Narada antwortete:
Oh Sohn der Kunti, höre mit deinen Brüder die alte Geschichte. Ich werde sie euch genauso erzählen, wie es damals geschah. Vor langer Zeit wurde ein mächtiger Daitya namens Nikumbha im Geschlecht des großen Hiranyakashipu geboren. Diesem energetischen und starken Dämonen wurden zwei Söhne geboren, Sunda und Upasunda. Beide waren gewaltig und Dämonen von schrecklichem Heldenmut. Die Brüder waren grimmig und hatten unaufrichtige Herzen. Sie faßten den gemeinsamen Beschluß, daß sie alle Aufgaben zusammen bewältigen wollten. Immer teilten sie des anderen Leid und Glück. Allseits sprachen sie, was dem anderen gefiel. Niemals aß einer ohne den anderen oder ging alleine fort. Sie hatten genau dieselben Neigungen und Gewohnheiten und schienen ein Wesen zu sein, was in zwei gleiche Teile geteilt worden war. So wuchsen sie heran in großer Kraft und gemeinsamer Entschlossenheit. Ihr Ziel war die Eroberung der drei Welten, und so begaben sie sich nach angemessener Einweihung zum Berge Vindhya. Dort nahmen sie harte Entsagungen auf sich. Für lange Zeit ertrugen sie Hunger und Durst, hatten verfilzte Locken auf dem Haupt und trugen Bastkleidung und sammelten damit genügend asketischen Verdienst. Sie beschmierten sich mit Asche von Kopf bis Fuß, lebten von Luft allein, standen auf ihren Zehen und opferten Stücke ihres eigenen Fleisches dem Feuer. Mit hocherhobenen Armen und starren Augen folgten sie sehr lange Zeit ihren Gelübden. Und während ihrer Buße passierte ein wunderbarer Zwischenfall: Der Berg Vindhya, welcher von der Macht ihrer asketischen Enthaltsamkeit lange Jahre aufgeheizt worden war, stieß aus allen Teilen seines Körpers Dampf aus.
Als die Himmlischen die Härte ihrer Enthaltsamkeit beobachteten, wurden sie unruhig. So warfen die Götter den beiden Brüdern viele Hindernisse in den Weg, um das Anwachsen ihrer Askese zu vermeiden. Sie versuchten, sie wiederholt mit Juwelen, kostbaren Dingen und den schönsten Mädchen zu verführen. Doch standhaft folgten die Brüder ihren Gelübden und brachen keinen Eid. Dann zeigten die Götter ihre illusorische Macht vor den Brüdern. Plötzlich schienen deren Schwestern, Mutter, Ehefrauen und andere Verwandte mit zerzaustem Haar und zerrissener Garderobe in Panik auf sie zuzurennen und wurden von einem Rakshasa mit einer Lanze niedergestreckt. Die Frauen schienen um die Hilfe der beiden Brüder zu flehen und kreischten: „Oh, rettet uns!“. Doch alles war vergebens, die Brüder brachen ihre Gelübde nicht. Als die Götter erkennen mußten, daß all dies nicht den geringsten Eindruck bei den Brüdern hervorrief, verschwanden sowohl die Frauen als auch der Rakshasa vor ihren Augen. Schließlich kam der Große Vater selbst, der Höchste Herr, welcher immer dem Wohl aller Wesen zugeneigt ist, zu den großen Dämonen und fragte sie nach ihrem Begehren. Da erhoben sich Sunda und Upasunda von ihrem Lager und standen mit gefalteten Händen vorm Großen Gott.
Die Brüder sprachen:
Oh Großer Vater, wenn du mit unserer asketischen Enthaltsamkeit zufrieden und uns gnädig gesinnt bist, dann, oh Herr, übergib uns das Wissen um alle Waffen und die Macht der Täuschung. Wir möchten große Kraft besitzen und jede Gestalt nach Belieben annehmen können. Und schließlich, laß uns unsterblich sein.
Zu diesen Worten meinte Brahma:
Außer der Unsterblichkeit gewähre ich euch alles, worum ihr bittet. Doch wählt euch eine Form des Todes, mit der ihr den Göttern gleichen mögt. Denn ihr habt diese harte Enthaltsamkeit auf euch genommen, um eines bestimmten Zweckes wegen, und so kann ich euch die Unsterblichkeit nicht gewähren. Ja, ihr wünscht euch die Unterwerfung der drei Welten. Und daher, ihr mächtigen Daityas, übergebe ich euch nicht alle Segen, die ihr euch wünscht.
Sunda und Upasunda antworteten:
Oh Großer Herr, dann laß uns keinerlei Furcht vor den vielfältigen belebten und unbelebten Geschöpfen in den drei Welten haben, außer vor uns selbst.
Brahma sprach:
Diese Art des Todes gewähre ich euch, wenn ihr sie begehrt.
Narada fuhr fort:
So hielt sie Brahma von weiterer Askese ab, indem er ihre Wünsche erfüllte, und kehrte dann in seine eigenen Bereiche zurück. Nun konnte die Brüder niemand im Universum töten. Sie kehrten in ihre Heimat zurück, und alle ihre Freunde und Verwandten waren sehr froh, die beiden mit Erfolg gekrönt wieder zu sehen. Sunda und Upasunda schnitten sich die verfilzten Locken ab und trugen von nun an Kronen auf dem Haupte. Mit ihren schönen Kleidern und all dem Schmuck sahen sie sehr prächtig aus. Sie ließen den Mond jede Nacht über ihrer Stadt aufgehen, auch wenn nicht die Zeit dafür war. Ihre Freunde und Verwandten widmeten sich mit frohen Herzen dem Vergnügen. In jedem Haus hörte man: „Iß! Trink! Gib! Sei lustig! Sing!“. Überall erscholl lauter und ausgelassener Jubel mit Händeklatschen, welches die ganze euphorische Stadt erfüllte. Und die beiden Brüder, welche jede Gestalt annehmen konnten, stürzten sich in jedes amüsante Vergnügen und bemerkten kaum, wie die Zeit verflog. Ihnen erschien ein ganzes Jahr wie nur ein einziger Tag.