Yudhishthira sprach:
Oh Großvater, oh Weisheitsvoller, ich möchte dir noch eine Frage stellen. Mögest du, oh Quelle des Glücks der Kurus, darüber alles erzählen. Welche Menschen gelten als freundlich gesinnt? Mit wem kann eine herzliche Freundschaft bestehen? Sage uns auch, wer gegenwärtig und zukünftig (als Freund) verläßlich ist. Ich bin der Meinung, daß weder üppiger Reichtum, noch Verwandte oder Angehörige wohlwollende Freunde ersetzen können. Doch ein Freund, der zuhören kann und auch noch Gutes tut, ist äußerst selten. Mögest du, oh Erster der Tugendhaften, zu diesem Thema ausführlich sprechen.
Und Bhishma sprach:
Höre mich, oh Yudhishthira, wie ich jene Menschen beschreibe, mit denen Freundschaft gesucht oder vermieden werden sollte. Wer voller Begierden ist, ohne Mitgefühl, wer die Aufgaben seiner Kaste mißachtet, wer unehrlich ist, ein Dieb, Geizhals, Sündhafter, Mißtrauischer, Müßiggänger, Unentschlossener, Hinterhältiger oder ein Verrufener, wer seinen Lehrer nicht ehrt, wer den sieben wohlbekannten Lastern verhaftet ist, wer in der Not seine Freunde verläßt, ein Übelgesinnter, Schamloser, Bösewicht, Gottloser oder ein Verleumder der Veden, wer seine Sinne nicht zügeln kann, wer nach Sinnesbegierden süchtig ist, wer lügt, betrügt und alle gesunden Grenzen mißachtet, wer ohne Weisheit, neidisch, sündhaft, bösartig, unrein, grausam oder ein Spieler ist, wer verletzend zu seinen Freunden wird, wer den Reichtum von anderen begehrt, wer unersättlich und nie zufrieden ist, wer bei jeder Kleinigkeit ärgerlich wird, wer keine Ruhe kennt, sich ohne Ursache streitet und immer nur an seine eigenen Interessen denkt, wer wie ein Feind handelt, aber wie ein Freund spricht, wer in seinen Ansichten verwirrt und blind ist, wer sich weder über sein Wohl noch das Wohl der anderen freuen kann, sollte als Freund gemieden werden, oh König. Wer süchtig, zornvoll, haßerfüllt, unehrenhaft, neidisch, gewalttätig, unbarmherzig, undankbar oder abstoßend ist, taugt nicht als Freund. Mit ihnen sollte keine Freundschaft gesucht werden. Dazu gehören auch jene, die stets bestrebt sind, die Fehler der anderen anzuprangern.
Höre jetzt, wie ich die Menschen beschreibe, die einer Freundschaft würdig sind. Nämlich jene, die von edler Geburt sind, die mit Redegewandtheit, Höflichkeit, Weisheit, Gelehrtheit, Verdienst und anderen Vorzüglichkeiten begabt sind, die wohltätig, fleißig, freundlich, dankbar und klug sind, die keine Habgier, sondern angenehme Qualitäten besitzen, die wahrhaftig sind und ihre Sinne unterworfen haben, die ihren Körper und Geist trainieren, aus guten Familien stammen und ihre Familien erhalten, die ohne Sündhaftigkeit sind und voller Ruhm, die sollten von Königen als Freunde akzeptiert werden. Auch jene, oh Monarch, die dankbar und zufrieden sind, wenn man ihnen hilft, die nicht grundlos ärgerlich oder wütend werden, die in der Wissenschaft des Gewinns wohlerfahren sind, die auch angegriffen, ihren Geist ruhig halten, die sich dem Dienst an Freunden als persönliches Opfer widmen, ihre Freunde nie verlassen und beständig bleiben, wie eine rote Wolldecke (die ihre Farbe lange behält), die aus Stolz niemals die Armen mißachten, keine jungen Frauen aus Sinneslust und Unvernunft entehren, die ihre Freunde nicht irreführen und vertrauenswürdig sind, die Gerechtigkeit üben, die Gold und Stein mit gleichem Auge betrachten, die mit Entschlossenheit ihren Freunden und Wohlgesinnten verbunden sind, die ihre Untergebenen versorgen und selbstlos das Wohl ihrer Freunde suchen - mit solchen Personen kann man das freundschaftliche Bündnis wagen. Wahrlich, die Herrschaftsbereiche eines Königs wachsen in jede Richtung wie das Licht des Herrn der Sterne, wenn er mit solch hervorragenden Menschen Freundschaft schließt. Solche Bündnisse sollten mit Männern gesucht werden, die in der Waffenkunst wohlgeübt sind, die ihren Zorn unterworfen haben, die im Kampf stets stark, von hoher Geburt, gutem Verhalten und verschiedensten Fähigkeiten sind.
Oh Sündloser, unter jenen bösartigen Menschen, die ich vorhin erwähnt hatte, ist der abscheulichste, der undankbar ist und seine Freunde verletzt. So ein Übelgesinnter sollte immer gemieden werden. Das ist meine entschiedenste Meinung.
Da sprach Yudhishthira:
Darüber wünsche ich ausführlicher zu hören. Was sind das für Personen, die du als undankbar und verletzend zu ihren Freunden bezeichnet hast?
Bhishma sprach:
Diesbezüglich werde ich dir, oh Monarch, eine alte Geschichte erzählen, die im Lande der Mlechas geschah, das im Norden liegt. Im mittleren Teil des Landes gab es einen Brahmanen, der ohne vedisches Wissen war. Eines Tages kam er zu einem wohlhabenden Dorf und betrat es auf der Suche nach Wohltätigkeit. In diesem Dorf lebte ein Barbar, der großen Reichtum besaß, die unterscheidenden Merkmale aller Kasten kannte, den Brahmanen gewidmet, wahrhaftig und wohltätig war. So begab sich der Brahmane auch zum Wohnort dieses Barbaren und fragte nach Almosen. Dabei erbat er sich ein Haus zum Leben und Unterhalt für ein ganzes Jahr. Auf die Bitte des Brahmanen gewährte der Barbar ihm das Gewünschte und dazu noch ein Stück neuen Stoffs, das umsäumt war, und eine junge, verwitwete Frau. Als der Brahmane all diese Dinge erhalten hatte, war er voller Freude. Wahrlich, so begann Gautama glücklich in diesem geräumigen Haus zu leben, das ihm der Barbar zuteilte. Er versorgte auch die Verwandten und Angehörigen seiner Shudra Gattin, die er erhalten hatte. Auf diese Weise lebte er lange in diesem wohlhabenden Dorf der Jäger. Er begann mit großer Hingabe das Bogenschießen zu üben, und bald ging Gautama jeden Tag mit den anderen Jägern des Dorfes in die Wälder, um dort wilde Kraniche in Hülle und Fülle zu schießen. Und stets beschäftigt mit dem Töten lebender Wesen, wurde er darin höchst erfahren und verlor bald jedes Mitgefühl. Aufgrund seiner Vertraulichkeit mit den Jägern wurde er schnell einer von ihnen. Groß war die Zahl der wilden Kraniche, die er tötete, während er glücklich in diesem Dorf der Barbaren für viele Monate lebte.
Eines Tages kam ein anderer Brahmane in dieses Dorf. Er war in Lumpen und Hirschfelle gekleidet und trug verfilzte Locken auf seinem Kopf. Mit höchst reinem Verhalten war er dem Studium der Veden gewidmet. Er hatte eine bescheidene Gesinnung, war genügsam in seiner Ernährung, dem Brahman gewidmet und in den Veden vollendet. Er beachtete das Brahmacharya Gelübde und war einst ein lieber Freund des Brahmanen Gautama gewesen, denn er stammte aus dem Teil des Landes, wo auch Gautama geboren worden war. Und dieser Brahmane gelangte, wie gesagt, im Laufe seiner Wanderungen ebenfalls zu diesem Dorf der Barbaren, wo Gautama seine Wohnstätte genommen hatte. Er folgte dem Gelübde, niemals von einem Shudra Nahrung anzunehmen und suchte deshalb nach dem Haus eines Brahmanen. So wanderte er überall in diesem Dorf umher, das voller Familien der Barbaren war. Schließlich kam dieser Erste der Brahmanen auch zum Haus von Gautama und der Zufall wollte es, daß auch Gautama gerade aus den Wäldern zurückkehrte und seine Wohnstätte betrat. So trafen sich die zwei Freunde wieder. Gautama war mit Bogen und Messer bewaffnet und trug auf seinen Schultern die Last von geschlachteten Kranichen. Sein Körper war mit Blut beschmiert, das aus dem Beutel auf seinen Schultern tropfte. Als er diesen Mann wiederkannte, der einem Kannibalen ähnelte und von den reinen Methoden seiner angeborenen Kaste abgesunken war, begab er sich als Gast in sein Haus, oh König, und sprach zu ihm:
Was tust du hier aus Narrheit? Du bist ein Brahmane und der Erhalter eines Brahmanen Stammes. Du wurdest in einer anständigen Familie im mittleren Land geboren, wie kommt es, daß du wie ein Barbar in deinem Verhalten geworden bist? Erinnere dich, oh Zweifachgeborener, deiner berühmten Angehörigen vergangener Zeiten, die alle in den Veden wohlerfahren waren. Du bist eine Schande für deine Familie geworden. Erwecke dich durch eigene Anstrengung! Erinnere dich an die Energie, das Verhalten, das Lernen, die Selbstzügelung und das Mitgefühl (das dir angeboren ist) und verlasse diesen Wohnort, oh Zweifachgeborener!
So angesprochen von diesem wohlgesinnten Freund, oh König, antwortete ihm Gautama mit kummervollem Herzen:
Oh Erster der Zweifachgeborenen, ich bin arm und auch ohne Kenntnisse der Veden. Wisse, oh bester Brahmane, daß ich meine Wohnstätte hier nur wegen des Unterhalts genommen habe. Mit deinem Erscheinen heute, bin ich jedoch wahrlich gesegnet. Wir sollten morgen diesen Ort gemeinsam verlassen. Verbringe diese Nacht hier bei mir.
So angesprochen, verbrachte der kürzlich angekommene Brahmane, der voller Mitgefühl war, die Nacht an diesem Ort, aber vermied es, irgendetwas zu berühren. Wahrlich, obwohl er hungrig und wiederholt gebeten wurde, weigerte sich der Gast, irgendein Essen in diesem Haus anzunehmen.