Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 175 - Vater und Sohn über den nahenden Tod

Yudhishthira sprach:
Oh Großvater, sage mir, was in dieser dahinschwindenden Zeit, die auf alle geschaffenen Dinge so zerstörend wirkt, das Beste ist, was man suchen sollte.

Bhishma sprach:
Oh König, diesbezüglich wird eine alte Geschichte über ein Gespräch zwischen Vater und Sohn erzählt. Einst hatte ein Brahmane, oh Yudhishthira, der dem Studium der Veden gewidmet war, einen höchst intelligenten Sohn, der Medhavin (der Verständige) genannt wurde. Eines Tages befragte der Sohn, der im wahrhaften Pfad zur Befreiung (dem Moksha Dharma) erfahren war und ebenfalls in den Angelegenheiten der Welt, seinen vedengelehrten Vater.

Der Sohn fragte:
Was sollte ein kluger Mensch tun, oh Vater, wenn er erkennt, daß die menschliche Lebenszeit so unaufhaltsam schnell verrinnt? Oh Vater, belehre mich über den Weg, den man gehen sollte und über die Früchte, die man ernten kann. Von dir belehrt, wünsche ich diesen Weg zu gehen.

Der Vater sprach:
Oh Sohn, die Brahmacharya Lebensweise (als Schüler) beachtend, sollte man zuerst die Veden studieren. Danach sollte man (als Hausvater) Kinder wünschen, die ihre Ahnen retten. Dann pflege man die Opferfeuer und führe alle vorgeschriebenen Riten durch. Schließlich sollte man (als Muni bzw. Einsiedler) in den Wald gehen, um sich der Meditation zu widmen.

Der Sohn sprach:
Wie kannst du diese Worte so ruhig sprechen, wo doch diese Welt, oh Vater, von allen Seiten begrenzt und angegriffen wird und unschlagbare Diebe über sie herfallen?

Der Herr sprach:
Wie wird die Welt angegriffen? Wodurch wird sie begrenzt? Was sind das für unschlagbare Diebe? Warum verwirrst du mich so?

Der Sohn sprach:
Der Tod ist es, der die Welt angreift. Die Vergänglichkeit begrenzt sie überall. Jene unschlagbaren Diebe sind die Nächte, die kommen und gehen (und beständig unsere Lebenszeit rauben). Wenn ich weiß, daß der Tod auf niemanden wartet (und sich jedem Wesen beständig nähert), wie kann ich meine Zeit damit verbringen, mir eine Hülle aus Wissen anzusammeln? Wenn jede vergehende Nacht die zugeteilte Lebenszeit verringert, dann sollte der weise Mensch erkennen, daß er den Tag unfruchtbar verbracht hat. Wer könnte hier glücklich sein, wenn man wie ein Fisch im seichten Wasser lebt, und der Tod kommt, bevor man seine Wünsche befriedigt hat. Noch während man mit dem Pflücken von Blumen beschäftigt ist und das Herz immer mehr verlangt, trägt der Tod einen davon wie eine hungrige Tigerin einen Widder. So vollbringe noch heute das, was wahrlich zu deinem Wohl ist! Warte nicht, bis der Tod kommt! Der Tod schleppt seine Opfer davon, noch bevor ihre Taten beendet sind. Deshalb vollende die Werke von morgen schon heute und alles Zukünftige im Jetzt. Denn der Tod wartet nicht, ob einer sein Werk beendet hat oder nicht. Wer weiß schon, wann ihm der Tod begegnet. Vielleicht schon heute? Bereits der Jüngling sollte sich der Tugend (dem Dharma) widmen, denn das Leben vergeht so schnell. Wer Tugend übt, wird Ruhm und Glückseligkeit in dieser und der kommenden Welt ernten. Von Unwissenheit überwältigt ist man bereit, sich um Ehefrauen und Kinder zu bemühen. Durch Dick und Dünn umsorgt man sie und sieht sie wachsen. Doch wie ein Tiger, der einen schlafenden Hirsch wegträgt, so trägt der Tod den Menschen davon, der an die Befriedigung seiner Wünsche gewöhnt ist und sich an Ehefrauen, Kindern und Hausleben erfreut. Noch bevor er all die Blumen pflücken kann, auf die sein Herz gerichtet ist und noch bevor er alle seine Wünsche befriedig hat, trägt der Tod ihn davon wie ein Tiger seine Beute. Der Tod überwältigt einen Menschen, während er noch das Glück genießen will, das aus der Befriedigung eines Wunsches kam, und während er noch denkt: „Das habe ich vollbracht, das muß noch getan werden, und das ist schon fast fertig.“ Der Tod trägt ihn davon, der seinem Namen, seinem Beruf, seinem Feld, seinem Geschäft oder seinem Haus verhaftet ist, noch bevor er alle Früchte seiner Taten ernten konnte. Wahrlich, mag er schwach oder stark sein, tapfer, furchtsam, dumm oder gelehrt, noch bevor er die Früchte all seiner Taten erhält, schleppt ihn der Tod davon.

Solange noch Tod, Alter, Krankheit und Sorgen aus verschiedensten Ursachen entstehen und in deinem Körper wohnen, wie kommt es, daß du lebst, als wärst du vollkommen gesund? Sobald ein Wesen geboren wurde, wird es von Alter und Tod seinem Untergang entgegengejagt. Alles Existierende, sei es belebt oder unbelebt, ist davon betroffen. Die Anhaftung, die man fühlt, in Dörfern und Städten mit vielen Menschen zu wohnen, wird als der Rachen des Todes bezeichnet. Der Wald gilt dagegen als Umzäunung, worin man die Sinne zügeln kann. Das erklären die heiligen Schriften. Die Anhaftung, die ein Mensch am Hausleben fühlt, gleicht einer Fessel, die ihn zutiefst bindet. Die Weisen lösen diese Fesseln und erreichen Befreiung, während die Unwissenden gebunden bleiben. Wer kein Wesen durch Gedanken, Worte oder Taten verletzt, wird auch selbst nicht von jenen (tödlichen Kräften) verletzt, die Leben und Besitz zerstören. Nichts kann den nahenden Boten des Todes widerstehen, außer die Wahrheit, die jede Illusion auflöst. Wahrheit ist Unsterblichkeit. Aus diesen Gründen sollte man das Gelübde der Wahrhaftigkeit üben, sich der Vereinigung mit der Wahrheit widmen, die Wahrheit als seine Veden akzeptieren, die Sinne zügeln und schließlich den Tod durch Wahrheit besiegen. Sowohl Unsterblichkeit als auch der Tod wohnen im Körper. Durch Unwissenheit und Verblendung trifft man auf den Tod, während man durch Wahrheit die Unsterblichkeit findet. Ich werde mich deshalb allen Verletzungen enthalten, nach Wahrheit suchen, das Schwanken zwischen Begierde und Abneigung überwinden, Glück und Leid mit gleichem Auge betrachten und die zeitlose Stille erreichen, um den Tod wie ein Unsterblicher zu besiegen. So werde ich meine Sinne zügeln, als schweigender Muni alle Gedanken und Taten hingeben und damit das Shanti und Brahma Opfer (des Friedens und der Wahrheit) darbringen, um den Götterweg ins Licht zu gehen (im Gegensatz zum Väterweg, der zur Wiedergeburt führt). Wie könnte ich meinen Schöpfer durch Tieropfer und leidenschaftliche Taten verehren, wie es nur dämonische Wesen tun? Damit erntet man stets vergängliche Früchte. Nur wenn Worte, Gedanken, Handlungen, Entsagung und Yoga Meditation allein im Brahman (bzw. dem Selbst) gegründet sind, kann man das Höchste erreichen. Es gibt keine bessere Sicht als wahrhafte Erkenntnis. Es gibt keine bessere Entsagung als Wahrhaftigkeit. Es gibt kein größeres Leiden als Anhaftung und kein größeres Glück als Entsagung. Ich bin durch Brahma aus Brahman entstanden. So werde ich dem Brahman gewidmet sein und auch ohne Nachkommenschaft zu Brahma zurückkehren. Ich benötige keinen Sohn, um gerettet zu werden (durch Ahnenopfer). Ein Brahmane kann keinen höheren Reichtum haben als Einsamkeit und Alleinsein, wodurch er das Auge der Einsicht gewinnt sowie Wahrhaftigkeit, Güte, Geduld, Gewaltlosigkeit, Einfachheit und Zufriedenheit. Welchen Nutzen hast du, oh Brahmane, durch Reichtum, Bekannte, Verwandte oder Ehefrauen, wenn du sterben mußt? Suche dein Selbst, das in der Höhle (deines Herzens) verborgen ist. Wo sind deine Ahnen und wo ist dein Vater?

Bhishma fuhr fort:
So geh auch du, oh Monarch, jenen Weg der Wahrheit, den der Vater gegangen ist, nachdem er die Rede seines Sohnes gehört hatte.


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