Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 103 - Wie man starken und schwachen Rivalen begegnet

Yudhishthira fragte:
Sage mir, oh Großvater, wie sich ein König zu einem schwachen Rivalen verhalten sollte, zu einem starken oder zu einem, der viele Verbündete und eine große Armee hat.

Bhishma sprach:
Diesbezüglich, oh Yudhishthira, wird von einem Gespräch zwischen Vrihaspati und Indra berichtet. Eines Tages näherte sich Indra, der Feindevernichter und Führer der Himmlischen, mit gefalteten Händen Vrihaspati, dem Lehrer der Götter, und voller Verehrung sprach er zu ihm:
Wie, oh Zweifachgeborener, sollte ich mich zu meinen Rivalen verhalten? Wie sollte ich sie unterwerfen, ohne sie völlig zu vernichten? In einem Krieg zwischen zwei Armeen ist der Sieg niemals ganz sicher. Wie soll ich handeln, daß diese strahlende Göttlichkeit, die ich gewonnen habe und die alle meine Feinde verbrennt, mich nicht verläßt?

So angesprochen, antwortete Vrihaspati, der in Tugend, Gewinn und Liebe erfahren ist, das Wissen der königlichen Aufgaben besitzt und mit großer Intelligenz gesegnet wurde, dem fragenden Indra:
Man sollte niemals versuchen einen Rivalen durch pure Gewalt zu vernichten. Es sind die Halbstarken, die im Zorn brennen und ohne jegliche Vergebung nur nach Streit suchen. Wer den Untergang eines Rivalen wünscht, sollte dessen Wachsamkeit nicht herausfordern. Den eigenen Zorn, die Angst oder Zuversicht möge man in seiner Brust verbergen und nie äußerlich demonstrieren. Ohne dem Rivalen wirklich zu vertrauen, möge man sich verhalten, als ob man ihm völlig vertraute. So spricht man freundliche Worte zu ihm und vermeidet jegliche Provokation. Man verzichte auf alle unfruchtbaren Taten der Feindschaft, wozu auch die gemeine Rede zählt. Wie ein Vogelfänger, der sorgfältig das Gezwitscher der Vögel nachahmt, um sie einzufangen oder zu töten, so sollte auch ein König, oh Purandara, seine Feinde unterwerfen und entsprechend besiegen. Wenn man dann seine Rivalen überwältigt hat, darf man sich nie unachtsam schlafen legen. Denn ein übelgesinnter Feind wird sein Haupt erneut erheben, wie ein schlecht gelöschtes Feuer wieder auflodern kann. Solange der eigene Sieg nicht sicher erscheint, sollte jede Konfrontation mit den feindlichen Waffen vermieden werden. Wurde der Feind in Sicherheit gewiegt, kann man ihn leichter unterwerfen und den Sieg erringen. Nach Beratung mit seinen Ministern und Gelehrten, die in der Politik erfahren sind, kann ein Rivale, der in Ruhe gelassen wurde und keinen Angriff plant, zur passenden Zeit geschlagen werden, besonders, wenn er gerade einen Fehltritt begangen hat. Der König verwende auch seine vertrauenswürdigen Agenten, um die Kräfte des Feindes durch Spaltung zu schwächen. So sollte er Anfang, Mitte und Ende seiner Rivalen erkunden und alle feindlichen Gefühle gegen sie verbergen. Dann sollte er die Kräfte seines Rivalen schwächen, die er sorgfältig erkundet hat, und die Künste der Spaltung, Bestechung und Verderbung anwenden. Er sollte nie in der Gesellschaft seiner Rivalen leben und lange genug auf die passende Gelegenheit warten, um sie zu schlagen, so daß er sie unverhofft trifft, wenn sie es am wenigsten erwarten. Ein König sollte niemals nur die Scharen der feindlichen Truppen zerschlagen, sondern zielgerichtet das tun, was seinen Sieg entscheiden kann. Dabei sollte er den Rivalen niemals so verletzen, daß diese Verletzung in dessem Herzen (als Haß) zu gären beginnt. Verwundungen durch scharfe Worte sind unangebracht. Wenn die Gelegenheit kommt, sollte der Schlag sicher ausgeführt werden, ohne den Gegner entkommen zu lassen. So, oh Führer der Götter, sollte sich ein König verhalten, der danach strebt, seine Rivalen zu überwältigen. Wenn die passende Gelegenheit, auf die man lange gewartet hat, einmal vergangen ist, kommt sie nicht gleich wieder für den, der damit sein Ziel erreichen will.

Mit Weisheit handelnd, sollte ein König vor allem die Kraft seines Rivalen brechen. Solange die Gelegenheit nicht günstig ist, sollte er nie versuchen, sein Ziel zu erzwingen. Und wenn die Gelegenheit kommt, dann möge er nicht (mit unsinniger Gewalt) überreagieren. Ein König sollte Begierde, Haß und Stolz überwinden, stets mit Achtsamkeit handeln und immer die Schwächen seiner Rivalen beobachten. Übermäßige Milde oder Strenge beim Regieren, Untätigkeit, Unachtsamkeit und betrügerische Mittel, oh Führer der Götter, ruinieren einen Herrscher, der ohne Weisheit handelt. Ein König, der diese vier Fehler überwinden und den betrügerischen Angriffen seiner Feinde widerstehen kann, wird zweifellos ein Sieger sein. Wenn ein Minister allein fähig ist, einen geheimen Auftrag zu erfüllen, dann sollte sich der König auch nur mit diesem Minister darüber beraten. Werden viele Minister befragt, sind sie oft bestrebt, die Last der Aufgabe auf die Schultern anderer zu verteilen, und das Geheimnis bleibt kein Geheimnis mehr. Nur wenn die Beratung mit einem Minister nicht ausreichend ist, sollte der König sich auf weitere stützen.

Auf unsichtbare Feinde sollte die göttliche Strafe herabgerufen werden. Sichtbaren Feinden mag man mit einer vierfachen Armee begegnen. Der König sollte aber stets zuerst die Künste der Spaltung und Versöhnung anwenden. Zur passenden Zeit sollte das passende Mittel genutzt werden. Zuweilen sollte sich ein König sogar vor einem mächtigeren Feind demütigen. Dabei möge er stets achtsam handeln und immer bemüht sein, den Untergang des Stärkeren zu erreichen, wenn dieser unachtsam wird. Durch Verneigung, Geschenke der Huldigung und freundliche Worte sollte man vor einem mächtigeren König Demut zeigen und nie etwas tun, was seinen Verdacht erregen könnte. Der schwächere Herrscher sollte unter solchen Verhältnissen sorgfältig jede Tat vermeiden, die provozieren könnte. Deshalb sollte ein siegreicher König niemals einem besiegten Rivalen ganz vertrauen, weil auch die Besiegten stets wachsam bleiben.

Es gibt nichts, oh Bester der Götter, was schwieriger zu vollbringen ist, als das Erwerben von Wohlstand durch eine ruhelose Person, oh Herrscher der Unsterblichen. Selbst die bloße Existenz von Personen mit ruhelosem Geist ist stets gefährdet. Könige sollten deshalb mit Achtsamkeit ihre Freunde und Feinde beobachten. Wenn ein König zu mild ist, wird er ignoriert. Wenn er zu streng ist, verwirrt er die Leute mit Todesangst. Sei deshalb nicht zu streng und nicht zu mild! Wie ein kraftvoller Fluß unaufhörlich das hohe Ufer auswäscht und große Erdrutsche verursacht, so ruinieren Unachtsamkeit und politische Fehler mit der Zeit ein Königreich. Greife nie zu viele Rivalen gleichzeitig an. Durch die Künste der Versöhnung, Bestechung oder Spaltung sollten sie, oh Purandara, einer nach dem anderen überwältigt werden. Zu den anderen möge sich der König inzwischen friedlich verhalten. Ein weiser König sollte nie versuchen, selbst wenn er dazu fähig wäre, alle (seine Rivalen) auf einmal zu zerschlagen. Erst, wenn ein König eine große Armee versammelt hat, die voller Pferde, Elefanten, Kampfwagen, Infanterie und Kampfmaschinen ist, und diese sechsfachen Kräfte ihm völlig ergeben sind, und wenn er sich damit dem Rivalen nach ehrlicher Abwägung wirklich überlegen fühlt, dann sollte er ihn ohne weiteres Zögern überwältigen. Solange ein Rivale jedoch wesentlich stärker ist, ist selbst die Politik der Versöhnung nicht angebracht, sondern die verdeckten Mittel, um ihn zu schwächen. Bei solchen Rivalen ist höchste Vorsicht geboten. Weder wiederholte Angriffe, noch die Vernichtung von Getreide, die Vergiftung von Brunnen und Zisternen, noch andere Provokationen bezüglich der sieben Zweige der Regierung sind hier angebracht. Der König sollte unter diesen Bedingungen zuerst die verdeckten Mittel (der Spaltung und Bestechung) anwenden, um seine Feinde gegeneinander aufzubringen, aber selbst nach außen ein freundliches Verhalten zeigen. Er sollte durch zuverlässige Agenten die Taten seiner Rivalen in ihren Städten und Provinzen erkunden. Mit ihnen, oh Vernichter von Vala und Vritra, bedrängen die Könige ihre Feinde und dringen in ihre Festungen ein, um dort das Wichtige zu erkunden, und bedenken dann die richtigen politischen Maßnahmen in ihren eigenen Städten und Herrschaftsgebieten. Ihre Agenten belohnen sie im Verborgenen und in der Öffentlichkeit beschlagnahmen sie all ihren Besitz, ohne sie wirklich zu schädigen. Sie verkünden überall, daß es übelgesinnte Menschen sind, die für ihre eigenen Verbrechen bestraft wurden und senden sie damit zu den Städten und Provinzen ihrer Feinde. Darüber hinaus lassen sie in ihren Städten von vorzüglichen Schriftgelehrten, welche die Gebote der heiligen Schriften gut kennen, siegbringende Segnungen und feindezerstörende Riten durchführen.

Indra sprach:
Oh Bester der Zweifachgeborenen, was sind die Anzeichen einer übelgesinnten Person? Belehre mich, wie ich die Übelgesinnten erkennen kann.

Vrihaspati sprach:
Übelgesinnt ist, wer hinter dem Rücken der anderen ihre Fehler verkündet, wer angesichts der Vorzüge von anderen mit Neid erfüllt wird, und wer nur widerwillig das öffentliche Lob von anderen hört. Das bloße Schweigen bei solchen Gelegenheiten ist jedoch noch kein Anzeichen von Boshaftigkeit. Ein übelgesinnter Mensch atmet in einer solchen Situation schwer, beißt sich auf seine Lippen und schüttelt den Kopf. Er sucht oft die Gesellschaft und spricht dort Unsinniges. Er tut nie, was er verspricht, wenn er nicht ständig unter Aufsicht ist. Und ist er beaufsichtigt, entsteht selten etwas Gutes aus ihm. Der übelgesinnte Mensch ißt für sich allein (ohne den Göttern zu opfern) und nörgelt noch am Essen, das ihm gegeben wird, indem er spricht: „Niemals ist es, wie ich es will!“ Seine üble Gesinnung zeigt sich unter allen Umständen, im Sitzen, Liegen und Bewegen. Wer sich sorgt, wenn du dich sorgst, und sich freut, wenn du dich freust, zeigt seine Freundschaft mit dir. Ein entgegengesetztes Verhalten deutet auf einen Feind hin. Bewahre diese Sprüche in deinem Herzen, oh Herrscher der Götter! Die Gesinnung von übelgesinnten Menschen kann nie lange verborgen werden. So habe ich dir, oh Erster der Götter, die Anzeichen eines Übelgesinnten beschrieben. Folge stets der Wahrheit, wie sie in allen heiligen Schriften gelehrt wird, oh Herrscher der Himmlischen!

Bhishma fuhr fort:
Nachdem Indra, der gerade seine Feinde bekämpfte, diese Worte von Vrihaspati gehört hatte, handelte er entsprechend. Dem Sieg geneigt, beachtete dieser Feindevernichter zur rechten Zeit diese Belehrung und besiegte alle seine Gegner.


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