Als Ravana, angespornt durch ihren Zorn, den schrecklichen Rat hörte, entließ er die Edlen von seiner Seite und entschloß sich zum Handeln. Mit begierigem Geist bedachte er den Plan von allen Seiten, wog Gewinn gegen Risiko ab, überlegte aufmerksam jede Hoffnung und Angst und beschloß schließlich in seinem Herzen, die Tat zu versuchen. Fest in seinem schrecklichen Beschluß schritt der Gigant in den Innenhof und rief seinem Wagenlenker zu: "Bring den Wagen her, den ich befahre." Der Wagenlenker hörte das Wort seines Meisters, und bereitwillig folgend spannte er eifrig auf den Befehl hin den besten Wagen an. Esel mit Köpfen wie Kobolde zogen den wunderbaren Wagen, wo immer er hinflog. Dem Willen gehorsam rollte er mit Juwelen und glitzerndem Gold verziert dahin. Dann bestieg der mächtige Monarch den Wagen mit Gebrüll, so laut wie der Donner aus einer regenschweren Wolke, und eilte zum Ozean, dem Herrn der Flüsse. Weiß war das Schattendach über ihm, weiß die Chouries (Wedel), die seinen Kopf umfächelten, und er strahlte vor Gold und Edelsteinen wie schimmernder Lapislazuli. Er hatte zehn Köpfe und zwanzig Arme. Sein königlicher Gang war deutlich zu erkennen. Der unersättliche Feind der himmlischen Götter, der das Blut der Einsiedler fließen ließ, erschien wie der Herr der Berge mit zehn riesigen Häuptern, die in den Himmel ragten. In dem großen Wagen, in dem er fuhr, schaute der Gigant wie eine dunkle Wolke aus, als ob Kraniche in ihren engen Formationen inmitten von sich windenden Blitzen spielen. Er schaute und sah aus der luftigen Höhe die felsigen Meeresufer, wo unzählige Bäume mit entzückenden Blüten und Früchten in allen Farben wuchsen. Er schaute auf viele Teiche mit Lilien und silbrigem Wasser, frisch und kühl, und auf Strände, die wie geräumige Altäre als Zuflucht für heilige Eremiten gemacht schienen. Die anmutige Palme verschönte die Landschaft, und die Platane schwenkte ihr schimmerndes Grün. Hier wuchsen Sal und Bethel, dort waren schöne Blüten an sich beugenden Zweigen zu sehen. Hier lebten Einsiedler, die alle Sinne gezähmt hatten durch die striktesten Regeln der Abstinenz. Gandharvas und Kinnaras(1) drängten sich zusammen, auch Nagas und Vögel von himmlischer Geburt. Strahlende Sänger des ätherischen Chores und Heilige, welche befreit von niederen Wünschen, schweiften mit Ajas, Söhnen aus Brahmas Geschlecht, und Marichipas von göttlicher Abstammung, auch Vaikhanasas, Balakhilas und Mashas(2) durch die Schatten. Himmlische Kränze hielten ihr Haar zusammen, und jeder Gestalt war neue Anmut verliehen durch reiche himmlische Ornamente. Jeder war wohl geübt in Tanz und Spiel und den sanften Künsten der Tändelei. Die prächtigen Ehefrauen vieler Götter betraten diese schönen Nischen und trafen sich freudig mit Göttern und Danavas, allen jenen, welche die Nahrung des Himmels zu sich nehmen. Schwäne und Saras versammelten sich in jeder Bucht, wo die Meeresgischt sich weich und weiß über Felsen von schimmerndem Lapislazuli erhob.
Als der Dämon seinen schnellen Weg verfolgte, erblickte er die hellen Wagen der Götter, die ihre Herren trugen, welche von strenger Buße in die himmlischen Sphären gehoben worden waren. Überall hingen göttliche Girlanden, und es wurde Musik gespielt und Lieder gesungen. Seine Blicke trafen auf strahlende Gandharvas und himmlische Nymphen, als er weiterzog. Unter sich sah er Sandelwälder und kostbare Bäume, die Düfte ausströmten und die Luft um ihn herum mit dem Reichtum von entzückendem Geruch erfüllten. Auch übersahen seine umherschweifenden Augen nicht die hohen Aloebäume in Wald und Park. Er schaute auf Wälder, die mit Cassias gefüllt waren, und auf Pflanzen, deren süßer Balsam gewonnen wird, auf die schönen Blüten des Bethel und die hellen, glühenden Schoten des Pfeffer. In silbrigen Haufen lagen Perlen am Rande der Tiefe, und graue Felsen erhoben sich inmitten der roten Korallen, die aus dem Bett des Ozeans gespült worden waren. Hoch erhoben sich die Bergesgipfel, die Reichtümer von Gold und Silbererz trugen. Und die Felsenhänge hinab quollen viele wilde und herrliche Wasserfälle. Schöne Städte, reich an Korn und Schätzen, und Damen, die jedes Juwel übertrafen, erblickte er weit unter sich, auch Pferde, Elefanten und Wagen. Das Meeresufer war so schön wie manche gesegnete Heimstatt der Götter, wo eine kühle und herrliche Brise spielerisch über Ebenen in frischestem Schatten wehte.
Er sah einen Feigenbaum, so groß wie eine Wolke, seine mächtigen Zweige erdwärts beugen. Er erstreckte sich über eine Länge von hundert Meilen, und war ein willkommener Aufenthaltsort für eine Gruppe von Eremiten. Dorthin trug einst der gefiederte König (Garuda) einen Elefanten und eine Schildkröte und landete auf einem Ast, um die Gefangenen seiner Krallenfüße zu verspeisen. Der Zweig war nicht fähig, dem zermalmenden Gewicht und der plötzlichen Belastung zu widerstehen, und so gab er, beladen mit feuchtem Frühlingslaub, unter den Füßen des gefiederten Königs nach. Unter den Schatten des Baumes lebten viele Männer, Heilige und ihre Anhänger, auch Ajas, Söhne des Brahma, und göttliche Mashas, Marichipas, Vaikhanasas und alle Balakhilas liebten den Ort. Aus Mitleid mit ihrem nun traurigen Heim hob der gefiederte Monarch das Gewicht des riesigen Astes und trug beides, die abgelöste Last und die gefangene Beute. Hunderte Meilen flog er so, nährte sich dann an seiner ungeheuren Beute, und den Zweig warf er auf das Land, wo die wilden Nishadastämme lebten. Seine Tat brachte ihm große Wonne, denn sie befreite die Eremiten von Gefahr. Der Stolz über die Rettung trug einen zweifachen Anteil an Heldenmut in sich. Seine Seele ersann die hohe Tat, das Amrit den Himmeln zu entreißen. Zuerst zerriß er das eiserne Netz, dann brach er durch die Juwelenkammer und trug den Trank des Himmels davon, der bewacht im Palast des Indra lag. Solcherart war der Baum, der den Eremiten Zuflucht gewährte, und den Ravana jetzt erblickte. Immer noch gezeichnet von dem Versuch Garudas sich auszuruhen, trug der Feigenbaum den Namen des Gesegneten.
Als Ravana seinem Wagenlenker gebot, über dem zauberhaften Strand des Meeres anzuhalten, sah er eine Einsiedelei, die zurückgezogen im heiligen Wald stand. Er sah den Unhold Maricha in Hirschfellkleidung und verfilztem Haar, welches auf Einsiedlerart aufgerollt war, und der dort seine höchst enthaltsamen Tage verbrachte. Wie Gast und Gastgeber sich zu treffen pflegen, begegneten sich die beiden am einsamen Ort. Maricha legte dem König Nahrung vor, welche niemals von Menschen gekostet wird. Er versorgte seinen Gast mit Fleisch und gab ihm Wasser für die Füße. Dann sprach er zum König der Giganten mit angemessenen Worten: "Herr, ist alles wohl bei dir und in Lanka, wo du lebst? Welch plötzlicher Gedanke, welche dringende Not brachte dich erneut hierher mit ungestümer Hast?" So sprach der Dämon Maricha zum König, seinem mächtigen Gast. Und jener, wohl geübt in den Künsten, welche die Wortgewandten leiten, erwiderte:
(1) Wesen mit menschlichen Körpern und Pferdeköpfen
(2) übernatürliche Wesen, die das Leben von Eremiten führen