Pushpak Mahanirvana-TantraZurück WeiterNews

Kapitel 3 - Die Verehrung des Höchsten Brahman

Die vorzügliche Göttin sprach:
Oh Gott der Götter, oh Gottheit und Lehrer des Lehrers der Götter, du sprachst von der Essenz aller heiligen Schriften, Mantras und Wege als das Höchste Brahman, den Höchsten Geist und ewigen Herrn, der über allem steht und durch dessen Verehrung die Menschen Glückseligkeit und Befreiung erreichen können. Oh Herr, mit welcher Verehrung und welchen Mantras können sie ihn befriedigen? Auf welchen Wegen der Meditation können sie sich diesem Höchsten Geist und Höchsten Herrn nähern? Und wie können sie ihm dienen? Oh Gott, dies wünsche ich durch deine Gnade auf wahrhafte Weise zu erfahren.

Daraufhin sprach der ewiggütige Shiva:
Oh Geliebte, höre von der zutiefst verborgenen höchsten Wahrheit, dem Geheimnis, das noch nirgendwo offenbart wurde. Aus Zuneigung werde ich zu dir über das Höchste Brahman sprechen, das Ewigseiende, die reine Intelligenz, die das ganze Universum durchdringt und mein geliebtes Leben ist. Oh große Göttin, das ewige, intelligente und unendliche Brahman kann direkt als das wahre Selbst erkannt oder indirekt durch Hinweise wahrgenommen werden. Das Unveränderliche und Reine jenseits von Gedanken und Ansichten, das einzig Wahre in der Illusion der drei Welten - das ist das Brahman in seinem reinen Wesen. Es ist in der stillen Meditation vom Yogi erkennbar, der alles gleichwertig betrachtet, die Ichhaftigkeit und alle Gegensätze überwunden, alle Illusionen verbrannt und alle Begierden gestillt hat. Das Brahman ist wesenhaft durch Ihn erkennbar, aus dem dieses ganze Universum entstanden ist, durch den es erhalten wird, und in dem es wieder vergeht. Dabei spricht man von einer direkten Einsicht sowie von einer indirekten Erkenntnis durch Hinweise. Wer Ihn auf indirekte Weise erkennen möchte, kann dem dargelegten Weg folgen. So höre mir achtsam zu, oh Geliebte, wie ich dir diesen Weg erkläre. Zuerst gebe ich dir das große Brahman-Mantra. Am Anfang sprich das heilige OM, dann die Worte „Sein“ und „Bewußtsein“, und am Ende das „Eine“ und „Brahman“.

OM Sat Chit Ekam Brahma
(oṁ sat cit ēkaṁ brahma)

Das ist das Wurzelmantra (zur Verehrung des Höchsten Brahman). Wenn die Worte richtig ausgesprochen werden, hat das Mantra sieben Silben, und ohne OM sind es sechs. Dies ist ein höchst vorzügliches Mantra, das unmittelbar Tugend, Wohlstand, Liebe und Befreiung gewährt (die vier großen Lebensziele Dharma, Artha, Kama und Moksha). Im Gebrauch dieses Mantras muß man sich nicht um Wirksamkeit oder Risiken sorgen. Es bedarf keiner besonderen Mondphase, Sternen- oder Planeten-Konstellationen, Geburtskaste oder speziellen Reinigungsriten. Dieses Mantra ist in jeder Weise erfolgreich. Wer durch die angesammelte Tugend vergangener Leben mit einem guten geistigen Lehrer (Guru) gesegnet wurde und dieses Mantra von seinen Lippen empfängt, der erreicht das Ziel seines Lebens, empfängt Tugend, Wohlstand, Liebe und Befreiung in dieser Welt und die höchste Seligkeit in der jenseitigen. Wessen Ohr dieses kostbare Juwel der Mantras erreicht, der ist wahrlich gesegnet, weil er den tugendhaften Weg zum Höchsten empfängt, als hätte er in allen heiligen Gewässern gebadet, alle Opfer durchgeführt, alle heiligen Schriften studiert und jeden Ruhm empfangen. Gesegnet sind seine Mutter und sein Vater sowie seine ganze Familie. Seine Ahnen erfreuen sich in Gemeinschaft der Himmlischen, und von Glückseligkeit durchdrungen singen sie die Hymne:
In unserer Familie wurde ein höchst Vorzüglicher geboren, der mit dem Brahman-Mantra gesegnet wurde. Wozu noch die in Gaya geopferten Totenkuchen, die Totenriten, Wassergaben, Verehrungen, Gebete, Feueropfer und anderen Riten? Durch diesen Gesegneten haben wir endlose Zufriedenheit erreicht.

Oh Göttin, die in allen Welten verehrt wird, ich sage dir die Wahrheit: Wer das Höchste Brahman verehrt, benötigt keine anderen Riten. Mit der Initiation in dieses Mantra wird der Schüler vom Brahman erfüllt. Oh Göttin, was wäre für ihn unerreichbar in den drei Welten? Was könnten ihm zornige Planeten, böse Geister, schreckliche Gespenster und andere übelgesinnte Wesen noch antun? Sobald sie ihn erblicken wenden sie sich ab und fliehen. Beschützt vom Brahman-Mantra und umhüllt von der Brahma-Energie wie eine zweite Sonne, was sollte er noch befürchten? Die Ängste fliehen, wie Elefanten beim Anblick eines Löwen, und vergehen wie Insekten in einem lodernden Feuer. Durch die Wahrheit gereinigt, von allen Zweifeln befreit, dem Wohlergehen aller Wesen gewidmet und voller Vertrauen dem Brahman hingegeben, kann ihm keine Sünde mehr anhaften, und wer ihm schaden möchte, gliche einem Selbstmörder. Denn wer in die Erkenntnis des Höchsten Brahman eingeweiht ist, der ist unzertrennlich mit dem Einen verbunden, und wer ihm schaden möchte, würde nur sich selbst schaden. Und wer, oh Göttin, würde einem Heiligen noch Schaden zufügen wollen, der dem Wohl aller gewidmet ist, keine Feindschaft kennt und voller Frieden ist? Wer jedoch die Bedeutung des Mantras nicht ahnt und es nicht mit Leben erfüllen kann, für den wird es unfruchtbar bleiben, auch wenn er es millionenmal rezitiert.

Oh meine Geliebte, so höre, wie ich dir die Bedeutung und das Erwecken des Mantras erkläre. Im heiligen OM („A-U-M“) weist das A auf den Erhalter, das U auf den Vernichter und das M auf den Schöpfer. Das Wort „Sat“ bedeutet reines Sein, „Chit“ bedeutet Bewußtheit und Intelligenz, „Ekam“ weist auf das Eine ohne ein Zweites hin, und „Brahma“ auf das All-Wesen. (Eine deutsche Deutung wäre: „Erhaltung, Vernichtung und Schöpfung ist reines Bewußt-Sein des All-Einen.“) Damit habe ich dir, oh Göttin, das Mantra erklärt, das alle Wünsche erfüllen kann. Das Erwecken dieses Mantras ist die Erkenntnis der Gottheit, auf die das Mantra deutet, und gewährt dem Verehrer das Höchste. Diese Gottheit ist das allseiende und ewig Eine, das formlose, leidlose und unaussprechliche Brahman, das die Sinne nicht ergreifen können. Oh Parvati, wenn man das einleitende „OM“ mit den Silben von Sarasvati, Mahamaya oder Lakshmi (die Shaktis von Brahma, Shiva und Vishnu, also „Aim“, „Hriem“ oder „Shrim“,) ersetzt, gewährt das Mantra die verschiedenen Mächte des Lernens, der Illusion oder des Wohlstandes. So kann das Mantra mit oder ohne OM benutzt werden, wie auch das OM vor jedem Wort oder aller zwei Worte. Der Rishi dieses Mantras ist der ewiggütige Shiva, das Metrum ist Anushtubh (ein Versmaß der Veden), und die führende Gottheit ist das Höchste Brahman, das ohne Eigenschaften ist und in allen Wesen wohnt. So hilft dieses Mantra beim Erreichen der vier großen Lebensziele von Tugend, Wohlstand, Liebe und Befreiung.

Oh Geliebte, höre nun wie man mit dem Mantra die Hände und den Körper berührt (Nyasa) und verbindet. Oh verehrte Göttin, die Worte OM, Sat, Chit, Ekam und Brahma sollten über dem Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und kleinen Finger gesprochen werden, jeweils gefolgt von den Worten Namah, Swaha, Vashat, Hum und Vaushat. Danach spricht man „OM Sat Chit Ekam Brahma“ über der Handfläche und dem Handrücken, gefolgt von der Silbe Phat (gesprochen „Fat“, die Waffen- und Schutzsilbe). Auf ähnliche Weise fährt der Übende voller Achtsamkeit und entsprechend den Regeln mit dem Körper fort, beginnt am Herzen und endet an den Händen.

(Om Namah - Herz,
Sat Swaha - Stirn,
Chit Vashat - Scheitel,
Ekam Hung - Schultern,
Brahma Vaushat - drei Augen,
OM Sat Chit Ekam Brahma Phat - Hände)

Oh Parvati, danach sollte der Schüler den Atem mit diesem Wurzelmantra (Mula-Mantra) verbinden und auf folgende Weise Pranayama (Atemzügelung) üben: Schließe mit dem Mittel- und Ringfinger der rechten Hand das linke Nasenloch, atme durch das rechte Nasenloch langsam ein und rezitiere dabei das OM oder das ganze Wurzelmantra achtmal. Dann schließe auch das rechte Nasenloch mit dem Daumen, und wiederhole es bei angehaltenem Atem (Kumbhaka) zweiunddreißigmal. Dann öffne das rechte Nasenloch, atme langsam aus und rezitiere es sechzehnmal. In gleicher Weise wiederhole diese drei Schritte mit dem linken Nasenloch und dann wieder mit dem rechten. Oh verehrte Göttin, damit habe ich dir erklärt, wie man Pranayama übt, um das Brahman-Mantra zu verwirklichen.

Danach vertiefe sich der Schüler in Meditation über das Mantra, um das große Ziel zu erreichen, und werde sich bewußt:
Im Lotus meines Herzens meditiere ich über das reine Bewußt-Sein des All-Einen, der Einheit von Brahman ohne Trennung und Unterschiede, dem der Yogi sich durch Meditation nähert, dieses All-Wesen, das jegliche Angst vor Geburt und Tod vernichtet, das Ewigseiende und Intelligente, aus dem alle drei Welten entstehen, und das durch die Einheit von Vishnu, Shiva und Brahma erkannt werden kann.

Nach der Mediation über das Höchste Brahman, sollte der Übende im Geiste seine Verehrung darbringen, um die Einheit des Brahman zu erreichen. Anstatt Duft widme er der Höchsten Seele die Erde, anstatt Nahrung das Wasser, anstatt Lichter das Feuer, anstatt Weihrauch den Wind und anstatt Blumen den Raum (die fünf Elemente seines Körpers). Nachdem das große Mantra im Geist wiederholt und die Früchte dem Höchsten Brahman gewidmet wurden, sollte sich der vorzügliche Schüler der formhaften Verehrung zuwenden. Mit geschlossenen Augen konzentriere er sich auf das ewige Brahman und opfere dem Höchsten Geist voller Vertrauen geliebte Dinge wie Düfte, Blumen, Kleidung, Schmuck, Nahrung, Essen und Trinken, nachdem sie mit dem folgenden Gebet geheiligt wurden:

Dieses Opfer und der Opfernde sind Brahman, das Opferfeuer und die Opferbutter sind Brahman. Wie diese Opfergaben das Brahman erreichen, so erreiche auch mein Geist das Brahman, der dieses Opfer auf das Brahman gerichtet ausführt.

Dann sollte der Übende seine Augen öffnen und so viel er kann, das Wurzelmantra murmeln und dem Brahman widmen. Danach rezitiere er die folgende Hymne und das Schutzgebet (Kavacha). Oh große Göttin, höre von mir die Hymne an den Höchsten Geist, womit der Schüler die Einheit des Brahman erreichen kann:

OM! Verehrung dem ewigen Wesen, das alles trägt.
Verehrung dem reinen Bewußtsein, der Seele des ganzen Universums.
Verehrung dem all-einen Wesen, das die Befreiung gewährt.
Verehrung dem großen, alldurchdringenden und eigenschaftslosen Einen.
Du bist die einzige Zuflucht und das einzige Ziel der Verehrung.
Du bist der Körper des ganzen Universums und dessen Ursprung.
Du bist der Schöpfer, Erhalter und Zerstörer in allen Welten.
Du bist das eine, unveränderliche Höchste, das weder dies noch das ist.
Du bist die Furcht für die Gefürchteten und die Qual für die Quälenden.
Du bist die Zuflucht aller Wesen und der Reiniger von allem, was reinigt.
Du bist der ewige Herrscher der Herrschenden.
Du bist der Höchste der Höchsten und Beschützer der Beschützer.
Oh Gottheit, die alle Formen enthält und selbst formlos ist.
Oh Gottheit, von den Sinnen unbegreifbar, aber die Wahrheit selbst.
Oh Gottheit, du unergründliche, unvergängliche, alldurchdringende und verborgene Essenz.
Oh Herr und Licht des Universums, rette uns aus dem endlosen Leiden.
Oh Herr, über dich allein meditieren wir, und dich allein suchen wir.
Oh Herr, wir verehren den Einen ohne Zweiten, den ewigen Zeugen des Universums.
Du allein bist die Wahrheit und der ewige Träger aller Welten.
Du allein bist der selbstseiende Herr, das Rettungsboot im Ozean der Gestaltung.
Du allein bist unsere höchste Zuflucht.

Das ist die Hymne der fünf Juwelen an den Höchsten Geist. Wer sie mit reinem Geist und Körper rezitiert, findet die Einheit des Brahman. Man sollte sie jeden Morgen und Abend, besonders an den Voll- und Neumondtagen rezitieren, und der Weise sollte sie den Freunden geben, die das Brahman suchen. Damit habe ich dir, oh Göttin, die Hymne der Gottheit verkündet. Höre nun, oh Geliebte, das Schutzgebet zum Wohle aller Welten. Wer es verinnerlicht und wie ein Amulett trägt, wird das Brahman erkennen:

Möge die Höchste Seele meinen Kopf beschützen.
Möge der Höchste Herr mein Herz beschützen.
Möge der Beschützer der Welt meine Kehle beschützen.
Möge der alldurchdringende und allsehende Herr mein Gesicht beschützen.
Möge die Seele des Universums meine Hände beschützen.
Möge die allwissende Gottheit meine Füße beschützen.
Möge das ewige und Höchste Brahman meinen ganzen Körper beschützen.

Der Rishi dieses Amuletts zum Wohlergehen aller Welten ist der ewiggütige Shiva, das Versmaß ist Anushtubh, die führende Gottheit ist das Höchste Brahman, und das Ziel sind Tugend, Wohlstand, Liebe und Befreiung (Dharma, Artha, Kama und Moksha). Wer mit diesem Schutzgebet des großen Rishis den Körper berührt, erreicht die Erkenntnis des Brahman und wird sogleich eins mit dem Brahman. Wer es auf Birkenrinde geschrieben in einem goldenen Amulett um den Hals oder rechten Arm trägt, wird zum Meister aller Kräfte (Siddhis). Damit habe ich dir das Schutzgebet des Höchsten Brahman offenbart. Es sollte dem vorzüglichen Schüler gegeben werden, der seinem Lehrer hingegeben und verständig ist.

Oh Göttin, nachdem er dieses Gebet beendet hat, sollte er sich verneigen und das Höchste verehren:

OM, Verehrung!
Verehrung dem Höchsten Brahman.
Verehrung der Höchsten Seele.
Verehrung dem Formlosen ohne Eigenschaften.
Verehrung dem Ewigseienden, Verehrung, OM!

Den Höchsten Herrn kann man mit Körper, Rede oder Gedanken verehren, aber das Wichtigste ist, mit aufrichtiger Motivation. Nach der Verehrung, wie ich sie erklärt habe, sollte der Weise mit seinen Freunden und Verwandten die Speise essen, die dem Brahman und Höchsten Geist gewidmet wurde (Maha-Prasad). Zur Verehrung des Höchsten bedarf es keiner bestimmten Zeit, keines bestimmten Ortes und keiner Einladung und Verabschiedung der Götter. Das Brahman kann man immer und überall verehren. Es ist unwichtig, ob der Verehrer zuvor gebadet oder gefastet hat. Aber der Höchste Geist sollte stets mit reinem Herzen verehrt werden. Was dann auch immer an Essen oder Trinken dem Höchsten Herrn mit dem Brahman-Mantra dargebracht wird, wird heilig und reinigend. Möge auch die Ganga oder ein Ritualgegenstand durch Berührung verunreinigt werden, was dem Brahman gewidmet wurde, kann niemals unrein sein. Wenn es mit diesem Mantra dem Brahman geweiht wurde, kann der Verehrer mit seinen Angehörigen alles essen, sei es gekocht oder ungekocht. Unbeachtet der Kaste, der Zeit, des Ortes oder sonstiger Reinheitsgebote, sogar Essensreste von anderen - was dem Brahman gewidmet wurde, ist in jeder Weise rein. Oh Göttin, solche Nahrung können selbst die Götter nur schwer bekommen, und sie ist heilsam, selbst wenn sie aus der Hand eines unreinen Menschen oder dem Maul eines Hundes stammt. Unvergleichlich ist solche Nahrung, die vom Brahman-Mantra geheiligt wurde. Selbst wer große Sünden begangen hat, kann damit zweifellos gereinigt werden. Der Sterbliche, der davon ißt, erntet den gleichen Verdienst wie beim Baden und Opfern an tausenden Pilgerorten oder von tausenden Pferdeopfern. Die vorzügliche Tugend dieser heiligen Speise könnten auch tausend Zungen nicht beschreiben. Wo auch immer der Schüler verweilt, sobald er vom Nektar ißt, der dem Brahman gewidmet wurde, erreicht er die Einheit des Brahman. Selbst vedengelehrte Brahmanen sollten von dieser reinen Speise essen, egal, von wem sie gegeben wird. Bezüglich solcher Speise, die dem Brahman geweiht ist, gelten keine Kastenunterschiede mehr. Wer sie als unrein betrachtet, sammelt große Sünde an. Oh Geliebte, solche Speise zurückzuweisen, gleicht einem Brahmanenmord. Der Narr, der Essen und Trinken verachtet, das mit diesem mächtigen Mantra geheiligt wurde, läßt seine Ahnen in die Unterwelt sinken und fällt selber kopfüber in die dunkelste Hölle bis ans Ende der Welt. Für ihn sind die Wege zur Befreiung verschlossen.

Wer dieses Mantra verinnerlicht, reinigt alle Taten, und seine träge Unwissenheit wandelt sich in tugendhaftes Handeln, das dem Dharma entspricht. Wer dieses Mantra verwirklicht, bedarf keiner weiteren vedischen oder tantrischen Riten. Was auch immer ein Brahman-Gewidmeter vollbringt, folgt dem Dharma, der Tugend und Gerechtigkeit. Für ihn gibt es weder persönliches Verdienst noch Sünde im Handeln. So vernichtet das Brahman-Mantra alle Hindernisse auf dem Weg zur Befreiung. Oh große Göttin, durch die Übung dieses Mantras wird der Mensch wahrhaft, überwindet seine Leidenschaften, widmet sich dem Wohl aller Wesen, erreicht die Sicht der Einheit, handelt mit reiner Motivation, wird frei von Neid und Stolz, findet das große Mitgefühl und die Reinheit des Geistes und lebt zur Freude seiner Eltern. Beständig sucht er das Brahman, lauscht dem Brahman und meditiert das Brahman. Mit kontrolliertem Geist und klarer Sicht ist er sich des Brahmans stets bewußt.

Wer mit dem Brahman-Mantra initiiert ist, sollte niemals lügen, verletzende Gedanken hegen oder die Ehefrauen anderer begehren. Oh Göttin, vor jeder Tat sollte er „Tat Sat“ („Das sei der Wahrheit gewidmet!“) murmeln und vor jedem Essen und Trinken „Das sei dem Brahman gewidmet!“. Wahrlich, wer das Brahman erkennt, wirkt stets zum Wohlergehen aller Wesen. Das ist das ewige Dharma.

Oh Parvati, ich beschreibe dir nun die regelmäßigen Sandhya-Riten, die ein Schüler des Brahman-Mantras ausführen sollte, um den Reichtum des Brahman zu empfangen. Wo auch immer er ist, und in welcher Lage er sich befindet, der Schüler sollte morgens, mittags und abends in beschriebener Weise über das Brahman meditieren. Oh Göttin, er sollte das Gayatri-Mantra 108mal murmeln und danach der Gottheit widmen, wie ich es zuvor erklärt habe. Damit habe ich dir die Sandhya-Riten kurzgefaßt erklärt, die ein Schüler des Brahman-Mantras üben sollte, um sein Herz zu reinigen. Oh Geliebte, höre nun das Gayatri-Mantra, das alle Sünden vernichten kann:

oṁ paramēśvarāya vidmahē paratattvāya dhīmahi tannō brahma pracōdayāt
(„Mögen wir das Höchste Brahman erkennen. Laßt uns über das Höchste Wesen meditieren und möge das Brahman uns führen.“)

Dies ist das vorzügliche Brahma-Gayatri, das Tugend, Wohlstand, Liebe und Befreiung gewährt. Was auch immer wir tun, sei es Verehren, Opfern, Baden, Trinken oder Essen, alles sollte vom Brahman-Mantra begleitet werden. Jeden Tag sollte man zur Brahma-Stunde (gegen 4:30 oder anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang) aufstehen, den Lehrer verehren, von dem man die Initiation des Brahman-Mantras empfangen hat, und das Mantra mit ganzer Aufmerksamkeit rezitieren. Danach verehre man das Brahman wie beschrieben und meditiere darüber. Das seien die Morgenriten. Als Gelübde kann man das Mantra 32.000mal wiederholen, als Feueropfer 3.200mal, als Wasseropfer 320mal, als Reinigung 32mal und als Brahmanen-Bewirtung 4mal. Dazu gibt es keine Regeln bezüglich des Fastens, der Reinigung, der Zeit und des Ortes. Das Brahman-Mantra kann man immer üben, ganz zwanglos mit oder ohne Gesten, Körperberührung, Schutzgebet und sonstigen Gebeten. So wird man bald das Höchste Brahman erkennen. In der Übung des Brahman-Mantras sind keine anderen Gedanken nötig als die geistige Ausrichtung auf das Eine und eine aufrichtige Gesinnung. Dann erkennt der Brahman-Verehrer das Brahman in allem. So überwindet er jede Sünde und Unvollkommenheit, denn dieses große Mantra beseitigt jedes Hindernis und macht alles vollkommen. In diesem schrecklichen Kali-Zeitalter, wo Entsagung schwindet und Sünde gedeiht, ist das Brahman-Mantra ein wirkungsvoller Weg zur Erlösung.

Oh große Göttin, ich habe bereits viele Wege zur Befreiung verkündet, doch im Kali-Zeitalter sind die Menschen zu schwach dafür. Oh Geliebte, sie sind kurzlebig, mutlos, abhängig, gierig, materiell, egoistisch, unzufrieden und unwissend. Damit sind ihnen die altbewährten Yoga-Wege der geistigen Vertiefung verschlossen. Für ihr Glück und ihre Befreiung habe ich den Brahma-Weg aufgezeigt. Oh Göttin, wahrlich, ich sage dir, daß die Initiation mit dem Brahman-Mantra in dieser Zeit der beste Weg zum Wohlergehen und zur Befreiung ist. Oh Verehrte, die drei Übungen zur Reinigung, morgens, mittags und abends, werden für alle Tantra-Wege geboten, aber das Wichtigste in der Verehrung des Höchsten Brahmans ist der gute Wille des Verehrers. Die Riten sind nur Diener, und die Regeln sind weit offen. Entscheidend ist der Geist des Übenden. Worauf sonst könnte man sich (im Kali-Zeitalter) noch verlassen?

Gesegnet ist, wer einen strengen geistigen Lehrer (Guru) findet, der die Ruhe hat und das Brahman kennt. Wer das Brahman verehrt, sollte sich zu seinen Lotusfüßen verneigen und ihn wie folgt bitten:

Oh Herr des Mitgefühls und Retter der Geplagten, ich suche bei dir Zuflucht. Oh Ruhmreicher, möge der Schatten deiner Lotusfüße meinen Kopf bedecken.

Nach diesem Gebet sollte er den Lehrer nach besten Kräften verehren und mit gefalteten Händen schweigend vor ihm stehen. Dann sollte der Lehrer den Schüler prüfen, ihn freundlich einladen und dem guten Schüler das Wurzelmantra übertragen. Der Weise sollte mit dem Gesicht nach Osten oder Norden sitzen und der Schüler zu seiner Linken. Dann sollte er den Schüler mit freundlichem Blick berühren, die Hand auf dessen Kopf legen und zu seinem Wohlergehen das Mantra 108mal rezitieren. Schließlich wird der vorzügliche Lehrer, der einem Ozean an Güte gleicht, das Mantra siebenmal in das rechte Ohr eines Brahmanen-Schülers wispern oder in das linke Ohr, wenn der Schüler aus einer anderen Kaste stammt. Oh Parvati, damit habe ich dir erklärt, wie man das Brahman-Mantra übergeben sollte. Dafür bedarf es keiner besonderen Rituale. Entscheidend ist die Entschlossenheit des Schülers. Und wenn sich der Schüler dann zu den Lotusfüßen des Lehrers niederwirft, dann soll er ihn aufheben mit den Worten:

Erhebe dich mein Sohn, du bist befreit! Sei beständig der Erkenntnis des Brahman gewidmet. Besiege deine Leidenschaften und sei wahrhaftig. Mögest du mit Kraft und Gesundheit gesegnet sein!

Nachdem der vorzügliche Schüler so erhoben wurde, sollte er seinem Lehrer ein Dankopfer darbringen, sich selbst, Früchte oder Reichtum. Wenn er nun alle Gebote seines geistigen Lehrers befolgt, kann er wie ein Himmlischer über diese Erde wandern. Dann verbindet sich seine Seele durch diese Mantra-Initiation wieder mit dem Brahman, dem All-Einen. Oh Göttin, wofür benötigte er dann noch weitere Übung?

Oh Geliebte, damit habe ich dir die Weihe mit dem Brahman-Mantra erklärt, die der geistige Lehrer aus Mitgefühl und Güte gibt. Ob der Schüler Indra, Shiva, Vishnu, Ganesha, die Sonne oder andere Götter verehrt, ob er Brahmane ist oder aus einer anderen Kaste stammt, jeder kann diese Initiation empfangen. Ich selbst habe durch den Segen dieses Mantras den Tod überwunden, und bin, oh Göttin, zum Gott der Götter und geistigen Lehrer aller Welten geworden. So handle ich, wie es sein soll, frei von aller Unwissenheit und Zweifel. Brahma war der erste, der dieses Mantra von mir empfangen hat, und er lehrte es seinen Söhnen und den Göttern und Heiligen. Von ihnen empfingen es die asketischen Yogis und von ihnen die königlichen Weisen. Sie alle wurden durch die Gnade des Höchsten Geistes mittels dieses Mantras wieder Eins mit dem Brahman. Oh große Göttin, in der Anwendung dieses Brahman-Mantras gibt es keine Grenzen. Ein Lehrer kann dieses mächtige Mantra ohne große Bedenken an seine Schüler weitergeben, ein Vater an seine Söhne, ein Bruder an seine Brüder, ein Mann an seine Frau, ein Onkel an seine Neffen und ein Großvater an seine Enkel. Dabei gibt es keine Risiken wie bei manch anderen Mantras. Wer es aus dem Munde eines Brahman-Kenners hört, der wird gereinigt, erreicht die Erkenntnis des Brahman, das Brahman selbst und die Befreiung vom angesammelten Karma, von Verdienst und Sünde. Alle Menschen, seien es Brahmanen oder Hausväter anderer Kasten, die das Brahman-Mantra üben, werden in ihrer Kaste jeglicher Verehrung würdig. Die Brahmanen werden zu Heiligen, und die anderen Kasten werden zu Brahmanen. So sind alle verehrungswürdig, die in das Brahman-Mantra eingeweiht wurden und das Brahman erkennen. Wer sie mißachtet gleicht einem Brahmanen-Mörder und sinkt in eine schreckliche Hölle, solange die Sonne und die Sterne bestehen. Einen Verehrer des Höchsten Brahman zu beschimpfen, gleicht tausendfach der Sünde des Tötens einer Frau oder ungeborenen Lebens.

Oh Göttin, die Menschen können jedoch durch das Brahman-Mantra nur von aller Sünde befreit und Eins mit dem Brahman werden, wenn sie auch dich in gleicher Weise verehren.

(Nachdem der Schüler die geistige Einheit durch die Brahman-Meditation nach intensiver Übung erkannt hat, sollte er diese durch weitere Übung auch im praktischen Leben verwirklichen, in der Natur und im Körperlichen. Das ist offenbar im Kali-Zeitalter besonders schwer, und dafür wird im folgenden Text der Tantra-Weg zur Einheit erklärt.)


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