Pushpak Mahanirvana-TantraZurück WeiterNews

Kapitel 8 - Die Kasten und Lebensweisen

Nachdem die Mutter der Welten und Shakti von Shiva, die alle weltlichen Bindungen erlösen kann, über die vielfältigen Formen des Dharmas gehört hatte, fragte sie Shiva erneut zum Wohle aller Wesen:
Du hast mir die verschiedenen Riten zur Verehrung erklärt, die in dieser und der kommenden Welt Freude und Tugend bringen, alle Wünsche erfüllen, die Hindernisse beseitigen und zur Einheit mit dem Höchsten führen. Nun wünsche ich über die verschiedenen Kasten und Lebensweisen zu hören. Oh Allwissender, sei gnädig und sprich darüber, wie sich die Menschen im Leben verhalten sollten.

Und der ewiggütige Shiva sprach:
Oh Gelübdetreue, in allen vier Zeitaltern gibt es vier Kasten (die Brahmanen, Kshatriyas, Vaisyas und Shudras, grob übersetzt als Geistliche, Adlige/Krieger, Bauern/Händler und Handwerker/Diener) und vier Lebensweisen (die Schüler, Hausväter, Waldeinsiedler und Bettelmönche) mit unterschiedlichen Verhaltensregeln. Darüber hinaus gibt es im dunklen Kali-Zeitalter neben den Brahmanen, Kshatriyas, Vaisyas und Shudras noch eine fünfte große Kaste namens Samanyas, die Mischkaste. Ebenso gibt es unter der Herrschaft von Kali für alle fünf Kasten nur noch zwei praktikable Lebensweisen, die ich dir mit den entsprechenden Regeln und Riten beschreiben werde. Die menschlichen Schwächen im Kali-Zeitalter habe ich dir bereits erklärt und daß es ihnen an heiligem Lernen und wahrer Entsagung fehlt. Schnellebig und ohne geistige Kraft sind sie, wie könnten sie den langen Weg wahrer Askese gehen? Oh Geliebte, deshalb gibt es im Kali-Zeitalter weder asketische Schüler noch Waldeinsiedler (Brahmacharyas und Vanaprasthas) sondern nur noch Hausväter und Bettelmönche (Grihasthas und Bhikshukas).

Oh Vorzügliche, im Kali-Zeitalter sollten die Hausväter in all ihren Taten den Tantra-Regeln folgen, sonst werden sie keinen geistigen Erfolg erreichen. Und die Bettelmönche sollten ihren Bettelstab nicht mehr nach den altgewohnten Regeln tragen, sondern das Leben eines Avadhuta (Asketen) führen, der den Regeln von Shiva (dem Herrn der Göttin Kali) folgt und in diesem Zeitalter einem besitzlosen Bettelmönch (Sannyasin) entspricht. Oh Dame mit der himmlischen Sicht, wenn die dunkle Göttin Kali herrscht, können die Menschen aller Kasten diese beiden Lebensweisen annehmen. Ihre Initiationsriten sollten dabei den Geboten von Shiva folgen, auch wenn ihre jeweiligen Praktiken entsprechend ihrer Kaste unterschiedlich sind.

Oh große Göttin, im Kali-Zeitalter wird jeder Mensch in die Häuslichkeit geboren, und erst durch die entsprechenden Initiationen tritt er in andere Lebensweisen ein. Deshalb sollte er zuerst im Hausstand leben und den Regeln dieser Lebensweise folgen. Wenn er sich dann von den weltlichen Begierden löst und die Erkenntnis des Brahman in ihm dämmert, sollte er alles aufgeben und im Leben der Asketen Zuflucht suchen. In der Jugend sollte man Wissen erwerben und als Erwachsener Reichtum und Familie. Dann sollte man Wohltätigkeit und Mitgefühl üben und sich im Alter von der Welt zurückziehen. Doch niemand sollte sich zurückziehen, solange er alte Eltern hat, eine treue Ehefrau oder Kinder, die seine Fürsorge benötigen. Wer der Welt entsagt und Eltern, Kinder, Frauen, Verwandte oder andere Bedürftige im Stich läßt, sammelt damit große Sünde an. Wer zum Bettelmönch wird, ohne für die von ihm Abhängigen zu sorgen, begeht die Sünde des Tötens von Vater und Mutter, einer Frau oder ungeborenen Lebens. Auf diese Weise sollten die Brahmanen und alle anderen Kasten ihre jeweiligen Pflichten erfüllen, um sich mit den von Shiva bestimmten Regeln zu reinigen. Das ist das Gebot im Kali-Zeitalter.

Da fragte die heilige Göttin:
Oh allgegenwärtiger Gott, bitte erkläre mir die Regeln für die Reinigung im Leben der Hausväter und der Bettelmönche aller Kasten.

Und der ewiggütige Shiva sprach:
Das Leben der Häuslichkeit ist für alle Nachkommen des Manu (dem Stammvater der Menschen) die beste Lebensweise. Deshalb werde ich zuerst darüber sprechen. Höre mir gut zu, oh Göttin der Kulikas. Ein Hausvater sollte das Brahman verehren, seinen Geist auf die Erkenntnis des Brahman richten und all sein Handeln dem Brahman widmen. Er sollte niemals lügen oder hinterlistig handeln und stets die Götter und Gäste verehren. Er sollte seinen Vater und seine Mutter als verkörperte Gottheit betrachten und ihnen mit aller Kraft und allen Mitteln dienen. Oh geliebte Göttin der Natur, wenn Mutter und Vater zufrieden sind, bist auch du zufrieden, und das Höchste Wesen gewährt dem Menschen jede Gnade. Denn du, oh Ur-Göttin, bist die große Mutter aller Welten, und der Vater ist das Höchste Brahman. Welches Verhalten könnte also heilsamer sein, als euch zu gefallen? Deshalb sollte man Mutter und Vater nach ihren Bedürfnissen mit Sitzen, Betten, Kleidung, Trinken und Essen versorgen. Man sollte sich stets freundlich zu ihnen verhalten, so daß sie mit ihren Nachkommen zufrieden sein können. Die guten Kinder, die Mutter und Vater achten, segnen damit die ganze Familie. Wer sein Wohlergehen wünscht, sollte Überheblichkeit, Spott, Drohungen und zornige Worte vor seinen Eltern vermeiden. Ein Sohn, der seine Eltern achtet, sollte sich respektvoll vor ihnen verneigen, sich bei ihrem Anblick erheben und sich nicht ohne ihre Erlaubnis setzen. Wer vom Stolz auf Wissen oder Reichtum berauscht seine Eltern beleidigt, verläßt den Weg des Dharma und geht in eine schreckliche Hölle. Als Hausvater sollte er nicht essen, bevor er Mutter, Vater, Kinder, Ehefrau, Gäste und Brüder versorgt hat, selbst wenn ihn der Tod bedroht. Wer seinen eigenen Bauch auf Kosten seiner Eltern und der von ihm Abhängigen füllt, verdient in dieser Welt Verachtung und fällt in der kommenden Welt in die Hölle. Ein Hausvater sollte seine Ehefrau hegen, seine Kinder belehren und die von ihm Abhängigen versorgen. Das ist die ewige höchste Pflicht. Der Körper entspringt dem Vater, wird von der Mutter genährt und von der Liebe der gesamten Familie gehegt und belehrt. Wer sie deshalb verachtet, gilt als übelgesinnt. Für sie sollten hunderte Leiden ertragen werden. Mit all seiner Kraft sollte er sie zufriedenstellen. Das ist ewige Tugend.

Der Mensch, der in dieser Welt seinen Geist auf das Brahman richtet und in seinem Verhalten der Wahrheit vertraut, ist voller Güte, erkennt das Höchste und wird in allen Welten gesegnet. Ein Hausvater sollte niemals seine Frau bestrafen, sondern sie hegen wie eine Mutter. Solange sie tugendhaft und ihrem Ehemann treu ist, sollte sie nie verstoßen werden, nicht einmal in Zeiten schwerster Not. Der weise Mann sollte zu Lebzeiten seiner Ehefrau niemals eine andere Frau mit begieriger Absicht berühren, denn das ist der Weg in die Hölle. Der Weise sollte die Nähe anderer Frauen an allen einsamen Orten meiden, wie auch die unhöfliche, überhebliche oder aufdringliche Rede in ihrer Gegenwart. Er sollte seine eigene Ehefrau mit Liebe, Kleidung, Wohlstand, Respekt und lieblichen Worten erfreuen und sie niemals mißachten. Der Weise sollte seine Ehefrau niemals allein auf Festivals, Versammlungen, Pilgerreisen oder in andere Häuser schicken. Zumindest sollte sein Sohn oder ein anderer Verwandter sie begleiten. Ein Mann, dessen Ehefrau treu und glücklich ist, gilt als höchst tugendhaft, und du schaust wahrlich mit Zuneigung auf ihn.

Oh große Göttin, ein Vater sollte seine Kinder mit Liebe behandeln und gut erziehen und ab dem vierten bis zum sechzehnten Lebensjahr in Wissen, Fähigkeiten und Pflichten unterrichten. Bis zu ihrem zwanzigsten Jahr sollten sie mit den Aufgaben im Haushalt betraut und danach als gleichberechtig anerkannt werden, ohne daß der Vater in seiner Zuneigung nachläßt. So sollte er in gleicher Weise Söhne und Töchter mit großer Sorge erziehen und ausbilden, und jede Tochter mit genügend Geld und Juwelen einem klugen Bräutigam übergeben. Auf ähnliche Art möge der Hausvater seine Brüder, Schwestern und deren Kinder, andere Verwandte, Freunde und Diener hegen und beschützen. Auch die Leute aus dem Dorf, alle Bekannten und die Gäste, seien es Asketen oder andere, sollte er ausreichend versorgen. Wenn ein wohlhabender Hausvater anders handelt, sollte er nicht mehr als Mensch betrachtet, sondern als gemeiner Sünder in der Welt verachtet werden.

Ein Hausvater sollte nicht übermäßig schlafen, faulenzen, Körper und Haare pflegen, essen und trinken oder seine Kleider beachten. Er sollte sich im Essen, Schlafen, Sprechen und sexueller Betätigung mäßigen und aufrichtig, bescheiden, rein, fleißig und standhaft leben. Hart sei er zu seinen Feinden und weich zu seinen Freunden, Verwandten und Älteren. Die Unwürdigen sollte er meiden und die Würdigen verehren. Er sollte nur denen vertrauen, deren freundliches Wesen und Verhalten er beobachtet hat. Selbst ein schwacher Feind sollte gefürchtet werden, und nur zur rechten Zeit zeige er seine eigene Kraft. Dabei sollte er unter keinen Umständen den Weg des Dharma verlassen. Ein frommer Mensch spricht nie über seinen Ruhm, seine Kraft, ihm anvertraute Geheimnisse, und was er anderen Gutes getan hat. Ein edler Mensch kämpft nicht mit unwürdigen Absichten, wenn der Kampf zu vermeiden ist, oder gegen wesentlich Stärkere oder Schwächere. Er sollte Wissen, Wohlstand, Ruhm und Verdienst mit Fleiß erwerben und alle unheilsamen Gewohnheiten vermeiden, wie Lüge, Verrat oder die Gesellschaft mit Übelgesinnten. Alle Taten vollbringt er zur rechten Zeit, und Wagnisse begeht er nur, wenn es das Leben erfordert. Deshalb sollte man in allen Unternehmungen zuerst die Umstände und die rechte Zeit bedenken. Der Hausvater sollte sich bemühen, nur das anzusammeln, was wirklich nötig ist, und das Ganze beschützen. Er sei in allen Dingen vernünftig, tugendhaft, gütig und freundlich. Er zügle sich im Reden und Lachen, besonders in Gegenwart von Höhergestellten. Er zügle seine Sinne, pflege einen heiteren Geist, bedenke das Heilsame, sei entschlossen, achtsam, weitsichtig und weise.

Der weise Hausvater spricht wahrhaft, freundlich, angemessen, heilsam und friedlich. Er vermeidet Eigenlob und jede Verleumdung anderer. Wer Wasserbecken stiftet, Bäume pflanzt, Schutzhütten an Wegen errichtet oder Brücken baut, besiegt alle drei Welten. Wer zur Freude seiner Eltern lebt, von Freunden verehrt und gepriesen wird, besiegt alle drei Welten. Wessen Ziel die Wahrheit ist, wessen Wohltätigkeit den Armen hilft und wer Begierde und Zorn gemeistert hat, besiegt alle drei Welten. Wer die Frauen und Reichtümer anderer nicht begehrt und sich von Illusion und Neid befreit, der besiegt die drei Welten. Wer den Krieg nicht liebt, aber kämpft, wenn es nötig ist, und sich im Kampf für das Göttliche opfert, der besiegt die drei Welten. Wessen Geist von allen Zweifeln frei ist und den Geboten der Gottheit voller Vertrauen hingegeben, der besiegt die drei Welten. Wer mit Weisheit auf Freund und Feind mit dem Auge der Einheit blickt und zum Wohle aller Wesen handelt, der besiegt die drei Welten.

Oh Göttin, Reinheit ist zweifach, nämlich innerlich und äußerlich. Die Brahman-Hingabe des eigenen Wesens, gilt als innere (geistige) Reinigung. Die Säuberung des Körpers mit Wasser, Asche oder anderen Mitteln gilt als äußerliche (körperliche) Reinigung. Oh Geliebte, das irdische Wasser der Ganga und anderer Flüsse, wie auch aus Teichen, Becken, Brunnen oder Quellen kann in gleicher Weise reinigen wie die himmlische Ganga. Oh Gelübdetreue, so kann auch ein reines Tuch, ein Antilopenfell, ein Büschel Gras oder eine Handvoll Sand in gleicher Weise reinigen wie die Asche von einem Opferfeuer. Oh Vorzügliche, was wäre noch über Reinheit und Unreinheit zu sagen? Was auch immer der Geist gereinigt hat, das kann auch den Körper reinigen. So sollte der Hausvater handeln und sich nach dem morgendlichen Erwachen, sexueller Vereinigung, Blase- oder Darmentleerung, Mahlzeiten und was er sonst an Verunreinigungen fühlt, wieder reinigen.

Oh große Göttin, dafür sollte der Hausvater auch dreimal täglich die Sandhya-Riten nach den Veden oder Tantras (morgens, mittags und abends) durchführen. Und wie sich seine Verehrung gestaltet, so gestalte er auch die Riten. Der Übende des Brahman-Mantras volbringt seine Sandhya-Riten durch das Murmeln des Gayatri und der inneren Erkenntnis, daß Gayatri (als Shakti von Brahma) und Brahma Eins sind. Andere üben die vedischen Sandhya-Riten durch die Verehrung der Sonne als Gottheit mit Opfergaben und dem Murmeln des Gayatri-Mantras. In allen täglichen Gebeten sollte das Mantra 1008, 108 oder 10mal gemurmelt werden. Oh Göttin, die Shudras und Samanyas sollten nur einige Tantra-Riten beachten, und damit können sie all ihre Wünsche erfüllen. Die drei Zeiten für die Sandhya-Riten sind zum Sonnenaufgang, zum Mittag und zum Sonnenuntergang.

Da fragte die heilige Göttin:
Oh Herr, du sprachst zuvor, daß unter der vollen Herrschaft des Kali-Zeitalters für alle Kasten mit den Brahmanen an der Spitze die Tantra-Riten der beste Weg sind. Warum gebietest du jetzt die vedischen Riten für die Zweifachgeborenen? Bitte erkläre mir das ausführlich.

Und der ewiggütige Shiva sprach:
Oh Göttin, die das Wesen aller Dinge kennt, du hast wahrhaft gesprochen. Unter der Herrschaft von Kali sind es vor allem die Tantra-Riten, welche die Früchte des Glücks und der Befreiung tragen. Die Übung des Brahma-Gayatri ist jedoch sowohl vedisch als auch tantrisch und paßt zu beiden Riten. Deshalb sagte ich, oh Göttin, daß die Zweifachgeborenen im Kali-Zeitalter vor allem das Gayatri-Mantra üben sollten. Die Brahmanen mögen das Brahma-Gayatri beginnend mit dem „OM“ rezitieren, die Kshatriyas mit „Shriem“ und die Vaisyas mit „Aim“. Deshalb sprach ich von den vedischen Sandhya-Riten, weil das Gayatri-Mantra nur die zweifachgeborenen Kasten üben sollten. Den wahren Erfolg erreicht man allerdings durch die Befolgung der Gebote von Shiva (auf dem Tantra Weg). Das ist im Kali-Zeitalter zweifellos der Weg zur Wahrheit, und die Wahrheit spricht es selbst. Oh Verehrte der Götter, wer sich Befreiung wünscht und aus irgendwelchen Gründen die täglichen Sandhya Riten nicht ausführen kann, sollte zumindest folgendes Mantra murmeln:

Oṁ tat sat brahma
(Erhaltung, Vernichtung und Schöpfung - das ist das ewigseiende Brahman, das All-Eine)

Sitz, Kleidung, Gefäße, Bett, Wagen, Haus und Möbel sollte der Verehrer stets so rein wie möglich halten. Nachdem er seine täglichen Gebete vollbracht hat, sollte er seine Aufgaben als Hausvater erfüllen oder die Veden studieren. Jede Faulheit gilt es zu vermeiden. An heiligen Orten, an heiligen Tagen und zu Sonnen- und Mondfinsternissen sollte er im Besonderen die Mantras murmeln und Wohltätigkeit üben, so daß er zur Wohnstätte von Wohlstand und Güte werden kann.

Oh große Göttin, im Kali-Zeitalter hängt das Leben zunehmend von der Ernährung ab, und das Fasten allein ist nicht mehr die Lösung. Daher wird das wohltätige Handeln empfohlen. Unter der Herrschaft von Kali kann man durch Wohltätigkeit alles erreichen. Dabei sei das wohltätige Wirken vor allem auf jene gerichtet, die in Armut leben und die Tugend pflegen.

Oh Mutter der Natur, folgende Tage sind besonders heilig: Der erste Tag eines Monats und eines Jahres, der erste, elfte und vierzehnte Tag eines halben Mondzyklus, der achte Tag der hellen Monatshälfte, der Tag des Neumondes, der Geburtstag, der Todestag des Vaters und alle festgelegten Feiertage. Die besonders heiligen Orte sind die Ganga und alle großen Flüsse, das Haus des Lehrers und die Verehrungsstätten der Götter. Wer jedoch durch Pilgerreisen sein Vedenstudium, den Dienst an seinen Eltern oder den Schutz seiner Ehefrau versäumt, für den wandeln sich diese heiligen Orte in schreckliche Höllen. Für Frauen gibt es keine Notwendigkeit für Pilgerreisen, Fastengelübde oder ähnliche Askese. Ihr heiliger Weg besteht im Dienst an ihrem Ehemann. Er sei ihr heiliger Pilgerort, ihre Askese-Übung, ihre Wohltätigkeit, ihr Gelübde und ihr geistiger Lehrer. Deshalb sollte sich eine Frau mit ganzer Seele dem Dienst an ihrem Ehemann widmen. Sie sollte stets in Gedanken, Worten und Taten mit Hingabe das Wohl ihres Ehemannes suchen, voller Vertrauen seinen Geboten folgen und die ganze Familie erfreuen. Eine Frau, deren Ehemann ihr heiliges Gelübde ist, schaut ihn nicht mit zornigen Augen an oder gebraucht harte Worte. Nicht einmal in Gedanken wird sie ihn auf irgendeine Weise verletzen. Indem sie ihren Ehemann stets mit Körper, Gedanken, Worten und Taten treu ist, geht sie den Weg zum Höchsten Brahman. Mit beständigem Vertrauen in ihren Ehemann, sucht sie weder den Anblick anderer Männer noch deren Gesellschaft oder Aufmerksamkeit. In ihrer Kindheit steht sie unter dem Schutz ihrer Eltern, als Erwachsene unter dem Schutz ihres Ehemannes und als Witwe unter dem Schutz seiner Verwandten und Freunde. So sollte sie sich nie als unabhängig betrachten. Daher sollte ein Hausvater seine Tochter nicht verheiraten, bevor sie ihre Aufgaben in der Ehe kennt, um den Dienst an ihrem Ehemann weiß und alle Verhaltensregeln für Frauen, die dem Dharma entsprechen, verinnerlicht hat.

Oh Göttin, höre nun über weitere Verhaltensregeln im Hausleben. So wie man kein Fleisch von Menschen ißt, so sollte man auch das Fleisch von menschenähnlichen Tieren meiden, wie auch das Fleisch einer Kuh, die den Menschen so vielfältig dient, das Fleisch von Raubtieren und alles, was unbekömmlich ist. Oh Geliebte, dafür kann man die verschiedenen Früchte und Wurzeln aus Gärten und Wäldern sowie alles, was aus dem Boden wächst, nach Bedarf essen.

Die Hauptaufgabe der Brahmanen ist das Lehren und Amtieren in Opfern. Wenn sie diese nicht erfüllen können, dürfen sie ihren Lebenserwerb auch als Kshatriya oder Vaisya verdienen. Die Hauptaufgabe der Kshatriyas ist das Regieren und der Kampf. Wenn sie diese nicht erfüllen können, dürfen sie ihren Lebenserwerb auch als Vaisya oder Shudra verdienen. Ein Vaisya sollte vom Handel leben, und wenn das nicht möglich ist, dem Beruf der Shudras folgen. Und den Shudras ist zum Lebenserwerb vor allem das Dienen bestimmt. Oh Göttin, die Menschen der Samanya-Kaste können sich in allen Aufgaben betätigen, außer in den Pflichten, die speziell den Brahmanen vorenthalten sind.

Brahmanen sollten vor allen frei von Haß und Anhaftung leben, selbstkontrolliert, wahrhaft und ohne Neid und jegliche Tücke. Sie sollten ihre Sinne zügeln und ihre gegebenen Aufgaben im Leben erfüllen. Brahmanen sollten vor allem das Wohl aller Wesen suchen, die Sicht der Einheit üben, dem Dharma in Form von Tugend und Gerechtigkeit dienen und ihre wohlwollenden Schüler wie ihre eigenen Söhne unterrichten. Sie sollten jede Lüge und Verleumdung vermeiden wie auch Stolz und ungebührende Worte, das Streben nach niederen Dingen und die Gemeinschaft mit Übelgesinnten.

Oh schönste Göttin, Kshatriyas sollten nach Frieden streben und jeden Krieg vermeiden, denn der Frieden ist ihr größter Sieg. Doch wenn es nötig ist, sollten Kshatriyas niemals fliehen und im Kampf entweder siegen oder sterben. Ein Mann aus königlicher Kaste sollte niemals den Besitz seiner Untertanen begehren oder übermäßige Steuern fordern, sondern seine Versprechen halten, seiner Pflicht treu sein und seine Untertanen beschützen als wären es seine leiblichen Kinder. Ein guter König achtet in Fragen der Regierung und Kriegsführung, bei Verträgen und anderen Staatsangelegenheiten den Rat seiner weisen Minister. Soweit es in seiner Kraft liegt schließt er Bündnisse des Friedens, Kriege führt er nur nach den gültigen Regeln, und Belohnung und Strafen entscheidet er nach Recht und Gesetz. Mit kluger Politik erreicht er seine Ziele, führt seine Kriege und verbindet sich mit anderen. Denn aus kluger Politik entstehen Sieg, Frieden und Wohlergehen. Er meidet die Gesellschaft mit Übelgesinnten und fördert die Weisen und Gelehrten. Er ist geduldig in der Not, klug im Handeln und vernünftig im Wohlstand. Ein königlicher Kshatriya sollte ein Meister in der Verteidigung seiner Städte sein und wohlgeübt im Gebrauch der Waffen. Er sollte immer die Kraft seiner Armee kennen und seine Soldaten gut ausbilden. Oh Göttin, im Kampf sollte er keinen töten, der wehrlos ist, seine Waffen niedergelegt hat, die Flucht sucht oder gefangen wurde, noch Frauen oder Kinder. Was im Kampf oder durch Bündnisse gewonnen wurde, sollte er entsprechend dem Verdienst auch unter seinen Soldaten aufteilen. Ein guter König kennt den Charakter und den Mut all seiner Soldaten, und wenn er weise ist, stellte er eine größere Armee nicht nur unter einen Kommandeur. Denn es ist nicht gut, nur einer Person zu vertrauen, einem einzigen zu viel Macht zu geben, Untergebene sich gleich zu machen oder allzu vertraulich mit ihnen zu sein. Er sollte viel wissen, aber nicht geschwätzig sein, höchst gelehrt, aber weiterhin interessiert, voller Ruhm, aber nicht hochmütig. Er sei klug in der Verteilung von Belohnung und Strafe. Ein guter König beobachtet seine Untertanen, Gefolgsleute und Diener entweder selbst oder durch gute Spione. Ein weiser Herrscher lobt oder tadelt niemanden aus Leidenschaft, Überheblichkeit oder Unwissenheit. Seine Soldaten, Kommandeure, Minister, Frauen, Kinder und Diener sollte er besonders beschützen, aber wenn sie schuldig sind, entsprechend bestrafen. Und auch die Behinderten, Kinder und Waisen, Alten und Schwachen sollte der König in seinem Reich wie ein guter Vater beschützen.

Oh Göttin, wisse, daß Landwirtschaft und Handel die Berufung der Vaisyas ist. Durch sie werden die Körper der Menschen ernährt. Deshalb, oh Geliebte, sollten in der Landwirtschaft und im Handel jegliche Nachlässigkeit, Begierde, Gehässigkeit, Täuschung und Lüge mit ganzer Seele vermieden werden. Oh Shiva-Shakti, wenn sich Käufer und Verkäufer über die Ware und den Preis geeinigt haben und gegenseitig ihr Versprechen geben, dann ist der Handel beschlossen. Oh Geliebte, der Handel mit Wahnsinnigen, Unzurechnungsfähigen, Gefangenen oder Minderjährigen ist ungültig. Der Handel mit Dingen, die nicht vorgezeigt werden, wird mit einer Beschreibung beschlossen. Wenn allerdings die Beschreibung nicht mit dem Gekauften übereinstimmt, wird der Handel ungültig. Das gilt auch für den Handel mit Elefanten, Kamelen und Pferden. Wenn aber die gekauften Tiere innerhalb von einem Jahr verborgene Mängel zeigen, wird auch dieser Handel ungültig. Oh Göttin der Kulikas, der menschliche Körper ist ein Gefäß für Tugend, Verdienst, Liebe und höchste Befreiung. Deshalb sollte damit niemals Handel getrieben werden. Ein solcher Handel sei durch mein Gebot ungültig. Oh Geliebte, beim Verborgen von Gerste, Weizen oder Reis, sei der Zins für den Verleiher am Jahresende auf ein Viertel der Menge festgelegt. Bei Metallen sei es ein Achtel. In Geldsachen, in der Landwirtschaft, im Handel und allen anderen Unternehmungen sollte der Mensch mit größter Sorge handeln. Das gebieten die Gesetze der Natur.

Oh ewige Göttin, ein Diener sollte erfahren, rein, fleißig, achtsam und wachsam sein und seine Sinne zügeln können. Wenn er sein Glück in dieser und der jenseitigen Welt sucht, sollte er seinen Herrn wie Vishnu selbst und dessen Ehefrau wie seine eigene Mutter verehren und deren Verwandte und Freunde achten. Die Freunde seines Herrn seien wie seine eigenen Freunde und die Feinde seines Herrn wie seine eigenen Feinde. So stehe er immer seinem Herrn zu Diensten und erwarte dessen Aufträge. Die Fehler seines Herrn, Familienprobleme, private Gespräche und alles, was seinem Herrn schaden könnte, sollte er achtsam geheimhalten. Ein guter Diener begehrt niemals den Reichtum seines Herrn noch spricht er unangemessene Worte, lacht oder scherzt in seiner Anwesenheit. Er sollte nicht einmal mit lustvollem Blick auf die Dienerinnen im Hause seines Herrn schauen, mit ihnen herumliegen oder heimlich schäkern. Er sollte niemals die Sitze, Sofas, Wagen, Kleider, Schuhe, Gefäße, Juwelen oder Waffen seines Herrn benutzen. Für irgendwelche Vergehen sollte er seinen Herrn um Vergebung bitten und jede Überheblichkeit, Frechheit oder Hinterlist vermeiden.

8.1. Bhairavi- und Tattwa-Chakra

Oh große Königin, alle Menschen sollten innerhalb ihrer Kaste nach der Brahma-Art heiraten und auch nur mit den Leuten ihrer Kaste speisen, außer im Bhairavi- oder Tattwa-Kreis (Chakra). In diesen beiden spirituellen Kreisen ist die Shiva-Art der Hochzeit erlaubt (mit Frauen der gleichen oder niederen Kaste) und bezüglich des Essens und Trinkens gibt es keine Kastenunterschiede.

Da fragte die heilige Göttin:
Was ist der Bhairavi-Kreis und was ist der Tattwa-Kreis? Bitte sei so gütig und erkläre es mir.

Und der ewiggütige Shiva sprach:
Oh große Göttin, während der Erklärung der Kula-Verehrung sprach ich bereits von den Kreisen (den Chakras). Diese sollte der vorzügliche Verehrer während der jeweiligen Verehrung schließen. Oh Geliebte, es gibt keine besonderen Regeln für den Bhairavi-Kreis (den spirituellen Kreis der Göttin Bhairavi, die Schreckliche, aber auch Segensreiche). Dieser vorzügliche Kreis kann jeder Zeit geschlossen werden. Ich werde dir jetzt die Riten für diesen Kreis erklären, die dem Übenden dienen, die Gunst der Göttin zu erreichen, die ihren Verehrern in kürzester Zeit alle Gebete erfüllen kann.

Der Übende auf dem Kula-Weg sollte sich an einem schönen Ort einen guten Sitz bereiten, ihn mit den Kama- und Asta-Keimsilben („klīṁ phaṭ“) reinigen und sich niedersetzen. Dann zeichnet der Gelehrte mit Zinnoberrot, roter Sandelpaste oder einfach nur mit Wasser ein Quadrat mit einem Dreieck im Inneren. Dann nimmt er einen schönbemalten Krug, besprenkelt ihn mit Dickmilch und getrocknetem Reis, stellt Zweige, Blätter und Früchte hinein, macht mit Zinnoberrot ein Zeichen darauf, füllt es mit Duftwasser und murmelt dabei das heilige OM. Dann plaziert er den Krug im Yantra, schwenkt davor Lichter und Räucherstäbchen, verehrt ihn mit Duft und Blüten, macht sich die innewohnende Göttin bewußt und meditiert über ihr großes Wesen. Danach folgen die entsprechenden Riten in abgekürzter Form.

Oh Verehrte der Götter, höre mich nun, wie ich über das Besondere dieser Verehrung spreche. Es gibt keine Notwendigkeit die neun Opfertöpfe für den Lehrer und alle anderen aufzustellen. Der Übende kann nach Wunsch die symbolischen Opfergaben (Wein, Fisch, Fleisch usw.) wählen, plaziert sie vor sich selbst, reinigt sie mit dem Schutzmantra („phaṭ“) und betrachtet sie mit konzentriertem Blick. Dann gibt er Duft und Blüten in den Krug, wandelt im Geiste das Wasser in Wein und meditiert wie folgt über Ananda-Bhairava und Ananda-Bhairavi in ihm (über die Verbindung von Glückseligkeit (Ananda) und der schrecklichen Erscheinung von Gott und Göttin (Bhairava und Bhairavi) bzw. von Geist und Natur):

Ich meditiere über Ananda-Bhairavi in ihrer vollerblühten Jugend mit einem Körper so rötlich wie der erste Glanz der aufgehenden Sonne. Ihr Gesicht strahlt vom süßen Nektar ihres Lächelns so wunderschön wie ein vollerblühter Lotus. Ihr Köper ist mit Juwelen geschmückt und in schöne bunte Kleider gehüllt. Sie erfreut sich innigst an Tanz und Gesang, und zeigt mit ihren Lotushänden die Gesten der Segnung und des Schutzes, um alle Ängste zu zerstreuen.

Nachdem er über die Göttin der Glückseligkeit meditiert hat, sollte er wie folgt über Ananda-Bhairava meditieren:

Ich meditiere über den Gott, der so weiß wie ein Berg aus Kampfer ist, dessen Augen so groß und schön wie Lotusblätter sind, dessen strahlender Körper mit himmlischen Roben und Juwelen geschmückt ist und der in seiner linken Hand einen Krug mit heiligem Nektar und in seiner rechten Hand ein Bällchen heiliger Opferspeise trägt.

Nachdem er beide auf diese Weise meditiert hat und sich ihrer Vereinigung im Wein des Kruges bewußt geworden ist, verehrt er sie als Einheit darin mit Duft, Blüten und dem Mantra, das ihre Namen zwischen OM und Namah einschließt:

oṁ ānanda-bhairavāya namaḥ - oṁ ānanda-bhairavyai namaḥ

Dann reinigt und heiligt der Kula-Verehrer den Wein, indem er über ihm 108mal folgendes Mantra murmelt:

āṁ hrīṁ krōṁ svāhā

Wenn das Kali-Zeitalter die vollständige Herrschaft übernommen hat, kann der Hausvater, der den häuslichen Begierden zu sehr verfallen ist, den Wein auch mit solchen begehrten Süßigkeiten ersetzen wie Milch, Zucker oder Honig. Sie sollten wie berauschender Wein betrachtet und in gleicher Weise der Gottheit geopfert werden. Alle jene, die unter der Herrschaft von Kali geboren wurden, haben von Natur aus eine schwache Vernunft, und ihr Geist wird von Begierde überwältigt. Aus diesem Grund erkennen sie nicht die Shakti (das weibliche Wesen der Natur) als Erscheinung der Gottheit. Und aus diesem Grund, oh Parvati, sollten sie lange über die Lotusfüße der Göttin meditieren und ihr Wurzelmantra murmeln, bevor sie das letzte Prinzip der Verehrung verwirklichen können, die Vereinigung (das fünfte Tattwa). Auf diese Weise sollte der Verehrer jedes Prinzip der Bindung (alle Tattwas) reinigen, indem er dieses Mantra 108mal murmelt. Mit geschlossenen Augen sollte er über ihre Einheit im Brahman meditieren, dann widmet er sie der Göttin Kali und kann sie auf reine Weise genießen.

Oh Freundliche, das ist der Bhairavi-Kreis, der in allen Tantras innerlich verborgen ist. Ich habe ihn dir nun offenbart. Es ist die Essenz der Essenzen, das Beste vom Besten und Heiligste vom Heiligen. Oh Parvati, im Bhairavi- und Tattwa-Kreis sollten die geübten Verehrer ihre Shakti nach den Regeln der Shiva-Hochzeit heiraten. Der Verehrer, der unverheiratet die Shakti Vereinigung praktiziert, sammelt zweifellos die Sünde an, die Ehefrau eines anderen zu schänden. Im Bhairavi-Kreis gelten alle Kasten als hochgeborene Brahmanen, und wenn er unterbrochen ist, gelten wieder die gewöhnlichen Kasten-Unterschiede. In diesem spirituellen Kreis gibt es weder die Trennung der Kasten noch Unreinheit in der Ernährung. Die heldenhaften Verehrer in diesem Kreis gelten als ein Teil von mir. Daran gibt es keinen Zweifel. In diesem Kreis gibt es keine festen Regeln für Ort und Zeit oder der jeweiligen Befähigung. In diesem Kreis können alle nötigen Dinge verwendet werden, wer auch immer sie gegeben hat. Ob aus fremden Ländern, gekocht oder ungekocht, von Weisen oder Unwissenden, sie sind wesenhaft rein, sobald sie in den heiligen Kreis gebracht werden. Wenn dieser Kreis geschlossen wird, dann fliehen alle Gefahren aus Furcht vor dem Brahman-Glanz seiner heldenhaften Verehrer. Schon wenn sie vom Bhairavi-Kreis hören, ziehen sich alle schrecklichen Gespenster, Rakshasas, Yakshas und Dämonen ehrfürchtig zurück. Und in den Kreis kommen mit Freude alle heiligen Orte, die großen Pilgerstätten und all die Götter mit Indra an der Spitze. Oh Shiva-Shakti, dieser geistige Kreis ist ein höchst heilsamer und heiliger Ort der Reinigung, viel heilsamer und heiliger als alle anderen heiligen Badestätten. Die ganze Schar der Götter und Himmlischen kommt hierher, um die vorzüglichen Opfergaben zu empfangen, die dir, oh große Göttin, in diesem Kreis dargebracht werden. Jede Speise, gekocht oder ungekocht, sei sie auch von Barbaren, Ausgestoßenen oder Wilden gegeben worden, wird in diesem heiligen Kreis in der Hand des heldenhaften Verehrers vollkommen und rein. Angesichts dieses Kreises und seiner Verehrer darin, die in ihrem Wesen mit mir vereint sind, werden die vom Kali-Zeitalter überwältigten Menschen von den Fesseln ihrer sündhaften Natur befreit. Wenn also das Kali-Zeitalter die ganze Herrschaft übernommen hat, sollte dieser Kreis nicht verborgen bleiben. Der siegreiche Verehrer sollte überall und immer die Kula-Riten üben und die Einheit verehren. In diesem Kreis sollten Kastenstolz, überflüssige Worte und Unachtsamkeit vermieden werden sowie auch ungezügeltes Verhalten wie Spucken und Pupsen. Auch Grausamkeit, Bosheit, Gemeinheit, Sünde, Gottlosigkeit sowie Lästerung und Verleumdung der Kula-Schriften sollten in diesem Kreis keinen Platz finden. Wer als heldenhafter Verehrer aus Leidenschaft, Angst oder Anhaftung niedere Triebe und tierische Neigungen in diesem Kreis zuläßt, fällt vom Kula-Weg ab und geht in die Hölle. Wer sich in diesem Kreis aus Stolz auf seine Geburt von den anderen Kasten unterscheidet, geht ebenfalls in eine schreckliche Hölle, selbst wenn er alle vedischen Schriften studiert hat. Denn alle, die im Kula-Dharma Zuflucht suchen und den Weg der Einheit üben, seien es Brahmanen, Kshatriyas, Vaisyas, Shudras oder Samanyas, sind stets der Verehrung würdig, wie die Gottheit selbst. Wie könnte in einem solchen Kreis noch irgendeine Angst oder Sünde für die Kulikas mit gutem und reinem Herzen bestehen, die mit der Gottheit Eins geworden und eine Verkörperung von Shiva sind? Solange die Verehrer von Shiva in diesem Kreis sind, folgen sie seinen Geboten und seinem Geist.

Außerhalb dieses Kreises sollte jeder dem Beruf seiner Kaste und Lebensweise folgen und seine Pflichten als ein Mensch dieser Welt erfüllen. Ein einziges Mantra voller Hingabe in diesem Kreis gewährt die Früchte von hunderten gewöhnlichen Riten. Wer könnte die Heiligkeit dieses Kreises beschreiben? Schon ein geschlossener Kreis kann von den Bindungen aller Sünden befreien. Wer über sechs Monate die Verehrung in diesem Kreis darbringt, wird ein König werden. Nach einem Jahr hat man die ganze Erde gewonnen. Und wer diese Verehrung jeden Tag beständig übt, erreicht die höchste Befreiung, das Nirvana. Oh Kalika, was soll ich noch mehr sagen? Erkenne es klar und deutlich, für das Glück in dieser und der kommenden Welt ist das Kula-Dharma der beste Weg. Wenn das Kali-Zeitalter herrscht und jegliche Tugend schwindet, verdiente sogar ein Kulika die Hölle, wenn er den Kula-Dharma geheimhält.

Damit habe ich dir den Bhairavi-Kreis erklärt, der ein einzigartiger Weg zum Glück und zur höchsten Befreiung ist. Höre, oh Königin der Kulikas, wie ich nun vom Tattwa-Kreis spreche.

Der Tattwa-Kreis ist der König aller geistigen Kreise. Er wird auch himmlischer Kreis genannt, und nur Verehrer, die das Brahman erkannt haben, können ihn erreichen. Nur jene Verehrer des Brahman können diesen Kreis schließen, die mit der Erkenntnis des Brahman gesegnet wurden, die dem Brahman mit reinem Herzen, zufrieden und beruhigt hingegeben sind, die sich dem Guten aller Wesen widmen, die von der äußerlichen Welt mit ihren Anhaftungen nicht mehr überwältig werden, die überall das Eine sehen und alles als gleichwertig betrachten, die das große Mitgefühl üben, wahrhaft in ihrem Vertrauen sind und das Brahman verwirklicht haben. Oh Kennerin der Höchsten Seele, wer die Wahrheit schaut und alle belebten und unbelebten Geschöpfe als Einheit des Brahman erkennt, der hat die Macht, diesen Kreis zu ziehen. Nur wer alles als Brahman betrachtet, ist befähigt, oh Göttin, in diesen Tattwa-Kreis einzugehen.

Für diesen Kreis gibt es keine Notwendigkeit für den Wein-Krug noch für lange Rituale. Er kann überall in einem Geist voller Hingabe zum Brahman, dem All-Einen, geschlossen werden. Oh Geliebte, wer das Brahman-Mantra („oṁ sat cit ēkaṁ brahma“) und das hingebungsvolle Vertrauen in das Brahman verinnerlicht hat, kann als Herr dieses Kreises gelten, den er zusammen mit anderen Verehrern schließt, die das Höchste Brahman kennen. An einem schönen und reinen Ort, der den Verehrern freundlich ist, sollten schöne und reine Sitze ausgebreitet werden. Dort, oh Shiva-Shakti, sollte der Herr des Kreises mit den Verehrern des Brahman sitzen und die Tattwas, die prinzipiellen Dinge der Verehrung, vor sich aufstellen. Dann murmelt der Herr des Kreises hundertmal das Mantra „oṁ haṁsa“ (in Verbindung mit dem Lebensatem) und spricht folgendes Gebet über die Tattwas:

Die Opferhandlung ist das Brahman. Die Opfergabe ist das Brahman. Das Opferfeuer ist das Brahman, und der Opfernde ist das Brahman. Nur wer sich auf diese Weise selbst dem Brahman opfert, erreicht die Einheit des Brahman.

Alle Tattwas sollten mit der innerlichen Rezitation dieses Gebetes sieben- oder dreimal in ihrem innersten Wesen gereinigt werden. Dann opfert er mit dem Brahman-Mantra Speise und Trank dem Höchsten Geist und empfängt die Opferreste davon mit allen anderen Verehrern, die das Höchste Brahman kennen. Oh große Göttin, in diesem Brahman-Kreis verschwinden alle Unterschiede der Kasten, des Ortes, der Zeit, der Riten oder Tattwas. Der Unwissende, der in diesem himmlischen Kreis aus mangelnder Achtsamkeit äußerliche Dinge wie Abstammung und Kaste unterscheidet, der fällt hinab auf den Pfad tierischer Existenz. Deshalb sollte der vorzügliche Verehrer, der das alles durchdringende Höchste Brahman kennt, die Riten im Tattwa-Kreis mit größter Achtsamkeit ausführen, um die Verdienste von Tugend, Wohlstand, Liebe und Erlösung zu erreichen.

8.2. Die Lebensweise der Wanderasketen

Die heilige Göttin sprach:
Oh Herr, du hast die Aufgaben der Hausväter ausführlich erklärt. Nun sprich bitte auch über die Aufgaben in der Lebensweise der Asketen.

Und der ewiggütige Shiva antwortete:
Oh Göttin, was sonst die Lebensweise eines Sannyasin war („besitzloser Bettelmönch“), wird im Kali-Zeitalter Avadhuta (Asket oder „Welt-Entsagender“) genannt. Nun höre ausführlich darüber.

Wenn ein Mensch durch spirituelle Weisheit die Erkenntnis des Brahman erreicht hat, und sich die Anhaftung an weltliche Dinge löst, dann sollte er in der Lebensweise eines hauslosen Wanderasketen Zuflucht suchen. Alle Kasten, seien es Brahmanen, Kshatriyas, Vaisyas, Shudras oder Samanyas sind gleichermaßen berechtigt, die reinigenden Initiationsriten als Kula-Avadhuta anzunehmen. Wer aber diese Lebensweise eines Hauslosen annimmt und dabei seine alten Eltern, kleinen Kinder, eine treue Ehefrau oder andere verläßt, die von seiner Hilfe abhängen, dann geht er damit den Weg in die Hölle. Wer dagegen seine Aufgaben als Hausvater erfüllt hat, und alle Abhängigen versorgt sind, der sollte sein Haus verlassen, gleichmütig, zufrieden und mit gezügelten Sinnen. Wer diesen Wunsch hat, sollte all seine Verwandten, Freunde, Nachbarn und Dorfbewohner zusammenrufen, und sie freundlich um ihre Erlaubnis bitten. Und wenn er ihre Erlaubnis erhalten hat, dann verehrt er die ewige Gottheit, umrundet sein Dorf und verläßt ohne Anhaftung seine Häuslichkeit. Von den Bindungen des Hauslebens befreit und von tiefster Freude erfüllt, sollte er nun einen Kula-Asketen mit himmlischer Sicht aufsuchen und ihn wie folgt bitten:

Oh Höchstes Brahman, ich habe mein bisheriges Leben den Aufgaben des Hausstandes geopfert. Nun sei gnädig, oh Herr, und laß mich die Lebensweise eines Asketen annehmen.

Der geistige Lehrer wird sich daraufhin überzeugen, ob der Schüler seine häuslichen Pflichten wirklich erfüllt hat, und wenn er ihn mit zufriedenem Geist und voller Einsicht findet, wird er ihm die Initiation in die nächste Stufe der Lebensweisen geben. Dann sollte der Schüler mit wohlkonzentriertem Geist seine Reinigungsriten und täglichen Gebete vollbringen und die Götter, Rishis und Ahnen verehren, um sich von seiner dreifachen Schuld ihnen gegenüber zu befreien. Mit den Göttern sind Brahma, Vishnu und Rudra mit ihrem Gefolge gemeint, mit den Rishis die heiligen Lehrer wie Sanaka, Bhrigu oder Narada, und zu den verehrenswerten Ahnen gehören der Vater, Großvater und Urgroßvater, die Mutter und Großmutter, der Großvater mütterlicherseits und alle weiteren Vorfahren in aufsteigender Linie. Wenn man sich der Lebensweise der Asketen widmet, sollte man die Götter und Rishis im Osten, die Ahnen väterlicherseits im Süden und die Ahnen mütterlicherseits im Westen verehren. Dafür bereitet man verschiedene Sitze (aus Kusha-Gras) in den jeweiligen Richtungen, und beginnt im Osten, die Götter und Rishis anzurufen und sie zu verehren. Nachdem diese Verehrung auf rechte Weise erfolgt ist, wendet man sich in die anderen Richtungen, verehrt die jeweiligen Ahnen mit den rechten Riten und bringt ihnen den Totenkuchen (Pinda) dar. Schließlich betet der Schüler mit gefalteten Händen zu den Himmlischen und Ahnen:

Oh Väter, oh Mütter, oh Götter, oh Rishis, möget ihr zufrieden sein. Bitte befreit mich von den Banden aller Schulden, die ich vor euch habe, damit ich nun den Weg der großen Entsagung gehen kann.

Nachdem er darum gebeten hat, von allen Schulden befreit zu werden, verneigt er sich wieder und wieder vor ihnen. Und wenn er von dieser Schuld befreit wurde, sollte er seine eigenen Begräbnisriten (das Sraddha) durchführen. Er wird sich damit der Einheit seiner eigenen Seele mit dem Vater, dem Großvater und allen anderen Ahnen bewußt. Aus diesem Grund sollte der Weise, der seine individuelle Seele der Höchsten Seele opfert, seine eigenen Begräbnisriten feiern. Oh Göttin, dazu setzt er sich in Richtung Norden, ruft die Geister der Ahnen auf die Sitze, die er ihnen aus Kusha-Gras bereitet hat, verehrt sie voller Hingabe und opfert ihnen und sich selbst den Totenkuchen. In diesem Opfer sollte er das Kusha-Gras mit den Spitzen nach Osten, Süden, Westen (jeweils für die Götter und Rishis, Ahnen väterlicherseits und Ahnen mütterlicherseits) und für sich selbst nach Norden ausrichten. Nachdem er diesen Begräbnisritus nach den Anweisungen seines geistigen Lehrers vollbracht hat, sollte der nach Befreiung Suchende das folgende Mantra hundertmal murmeln, um sein Herz zu reinigen:

hrīṁ tryambakaṁ yajāmahē sugandhiṁ puṣṭivarddhanam
ūrvārukamiva bandhanān mr̥tyōrmukṣīya mā'mr̥tāt

(Illusionswelt - Wir verehren den dreiäugigen Gott mit dem Nektarduft der Erlösung. Befreie uns von den Fesseln des Todes wie eine reife Frucht vom Stiel, und führe uns auf dem Pfad der Erlösung.
Tryambaka-Mantra z.B. im Rig-Veda 7.59.12)

Dann sollte der geistige Lehrer einen Altar errichten, ein Yantra gemäß der verehrten Gottheit zeichnen, den Nektar-Krug plazieren und die Verehrung beginnen. Nach der Mediation über den Höchsten Geist, wie es Shiva geboten hat, setzt der Lehrer mit der Brahman-Sicht das Feuer auf den Altar, gibt auf seine Weise Opfergaben in das geheiligte Feuer und läßt seinen Schüler das Feueropfer vollständig ausführen. Zuerst opfert er Erde, Luft und Himmel und danach die Lebenswinde Prana, Apana, Samana, Udana und Vyana (Lebensatem, Abwärtshauch, Allhauch, Aufwärtshauch und Zwischenhauch). Um die Seele von der Anhaftung an den irdischen Körper zu befreien, vollbringt er dieses Tattwa-Feueropfer und spricht folgendes Gebet:

Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum mit Geruch, Geschmack, Sichtbarkeit, Gefühl und Klang sowie Nase, Zunge, Augen, Haut und Ohren, auch Sprachorgan, Hände, Füße, After und Geschlechtsorgan nebst Denken, Vernunft, Ichbewußtsein und Körperbewußtsein mit allen Prinzipien der Sinne und die Lebenswinde - mögen sie alle, die ich bisher mein Eigen nannte, im Opferfeuer gereinigt werden. Hriem (Mahamaya, Illusionswelt), möge ich von der Begierde und der Sünde der Unwissenheit befreit als reines Licht erstrahlen - Swaha (dem Feuer der Gottheit gewidmet)!

Nachdem er die vierundzwanzig Prinzipien der Körperlichkeit (die Tattwas) als Opfergabe dem Feuer übergeben hat, ist er nun von den Bindungen des Handelns befreit und kann seinen Körper als gestorben betrachten. Und wie er seinen Körper als gestorben und in seiner Funktion als unwichtig betrachtet, wird er sich des Höchsten Brahman bewußt und kann nun auch die heilige Schnur ablegen (die er in seiner Initiation zum Zweifachgeborenen empfangen hat). Mit himmlischer Sicht begabt nimmt er sie von seiner Schulter und spricht dabei das Mantra:

aiṁ klīṁ haṁsaḥ (Oder: aiṁ klīṁ hūṁ)

Während er die heilige Schnur in seiner Hand hält, murmelt er die drei Vyahritis mit Swaha am Ende, taucht die Schnur in geklärte Butter und wirft sie ins Feuer:

oṁ bhūr-bhuvaḥ-svaḥ svāhā
(OM - Erde, Luft und Himmel, dem Feuer der Gottheit gewidmet!)

Nachdem er die heilige Schnur als Opfergabe dem Feuer dargebracht hat, sollte er mit der Kama-Keimsilbe („klīṁ“) seinen Haarschopf (Sikha) abschneiden und mit dem folgenden Gebet in geklärte Butter tauchen:

Oh Sikha, Tochter von Brahma, du bist eine Asketin in Gestalt dieser Haare. Ich übergebe dich nun dem Ort der Reinigung. Lebe wohl, oh Göttin! Ich verneige mich vor dir.

Dann murmelt er das Mantra „klīṁ hrīṁ hūṁ phaṭ svāhā“ und vollbringt das Sikha-Opfer im heiligen Feuer. In diesem Haarschopf wohnen die Ahnen, Götter und himmlischen Rishis sowie alle Aufgaben der weltlichen Lebensweisen und haben ihn als Stütze. Deshalb wird ein Mensch, der seinem Haarschopf und der heiligen Schnur entsagt, nachdem er sein Opfer dargebracht und seine Schuld beglichen hat, mit dem Brahman vereint. So betreten die Zweifachgeborenen durch Entsagung von Haarschopfes und heiliger Schnur die Lebensweise der Asketen, während die Shudras und Samanyas nur ihrem Haarschopf entsagen. Und wer Haar und heilige Schnur auf diese Weise abgelegt hat, sollte nun seinen geistigen Lehrer verehren und sich in ganzer Länge auf die Erde legen. Dann wird der Lehrer seinen Schüler aufheben und in sein rechtes Ohr flüstern:

Oh Weiser! Du bist Das („tat tvam asi“). Erinnere dich und erkenne „Ich bin Er!“ und „Er ist Ich!“. Du bist das Brahman, das All-Eine und das reine Bewußtsein. Wandle in deinem wahren Wesen durch diese Welt, befreit von jeglicher Anhaftung und allen Fesseln des Egoismus.

Schließlich wird der geistige Lehrer, der das Brahman in ganzer Tiefe kennt, den Nektar-Krug leeren, das Feuer entlassen, seinen Schüler als sein Selbst betrachten, sich vor ihm verneigen und sagen:

Ich verehre dich wie mich selbst. Deine Form ist das ganze Universum (Vishvarupa). Du bist Das und Das bist Du. Höchste Verehrung sei dir!

So erreichen die Verehrer des Brahman-Mantras, welche die natürlichen Prinzipien (Tattwas) durchschaut und sich selbst besiegt haben, die Lebensweise der Asketen, indem sie den Haarschopf mit ihrem eigenen Mantra abschneiden („oṁ satcit ēkaṁ brahma“). Wer durch die Erkenntnis vom Höchsten Geist gereinigt wurde, wozu bräuchte er noch Opferriten, Totenriten oder rituelle Verehrung? Sie handeln nun stets, wie es sein soll, und sammeln keine Sünde mehr an. Auf diese Weise sollte der Asket jenseits aller Gegenätze, gelassen, wunschlos und zufrieden wie eine sichtbare Verkörperung des Brahman über die Erde wandern. Alles, vom Schöpfergott bis zum kleinsten Grashalm, erkennt er als Formen des Brahman, meditiert über das Höchste in sich selbst und löst alle Namen und Formen im All-Einen auf. So wandert er als Asket vom großen Mitgefühl bewegt und frei von jeder Ichhaftigkeit ohne häusliche Bindung, weltliche Anhaftung, Furcht, Zweifel und Besitzansprüche über diese Erde. Das macht ihn frei von jedem weltlichen Gesetz, und weder kämpft er um Dinge, die er nicht hat, noch beschützt er das, was er hat. Sein wahres Wesen hat er erkannt und bleibt gelassen in Glück und Leid. Er ist zufrieden und schweigsam, hat sich selbst überwunden und von allen Begierden befreit. Seine Seele wird weder von Sorgen gequält noch von Reichtum erfreut. Er ist stets heiter, rein, friedlich, gleichmütig und gelassen. Er wird niemanden verletzen und stets dem Wohl aller Wesen gewidmet sein. Er beherrscht seine Sinne und ist frei von Begierde, Zorn und Unwissenheit. Er kämpft weder um seinen Körper noch treiben ihn irgendwelche Sehnsüchte. So wird er frei sein von allen Sorgen, gleichmütig zu Freund und Feind, geduldig im Ertragen von Kälte und Hitze und gelassen in Ehre und Unehre. Er bleibt der Gleiche in guten und schlechten Zeiten, mit allem zufrieden, was ihm gegeben wird, ohne danach zu verlangen. Von aller Unwissenheit erlöst ist er jenseits der drei natürlichen Qualitäten (von Güte, Leidenschaft und Trägheit) und sammelt nichts Persönliches mehr an. So wird er durch die Erkenntnis glückselig, daß die Grundlage seines Körpers der Höchste Geist ist, wie auch dieses ganze Universum trotz aller Illusion auf ewiger Wahrheit beruht. Befreiung erreicht er durch die Verwirklichung der Erkenntnis, daß der Geist in seinem wahren Wesen von den Sinnesorganen unabhängig und der Zeuge von allem ist.

Der Asket sollte kein Metall mehr berühren (Waffen, Werkzeuge, Schmuck usw.) und jegliche Illusion, Lüge, Neid, sexuelle Lust und Betätigung meiden. Er sollte mit dem Auge der Einheit in gleicher Weise auf Würmer, Menschen und Götter schauen. Der Avadhuta-Asket sollte in allen Geschehnissen und Taten das Brahman erkennen. So kann er sich von jeder Speise ernähren, unabhängig von Art, Ort und Zeit, und ob die Speise von einem Zweifachgeborenen, Ausgestoßenen oder sonst einer Person gegeben wurde. Ein Avadhuta verbringt seine Zeit zufrieden, studiert die heiligen Schriften bezüglich des Selbst und meditiert über das wahre Wesen des Brahman, über Das, was ist. Die Leiche eines solchen Asketen sollte niemals verbrannt, sondern mit Duft und Blüten verehrt entweder begraben oder im Wasser versenkt werden.

Oh Göttin, all jene Menschen, die die Einheit mit der Höchsten Seele noch nicht erreicht haben und emsig nach weltlichem Glück suchen, neigen sich natürlicherweise dem Weg der Tätigkeit zu. Auch die Übung der Meditation, die rituelle Verehrung, das Mantra-Murmeln und die Rezitation heiliger Texte wird für sie eine Art der Anhaftung. Doch alle, die darin ein starkes Vertrauen haben, sollten wissen, daß dies der beste Weg für sie ist. Für ihr Wohlergehen habe ich über die verschiedenen Riten zur Reinigung des Herzens gesprochen, und für sie habe ich die verschiedenen Namen und Formen erklärt. Doch am Ende, oh Göttin, kann niemand die höchste Befreiung erreichen, ohne das Brahman zu erkennen und allen karmischen Taten zu entsagen, selbst wenn er über hunderte Zeitalter diese Riten der Verehrung übt. Deshalb sollten die häuslich Lebenden einen hauslosen Kula-Asketen, der die Brahman-Erkenntnis erreicht hat, als sichtbare Verkörperung von Narayana betrachten und ihn auf diese Weise verehren. Denn schon beim Anblick eines Asketen, der die Leidenschaft überwunden hat, wird man von allen Sünden gereinigt und erntet das Verdienst von Pilgerreisen, Wohltätigkeit, Gelübden, Askesen und Opfern.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter