Pushpak Mahabharata Buch 1Zurück WeiterNews

Kapitel 100 - Shantanu

Vaisampayana erzählte:
Der Monarch Shantanu wurde von den königlichen Weisen und sogar den Göttern verehrt, denn für seine Weisheit, Tugend und wahrhafte Rede war er in allen Welten berühmt. Selbstkontrolle, Großzügigkeit, Großmut, Klugheit, Ehrlichkeit, Geduld und außerordentliche Energie lebten immerwährend in diesem Bullen unter den Männern, Shantanu, dem großen Wesen. Er war mit allen Fähigkeiten ausgestattet und geübt in der Interpretation der Shastren. Er war sowohl der Beschützer des Bharata Geschlechts als auch der aller Menschen. Sein Nacken war mit (drei) Linien wie bei einer Muschel gekennzeichnet, seine Schultern waren breit und er glich einem wilden Elefanten an Kraft. Alle glücksverheißenden Zeichen eines Königs lebten in ihm und betrachteten ihn als den besten Wohnort. Die Menschen erlebten das Verhalten ihres fähigen Monarchen und kamen zu dem Schluß, daß Tugend immer höher steht als Vergnügen und Gewinn. Solcherart waren die Eigenschaften, die in Shantanu lebten, diesem Bullen unter den Männern. Es gab wahrlich keinen König wie ihn. Alle Könige, die dem Tugendhaften begegneten, übergaben ihm den Titel König der Könige. Alle anderen Könige waren während seiner Regentschaft ohne Leid, Angst oder irgendwelche Sorgen. Sie alle schliefen friedvoll und erhoben sich am Morgen von ihrem Lager nach glücklichen Träumen. Wegen dieses prächtigen Monarchen, der an Energie Indra selbst glich, wurden alle Könige auf Erden tugendhaft, großzügig und Opfern und religiösen Taten zugetan. Wenn die Erde von Shantanu und anderen Königen wie ihm regiert wird, vergrößert sich der tugendhafte Verdienst jeder Kaste immens. Die Kshatriyas dienten den Brahmanen. Die Vaisyas warteten den Kshatriyas auf. Und die Shudras verehrten die Brahmanen und Kshatriyas und dienten den Vaisyas. Shantanu residierte in Hastinapura, der entzückenden Hauptstadt der Kurus, und beherrschte die ganze, von den Ozeanen umgürtete Erde. Er war wahrhaft, arglos und wie der König der Himmlischen bekannt mit den Geboten der Tugend. Diese Kombination in ihm aus Großmut, Tugend, Gerechtigkeit und Askese schenkte ihm großes Glück. Er war ohne Ärger oder Groll und gutaussehend wie Soma selbst. In Glanz glich er der Sonne und in ungestümem Heldenmut dem Vayu (Wind). Im Zorn war er wie Yama, und in Geduld glich er der Erde. Während Shantanu die Erde regierte, wurden keine Hirsche, Eber, Vögel oder andere Tiere ohne Grund getötet. In seinem Reich herrschte die große Tugend der Freundlichkeit für alle Wesen. Und der König selbst gewährte gleichen Schutz allen Wesen mit seiner Seele voller Mitgefühl und ohne jegliche Begierde oder Wut. Die Opfer zu Ehren der Götter, Rishis und Ahnen wurden vollbracht, doch keinem Wesen wurde sündhaft das Leben genommen. Shantanu war der König und Vater von allen - auch von den Elenden und Schutzlosen, von Vögeln und Tieren und wirklich jedem Wesen. Während seiner Regentschaft wurde die Rede mit der Wahrheit vereinigt und der Geist der Menschen verband sich mit Großzügigkeit und Tugend. Und nachdem sich Shantanu seines freudvollen Hausstandes für sechsunddreißig Jahre erfreut hatte, zog er sich in die Wälder zurück. Sein Sohn, der von Ganga geborene Vasu namens Devabrata glich seinem Vater in Schönheit, Fertigkeiten, Benehmen und Gelehrtheit. Sein Geschick in allen Zweigen des Wissens, ob weltlich oder spirituell, war sehr groß. Er war außergewöhnlich stark und mächtig und wurde ein herausragender Wagenkämpfer. Denn auch er war ein großes Wesen.

Eines Tages verfolgte König Shantanu einen Hirsch, den er mit seinem Pfeil getroffen hatte. Er lief am Ufer der Ganga entlang und bemerkte, daß der Fluß sehr seicht geworden war. Da begann dieser Beste der Menschen über die seltsame Erscheinung nachzudenken. Warum nur floß dieser Erste der Ströme nicht so schnell wie sonst? Er suchte nach einem Grund und erblickte schon bald einen Jüngling von großer Attraktivität, einen wohlgebauten und liebenswerten jungen Mann, wie Indra selbst, welcher den Fluß des Wassers durch seine heftigen, himmlischen Waffen aufhielt. Mit großem Staunen beobachtete der König diese außergewöhnliche Kontrolle des Jünglings über den Fluß der Ganga. Dieser Jüngling war kein anderer als Shantanus Sohn. Doch da Shantanu seinen Sohn nur für einige Momente nach seiner Geburt gesehen hatte, konnte er den Jüngling nicht erkennen. Der Knabe jedoch erkannte seinen Vater sofort, als er ihn sah. Doch anstatt sich zu offenbaren, umgarnte er die Wahrnehmung des Königs mittels seiner himmlischen Kräfte der Täuschung und verschwand vor seinen Augen. König Shantanu wunderte sich sehr darüber und vermutete wohl, daß dieser Jüngling sein Sohn war. So sprach er zur Ganga: „Zeig mir unser Kind.“ Ganga nahm eine schöne Gestalt an und erschien vor Shantanu mit dem himmlisch geschmückten Kind an ihrer rechten Hand. Shantanu erkannte die schöne Frau in ihrem Schmuck und den feinen Kleidern nicht wieder, obwohl er sie einmal gut gekannt hatte.

Da sprach Ganga:
Oh du Tiger unter den Männern, dies ist der achte Sohn, den du mit mir vor einiger Zeit bekamst. Wisse, daß dieses vorzügliche Kind alle Waffen kennt. Oh Monarch, nimm ihn nun zu dir. Ich habe ihn mit Sorgfalt großgezogen. Geh nach Hause, oh Tiger unter den Menschen, und nimm ihn mit. Er ist mit überragender Klugheit ausgestattet und hat mit Vasishta die ganzen Veden nebst den Zweigen studiert. Er geht trefflich mit allen Waffen um und ist ein großer Bogenschütze wie Indra selbst in der Schlacht. Sowohl die Götter als auch die Dämonen schauen auf ihn mit Wohlwollen, oh Bharata. Welche Arten von Wissen dem Sukra auch bekannt sind, dein Sohn kennt sie vollständig. Er ist ein Meister aller Shastren, welche der Sohn von Angiras beherrscht, Vrihaspati, den die Götter und Dämonen verehren. Und alle Waffen, die dem mächtigen und unbesiegbaren Rama, Sohn des Jamadagni, bekannt sind, kennt auch dein ruhmreicher Sohn mit den mächtigen Armen. Nun, oh König mit dem überragenden Mut, führe deinen heldenhaften Sohn heim, den ich dir jetzt übergebe. Er ist ein gewaltiger Bogenschütze und kennt alle Gebote und Abhandlungen über die Pflichten eines Königs. Oh Held, nimm deinen heldenhaften Sohn von mir an.

Nach diesen Worten der Ganga nahm Shantanu dieses der Sonne an Pracht gleichende Kind mit sich und kehrte in seine Stadt zurück. Zu Hause angekommen betrachtete sich der Monarch der Puru Linie als sehr glücklich. Er rief alle Pauravas zusammen und setzte zum Schutz seines Königreiches seinen Sohn als Thronerben und Mitregenten ein. Schon bald erfreute der Prinz seinen Vater, alle Familienmitglieder und sogar sämtliche Untertanen durch sein tadelloses Betragen. So lebte der König mit der unvergleichlichen Heldenkraft glücklich mit seinem Sohn zusammen. Es waren vier Jahre vergangen, als der König wieder einmal in den Wald und ans Ufer der Yamuna ging. Auf seiner Wanderung nahm er einen unwiderstehlichen süßen Duft wahr, von dem er nicht wußte, woher er kam. Suchend wanderte er umher und erblickte schließlich ein schwarzäugiges Mädchen von himmlischer Schönheit, die Tochter eines Fischers. Der König sprach sie an: „Wer bist du und wessen Tochter? Und was machst du hier, du Zarte?“ Sie antwortete: „Gesegnet seist du. Ich bin die Tochter des Anführers der Fischer. Auf sein Geheiß und für religiösen Verdienst rudere ich Reisende in meinem Boot über den Fluß.“ Shantanu betrachtete die Maid mit der himmlischen Gestalt, lieblichen Schönheit und dem süßen Duft und begehrte sie zur Frau. Er begab sich zu ihrem Vater und bat um seine Zustimmung zu der gewünschten Verbindung. Doch der Fischer sprach zum König: „Oh König, sobald meine Tochter mit der herausragenden Schönheit geboren war, war natürlich beschlossen, daß sie einmal heiraten würde. Doch höre den Wunsch, den ich schon lange im Herzen trage. Oh du Sündenloser, wenn du diese Maid als Gabe von mir begehrst, dann gib mir dein Versprechen. Wenn du dein Wort gibst, werde ich dir wahrlich meine Tochter übergeben, denn einen Ehemann, der dir gleicht, werde ich niemals für sie erhalten.“ Shantanu erwiderte: „Wenn ich von dem Versprechen erfahren habe, welches du begehrst, werde ich dir sagen, ob ich es gewähren kann oder nicht. Wenn es gewährt werden kann, werde ich es sicher tun. Wie könnte ich vorher etwas versprechen?“ Der Fischer sprach: „Oh König, was ich von dir erbitte, ist dies: Der Sohn meiner Tochter soll von dir auf den Thron gesetzt werden und niemand sonst soll dein Nachfolger sein.“

Vaisampayana fuhr fort:
Oh Bharata, als Shantanu dies hörte, fühlte er keine Neigung, dieses Verspechen zu geben, obwohl das Feuer des Verlangens heftig in ihm brannte. Mit liebeskrankem Herzen kehrte er nach Hastinapura heim und dachte die ganze Zeit an die Tochter des Fischers. Zu Hause versank er in trauriges Nachdenken. Eines Tages trat Devabrata vor seinen kummervollen Vater und fragte ihn: „Jeder Wohlstand ist dein, und alle Anführer verehren dich. Warum bist du so traurig? In Gedanken versunken sprichst du kein Wort mit mir. Du reitest nicht mehr aus. Du bist bleich und ausgemergelt und hast alle Munterkeit verloren. Ich möchte die Krankheit erfahren, unter der du leidest, so daß ich mich um ein Heilmittel bemühen kann.“ Shantanu antwortete seinem Sohn: „Ja, ich bin schwermütig. Und ich werde dir sagen, warum. Oh du aus der Linie des Bharata, du bist der einzige Nachfahre unserer großen Dynastie. Du widmest dich der Handhabe von Waffen und der Erlangung von Kraft. Doch ich, mein Sohn, denke immer an die Unsicherheit des menschlichen Lebens. Wenn dich eine Gefahr übermannt, oh Kind der Ganga, dann sind wir ohne Sohn. Daher bist du für mich eine Hundertschaft an Söhnen wert. Denn ich möchte mich nicht wieder verheiraten. Ich wünsche mir nur alles Gute für dich, damit unser Geschlecht weiter währen möge. Die Weisen sagen, wer nur einen Sohn hat, hat keinen Sohn. Opfer vor dem Feuer und Studium der drei Veden hält ewigwährenden Verdienst bereit, das ist wohl wahr. Doch alles das erreicht wohl nicht den sechzehnten Teil vom Verdienst, den man durch die Geburt eines Sohnes bekommt. In dieser Hinsicht gibt es kaum einen Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Oh du Weiser, ich habe nicht den Schatten eines Zweifels, daß der Vater eines Sohnes in den Himmel gelangt. Die Veden, welche die Wurzel der Puranas sind und als Autorität sogar von den Göttern geschätzt werden, enthalten zahllose Beweise dafür. Oh du aus dem Geschlecht des Bharata, du bist ein Held von erregbarem Temperament und übst dich ständig in Waffen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß du auf dem Schlachtfeld getötet wirst. Doch wenn das geschieht, was passiert dann mit der Bharata Dynastie? Dieser Gedanke macht mich so schwermütig. Nun habe ich dir alles erzählt.“

Vaisampayana erzählte:
Der kluge Devabrata hatte gut zugehört und dachte eine Weile nach. Dann ging er zum alten Minister, dem das Wohle seines Vaters am Herzen lag, und befragte ihn nach dem Grund für den Kummer des Königs. Und der Minister erzählte ihm von der Bedingung, die der Fischer bezüglich seiner Tochter gestellt hatte. Nun begab sich Devabrata in Begleitung vieler Kshatriya Anführer in ehrbarem Alter zum Fischer und bat ihn um seine Tochter für den König. Der Fischer empfing ihn in allen Ehren, und nachdem sich der Prinz gesetzt hatte, sprach der Fischer zu ihm: „Oh du Bulle unter den Bharatas, du bist der erste Waffenträger und der einzige Sohn von Shantanu. Dein Einfluß ist groß, doch ich muß dir etwas sagen. Selbst, wenn Indra der Vater der Braut wäre, würde er es bereuen, einen solch ehrenvollen und wünschenswerten Heiratsantrag abzuschlagen. Der große Mann, von dessen Samen die gefeierte Maid Satyavati geboren wurde, gleicht dir wahrlich an Heldenmut. Er sprach zu mir viele Male von den Tugenden deines Vaters und sagte mir, daß der König allein ein würdiger Gatte für Satyavati wäre. Laß mich dir sagen, daß ich eben den himmlischen Rishi Asita, diesen Besten der Brahmarshis, abgewiesen habe, der schon oft um Satyavatis Hand gebeten hat. Als Vater dieses Mädchens werde ich nur einem mein Wort geben. Der einzige Hinderungsgrund für diese Heirat ist die Rivalität, welche mit einem Sohn der zweiten Ehefrau entsteht. Oh du Feindebezwinger, dieser Sohn hat keine Sicherheit mit dir als Rivalen, selbst wenn er ein Dämon oder Gandharva wäre. Dies ist der einzige Einwand und nichts sonst. Gesegnet seist du! Und dies ist alles, was ich zu dieser Sache sagen kann.“

Da antwortete ihm Devabrata vor allen anwesenden Fürsten und zum Wohle seines Vaters: „Oh bester und ehrlicher Mann, höre den Eid, den ich ausspreche. Es gab und wird wohl keinen anderen Mann geben, der den Mut hat, einen solchen Eid auf sich zu nehmen. Doch ich werde alles erfüllen, was du forderst. Der Sohn, den diese Maid zur Welt bringen wird, soll unser König sein.“ Darauf sprach der Fischer erneut, um die scheinbar unmögliche, alleinige Herrschaft (seines Enkelsohnes) zu erlangen: „Oh du tugendhafte Seele, du kamst hierher für das Wohl deines unermeßlich prachtvollen Vaters Shantanu. Sei auch um mein Wohl besorgt, was die Heirat meiner Tochter angeht. Es gibt noch etwas anderes, du freundlicher Herr, was dich betrifft und worüber du nachdenken mußt. Oh du Feindebezwinger, ich muß dies sagen, denn es gehört zu den Pflichten des Vaters einer Tochter. Oh du Wahrheitsliebender, das Gelübde, welches du in Anwesenheit all der Fürsten zum Wohle von Shantanu auf dich nahmst, ist deiner wahrlich würdig. Oh du mit den mächtigen Armen, ich habe nicht den kleinsten Zweifel, daß du dein Gelübde brechen könntest. Doch was ist mit den Kindern, die du vielleicht zeugen wirst?“ Nun wußte Devabrata von allen Zweifeln des Fischer, und dieser Sohn der Ganga sprach aus Liebe zu seinem Vater: „Bester Fischer, höre genau, was ich in Anwesenheit der versammelten Fürsten spreche. Ich habe bereits auf den Thron verzichtet und werde nun meine Nachfolge regeln. Oh Fischer, von heute an folge ich dem Eid eines Brahmacharya (Studium und Meditation im Zölibat). So werde ich, wenn ich sterbe, auch ohne einen Sohn in die himmlischen Bereiche ewigwährenden Glücks eingehen.“

Nach diesen Worten des Sohnes der Ganga sträubten sich dem Fischer die Haare vor Glück, und er sprach: „Ich übergebe meine Tochter.“ Da ließen die Götter, Rishis und Apsaras Blumen vom Himmel und auf das Haupt Devabratas regnen und riefen: „Dieser ist Bhishma (der Schreckliche, Extreme).“ Danach sprach Bhishma zur ruhmreichen Dame im Dienst für seinen Vater: „Oh Mutter, besteige diesen Wagen und laß uns nach Hause eilen.“ Die schöne Maid folgte seinen Worten und alle kehrten nach Hastinapura zurück, wo Shantanu die ganze Geschichte erfuhr. Alle versammelten Fürsten und Adligen spendeten Bhishma und seiner außerordentlichen Tat ihren Beifall und sprachen: „Er ist wirklich ein Bhishma.“ Shantanu freute sich sehr über seinen Sohn und gewährte ihm den Segen, daß er seinen Tod selbst bestimmen könne. Er sagte: „Der Tod möge nicht zu dir kommen, solange du wünschst zu leben. Ja, der Tod wird nur auf deinen Befehl hin zu dir treten, oh du Sündenloser.“


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