Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 205 - Manu über das Leiden und die Befreiung

Manu sprach:
Ist man in körperliche und geistige Sorgen verstrickt, wird man kaum fähig sein, den Yoga zu üben. Es ist deshalb höchst ratsam, nicht über Sorgen zu brüten. Das Heilmittel gegen Sorgen ist die gedankliche Zurückhaltung. Je länger man über Sorgen brütet, desto aggressiver und hartnäckiger werden sie. Geistige Sorgen möge man durch Weisheit erleichtern wie körperliche durch Medizin. Das lehrt die Weisheit selbst. Man sollte sich von Sorgen nicht wie ein schwaches Kind überwältigen lassen. Der Weise sollte kein Begehren nach Jugend, Schönheit, langem Leben, Anhäufung von Reichtum, Gesundheit und angenehmer Gesellschaft hegen, denn alles ist vergänglich. Man sollte sich nicht persönlich um Sorgen grämen, die eine ganze Gesellschaft betreffen. Falls man ein Heilmittel sieht, möge man es anwenden, doch ohne zu klagen. Zweifellos ist das Maß an Sorgen im Leben viel größer als das Glück. Wer an den Sinnesobjekten haftet, zu dem kommt der Tod voller Leiden aufgrund seiner Verblendung. Wer jedoch Leid und Glück überwindet, der kann wahrlich das Brahman erreichen. Solche Weisen müssen sich nicht grämen. Weltlicher Besitz verursacht Sorgen. Das Ansammeln ist leidvoll, und das Beschützen kann auch nicht glücklich machen. Man sollte sich deshalb um Verlust nicht grämen.

Die verschiedenen Formen der Erkenntnisobjekte entstehen aus Erkenntnis. So wisse, daß auch die Gedanken nur eine Erscheinung der Erkenntnis sind. Wenn das Denken mit den Objekten verbunden ist, dann beschäftigt sich auch die Vernunft damit. Wenn die Gedanken jedoch schweigen und in der Vernunft verankert (bzw. gestillt) sind, dann kann man das Brahman durch Meditation und Yoga erkennen und mit ihm verschmelzen (im Samadhi). Solange die Vernunft aus Unwissenheit ein Sklave der (sechs) Sinne und (drei) Qualitäten ist, fließt sie zu den äußerlichen Objekten wie ein Fluß von einem Berggipfel herab. Wenn jedoch das Denken in die Vernunft zurückgezogen wird und in der stillen Meditation verweilt, dann kann man das Brahman erkennen, wie das Gold auf dem Prüfstein. Das Denken ist die „Wahrnehmung“ der Sinnesobjekte. Es muß gestillt werden (um Brahman erreichen zu können). Ist man in die äußerlichen Erscheinungen der Dinge verstrickt, kann das Denken niemals das erkennen, was ohne Erscheinung (bzw. Merkmale) ist. Deshalb sollte man alle Türen der Sinne verschließen und das Denken in die Vernunft zurückziehen. In dieser Stille und vertieft in Meditation kann sich Selbsterkenntnis offenbaren. Wie die fünf Elemente nach Aufhebung ihrer Qualitäten harmonisch im Einen ruhen (Brahmanacht), so kann auch das Denken, wenn alle Sinne von ihren Objekten zurückgezogen sind, in der Vernunft allein ruhen. Solange die Vernunft, selbst mit der besten Absicht, im Denken verstrickt ist und sich daran festhält, ist sie nichts anderes als Denken (obwohl sie Höheres sein sollte). Wenn dieses Denken, das zuvor mit der Vielfalt der Erscheinungen belastet war, Reinheit durch Meditation erreicht, dann kann es alle Erscheinungen durchdringen und zum Brahman gelangen, das ohne Erscheinung ist. Denn es gibt keine Erscheinung, welche fähig wäre, die Erkenntnis zum Unmanifesten (Brahman) zu führen. Das, was nicht einmal ein Objekt der Sprache sein kann, kann von keiner Person begriffen werden. Mit gereinigter Seele sollte man versuchen, sich dem Höchsten Brahman zu nähern, sowie mit jener Hilfe, welche durch Entsagung, Meditation, Selbstzügelung, Pflichterfüllung der jeweiligen Aufgaben der Kaste und die Veden gewährt wird. Befreit von allen Erscheinungen geht man jenseits von ihnen den Weg zum Höchsten, welches aufgrund seines Wesens und der Abwesenheit aller Merkmale unbegreifbar ist. Nur wenn die Vernunft von allen äußerlichen Erscheinungen frei wird, kann sie das Brahman erkennen. Dann kehrt sie, befreit von den Qualitäten (der Leidenschaft, Dunkelheit und Güte), zum Höchsten zurück. Wahrlich, dies ist die höhere Natur der Vernunft, daß sie die Qualitäten verbrennen kann wie das Feuer seinen Brennstoff. Wie im traumlosen Schlaf die fünf Sinne (und das Denken) von ihren jeweiligen Funktionen frei sind, so besteht das Höchste Brahman jenseits der Prakriti (der entfalteten Natur) von allen Qualitäten frei (im traumlosen Wachsein). Denn aufgrund der Qualitäten (der Leidenschaft, Dunkelheit und Güte) verstricken sich verkörperte Wesen in ihre Taten. Die Befreiung davon ist die Erlösung, der höchste Himmel. Die Seele, die entfaltete Natur (bzw. Karma), die Vernunft, das Denken, die Sinne und das Ichbewußtsein werden in ihrer Anhäufung „persönliches Wesen“ genannt. Die primäre Schöpfung von all dem fließt aus dem Höchsten. Die sekundäre Schöpfung geschieht durch Paarung und Fortpflanzung, wobei durch die Gesetze (von Ursache und Wirkung) stets ähnliche Arten entstehen. Durch Tugendhaftigkeit steigen die Wesen, und durch Sündhaftigkeit fallen sie. Wer von Anhaftung gebunden ist, wird im Rad der Geburten wandern. Befreiung davon ist reine Erkenntnis (bzw. reines Bewußtsein).


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