Brahma fuhr fort:
Ihr Weisen und Götter, hört. Ich werde euch nun erklären, auf welche Weise die Verehrung stattfinden sollte, denn es gibt nichts Besseres oder Nützlicheres, um Glück und Wohlergehen zu erlangen.
Ungefähr eine Stunde vor Sonnenaufgang sollte man an Shiva und seine Gefährtin denken. Mit aneinandergelegten Handflächen und gesenktem Kopf spricht man demütig seine Gebete und bittet: Oh Herr der Götter, erhebe dich. Du Herr in unserem Herzen, erhebe dich, Herr der Uma. Und überschütte das ganze Universum mit deinem glücksverheißenden Segen. Ich weiß, was Tugend ist, doch ich kann ihr nicht folgen. Ich weiß, was Unrecht ist, doch ich kann es nicht meiden. Oh Mahadeva, ich tue alles, was du gebietest, denn du bist in meinem Herzen.
Nachdem man dieses Gebet wiederholt und der Füße des Lehrers gedacht hat, sollte man das Haus gen Süden verlassen, um dem Ruf der Natur zu folgen. Dann säubere man seinen Körper mit Erde und Wasser, wasche seine Hände und Füße und putze die Zähne bevor die Sonne aufgeht. Dabei gurgle man 16 mal mit Wasser. Doch am sechsten und neunten Tag des Monats, zu Neumond und an Sonntagen ist es nicht recht, die Zähne mit einem Zweig zu putzen. Sein Bad sollte man zu einer günstigen Zeit entweder im Fluß oder eigenen Haus nehmen. Doch niemand sollte dabei gegen die Gebräuche des Ortes oder die Schicklichkeit der Jahreszeit verstoßen. Ein heißes Bad sollte an Sonntagen gemieden werden, an Tagen der Ahnenverehrung, an Sankranti, zu Sonnen- oder Mondfinsternissen, während der Fastentage oder zu größeren Wohltätigkeitsveranstaltungen, in heiligen Zentren und während der unreinen Tage aufgrund eines Todesfalles oder einer Geburt in der Familie. Nimmt man sein Bad in heiligen Teichen oder Flüssen sollte man sich hingebungsvoll gen Osten oder Norden wenden.
Ölbäder sollte man an den speziellen Wochentagen nehmen, die in der Gesellschaft üblich sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob man jeden Tag ein Ölbad oder parfümiertes Öl nimmt. Nur an Tagen der Ahnenverehrung, bei Mond- oder Sonnenfinsternissen, an Fastentagen oder dem ersten Tag der hellen Monatshälfte sollte man von Ölbädern Abstand nehmen. An diesen Tagen kann man sich mit Senföl behelfen, nur nicht zur Eklipse.
Man sollte nicht die Kleider eines anderen tragen, wenn man badet. Mit reiner Kleidung denke man an die Gottheit, während man eintaucht. Hat man sich zur Nacht die saubere Kleidung eines anderen geborgt und getragen, mag man sein Bad darin nehmen. Doch dann sollte die Kleidung gewaschen und zurückgegeben werden.
Nach dem Bad ist es Zeit, das Wasseropfer auszuführen, um die Götter, Weisen und Ahnen zu befrieden. Dann legt man saubere und trockene Kleider an und nippt Wasser aus der Hand (Acamana). Alsdann, gewaschen und mit Kuhdung eingeschmiert, setze sich der Anhänger an einem sauberen Ort auf einem Holzsitz, Hirschfell oder einem Stück Stoff nieder. Ist der Sitz schön farbig, kann das der Erfüllung von Wünschen dienen. Dann zeichne er das Tripundra aus Asche auf seine Stirn. Denn das Tripundra sorgt für eine gute Motivation bei Wohltätigkeit, Gebet oder Buße. Falls keine Asche vorrätig ist, kann man auch geheiligtes Wasser nehmen. Neben dem Tripundra sollte der Anhänger Rudrakshas tragen und nach den morgendlichen Riten nun Shiva verehren. Dreimal nippe er am Wasser mit den nötigen Mantras und sage, daß dies ein Tropfen heiliges Gangawasser sei. In Wasser gekochter Reis dient der Verehrung Shivas, und alle schönen Sachen, die zur Verfügung stehen sollten herbeigebracht und dazugestellt werden. Dazu gehöre auch ein Gefäß mit Wasser für den Gast und duftende Reiskörner. Das Wassergefäß gehört auf die Seite der rechten Schulter. Dann denke man an den Lehrer und bitte ihn in Gedanken um die Erlaubnis für die Verehrung. Als nächstes erkläre man die nötigen Mantras des Rituals und beteuere demütig sein Anliegen an die Gottheit. Sodann forme man das mystische Mudra, nutze Safran und die anderen Materialien und verbeuge sich vor Ganesha, um ihn zu ehren, denn er überreicht mit seinen Gemahlinnen Siddhi und Buddhi (Kraft und Einsicht) hunderttausend Segen. Dazu spreche man viele Male das OM, ihre Namen im Dativ und „Namah“. Nachdem man um Vergebung von Ganesha gebeten hat, ehre man ihn erneut zusammen mit seinem Bruder Kartikeya mit vielen, hingebungsvollen Verbeugungen. Ja, so ehrt man Ganesha mit dem gewaltigen Bauch, den Torhüter des Herrn, und anschließend die Göttin Parvati (Sati - das weibliche Prinzip, Wahrheit, auch Girija - auf dem Berg geboren). Dann ehre man Shiva mit Sandelpaste, Safran, Düften, Lichtern und Nahrung mit vielen Verbeugungen. Das Linga soll sorgfältig aus Lehm geformt oder das im Haus vorhandene, metallene gebracht werden. Auch vor ihm beuge man sich in Demut. Denn wenn das Linga verehrt wird, werden alle Götter verehrt. Außerdem besänftigt es die Geisterschar um Shiva (die Bhutas, deren Mutter der Zorn ist).
Im Tempel sollte man noch die Wächter der Himmelsrichtungen ehren, doch zu Hause ehrt man Shiva mit dem großen Mantra. Zu Hause ist es nicht notwendig, alle Einzelheiten aufzurufen, wie z.B. Ganesha, denn wie schon gesagt, wer das Linga ehrt, ehrt alles. Es gibt hier keine festen oder unumstößlichen Regeln - Hauptsache, man sucht die Nähe Shivas und ruft ihn und seine Begleiter an. Es ist immer gut, wenn man sich Hände und Füße wäscht und mindestens zehnmal Pranayama, seine Atemübungen mit dem großen Mantra macht. Auch die fünf mystischen Handzeichen (Mudras) sind sinnvoll, ebenso wie die Yoga Posen Padma (Lotus), Bhadra, Uttana oder Paryanka, in denen man den Ritus wiederholen kann. Schließlich wäscht man mit konzentriertem Geist das vorzügliche Linga mit dem Wasser aus dem Arghya- Gefäß. Dabei ruft man den Herrn der Götter herbei mit folgendem Mantra:
Ich rufe Shiva an, den Glückseligen und seinen Anhängern gnädig Gestimmten, Shiva, wie er auf dem Gipfel des Kailash thront, den vorzüglichen Herrn von Parvati, auch Sambhu genannt, sowohl mit als auch ohne Eigenschaften, mit den fünf Gesichtern und zehn Händen, drei Augen und dem Stier im Banner, so weiß wie Kampfer, mit göttlichen Gliedern, die Mondsichel im verfilzten Haar, in die Haut eines Elefanten und das Fell eines Tigers gehüllt, mit Vasuki und anderen Schlangen, die sich um seinen Körper winden, der Träger von Pinaka und anderen Waffen, mit den acht mystischen Kräften (Siddhis), die immerzu vor ihm tanzen, und der von einer Schar Dienern umsorgt wird, die beständig rufen: „Sei siegreich! Sei siegreich!“. Er ist von unerträglichem Anblick aufgrund seines Glanzes. Ihm dienen alle Götter, der einzigen Zuflucht aller lebenden Wesen. Sein Gesicht glänzt wie der Lotus, und Brahma und Vishnu lobpreisen ihn ununterbrochen wie es die Veden und heiligen Texte aufzeigen.
Dazu bietet man Shiva Arghya und Wasser zum Nippen und Waschen der Füße an, und badet das Linga, das Symbol für den Höchsten Geist, in Milch, Quark, Honig, Saft und geklärter Butter. Dazu kann man sprechen:
Oh Shiva, gib uns gutes Aussehen, einen guten Ruf und das rechte Vergnügen. Nimm das Gastgeschenk und gib uns Freude und Erlösung. Verehrung sei dir!
Alles Vorhandene und Gewünschte bietet man Shiva an und spricht hingebungsvoll seine Mantras und seinen Namen. Als nächstes führt man die rituelle Waschung für Shiva am Linga durch (Varuna Snana), und benutzt lieblich duftende Salben und Parfüm, duftendes Aloeholz (Aguru) oder Galbanharz (Guggulu). Auch das Wasser, was man über dem Gott vergießt, sollte süß duften. Während der Waschung spricht man seine Mantras oder das „Om Namah Shivaya“ elfmal und trocknet das Linga mit einem Tuch. Dann bietet man dieser edlen Seele nochmals Wasser zum Nippen und Kleidung an, auch Sesamsamen, Gerstenkörner, Weizen, grüne und schwarze Erbsen und Blumen. Jedem seiner Gesichter opfert man Lotus, Rosen, Shankha (eine Muschel) und Kusha, Stechapfel (Dhattura), Mandaras aus einem hölzernen Gefäß und die Blätter von Basilikum oder Bilva entsprechend seiner Wünsche und Gebete. Wer keine Blumen hat, kann auch nur Bilvablätter opfern, doch denkt daran: Shiva ist seinen Anhängern immer zugetan, und so ist es einzig die Hingabe, welche im Ritus wirklich wichtig ist.
Der Anhänger soll Shiva viele Male umrunden und sich mit allen acht Gliedern vor ihm zu Boden werfen. Dann biete er eine Handvoll Blumen an und spreche das folgende Mantra:
Oh Shiva, welche Riten und Opfer ich auch ausgeführt haben mag, und was ich auch tat, ohne vom Großen Herrn zu wissen - möge alles Deine Gnade finden und Dich erfreuen. Oh Gütiger, ich gehöre Dir an. Mein Lebensatem strömt in Dir. Mein Geist ist Dir zugewandt. Oh Herr der Gauri, Du Meister der Geister, sei mit mir zufrieden. Oh Herr, wer auf Erden schwankt und zaudert, Du trägst ihn doch. Und wer Dich vergaß, findet trotzdem nur in Dir Zuflucht.
Nach nochmaligen Verbeugungen bittet man um den rituellen Abschied mit:
Oh Herr, sei erfreut und kehre mit Deinem Gefolge in dein Heim zurück. Und bitte stell Dich wieder ein, wenn ich Dich verehre.
Dann tropfe man heiliges Wasser über das Haupt und nehme Abschied von Shiva, der immer im Herzen wohnt.
Nun, ihr Weisen, jetzt habe ich euch alles über die Arten der Verehrung von Shiva gesagt, welche weltliche Freude und Erlösung gewähren. Was wollt ihr noch wissen?