Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 140 - Über das Verhalten in Zeiten des allgemeinen Verfalls

Yudhishthira fragte:
Oh Bharata, wenn beide, sowohl die Gerechtigkeit als auch die Menschen, aufgrund des allmählichen Verfalls der Yugas schwach werden und die Welt von Räubern gequält wird, wie sollte sich, oh Großvater, ein König dann verhalten?

Bhishma sprach:
Ich werde dir, oh Bharata, die Politik erklären, die der König in solch qualvollen Zeiten verfolgen sollte. Diesbezüglich wird die alte Geschichte von einem Gespräch zwischen Bharadwaja und König Shatrunjaya erzählt:

Es gab einst einen König namens Shatrunjaya unter den Sauviras. Er war ein großer Wagenkrieger. Er begab sich einst zu Bharadwaja und fragte den Rishi nach den Wahrheiten bezüglich des weltlichen Gewinns:
Wie kann ein unerreichtes Gut erreicht werden? Und wenn es erreicht wurde, wie kann es vermehrt werden? Und wenn es vermehrt wurde, wie kann es beschützt werden? Und wenn es beschützt wurde, wie sollte es verwendet werden?

So befragt nach den Geboten des weltlichen Gewinns, sprach der zweifachgeborene Rishi die folgenden, bedeutungsvollen Worte zu diesem Herrscher, um ihm die Gebote zu erklären.

Der Rishi sprach:
Der König sollte stets mit erhobenem Herrscherstab stehen und überall seine Kraft demonstrieren. Selbst ohne (sichtbare) Schwächen, sollte er die Schwächen seiner Feinde entdecken. Wahrlich, für diesen Zweck sollte er stets seine Augen verwenden. Beim Anblick eines Königs mit erhobenem Zepter, wird jeder von Ehrfurcht erfüllt. Deshalb sollte der König über alle Wesen mit dem Stab der Herrschaft regieren. Gelehrte Menschen mit wahrhaftem Wissen loben diese Herrschaft. Folglich gilt von den vier Mitteln der Regierung, nämlich Versöhnung, Bestechung, Spaltung und Herrschaft, der Herrscherstab als das Beste. Wenn dieses Fundament, das als Zuflucht dient, zerstört wird, dann gehen alle Abhängigen zugrunde. Wenn die Wurzeln eines Baums zerstört werden, wie könnten die Zweige noch leben? Deshalb sollte ein weiser König auch zuerst die Wurzeln seines Feindes zerstören. Dann kann er ihn erobern und seine Verbündeten und Anhänger unter seine Herrschaft bringen. Wenn der König von Katastrophen eingeholt wird, sollte er unverzüglich nach weiser Beratung seine Heldenkraft auf rechte Weise zeigen, indem er mit Wirksamkeit kämpft oder sich mit Weisheit zurückzieht. In seiner Rede sollte er freundlich und demütig erscheinen, aber im Innersten scharf wie ein Rasiermesser sein. Er sollte Begierde und Zorn überwinden und angenehm sprechen. Wenn ein Bündnis mit einem Feind notwendig erscheint, sollte ein weitsichtiger König Frieden schließen, aber ohne blindes Vertrauen. Doch wenn es nicht mehr notwendig ist, sollte er sich von diesem Verbündeten schnell abwenden. Man sollte einen Rivalen mit schmeichelhaften Zusicherungen versöhnen, als ob er ein Freund wäre, aber stets in Furcht vor ihm leben, als hätte man eine Giftschlange im Haus. Der von Erinnerungen Beherrschte kann mit Versprechungen bezüglich der Vergangenheit besänftigt werden, der von Begierde Beherrschte mit Versprechungen über eine gute Zukunft und die von Weisheit Beherrschten mit gegenwärtigen Diensten. Wer als König Wohlstand wünscht, sollte seine Hände falten, Versprechungen geben, freundliche Worte sprechen, demütig sein Haupt neigen und sogar Tränen des Mitleids vergießen können. Man sollte seinen Feind ertragen, solange die Zeit ungünstig ist. Wenn sich jedoch die Gelegenheit bietet, sollte man ihn zerschlagen, wie einen irdenen Krug auf Stein. Es ist besser, oh Monarch, wenn ein König für einen Moment auflodert wie die Glut des harzigen Ebenholzes, als daß er nur für viele Jahre glimmt und raucht wie Spreu.

Ein König, der vielen Interessen dienen muß, sollte keine Bedenken haben, sich sogar mit undankbaren Menschen abzugeben. Solange er erfolgreich tätig ist, kann er das Glück genießen. Durch Untätigkeit verliert er jede Wertschätzung. Deshalb sollte man seine Werke nie vollkommen beenden, sondern immer etwas unfertig lassen. Ein König sollte sein Wohl suchen wie ein Kuckuck, ein Eber, der Berg Meru, ein leerer Raum, ein Schauspieler oder ein ergebener Freund. (Wie der Kuckuck seine Untertanen durch andere versorgen lassen, wie ein Eber seine Feinde an ihren Wurzeln ausreißen, unüberwindbar wie der Berg Meru, stets bereit zum Ansammeln wie ein leerer Raum, wie ein Schauspieler verschiedene Gestalten annehmen, und wie ein ergebener Freund die Interessen seiner Untertanen beachten.) Der König sollte öfters voller Achtsamkeit zu den Häusern seiner Feinde gehen und selbst wenn Katastrophen drohen, nach ihrem Wohl fragen. Die Müßigen gewinnen nie die Fülle, noch jene, die ohne Kampfgeist und Anstrengung oder vom Hochmut verunreinigt sind, sowie jene, die sich vor Unbeliebtheit fürchten oder ständig zögern. Der König sollte stets so handeln, daß die Feinde seine Schwächen nicht entdecken können, aber dabei die Schwächen seiner Feinde stets beurteilen. Er sollte wie eine Schildkröte leben, die ihre Glieder zurückziehen kann. Wahrlich, so sollte er alles verbergen können. Er sollte bezüglich der Steuern wie ein Kranich denken (und Geduld üben). Er sollte seine Heldenkraft wie ein Löwe zeigen. Er sollte auf der Lauer liegen wie ein Wolf und seine Feinde attackieren wie ein Pfeil. Wein, Würfel, Frauen, Jagd und Musik - diese sollte er vernünftig genießen. Die Anhaftung daran bringt vielfältige Übel. Er sollte sich neigen können wie das Schilf und achtsam ruhen wie der Hirsch. Er sollte blind oder taub sein, wenn es notwendig ist. Ein weiser König zeigt seine Heldenkraft mit Rücksicht auf Ort und Zeit. Wenn diese ungeeignet sind, wird seine Kraft unfruchtbar bleiben. Auf die rechte Zeit achtend, seine eigene Kraft und Schwäche bedenkend und seine Kraft im Vergleich zum Feind verstärkend, sollte sich der König der Tat zuwenden. Der König, der einen Feind nicht zerschlägt, der bereits durch seine Armee unterworfen wurde, sorgt für seinen eigenen Tod wie die Krabbe, wenn sie empfängt. Einem Baum mit schönen Blüten kann es an Kraft (für Früchte) fehlen. Ein Baum, der Früchte trägt, kann schwer ersteigbar sein. Und unreife Früchte können wie reife erscheinen. Alle diese Fakten beachtend, sollte sich ein König nicht überwältigen lassen. Wenn er sich auf diese Art und Weise verhält, kann er sich gegen alle Feinde behaupten.

Der König sollte zuerst die Hoffnungen (seiner Feinde) stärken und dann Hindernisse in den Weg ihrer Hoffnungen stellen. Dann sollte er behaupten, daß diese Hindernisse wegen bestimmter Umstände erschienen sind und ernste Ursachen haben. So lange eine Gefahr nur droht, sollte er alle Vorbereitungen wie eine sorgenvolle Person treffen. Wenn jedoch die Gefahr eintritt, sollte er furchtlos handeln. Kein Mensch kann ohne Gefahr Wohlstand gewinnen. Wenn er es jedoch schafft, sein Leben inmitten von Gefahren zu bewahren, dann wird er sicher großen Nutzen ernten. Ein König sollte alle drohenden Gefahren erkennen und, wenn sie eintreffen, überwinden. Wenn sie wieder wachsen, sollte er sie trotz ehemaliger Überwindung als unbesiegt betrachten. Das Mißachten von gegenwärtigem Glück und das ständige Verfolgen von zukünftigem gilt nie als geschicktes Handeln einer intelligenzbegabten Person. Der König, der mit einem Rivalen Frieden geschlossen hat und vertrauensselig schläft, gleicht einem, der in der Krone eines Baumes schläft und erst im Fallen erwacht. Wenn man in Not gerät, sollte man sich mit allen verfügbaren Mitteln, seien sie angenehm oder nicht, wieder erheben, und nachdem man sich erhoben hat, sollte man Gerechtigkeit üben. Der König sollte stets die Feinde seiner Feinde ehren. Er sollte seine eigenen Spione als Agenten von seinen Feinden anstellen lassen, aber dafür sorgen, daß seine eigenen Spione nicht erkannt werden. Er sollte Spione, verkleidet als Ungläubige oder Asketen, in die Gebiete seiner Feinde entsenden. Sündhafte Diebe, die gegen die Gebote der Gerechtigkeit verstoßen und wie giftige Dornen im Volk wirken, findet man in Gärten und Orten der Unterhaltung, sowie an Raststätten, wo durstige Reisende Wasser trinken, in öffentlichen Gasthöfen, in Trinkhallen, in unrühmlichen Häusern sowie an heiligen Orte und in öffentlichen Versammlungen. Diese sollten erkannt, eingefangen und bestraft werden. Der König sollte niemandem vertrauen, der es nicht verdient hat, und dem Vertrauenswürdigen niemals blind. Aus falschem Vertrauen erheben sich vielfältige Gefahren. Eine gründliche Prüfung ist stets angebracht. Wenn er aus nützlichen Gründen auch Vertrauen bei seinem Feind erregt, sollte der König ihn schlagen, sobald dieser einen falschen Schritt macht. Er sollte den Rivalen fürchten, der sich vertrauensvoll gibt, wie auch jeden, der gefährlich ist. Gefahr, die aus einem Ungefürchteten entsteht, kann zum völligen Untergang führen. Durch Aufmerksamkeit, Schweigsamkeit und einfache Kleidung, ähnlich der Asketen, sollte man das Vertrauen der Rivalen gewinnen, doch wenn die Gelegenheit kommt, wie ein Wolf hervorspringen. Ein König, der das Wohl seines Reiches sucht, sollte keine Bedenken haben, selbst seinen Sohn, Bruder, Vater oder Freund zu bestrafen, wenn sie sich bemühen, seine Ziele zu durchkreuzen. Selbst der eigene Lehrer verdient es mit dem Stab der Herrschaft gezügelt zu werden, wenn er arrogant wird und nicht mehr weiß, was getan und gelassen werden sollte, und ungerechte Wege betritt.

Wie die Vögel mit scharfem Schnabel die Früchte von den Bäumen hacken, so sollte der König, nachdem er durch Verehrung und Geschenke das Vertrauen in seinem Feind erweckt hat, sich gegen ihn wenden und seinen Reichtum ernten. Ohne den Feind tödlich zu verletzen und ohne nach der Art des Jägers gewaltsame Taten zu begehen, kann man den großen Wohlstand eines Königreiches nicht erwerben. Es gibt keine getrennten Arten der Wesen, die als Feinde oder Freunde gelten. Personen werden Freunde oder Feinde durch die Kraft der jeweiligen Umstände. Der König sollte seinem Feind nie erlauben zu flüchten, selbst wenn er mitleiderregend jammern sollte. Diesbezüglich sollte er unbewegt bleiben, denn es ist sein Aufgabe, jene zu bekämpfen, die ihn bedrängen. Ein nach Wohlstand strebender König sollte darauf achten, soviel Menschen wie möglich für sich zu gewinnen und ihnen Gutes tun. Besonders im Verhalten zu seinen Untertanen sollte er stets von Böswilligkeit frei sein und mit großer Sorge die Übeltäter bestrafen und abwehren. Wenn er genötigt ist, Reichtum zu nehmen, sollte er freundlich sprechen. Wenn er mit seinem Schwert jemand den Kopf abgeschlagen hat, sollte er trauern und Tränen verschütten. Ein nach Wohlstand strebender König kann andere durch freundliche Worte, Ehren und Geschenke gewinnen, um sie an seinen Dienst zu binden, aber sollte sich nie in unfruchtbare Diskussionen verlieren. Er sollte nie einen Fluß nur mithilfe seiner zwei Arme durchqueren. Kuhhörner zu essen ist unfruchtbar und ungesund. Man zerbricht sich nur die Zähne, während der Geschmack unbefriedigt bleibt. Die dreifache Anhäufung (von Tugend, Gewinn und Vergnügen) hat drei nachteilige Verbindungen (Vergnügen schwächt den Gewinn, der Gewinn die Tugend und die Tugend das Vergnügen). Diese Verbindungen sorgfältig bedenkend, sollten die Nachteile vermieden werden.

Eine unbeglichene Schuld, der ungelöschte Rest eines Feuers und der unbesiegte Rest von Feinden wächst erneut und wird groß. Deshalb sollten diese vollkommen ausgelöscht werden. Solange eine unbereinigte Restschuld besteht, wächst diese beständig an. Dasselbe gilt für besiegte Feinde und vernachlässigte Erkrankungen. Ihr gefährliches Potential bleibt bestehen. Deshalb sollte jede Handlung gründlich und mit größter Achtsamkeit durchgeführt werden. Selbst ein kleiner Dorn, wenn er nicht vollständig herausgezogen wird, kann zu einer hartnäckigen Entzündung führen. So sollte der König auch ein feindliches Königreich besiegen, indem er dessen Streitkräfte zerschlägt, die Hauptstraßen blockiert und die Festungen zerstört. Könige sollten wie der Geier weitsichtig, wie ein Kranich geduldig, wie ein Hund wachsam, wie ein Löwe tapfer und wie eine Krähe furchtsam sein, und in die Länder ihrer Feinde mit Leichtigkeit und ohne Angst eindringen wie eine Schlange. Ein König kann einen mächtigeren Helden mit gefalteten Händen besiegen, einen Feigling durch Erschrecken, einen Begierigen durch Beschenken aber einen Gleichrangigen nur im Kampf. Er sollte mit Aufmerksamkeit Spaltung unter den Führern feindlicher Parteien erzeugen und diejenigen versöhnen, die ihm lieb sind. Seine eigenen Minister sollte er vor Spaltung und Zerrüttung beschützen. Wenn der König zu mild wird, ignorieren ihn die Leute. Wenn er zu streng wird, fühlen sich die Leute gequält. Die Regel ist, daß er streng sein sollte, wenn Strenge gefordert ist, und mild, wenn Milde angebracht ist. Durch Milde könne die Milden beherrscht werden. Durch Milde kann man sogar Gewalt besiegen. Es gibt nichts, das Milde nicht bewirken kann. Deshalb betrachtet man Milde als noch schärfer als Gewalt. Der König, der mild ist, wenn die Umstände Milde verlangen, und streng, wenn Strenge erforderlich ist, wird alle seine Ziele erreichen und seine Feinde besiegen. Wenn man die Feindseligkeit einer Person erregt hat, die mit Wissen und Weisheit begabt ist, sollte man sich nicht trösten, daß man in weiter Entfernung lebt. Weitreichend sind die Arme eines intelligenten Menschen, mit denen er verletzen kann, wenn er selbst verletzt wurde. Man sollte nicht versuchen, etwas Unerreichbares zu ergreifen. Man sollte auch dem Feind nichts nehmen, was er durch seine Kraft leicht wiedererlangen könnte. Man sollte sich nie bemühen, etwas auszugraben, was man nicht bis zur Wurzel ausgraben kann. Man sollte keinen schlagen, dessen Kopf nicht abfallen würde. Solche Wege möge ein König meiden. Doch dieses Verhalten, das ich dir hiermit dargelegt habe, sollte nur in Zeiten der Not verfolgt werden. Nur um dir Gutes zu tun, habe ich so zu dir gesprochen, um dich zu belehren, wie man sich beim Angriff vieler Feinde verhalten sollte.

Bhishma fuhr fort:
Nachdem der Herrscher des Königreichs der Sauviras diese Worte gehört hatte, welche der Brahmane mit dem Wunsch, ihm Gutes zu tun, gesprochen hatte, beachtete er voller Freude diese Gebote und gewann mit seinen Angehörigen und Freunden herrlichen Wohlstand.


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