WAHRHEIT UND UNWAHRHEIT
Die Götter und Dämonen, beides Nachkommen des Prajâpati, traten das Erbe ihres Vaters an: die Rede, wahr und unwahr, Wahrheit und Unwahrheit. Sie sprachen beide die Wahrheit, sie sprachen beide die Unwahrheit. Weil sie beide in gleicher Weise sprachen, waren sie auch gleich.
Die Götter gaben die Unwahrheit auf und hielten sich an die Wahrheit; die Dämonen gaben die Wahrheit auf und hielten sich an die Unwahrheit.
Da überlegte die Wahrheit, die in den Asuras (Dämonen) wohnte: »Die Götter haben die Unwahrheit aufgegeben und sich an die Wahrheit halten wollen: wohlan, ich will dahin gehen.« Sie ging zu den Göttern.
Die Unwahrheit aber, die in den Göttern wohnte, überlegte: »Die Asuras haben die Wahrheit aufgegeben und sich an die Unwahrheit halten wollen; ich will dahin gehen.« Sie ging zu den Asuras.
Die Götter sprachen ganz die Wahrheit, die Asuras ganz die Unwahrheit. Die Götter, die beständig die Wahrheit sprachen, wurden scheinbar geringer und ärmer. Darum wird einer, der ständig die Wahrheit spricht, scheinbar geringer und ärmer; aber schließlich gedeiht er; denn die Götter gediehen schließlich.
Hingegen die Asuras, die beständig die Unwahrheit sprachen, glänzten wie Salzboden äußerlich, wurden scheinbar reich. Darum glänzt äußerlich der, der beständig die Unwahrheit spricht, wie Salzboden, wird scheinbar reich. Aber schließlich versagt er; denn es versagten die Asuras.
SCHÖPFUNGSMYTHOS
Die Welt war anfangs Wasser, eine wogende Flut. Es wünschte sich fortzupflanzen, kasteite sich und tat Buße. Als es Buße tat, entstand ein goldenes Ei. Es gab damals noch kein »Jahr«. Das goldene Ei schwamm solange umher, als die Zeit eines Jahres beträgt.
Daraus entstand in einem Jahre ein Mann, der Prajâpati. Darum gebiert innerhalb eines Jahres eine Frau oder Kuh oder Stute; denn innerhalb eines Jahres entstand Prajâpati. Er durchbrach das goldene Ei, fand aber keinen Halt. Da trug ihn, umherschwimmend, für die Dauer eines Jahres das goldene Ei. Nach Jahresfrist wünschte er zu sprechen. Er sagte bhûr, da entstand die Erde; er sagte bhuvar, da entstand der Luftraum; er sagte suvar, da entstand der Himmel. Darum wünscht ein Kind nach Jahresfrist zu sprechen; denn nach Jahresfrist sprach Prajâpati.
Als er zum erstenmal sprach, sagte Prajâpati ein und zwei Silben; darum sagt ein Kind, wenn es zum erstenmal spricht, ein und zwei Silben.
Die fünf Silben (bhûr usw.) machte er zu den fünf Jahreszeiten. Das sind diese fünf Jahreszeiten. Prajâpati erhob sich nach Jahresfrist so über diese entstandenen Welten; darum wünscht ein Kind nach Jahresfrist sich zu erheben; denn nach Jahresfrist erhob sich Prajâpati.
Er wurde tausend Jahre. Wie einer zum anderen Ufer eines Flusses hinübersieht, so sah er zum anderen Ufer seines Lebens.
Singend und sich kasteiend wandelte er, sich Nachkommenschaft wünschend, umher. Er legte in sich Zeugungskraft; er schuf mit dem Munde die Götter (deva); diese Götter wurden für den Himmel (div) geschaffen, darum sind die Devas Devas. Als sie für den Himmel geschaffen wurden, war es für den, der sie geschaffen hatte, wie Tag. Darum sind die Devas Devas, weil es für den, der sie geschaffen hatte, wie Tag war.
Mit seinem abwärts gehenden Hauch schuf er die Asuras; diese wurden für die Erde geschaffen. Für ihn, der sie erschaffen hatte, war es gleichsam dunkel.
Er wußte: »Ich schuf ein Übel, weil es für mich nach ihrer Erschaffung gleichsam dunkel wurde.« Daher durchbohrte er sie mit Unheil, daher gingen sie zugrunde. Darum sind die Geschichten von den Göttern und Asuras, die man teils im Epos, teils in der Sage erzählt, nicht wahr. Denn »daher durchbohrte Prajâpati sie mit Unheil, daher gingen sie zugrunde«. Das hat ein Prophet in dem Verse ausgesprochen: »Nicht hast du irgendeinen Tag gekämpft, nicht lebt dir, Herr, ein Feind. Eine Täuschung nur ist es, was man von deinen Kämpfen sagt: nicht heut noch früher hast du einen Feind bekämpft.«
Was für ihn nach Schaffung der Götter wie Tag war, das machte er zum Tage; was für ihn nach Schaffung der Asuras wie dunkel war, das machte er zur Nacht. Das ist Tag und Nacht.
DAS BRAHMAN UND DIE GÖTTER
Die Welt war anfangs Brahman. Es schuf die Götter und nach ihrer Schöpfung setzte es sie einzeln in die Welten ein, in diese Welt den Agni, den Vayu in den Luftraum, an den Himmel die Sonne.
In die Welten, welche höher als diese (drei) waren, setzte es die Götter ein, welche höher als diese (drei) waren. So wie hier die Welten sichtbar sind und ihre Götter, so sind jene Welten und deren Götter, welche er in sie einsetzte, sichtbar.
Das Brahman aber selbst ging nach der entgegengesetzten Seite. Nach der entgegengesetzten Seite gegangen, überlegte es: »Wie möchte ich in diese Welten wieder hinabgehen?« Es ging mittels zweier Dinge, nämlich mittels Name und Gestalt in sie wieder hinab. Was immer einen Namen trägt, das ist eben Name; was aber keinen Namen trägt und, indem man sich sagt, »diese Gestalt ist das«, an seiner Gestalt erkennbar ist, das ist Gestalt. So weit reicht diese Welt, wie Name und Gestalt.
Das sind die beiden großen Mächte Brahmans. Wer diese beiden Mächte Brahmans kennt, wird zur großen Macht.
Das sind die beiden großen Geheimkräfte Brahmans. Wer diese beiden großen Geheimkräfte Brahmans kennt, wird zur großen Geheimkraft. Von diesen beiden ist eins das wichtigere, die Gestalt. Denn auch was Name ist, ist Gestalt. Wer das wichtigere von beiden kennt, wird wichtiger als der, dem er überlegen zu werden wünscht.
Die Götter waren anfangs sterblich. Als sie durch das Brahman es erreichten, wurden sie unsterblich. Wenn er dem Geist ein Gußopfer bringt - Geist ist Gestalt, durch den Geist erkennt er: »das ist diese Gestalt« -, dadurch erlangt er die Gestalt. Wenn er der Rede ein Gußopfer bringt - Rede ist Name, durch die Rede erfaßt er den Namen -, dadurch erlangt er den Namen. So weit reicht dies All, wie Name und Gestalt. Das alles erlangt er. Das alles ist unvergänglich. Dadurch wird ihm unvergängliches gutes Werk, unvergängliche Welt zuteil.
WAS IST BESSER ALS OPFER FÜR DIE GÖTTER?
Da sagt man: »Wer steht höher, der, welcher sich selbst, oder der, welcher den Göttern opfert ?« Darauf soll man erwidern: »Der, welcher sich selbst opfert.« Sich selbst opfert der, welcher weiß: »Dieser mein Leib wird hierdurch bereitet, dieser mein Leib wird dadurch angelegt.« Wie eine Schlange die Haut, so legt er diesen sterblichen, schlechten Leib ab. Aus Versen, Opfersprüchen, Spenden bestehend, erlangt er die Himmelswelt.
Der opfert den Göttern, welcher weiß: »Den Göttern opfere ich hier, die Götter verehre ich.« Wie ein Geringerer einem Höheren Tribut bringt oder wie ein Vaishya (Diener) einem Könige Tribut bringt, so ist dieser. Eine solche Welt, wie der andere, gewinnt er nicht.
LOB DES STUDIUMS
Erwünscht sind Studium und Unterricht. Man wird aufmerksam, unabhängig, erwirbt Tag für Tag Vermögen, schläft gut und wird sein eigener bester Arzt: Selbstbeherrschung, Zielbewußtsein, Wachstum der Erkenntnis, Ansehen, Reifen der Menschheit sind damit verbunden. Wachsende Erkenntnis entwickelt in dem Brahmanen vier Pflichten: Brahmanenwürde, entsprechendes Verhalten, Ansehen, Reifen der Menschheit (durch Belehrung). Die reifende Menschheit lohnt dem Brahmanen durch vier Pflichten: Ehrerbietung, Freigebigkeit, Sicherheit gegen Vergewaltigung und gegen Mord.
Was immer die Mühen zwischen Himmel und Erde sein mögen, deren höchste Stufe ist das Studium; das Ziel dessen, der so wissend sein Studium betreibt. Darum soll einer sein Studium betreiben.
Was immer er vom Veda studiert, das hat er als ein Opfer dargebracht, wer so wissend sein Studium betreibt. Darum soll er sein Studium treiben.
Wenn einer auch gesalbt, geputzt, behaglich auf bequemem Lager liegend sein Studium treibt, bis in die Fingerspitzen kasteit er sich, wer so wissend sein Studium treibt. Darum soll einer sein Studium treiben.
Honig sind die Verse des Rigveda, Butter die Verse des Sâman, Ambrosia die Sprüche des Yajus; wenn er die Dialoge studiert, so ist das Reis mit Milch und Reis mit Fleisch.
Mit Honig erfreut der die Götter, wer so wissend die Verse des Rigveda Tag für Tag als Studium treibt. Erfreut erfreuen ihn diese mit allen Wünschen, mit allen Genüssen.
Mit Butter erfreut der die Götter, der so wissend die Verse des Sâman als Studium Tag für Tag treibt. Erfreut erfreuen ihn diese mit allen Wünschen, mit allen Genüssen.
Mit Ambrosia erfreut der die Götter, der so wissend die Sprüche des Yajus als Studium Tag für Tag treibt. Erfreut erfreuen ihn diese mit allen Wünschen, mit allen Genüssen.
Mit Milchreis und Fleischreis erfreut der die Götter, der so wissend die Dialoge, die Erzählungen aus Mythen und Geschichte als Studium Tag für Tag treibt. Erfreut erfreuen ihn diese mit allen Wünschen, mit allen Genüssen.
Dahin wandeln die Wasser, es wandelt die Sonne, es wandelt der Mond, es wandeln die Sterne. Als wollten diese Gottheiten nicht wandeln, nicht wirken, so wäre an dem Tage ein Brahmane, an dem er sein Studium nicht treibt. Darum soll einer sein Studium treiben. Darum soll man wenigstens einen Vers des Rigveda, einen Spruch des Yajurveda, einen Vers des Sâmaveda, eine Gâthâ oder eine Episode (?) sagen, um das Gelübde nicht zu unterbrechen.