Pushpak Shiva-Purana Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 4 - Narada verflucht Vishnu

Die Weisen sprachen:
Oh Suta, Suta mit dem reichen Intellekt, wie wunderbar ist die Geschichte, die du uns erzählst. Ja, die Illusion Mahadevas ist wahrlich gesegnet, denn alle beweglichen und unbeweglichen Dinge des Universums hängen von ihr ab. Als die beiden Abgesandten Shivas gegangen waren, was tat der erregte Narada in seinem Zorn als nächstes?

Suta gab zur Antwort:
Nach dem er diesen ersten Fluch ausgesprochen hatte, schaute Narada noch einmal sein Antlitz in einer stillen Wasserfläche und sah sein nach wie vor häßliches Affengesicht. Noch immer erwachte er nicht aus Mahadevas Illusion, die ihm den Verstand vernebelte, denn die Gottheit wünschte es so. Tatsächlich kam Narada der Gedanke, daß Hari ihn genarrt haben könnte, und wütend und aufgebracht begab er sich in Vishnus Reich. Grobe und beleidigende Worte sprudelten aus ihm hervor, die wie Feuer brannten, denn seine Weisheit war verschleiert.

Narada schimpfte:
Oh Vishnu, du hinterhältiger Magier und böser Betrüger der Welt. Du kannst es nicht ertragen, wenn andere sich erfolgreich freuen. Du stümperst mit billigen Tricks herum, und deine Absichten sind schmutzig. Als Götter und Dämonen sich um das Amrit stritten, hast du die Gestalt einer schönen Verführerin angenommen und deine verwirrenden Zauber ausgeschüttet, damit die Dämonen Wein und nicht Nektar trinken. Doch wenn Shiva nicht aus Mitgefühl das alles verderbende Gift geschluckt hätte, wären deine betrügerischen Tricks sofort untergegangen, denn du hast nur Freude daran, andere zu narren. Oh Vishnu, du folgst gerne deinem hinterhältigen Weg und warst nie von heilsamer und heiliger Natur. Doch leider hält dich die Gottheit nicht unter Kontrolle. Was Mahadeva damit anrichtet, dieser Höchste Geist, scheint mir nicht recht. Bestimmt hat er das nun bereut, wenn er sieht, was du unabhängig von Ihm mit deiner Macht anstellst. Er hat einst bestimmt, daß ein Brahmane über allen steht und damit die Veden zur Autorität gemacht. Oh Vishnu, ich weiß das genau, und du wirst schon sehen, was ich dich mit meiner vedischen Macht lehren werde, damit du nie wieder so handelst. Bis jetzt hattest du keine Angst, denn nie zuvor hast du dich mit jemandem von gleicher Macht angelegt. So empfange nun die Früchte deiner eigenen Taten, oh Vishnu.

Nach diesen Worten verfluchte Narada den Vishnu unter dem Einfluß von Wut und Mahadevas Täuschung, und nutzte dafür seine brahmanische Macht:
Oh Vishnu, du Trickser, wegen einer Frau hast du mich gepeinigt. Oh Hari, in menschlicher Gestalt wirst du deine Frau verlieren, von ihr getrennt großes Elend erfahren, und deine Verbündeten werden genau dieses Antlitz tragen, welches du mir zugewiesen hast. Und weil du anderen Leid gebracht hast, wirst du als Mensch alle Mühen erdulden müssen, die man unter dem Einfluß der Unwissenheit durchmachen muß. (siehe die Geschichte des Ramayana)

Vishnu nahm den Fluch schweigend an und pries dessen Ursache, nämlich die Illusion Mahadevas. Und dann, in seinem himmlischen Spiel, zog Mahadeva den Nebel der Illusion von Narada ab, wobei dieser sich wieder seiner Weisheit und Gelassenheit bewußt wurde. Sogleich war Narada, der himmlische Weise, wieder mit vollkommener Erkenntnis erfüllt, und jegliche Aufgewühltheit verließ ihn. Erst war er überrascht, dann bereute er seine Taten, verfluchte sich selbst und ehrte die Macht Mahadevas, welche sogar weise Menschen gründlich täuschen kann.

Dann fiel er zu Füßen Vishnus nieder und flehte aufrichtig um Vergebung für seine Fehler. Frei von jeglichen gemeinen Gedanken, bat er Hari:
Oh Herr, ich war verblendet und häufte in Bitterkeit üble Worte und sogar einen Fluch auf dich. Großer Meister, bitte mach ihn unwirksam. Ich habe eine große Sünde begangen und falle sicherlich in die dunkelste Hölle. Oh Hari, ich bin dein Diener, bitte weise mich an, was nun zu tun sei, um meine gräßliche Sünde zu büßen und meinen Niedergang aufzuhalten.

Vishnu richtete den Reuigen sanft auf und sprach liebevoll zu ihm:
Verzweifle nicht zu sehr, oh Narada. Du bist wahrlich einer meiner treuen Verehrer, mein Lieber. Nun höre mir zu. Ich werde dir sagen, was dir nützlich ist. Du wirst nicht in die Hölle fallen, denn Mahadeva wird dich glücklich machen.

Deine Überheblichkeit ließ dich das Gebot Shivas mißachten, und als wahrer Verleiher der Früchte von Handlungen ließ Mahadeva dich das Ergebnis spüren. Nun sei dir voll und ganz gewiß, daß alles, was geschah, mit Seinem Wunsch in Einklang ist. Der große und höchste Herr ist es, der Überheblichkeit entfernt. Er ist das höchste Brahman, Er ist der höchste Geist, die Existenz, das Wissen und die Glückseligkeit. Er ist jenseits der drei Gunas Rajas, Tamas und Sattwa und jenseits von Veränderung und Niedergang. Er ist ohne und mit Eigenschaften (saguna, nirguna). Seine eigene Illusion nutzend manifestiert Er sich in drei Formen: Brahma, Vishnu und Shiva. In seiner eigenschaftslosen Form wird er als Maheshvara, der Höchste Geist, Brahman, Mahadeva ohne Verfall, endlos und zeitlos gepriesen. Indem wir Ihm dienen wird Brahma zum Schöpfer und ich zum Erhalter der Welten. Und Er selbst manifestiert sich als Rudra, wenn die Vernichtung ansteht. Jenseits der Illusion bewegt sich das reine Wesen Mahadevas unbefleckt wie ein Zeuge und segnet seine Verehrer nach ihren Verdiensten.

Oh Narada, ich weiß ein gutes Heilmittel, welches Sünden auflöst, Glück beschert und die Erlösung sichert. Laß alle Zweifel fahren, und sing das Lied der edlen Taten Shivas. Richte deinen Geist ganz und gar darauf aus und wiederhole die hundert Namen Shivas und seine Hymnen. Dabei werden alle deine Sünden verschwinden.

Und weiter sprach Vishnu voller Mitgefühl zu Narada:
Oh Weiser, verstrick dich nicht im Kummer. Du hast nicht allein gehandelt, denn Mahadeva lenkt all unsere Schritte. Daran gibt es keinen Zweifel. Es war der Herr, der deinen klaren Geist blendete und dich aus Liebe leiden ließ. Er hat dich zum Sprecher seines Willens gemacht, als du mich verfluchtest. Denn auf diese Weise handelt der große Beherrscher von Tod und Zeit in der Welt, um seine Verehrer zu erheben. Es gibt keinen anderen Herrn und Meister für mich, der so liebevoll und segensreich ist, wie Mahadeva. Es ist auch Er allein, der mir all meine Macht verleiht.

Oh weiser Narada, gib dich seiner Verehrung hin. Sei dir Seiner allzeit bewußt. Höre und sing sein Lob. Und grüße und ehre ihn immerzu. Wer mit Worten, Taten und Gedanken vor ihn tritt, der ist sein großer Schüler und wird lebende, befreite Seele genannt. Die Namen Shivas verbrennen wie ein großes Feuer und ohne große Schwierigkeiten alle Sünden zu Asche, mögen sie auch so groß wie Berge sein. Das ist wahr, unzweifelhaft wahr. Alle Arten von Elend, die sich aus Sünden erheben, werden durch die aufrechte Verehrung der Gottheit aufgelöst. Dafür gibt es kein anderes Mittel. Wer mit Körper, Geist und Rede immerzu Zuflucht bei Shiva sucht, der ist ein wahrhafter Gefolgsmann der Veden, eine verdienstvolle Seele und ein gesegneter Gelehrter. Die heiligen Riten derer, die volles Vertrauen in den Vernichter der dreifachen Stadt Tripura hat, werden sofort gute Früchte tragen. Oh Heiliger, es gibt gar nicht so viele Sünden in der Welt, wie sie die wahrhafte Verehrung der Gottheit vernichten kann. Alle Sünden, wie schwer sie auch erscheinen mögen, verschwinden im Angesicht Shivas, und damit sage ich dir die volle Wahrheit. Mit dem Floß der Namen Shivas kann man den Ozean der weltlichen Existenz überqueren. Und auch die Sünden, welche die Wurzel der Existenz in der Welt sind, werden mit der Axt von Shivas Namen entzweigeschnitten. Wer von den Qualen der Sünden gepeinigt und verbrannt wird, der muß den Nektar der Namen Shivas trinken. Ohne sie gibt es keinen Frieden und keine Klarheit. Wer vollkommen in die Namen Shivas eintaucht, wird von den Leiden in der Welt nicht überwältigt, daran gibt es keinen Zweifel. Plötzliche Erlösung ist nur möglich, wenn in den vorherigen Leben Askese geübt wurde. Denn nur so entwickelt sie die nötige Hingabe an Shiva, den geliebten Gefährten von Parvati. Wer sich abwechselnd in Begierden und Haß stürzt, wird niemals Hingabe fühlen. Wer Shiva getrennt von den anderen Göttern sieht, wird keinen Erfolg haben. Nur wer die Gottheit in allem sieht und verehrt, dessen Hingabe wird fruchtbar sein. Ich bin überzeugt davon, daß liebevolle und stetige Hingabe an Mahadeva die Erlösung leicht macht. Selbst wer endlose Sünden beging, wird durch die wahre Hingabe zu Shiva von allen befreit. Darüber gibt es keinen Zweifel. Wie Bäume im Wald durch ein wildes Feuer zu Asche verbrannt werden, so verbrennen die Sünden des Shiva Verehrers im Feuer seiner heiligen Namen. Wer Shiva beständig mit einem durch Asche gereinigten Körper verehrt, überquert zweifellos den schrecklichen und endlos weiten Ozean weltlicher Existenz. Wer dem dreiäugigen Shiva dient, wird niemals von Sünde befleckt, selbst wenn er den Besitz von Brahmanen veruntreut oder sie tötet. So kamen die Ahnen nach dem Durchlaufen aller Veden zum zweifellosen Schluß, daß das einzige Mittel zur Überwindung der weltlichen Existenz die Verehrung von Shiva ist.

Verehre von nun an den Herrn von allen, oh Narada, der auch Samba und Sadashiva heißt. Verehre ihn mit Sorgfalt, Achtsamkeit und Eifer. Staube deinen ganzen Körper mit seiner heiligen Asche ein, singe immerfort „Om Namah Shivaya“, trage Rudrakshas an deinen Gliedern und wiederhole die passenden Mantras. Lausche für immer den Geschichten über Shiva und erzähle sie weiter. Sei rührig in der Unterstützung seiner Anhänger und Schüler. Suche immer Zuflucht bei ihm, ohne zu zaudern, denn die beständige Verehrung verleiht Glückseligkeit. Bewahre seine Lotusfüße in deinem reinen Herzen und pilgre zu seinen heiligen Zentren, oh vorzüglicher Weiser. Erkenne die unerreichte Herrlichkeit von Shiva, dem höchsten Geist, und begib dich als nächstes nach Anandavana (Wald der Glückseligkeit), der Stadt Varanasi, die ein besonderer Lieblingsplatz von Shiva ist. Dort wirst du Ihn sehen, den Herrn des Universums. Verehre Ihn hingebungsvoll, verbeuge dich vor Ihm, und preise Ihn. Dann wirst du frei von Sorgen und Zweifeln sein. Danach geh ins Reich Brahmas und erfülle deine Sehnsüchte. Verbeuge dich vor deinem Vater Brahma und befrage ihn mit liebevollem Geist über Shivas Herrlichkeit. Brahma ist ein vorzüglicher Verehrer des großen Herrn. Er wird dir voller Zuneigung alles erzählen und die Hymne der hundert Namen Shivas für dich singen. Das ist mein Rat für dich, den ich dir aus Liebe gebe, oh Narada. Oh Weiser, werde dir Mahadevas bewußt und ehre ihn von nun an, ohne zu wanken. Das wird dich befreien. Er wird dir seinen besonderen Segen gewähren.

Nach diesen Ratschlägen an Narada war Vishnu zufrieden, gedachte ehrend Mahadevas und verschwand vor Naradas Augen.


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