Yudhishthira sprach:
Wie sollte ein rechtschaffener König handeln, wenn die eigenen Beamten gegen ihn arbeiten, Schatzkammer und Armee nicht mehr unter seiner Kontrolle sind und er keinen Wohlstand mehr hat, um glücklich zu leben?
Bhishma sprach:
Diesbezüglich wird häufig die Geschichte von Kshemadarsin erzählt. Höre sie, oh Yudhishthira! Es wird berichtet, daß vor langer Zeit König Kshemadarsin, als er schwach wurde und in große Bedrängnis geriet, zum Weisen Kalakavrikshiya ging, ihn demütig verehrte und folgende Worte an ihn richtete.
Der König sprach:
Was sollte jemand wie ich tun, der Wohlstand verdiente, aber nach wiederholter Anstrengung daran scheiterte, sein Königreich zu bewahren, oh Brahmane, abgesehen von Selbstmord, Betteln, Diebstahl, Raub und irgendwelchen anderen ungerechten Taten? Oh Bester der Menschen, belehre mich darüber! Einer wie du, der die Tugend kennt und voller Mitgefühl ist, gilt als Zuflucht für jene, die durch Unheil gequält werden, sei es geistig oder körperlich. Man sagt, der Mensch sollte seine Begierden überwinden. Wenn er auf diese Weise handelt, indem er Freude und Sorgen aufgibt und den Reichtum der Erkenntnis erntet, kann er Glückseligkeit finden. Ich bedaure all jene, die am weltlichen Glück anhaften, das von Besitztümern abhängig ist. All das wird wie ein Traum vergehen. Wer Besitztümer umfassend aufgeben kann, vollbringt wahrlich eine sehr schwierige Leistung. Doch ich selbst bin nicht einmal fähig, jene Besitztümer loszulassen, die mir gar nicht mehr gehören. Ich wurde meines Wohlstandes beraubt und bin in eine jämmerliche und traurige Notlage geraten. Belehre mich, oh Brahmane, um welches Glück ich noch kämpfen sollte.
So angesprochen vom aufrichtigen König von Kosala, gab der Weise Kalakavrikshiya mit der großen Herrlichkeit die folgende Antwort:
Es scheint, daß du es bereits verstanden hast. Voller Weisheit, wie du bist, müßtest du nur entsprechend handeln. Dein Glaube ist gut, wenn du sagst: „Alles, was ich sehe, ist vergänglich, ich selbst und alles was ich habe.“ Erkenne, oh König, daß alle Dinge, die du als so real existierend betrachtest, in Wahrheit nichtexistent sind. Der Weise erkennt das und entsprechend leidet er nicht mehr, welche Qual ihm auch begegnen möge. Alle Geschehnisse in Vergangenheit und Zukunft sind nie völlig real (sondern von der Betrachtungsweise abhängig). Wenn du dieses höchste Ziel aller Erkenntnis tiefgründig erkennen kannst, wirst du von jeder Ungerechtigkeit befreit sein. Was auch immer von deinen Vorfahren (an Besitz) erworben wurde, und was auch immer von ihren Nachfahren geerbt wurde, ist ihnen alles wieder genommen worden. Meditiere darüber, wer es ist, der von Sorgen überwältigt wird. Alles was war, ist vergangen. Alles was besteht, wird ebenfalls vergehen. Sorgen haben nicht die Macht, es wiederzubringen. Man sollte deshalb niemals in Sorgen versinken. Wo, oh König, ist dein Vater heute? Und wo dein Großvater? Du siehst sie heute nicht, noch sehen sie dich. Deine eigene Vergänglichkeit bedenkend, warum grämst du dich um das Verlorene? Benutze deine Intelligenz, und du wirst erkennen, daß auch du vergehen wirst. Ich und du, oh König, deine Freunde und deine Feinde werden zweifellos auch vergehen. Wahrlich, alles wird vergehen. Jene Menschen, die jetzt zwanzig oder dreißig Jahre alt sind, werden sicher alle in den nächsten hundert Jahren sterben. Wenn ein Mensch es nicht übers Herz bringen kann, alle seine Besitztümer loszulassen, sollte er wenigstens versuchen zu erkennen, daß diese Dinge eigentlich nicht ihm gehören. Damit kann er sich viel Gutes tun. Zukünftige Anschaffungen sollte man nicht mehr als sein Eigentum betrachten. So wird man auch verlorenen Besitz nicht als etwas Eigenes sehen. Das Schicksal betrachte man als allmächtig. Wer so denkt, gilt als ein Mensch mit Weisheit. Eine solche Gewohnheit, die weltlichen Dinge zu betrachten, ist eine Eigenschaft der Guten.
Viele Männer, die dir an Intelligenz und Kraft gleichen, leben noch, obwohl sie allen Besitz und ihre Königreiche verloren haben. Sie sind nicht wie du und verlieren sich in Sorgen. Deshalb höre auf, dich auf diese Weise zu grämen. Bist du ihnen nicht an Intelligenz und Kraft ebenbürtig?
Der König sprach:
Wahrlich, ich habe das Königreich, das ich mit allem Volk regierte, durch das Schicksal gewonnen. Die allmächtige Zeit (das Schicksal), oh Zweifachgeborener, hat es mir auch wieder genommen. Und weil mir mein Königreich durch die Zeit entschwunden ist wie auf einem breiten Fluß, erkenne ich, daß ich gezwungen bin, mit dem zu leben, was mir gegeben wird.
Der Weise sprach:
Mit wahrhafter Erkenntnis grämt man sich weder um die Vergangenheit noch um die Zukunft. Mögest auch du, oh König von Kosala, diesen Geist finden bezüglich jeder Erscheinung, die du betrachtest. Wünsche stets nur das, was erreichbar ist, und nichts Unerreichbares. So erfreue dich an dem, was gerade ist und gräme dich nicht um das, was sein könnte. Erfreue dich an dem, oh König von Kosala, was du ohne Begierde erreichen kannst. Selbst wenn du allen Besitz verloren hast, sorge dich nicht und bewahre deine reine Gesinnung. Nur ein unglücklicher Mensch, der in Unwissenheit versunken ist, tadelt den höchsten Lenker, wenn er seinen vermeintlichen Besitz verliert, ohne mit dem zufrieden zu sein, was er hat und ist. Solch ein Mensch betrachtet sogar andere, die mit Wohlstand gesegnet wurden, als unwürdig dafür. Deshalb müssen jene, die voller Böswilligkeit und Hochmut sind und sich selbst als Wichtigstes betrachten, immer neues Elend ertragen. Du jedoch, oh König, bist durch solche Laster nicht befleckt. Ertrage den Wohlstand von anderen, auch wenn du selbst alles verloren hast. Geistig bewegliche Menschen können sogar den Wohlstand genießen, der andere umgibt. Denn der Wohlstand (die Göttin Lakshmi) verläßt bald jeden, der andere haßt. Menschen mit rechtschaffenem Verhalten und Weisheit, welche die Aufgaben des Yogas kennen, entsagen sogar freiwillig Wohlstand, Söhnen und Enkeln. Andere, die den irdischen Besitz als äußerst unzuverlässig und unhaltbar erkannt haben sowie abhängig von unaufhörlicher Arbeit und Mühe, versuchen, ihm ebenfalls zu entsagen. Du scheinst voller Weisheit zu sein. Warum grämst du dich noch so mitleiderregend und begehrst Dinge, die wahrlich nicht begehrenswert sind, unzuverlässig und von anderen abhängig? Du möchtest den Geist finden, der dir Glückseligkeit gibt!? Der Rat, den ich dir gebe, ist, allen Objekten der Begierde zu entsagen. In dieser Welt erscheinen Dinge, die vermieden werden sollten, oft in begehrenswerter Gestalt, während jene, die wahrhaft wertvoll sind, abschreckend wirken. Viele verlieren ihren Besitz auf der Jagd nach immer neuem Besitz. Sie betrachten die Besitztümer als die Wurzel unendlichen Glücks und streben eifrig danach. Sie erfreuen sich am Besitz und denken, daß es nichts Höheres gibt. In dieser eifrigen Begierde nach dem Erwerb von Reichtum vergißt solch ein Mensch alle anderen Tugenden des Lebens. Oh König von Kosala, viele, die diesen Reichtum plötzlich verlieren, der mit viel Mühe erworben wurde und im gleichen Verhältnis zu ihrer Begierde gewachsen war, geben dann, überwältigt von der Trägheit der Verzweiflung alle Hoffnung auf Wohlstand auf. Nur wenige mit rechtschaffener Seele und hohem Verdienst neigen sich in dieser Situation dem Erwerb von Tugend zu. Viele hassen dann jede Art des weltlichen Glücks und wünschen sich nur noch Glückseligkeit in der kommenden Welt. Manche begehen sogar Selbstmord, getrieben von der Begierde nach Reichtum. Sie denken, daß das Leben ohne Reichtum keinen Sinn mehr hat. Erkenne ihren mitleiderregenden Zustand! Erkenne ihre Unwissenheit! Obwohl das irdische Leben so kurz und vergänglich ist, richten diese Menschen, von Unwissenheit bewegt, ihre Augen nur auf Reichtum. Wer könnte Besitztümer ansammeln, wenn am Ende ihr Verlust droht? Wer könnte das Leben erhalten, wenn am Ende der Tod droht? Wer könnte Gemeinschaft bewahren, wenn am Ende die Trennung droht?
Manchmal entsagt der Mensch dem Reichtum, und manchmal entsagt der Reichtum dem Menschen. Welcher wissende Mensch würde sich über den Verlust von Reichtum grämen? Es gibt unzählige andere Wesen in der Welt, die ständig Reichtum und Freunde verlieren. Betrachte sie mit deiner Weisheit, oh König, und du wirst erkennen, daß die Katastrophen, welche die Menschen einholen, aufgrund ihres eigenen Verhaltens erscheinen. Deshalb bemühe dich, Sinne, Denken und Rede zu zügeln. Denn wenn diese ungezügelt und dem Unheilsamen zugeneigt sind, kann sich kein Mensch von den Versuchungen der äußeren Objekte zurückhalten, von denen er beständig umgeben wird. So, wie niemand eine der Wahrheit entsprechende Idee von der Vergangenheit oder Zukunft bilden kann, weil nicht alles von Ort und Zeit bekannt ist, so sollte sich jemand mit deiner Weisheit und Heldenkraft nie in Sorgen verlieren über solche Begriffe wie Besitz, Trennung, gut oder schlecht. Eine solche Person mit Weitsicht, Mitgefühl, wohlgezügelter Seele, Entschlossenheit und beständigen Gelübden der Entsagung verliert sich nie in Sorgen und wird nie ruhelos durch die Begierde nach Besitz oder der Angst vor dem Verlust irgendwelcher kleinlichen Dinge. Es ist unpassend, daß solch ein Mensch ein betrügerisches Leben als Bettler annehmen sollte, ein Leben, das sündhaft, übelgesinnt und selbstquälerisch ist und nur eines Unwissenden unter den Menschen würdig. Begib dich in die großen Wälder und führe ein glückliches Leben dort, alleinsam und ernährt von Früchten und Wurzeln. Zügle Rede und Seele und sei vom großen Mitgefühl zu allen Wesen erfüllt! Wer heiter ein solches Leben im Wald führt wie ein alter Elefant mit mächtigen Stoßzähnen, ohne andere an seiner Seite und zufrieden mit dem, was die Natur gibt, gilt als einer, der nach der Art der Weisen lebt. Wie ein großer See, der trüb und aufgewühlt war, so gewinnt der Weise dort seine Stille und Klarheit von selbst zurück. Ich weiß, daß sogar jemand wie du, der in eine solch Notlage gefallen ist, auf diese Weise glücklich leben könnte. Wenn du keinen Weg mehr siehst, deinen weltlichen Wohlstand wiederzuerlangen und wenn dich deine Minister und Berater verlassen haben, dann steht dieser Weg für dich offen. Oder erhoffst du noch irgendeinen Nutzen vom Lauf des Schicksals zu ernten?