Pushpak Shiva-Purana Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 6 - Die große Auflösung (Mahapralaya) und Ursprung von Vishnu

Brahma sprach:
Oh Bester der himmlischen Weisen, eine gute Sache fragst du mich da, welche den Welten nützlich und dienlich ist. Soweit es mir bekannt ist, werde ich dir über die heilsamen und ehrenwerten Prinzipien Shivas erzählen, bei denen schon das Zuhören alle Sünden bereinigt. Denn wisse, weder die Essenz noch die mannigfaltigen Manifestationen Shivas wurden je von einem Geschöpf voll und ganz erkannt, nicht einmal von mir oder Vishnu. Wenn die universale Auflösung alle Objekte der Welten zum Verlöschen gebracht hat, ist alles in Dunkelheit gehüllt, und es gibt weder Sonne, Mond, Planeten noch Sterne. Tag und Nacht können nicht mehr voneinander abgegrenzt werden, es fehlen Erde, Wasser, Feuer, Wind und sogar Raum. Da ist nichts, was sich entfalten könnte. Das Universum ist eine einzige Leere, nirgends Glanz oder Licht. Es gibt weder Dharma noch das Gegenteil davon, kein Geräusch und keine Berührung. Geruch und Farbe sind nicht manifest, die Himmelsrichtungen nicht unterscheidbar und der Geschmack verloren. Wenn also diese dichte Dunkelheit herrscht, in die nicht einmal ein Lichtstrahl eindringen kann, gibt es nur noch das, was die Veden „das Seiende und Brahman“ nennen. Ja, wenn nichts Weltliches mehr existiert, dann zeigt sich das wahre Brahman (satbrahman), welches den Yogis beständig in ihrer inneren Seele gewahr ist. Den Gedanken ist es unerreichbar. Mit Worten kann es nicht ausgedrückt werden. Es hat weder Name noch Farbe, ist nicht dünn oder dick, lang oder kurz, leicht oder schwer. Es kennt keine Vermehrung oder Verringerung. Die Veden sagen, es umhüllt alles, was ist, in unvorstellbarer Weise. Das ist der Glanz, die Wahrheit, die Erkenntnis und die ewige und grenzenlose Glückseligkeit. Es ist unermeßlich, unabhängig, unveränderlich, formlos und ohne Eigenschaften, durch den Yogi schaubar, alles durchdringend und die alleinige Ursache des Universums. Es kennt keine Alternativen und Gegensätze. Es hat keinen Anfang und kein Ende. Es ist frei von Illusion und Unruhe. Das ist das Eine ohne ein Zweites. Es kennt keine Entwicklung, und man könnte sagen, es ist reine Liebe oder vollkommene Erkenntnis. Weise Menschen zögern, ihm einen Namen zu geben.

Nun, nach einiger Zeit, so sagt man, wünschte sich dieses eine Seiende ein Zweites. Das Wesen, das keine eigene Form hat, wünschte sich zu seiner Freude eine eigene, vorzügliche Form mit allen Kräften und Eigenschaften und jeglichem Wissen. Es wünschte sich eine Form, die sich überallhin bewegen und alle Formen annehmen kann, welche die Ursache von allem ist und damit aller Anfang, die alles sehen kann, die alle respektieren sollten, die alles segnen und überbringen kann und die alles heiligen kann. So schuf das Seiende die Form Ishvara von reinster Natur, das hohe Wesen, den Herrscher und Gott. Mit dieser Schöpfung verschwand das eine Seiende, welches kein Zweites und weder Ende noch Anfang hat, das als reines Bewußtsein alles erleuchtet, das unvergänglich und alldurchdringend ist, und manchmal das Höchste Brahman genannt wird.

Die Form, die sich aus dem unmanifesten Seienden gestaltete, wird von den alten und erleuchteten Weisen als Sadashiva oder auch Ishvara besungen. Ishvara schuf aus seinem Körper die ebenfalls körperliche Shakti, doch sie beeinflußte seinen Körper in keinster Weise. Auch Shakti wird mit vielen Namen bedacht: Pradhana (Meer der Ursachen), Prakriti (Natur), Maya (Illusion), Gunavati, Para, Mutter von Buddhi, Tattva (kosmische Intelligenz), Vikritivaijita (ohne Änderung). Shakti heißt auch Ambika und die Göttin von allem. Sie ist die Wurzel, aus dem sich alles entwickelt und die Mutter der drei Götter. Sie hat acht Arme, ihr Antlitz strahlt sonderbar wie tausend Monde. Und tausende Sterne glitzern um ihr Haupt. Sie ist mit vielen Ornamenten geschmückt und trägt diverse Waffen. Sie kann sich auf alle Arten bewegen, und ihre Augen leuchten wie der voll erblühte Lotus. Ihr Glanz kann kaum aufgenommen werden, und sie bringt alles hervor. Geschaffen wurde sie allein als Maya. Doch in ihrer Vereinigung manifestiert sie sich in allen Arten von Formen.

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Der höchste Geist ist Shiva. Er wird auch Sambhu genannt und hat keinen Herrn über sich. Er trägt die Ganga auf seinem Haupt und die Mondsichel auf seiner Stirn. Er hat drei Augen, fünf Gesichter und zehn Arme. Er hält den Dreizack und ist immer freudig. Er ist rein und weiß, und sein Körper ist ganz und gar mit heiliger Asche bedeckt. In Gestalt der Zeit (Kala) hat das Brahman zusammen mit Shakti Shivaloka geschaffen, das Reich Shivas, einen Raum, der auch Kasika genannt wird, das vorzügliche heilige Zentrum. Hier überstrahlt der Thron der Erlösung alles und jeden. Es ist ein harmonischer Ort der großen Glückseligkeit, den die beiden ersten Liebenden zu ihrer Heimstatt machten. Dieser Raum, oh ihr Weisen, ist niemals ohne Shiva und Shakti, auch nicht zur Zeit der universalen Auflösung. Und darum wird er auch Avimukta genannt (niemals verlassen). Das heilige Zentrum ist eine stete Quelle von Glückseligkeit, und Shiva, der Träger des Pinaka, nannte es auch „glückseliger Wald“.

Nun, du Weiser, es wird auch erzählt, daß die beiden seligen Götterwesen (Gott und Göttin) sich in ihrer Heimstatt vergnügten und nach einiger Zeit sich ein drittes Wesen wünschten.

So meditierte Shiva im Inneren:
Ich werde ein anderes Wesen erschaffen, welches alles andere erschaffen, beschützen und am Ende wieder mit meinem Segen auflösen wird. Wenn ich diesem Wesen dann alles anvertraut habe, werden wir beiden in Varanasi bleiben und umherstreifen, wie es uns beliebt. Bei uns verbleibt nur das Vorrecht, Erlösung zu gewähren. Und wir werden in diesem glückseligen Wald verweilen und frei sein von den Plagen der Schöpfung.

Im Einklang mit Mahadeva schüttete Shiva die Essenz des Nektars auf das zehnte Glied seiner linken Seite, welcher heraustrat, als Er seinen Geist wie den Ozean quirlte. Dabei waren seine Gedanken die Wellen, die Eigenschaft Sattwa war das kostbare Juwel, Rajas bildete die Korallen und Tamas die Krokodile. So kam ein Geschöpf ins Sein, welches äußerst gewinnend war. In ihm war die Eigenschaft Sattwa vorherrschend, und es war wie der Ozean von unermeßlicher Majestät. Oh Weiser, es verfügte wahrlich über Geduld. Nichts war mit ihm vergleichbar, sein Glanz war der von Saphiren, und seine strahlenden Augen wetteiferten mit dem schönen Lotus. Gestalt und Gesichtszüge waren golden wie auch seine schimmernde Seidenrobe. Seine Arme waren dunkel, die Haut samtig und niemals wurde es müde.

Es verbeugte sich vor Shiva Parameshvara und bat:
Oh Herr, gib mir Namen und weise mir eine Aufgabe zu.

Da lachte Lord Shiva fröhlich und antwortete mit Worten, die widerhallten wie Donner:
Du wirst als Vishnu berühmt sein, denn du bist alldurchdringend. Doch deine Verehrer werden dir noch viele, weitere Namen geben, welche ihnen Freude bringen. Übe Enthaltsamkeit, um die anstehende Aufgabe zu bewältigen. Und sei standhaft.

Mit diesen Worten übergab ihm der Herr die Veden, welche aus seiner Nase strömten. Dann verschwand Shiva mit seiner Shakti, und Vishnu begann die Askese, den Herrn immerzu verehrend. Für zwölftausend himmlische Jahre war er enthaltsam, doch er hatte nicht die Vision von Mahadeva, welche alles ermöglicht, so sehr er sich auch bemühte.

Dann dachte er ehrfürchtig an Shiva und fragte sich:
Was soll ich tun?

Sogleich vernahm er die vertrauenerweckende Stimme Shivas:
Übe weiter Buße, damit seine Zweifel vergehen.

Nun unterwarf sich Vishnu einer furchtbar harten Askese und meditierte für lange, lange Zeit. Und auf einmal wurde er erleuchtet und hatte entzückt und überrascht eine Vision.

Er fragte sich selbst:
Was ist dies für ein wahrhaftes Ganzes?

Nun begann Shivas Illusion zu wirken, und von Vishnus Körper flossen ganze Ströme von Wasser. In Gestalt von Wasser erfüllte das Höchste Brahman den ganzen Raum. Wem die Berührung mit diesem Wasser gegeben ist, dem werden alle Sünden abgewaschen. Vishnu schlief in dem Wasser ermüdet ein, und blieb in diesem glückseligen Zustand der Unbewußtheit für lange Zeit. Deshalb steht auch ein anderer Name für Vishnu in den Veden: Narayana, dessen Heim das Wasser ist. Außer der Großen Seele war nichts bewußt, und aus ihr entwickelten sich die folgenden Prinzipien. Höre, oh Narada, wie ich sie dir aufzähle. Aus der Prakriti (der unentfalteten Natur) entstand der universelle Intellekt, Mahat, und aus Mahat die drei Gunas (Sattwa, Rajas und Tamas, die drei natürlichen Qualitäten von Güte, Leidenschaft und Trägheit). Das Ichbewußtsein, Ahamkara, erhob sich gemäß der drei Gunas in drei Formen. Auch die fünf fein- und grobstofflichen Elemente mit den Sinnes- und Handlungsorganen kamen ins Sein. All diese Prinzipien, die aus der Prakriti entstanden, sind an sich ohne Bewußtheit. Nur der Purusha, der Höchste Geist, ist bewußt. Nach dem Willen Shivas nahm Vishnu, der Purusha, all diese Prinzipien an, und verweilte regungslos im Brahman.


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