Funktionen sowie ihrer Führung und Zügelung. In gleicher Weise sollte die Vernunft über das Denken herrschen. Die Sinnesorgane, die Sinnesobjekte, das Wissen, die Erkenntnisfähigkeit, das Denken, der Lebensatem und das Ichbewußtsein wohnen stets gemeinsam im Körper der verkörperten Wesen. Darüber hinaus hat dieser Körper, in dem das Wissen wohnt, keine wahre Existenz. Der Körper ist deshalb nicht die Ursache für das Wissen. Auch die Seele ist nicht die Ursache dafür. Es ist das Begehren, was nach dem Wissen sucht und das Wissen erschafft. So bringt die Natur mit den drei natürlichen Qualitäten (der Güte, Leidenschaft und Trägheit) das vielfältige Wissen hervor, welches aber nur eine Form des Klanges ist.

Der Weise jedoch, der seine Sinne gestillt hat, erkennt das Siebzehnte, nämlich das Höchste Selbst, das von den sechzehn Komponenten (der Sinnesorgane, Sinnesobjekte usw., siehe oben) umhüllt ist, durch seine Erkenntnisfähigkeit mithilfe der höheren Vernunft (sogenannte „Selbsterkenntnis“). Dieses Selbst kann weder mithilfe der körperlichen Augen noch der anderen Sinnesorgane erkannt werden. Alles durchschauend, wird das alleinsame Selbst im Licht der höchsten Erkenntnis sichtbar. Ohne jegliche Eigenschaften von Hörbarkeit, Fühlbarkeit, Sichtbarkeit, Geschmack oder Geruch ist Es unvergänglich und kann doch in allen Körpern als das Körperlose und Sinnenlose erkannt werden. Denn dieses Ungestaltete und Höchste wohnt in allen vergänglichen Geschöpfen. Wer Es auf dem Weg der Wahrhaftigkeit erkennt, der ist bereit zum Verschmelzen mit dem Brahman. Der Weise erkennt dieses Höchste in allem, sei es ein Brahmane, ein Schüler, eine Kuh, ein Elefant, ein Hund oder ein Chandala. Dieses Selbst durchdringt alles und wohnt als Höchste Seele in allen belebten und unbelebten Geschöpfen. Wahrlich, das ganze Universum ist darin entfaltet. Wer sein Selbst in allen Wesen und alle Wesen in seinem Selbst sieht, der verschmilzt mit dem Brahman. Soweit die Seele (bzw. Essenz) der Veden in der eigenen Seele wohnt, soweit wohnt die eigene Seele in der Höchsten Seele (bzw. im Höchsten Selbst). Wer überall die Einheit aller Wesen mit sich selbst verwirklicht hat, der hat das sichere Ufer der Unsterblichkeit erreicht. Selbst die großen Götter werden von der Spur dieses spurlosen Menschen verwirrt, der das Selbst aller Kreaturen verkörpert, der (ohne jeglichen Egoismus) zum Wohle aller Wesen wirkt und mit dem Brahman eins geworden ist, was als höchstes Ziel gilt. Wahrlich diese Spur des Selbstverwirklichten ist wie die Spur der Vögel am Himmel oder der Fische im Wasser.

Die Zeit wandelt durch ihre eigene Macht alle Wesen in sich selbst. Keiner sieht jedoch das, wodurch die Zeit selbst gewandelt wird. Dieses kann weder oben, unten, in der Mitte, schräg, quer oder in einer anderen Richtung gefunden werden. Es ist nichts Greifbares und kennt weder Ort noch Zeit. Doch darin sind alle Welten enthalten, und ein Außerhalb gibt es nicht. Selbst wenn man unaufhörlich mit der Schnelligkeit eines Pfeiles weitereilt oder mit der Geschwindigkeit der Gedanken dahinfliegt, man könnte nicht das Ende von dem erreichen, was die Ursache von allem ist. Es ist größer als das Größte. Seine Hände und Füße strecken sich überall hin. Seine Augen, sein Gesicht und seine Ohren sind überall im Universum. Es umfaßt alle Geschöpfe, und doch ist es auch kleiner als das Kleinste. Es ist das Innerste aller Wesen, es durchdringt alles und ist doch nicht wahrnehmbar. Vergänglich und unvergänglich - das sind zwei Formen dieses Höchsten Selbst. Vergänglich erscheint es in allem Körperlichen als belebte und unbelebte Geschöpfe. Unvergänglich erscheint es im Geistigen als göttliche Unsterblichkeit. Obwohl es der Herr aller existierenden Wesen ist, unbewegt und ohne Merkmale, wohnt es doch im wohlbekannten Palast mit den neun Toren und betätigt sich im Handeln. Die Weisen, welche das andere Ufer schauen, sagen, daß das ungeborene Selbst zum Handelnden wird aufgrund der Ansammlung von Freude und Leid sowie der vielfältigen Formen und der neun wohlbekannten Besitztümer. Damit ist das Selbst (bzw. Ich), das sich als Handelnden sieht, im Grunde nichts anderes als das Höchste Selbst, das als nichthandelnd gilt. Der Weise, der durch Erkenntnis diese unzerstörbare Essenz erreicht, überwindet Zeit, Geburt und Tod.


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