Maitreya sprach:
Erkläre mir bitte, oh Brahmane, wie die Gottheit die Götter, Himmlischen, Ahnen, Dämonen, Menschen, Tiere, Bäume und alle anderen Geschöpfe erschuf, die auf der Erde, im Himmel oder im Wasser leben. Wie formte Brahma in der Schöpfung diese Welt mit ihren natürlichen Qualitäten, Eigenschaften und Erscheinungen?
Und Parasara sprach:
So höre mit Achtsamkeit, oh Maitreya, wie ich dir erkläre, wie die Gottheit, dieser Herr von allem, die vielfältigen himmlischen und weltlichen Wesen erschuf. Während sich Brahma, wie zu Beginn jedes Kalpas, auf die Schöpfung konzentrierte, erschien die Schöpfung, verfestigt durch die natürliche Qualität der Trägheit und von Unwissenheit geprägt. Eine fünffache Illusion entstand aus diesem Hochbeseelten: Unwissenheit, Anhaftung, Begierde, Zuneigung und Abneigung (Tamas, Moha, Mahamoha, Tamisra, Andhatamisra). So konzentrierte Brahma die Schöpferkraft, und es erschien aus dieser fünffachen Illusion zuerst die unbewußte Schöpfung, ohne Verstand und Gedanken, ohne Sinneswahrnehmung, Gefühle und Leben. Und weil diese unbelebten Geschöpfe zuerst entstanden, spricht man von der ersten, grundlegenden Schöpfung. Als Brahma ihre Unfruchtbarkeit erkannte, konzentrierte er sich weiter, und es erschien die lebendige Schöpfung als eine mittlere Strömung. Darunter zählen die Pflanzen und Tiere, welche von der natürlichen Qualität der Trägheit geprägt sind, voller Illusion und Unwissenheit, von Egoismus und Stolz überwältigt, und den 28 Formen des Leidens unterworfen. Sie identifizieren sich mit ihren Gefühlen, ihrem Körper und ihren Arten und Familien. Diese Mittelmäßigkeit betrachtend konzentrierte sich Brahma weiter, und eine dritte Schöpfung erschien, welche von der natürlichen Qualität der Güte geprägt war und einer aufwärts gerichteten Strömung glich. Die Wesen, die in dieser aufwärts gerichteten Schöpfung geboren wurden, sind voller Glück und Freude, innerlich und äußerlich unbelastet, und strahlen in ihrem eigenen Licht. Man nennt sie die Schöpfung der himmlischen Wesen. Und Brahma betrachtete diese gesättigte Zufriedenheit und konzentrierte sich weiter auf die Schöpfung, um Vollkommenheit zu schaffen. Daraufhin entstand erneut eine abwärts gerichtete Strömung um seinem unfehlbaren Werk zu dienen. Die damit geborenen Wesen hatten das Licht der Erkenntnis, aber waren noch von der natürlichen Qualität der Trägheit und vor allem der Leidenschaft beherrscht. Deshalb werden sie vom Leiden gequält und beständig zum Handeln getrieben. Innerlich und äußerlich streben sie zum Licht der Erkenntnis und vollbringen damit die hohen Ziele des Schöpfers. Zu ihnen gehören die Menschen.
Damit habe ich dir, oh bester Muni, bereits viele Schöpfungen erklärt. Die erste Schöpfung war das geistige Erwachen und wird die Schöpfung von Brahma genannt. Die zweite war die Schöpfung der feinstofflichen Elemente und wird elementare Schöpfung genannt. Die dritte war die Schöpfung der Sinnes- und Handlungsorgane mit dem Denken und wird auch Sinnesschöpfung genannt. Diese drei waren Schöpfungen der unentfalteten Natur (geistige Schöpfungen). Die vierte war die Hauptschöpfung der unbewußten Materie. Die fünfte war die Schöpfung der Lebewesen. Die sechste war die aufwärts gerichtete Schöpfung der Himmlischen. Die siebente war die abwärts gerichtete Schöpfung der Menschen. Die achte ist die Schöpfung Anugraha (der Gnade), voller Güte (Sattwa) aber auch immer noch von Trägheit (Tamas) geprägt. Von diesen Schöpfungen sind drei primär (geistig) und fünf sekundär (natürlich). Darüber hinaus gibt es noch eine neunte Schöpfung, die Kumara genannt wird (eine Manifestation von Rudra als zerstörerische Form von Shiva bzw. die unschuldigen geistgeborenen Söhne von Brahma). Dies sind die neun Schöpfungen des Großen Allvaters. Als primäre und sekundäre Erscheinungen sind sie die Ursachen der Welt und werden durch die Schöpferkraft von Brahma entfaltet. Was möchtest du darüber hinaus noch hören?
Und Maitreya antwortete:
Oh Muni, du hast mir kurzgefaßt die Schöpfung der himmlischen und weltlichen Wesen erklärt. Nun möchte ich, oh Weiser, auch einen ausführlichen Bericht über diese Schöpfung hören.
Parasara sprach:
Alle körperlichen Wesen, selbst wenn sie während der universalen Auflösung äußerlich zerstört werden, sind auch weiterhin von ihren guten und schlechten Taten ehemaliger Existenzen geprägt. Mit dieser Ansammlung (ihrem Karma) sind sie stets verbunden. Und wenn Brahma die Welt neu erschafft, entstehen sie entsprechend ihrer Neigung in den vier Arten, von den Himmlischen bis zu den leblosen Dingen. Und so entsprach Brahma dem Wunsch der vier Arten der Wesen, nämlich den Götter-, Dämonen-, Ahnen- und Menschenähnlichen, nach Entstehung und begann, sich zu konzentrieren. Während dieser Konzentration erhob sich zuerst die natürliche Qualität der Trägheit (Tamas) in seinem Körper, und entsprechend wurde die Art der Dämonen von seinen Schenkeln geboren. Diese Form der Trägheit (auch Dunkelheit bzw. Unwissenheit) trennte sich von Brahma, und damit wurde gleichzeitig die Nacht geschaffen. Im Weiteren entfaltete er eine zweite Form voller Licht und Heiterkeit, und unter dem Einfluß der Güte (Sattwa) erschien aus seinem Mund die Art der Götter, und gleichzeitig wurde der Tag geschaffen. Deshalb sind während des Tages die Götter am kraftvollsten und während der Nacht die Dämonen. Dann nahm er eine weitere Form an, die von der natürlichen Qualität der Güte geprägt war, und als Großer Vater der Welt wurde die Art der Ahnen (Pitris) aus seiner Seite geboren. Als diese Form sich von Brahma trennte, wurde sie zur Abenddämmerung, dem Übergang zwischen Tag und Nacht. Dann nahm Brahma unter dem Einfluß der natürlichen Qualität der Leidenschaft (Rajas) eine weitere Form an, aus welcher die leidenschaftlich geprägte Art der Menschen geboren wurde. Schnell trennte sich diese Form von Brahma und wurde zur Morgendämmerung. Deswegen fühlen sich die Menschen morgens am stärksten, und die Ahnen sind abends am mächtigsten. Auf diese Weise, oh Maitreya, wurden die Morgendämmerung, der Tag, die Abenddämmerung und die Nacht geprägt von den drei natürlichen Qualitäten zu den vier Formen von Brahma. Darüber hinaus nahm Brahma eine weitere Form an, und aus der Qualität der Leidenschaft wurde der Hunger geboren und aus dem Hunger der Zorn. Damit entstanden aus seinem langen Bart die schrecklichen Wanderer der Nacht mit unersättlichem Hunger. Sogleich erschienen sie vor Brahma und manche sprachen „Beschütze uns!“, und andere „Ernähre uns!“ (Raksha = schützen, Yaksha = essen). Daraufhin wurden die einen zu Rakshasas (dunklere Naturgeister, den Dämonen zugeneigt) und die anderen zu Yakshas (hellere Naturgeister, den Göttern zugeneigt). Als Brahma diese Wesen leiden sah, fielen ihm einige Haare aus, die sofort wieder nachwuchsen. Und aus den abgefallenen Kopfhaaren entstanden die Schlangen. Dann stieg Zorn im Schöpfer der Welt auf und sogleich erschienen wilde Geschöpfe, dunkle Geister, die sich vom Fleisch anderer ernähren. Daraufhin konzentrierte sich Brahma auf den Wohlklang und die Gandharvas (himmlischen Musiker) wurden geboren.
All diese Geschöpfe und viele weitere entfaltete Brahma mit seiner Schöpferkraft aufgrund ihrer innewohnenden Neigungen. Die Vögel erschienen aus seinem Lebenssamen, die Schafe aus seiner Brust, die Ziegen aus seinem Mund, die Kühe aus seinem Bauch und den Flanken, die Pferde, Elefanten, Hasen, Hirsche, Kamele, Esel, Antilopen und anderen Tiere von seinen Füßen und die Pflanzen mit Kraut, Wurzeln und Früchten von seinen Körperhaaren. Oh Zweifachgeborener, diese Pflanzen und Tiere bestimmte Brahma zum Beginn des silbernen Treta Yuga und am Abend des Kalpa (Schöpfungstages) zum Gerbrauch in Opferhandlungen. Darüber hinaus wurden die Tiere in zwei Klassen geteilt, in häusliche Nutztiere und wilde Tiere. Zur ersten Klasse gehören Kühe, Ziegen, Schweine, Schafe, Pferde, Esel und ähnliche. Zu den Wildtieren gehören alle Raubtiere, Elefanten, Affen, Vögel, Wassertiere und Insekten. Dann erschienen aus seinem östlichen Mund der Rig-Veda und das Gayatri-Metrum. Aus seinem südlichen Mund erschienen der Yajur-Veda und das Trishtutva-Metrum. Aus seinem westlichen Mund erschienen der Saman-Veda und das Jayati-Metrum und aus seinem nördlichen Mund der Arthava-Veda und das Anishtubha-Metrum. Ähnlich erschienen noch viele weitere Hymnen, Gebete und Opfergesänge aus den vier Mündern des viergesichtigen Brahma.
Auf diese Weise entstanden alle großen und kleinen Wesen von seinen Gliedern. Und nachdem der Große Vater der Welt zu Beginn des Kalpa die Arten der Götter, Dämonen und Ahnen geschaffen hatte, erschienen auch die Yakshas, Pisachas (Geister), Gandharvas (himmlische Musiker) mit ihren Apsaras (himmlische Tänzerinnen), Naras, Kinnaras, Rakshasas, Pflanzen, Tiere der Luft, der Erde und des Wassers, also die ganze Vielfalt der mehr oder weniger lebendigen Geschöpfe. Dies geschah durch den göttlichen Brahma, den Schöpfergott und Großen Vater von allem. Und nachdem diese Geschöpfe in gleicher Form und mit gleichen Neigungen und Funktionen wie in der vorherigen Schöpfung geschaffen waren, zeigten sie auch die gleichen natürlichen Verhaltensmuster wie gut und böse, friedlich und grausam, heilsam und unheilsam, oder auch wahrhaft und verlogen. Der Schöpfer verbindet die Sinne wieder mit der Vielfalt der Sinnesobjekte, entfaltet die Eigenschaften der Wesen, ihre Persönlichkeiten und entsprechend die Formen ihrer Körper. Er bestimmt von Anfang an aus der Wahrheit die Namen, Formen und Funktionen aller irdischen Geschöpfe sowie der Götter und himmlischen Rishis. Und in ähnlicher Weise, wie die Jahreszeiten zyklisch ihre jeweiligen Merkmale zeigen, so erscheinen auch die besonderen Merkmale der vier Yugas in der rechten Ordnung nacheinander. So erschafft Vishnu als Schöpfergott Brahma in der Morgendämmerung jedes Kalpas wieder und wieder die ganze Welt, ermächtigt durch seine Schöpferkraft und geführt von den natürlichen Neigungen der Geschöpfe.