Pushpak Mahanirvana-TantraZurück WeiterNews

Kapitel 1 - Die Frage nach der Befreiung

Erinnern wir uns an den bezaubernden Gipfel vom Herrn der Berge, der von verschiedensten Juwelen erstrahlt und mit herrlichen Bäumen und Kletterpflanzen geschmückt ist, wo die entzückenden Lieder der Vögel erklingen und die berauschenden Blüten aller Jahreszeiten duften, wo mächtige Bäume ruhige Schatten bieten, kühle Gärten vom süßen Gesang der himmlischen Nymphen widerhallen, und in tiefen Wäldern die Rufe der Kuckucks alle Herzen mit Liebeslust erfüllen, wo der wonnigliche Frühling, der Herr der Jahreszeiten, mit seinem Gefolge immer zu Hause ist, und die himmlischen Heiligen, Weisen, Musiker und Geister leben. Hier verneigte sich die Göttin Parvati zum Wohlergehen aller Welten voller Demut vor Shiva, ihrem gütigen Herrn, dem stillen Gott, zufrieden und strahlend, dem Meister des ganzen Universums der Geschöpfe, der ewig Gütige und Glückselige, der Urquell aller Götter, der unendlich lichtvolle und nektargleiche Ozean des Mitgefühls, dessen wahres Wesen reine Güte ist, so weiß wie Jasminblüten, der den ganzen Raum durchdringt und mit seinem Körper alle Himmelsrichtungen erfüllt, die Zuflucht aller Armen und der geliebte Herr aller Yogis, mit verfilzten Haaren, aus denen das Wasser der himmlischen Ganga sprudelt, mit Asche beschmiert und vollkommen gezügelt, mit Girlanden aus Schlangen und einer Kette aus Totenköpfen geschmückt, der dreiäugige Herrscher der drei Welten mit dem Dreizack bewaffnet, der Segensreiche, der leicht zu befriedigen ist, der große Geist reiner Erkenntnis, der den Segen ewiger Erlösung gewähren kann, der ewig Seiende, Furchtlose, Leidlose, Unwandelbare, vollkommen Reine und Fehlerlose, der Wohltäter für alle Wesen und Gott aller Götter.

Zu ihm sprach die vorzügliche Göttin:
Oh Herrscher der Götter und des Universums, mein geliebter Ehemann und Herr, ich bin dir ganz ergeben und deinem treuen Dienst gewidmet. Oh Quell des Mitgefühls, gewähre mir eine Frage. Wenn ich einen Platz in deinem Herzen habe und deiner Liebe wert bin, dann möchte ich etwas fragen, was meinen Geist bewegt. Oh höchster Herr, wer außer dir könnte mir in den drei Welten diesen Zweifel lösen? Wer sonst wäre so allwissend und ein Urquell jeglicher Erkenntnis?

Und der ewiggütige Shiva antwortete:
Oh weise Göttin, oh Geliebte, sprich es aus, was du fragen möchtest. Ich werde dir alles offenbaren, auch wenn es das größte Geheimnis wäre, das nicht einmal meine Söhne Ganesha und Skanda, der Heerführer der Himmlischen, hören dürften. Was gäbe es in den drei Welten, das vor dir verborgen werden sollte? Oh Göttin, du bist mein eigen Selbst. Es gibt keinen Unterschied zwischen dir und mir. Auch du bist allwissend und allgegenwärtig. Was ist es, was du nicht weißt und mich fragen willst, als wärst du unwissend?

Mit Freude hörte die ewigreine Parvati diese Worte, verneigte sich und fragte den gütigen Shiva:
Oh mächtiger Herr aller Wesen, oh bester Dharma-Kenner, der du am Anfang des Schöpfungstages in deiner Güte durch Brahma die vier Veden offenbartest, die das Dharma mit den Geboten für die verschiedenen Kasten und Lebensweisen der Menschen verkünden. Und wahrlich, im goldenen Krita Zeitalter erfreuten die Menschen auf Erden die Götter und Ahnen durch Yoga und Opfer, wie es von dir geboten wurde. Durch das Studium der Veden, Mediation, Askese, Sinneszügelung, Mitgefühl und Wohltätigkeit wurden die Menschen mit größter Kraft, Macht und Energie gesegnet und kannten keine Schwäche. Voller Wahrhaftigkeit und Weisheit folgten sie entschlossen dem Dharma der Tugend und Gerechtigkeit, wurden den Göttern gleich und erhoben sich trotz ihrer körperlichen Sterblichkeit in die Bereiche der Götter. Die Könige folgten getreu ihren Pflichten und beschützten ihr Volk mit Leib und Seele. Die Männer betrachteten andere Ehefrauen wie ihre Mütter und andere Kinder wie ihre eigenen. Die Leute schauten auf den Reichtum ihrer Nachbarn so gleichmütig wie auf einen Klumpen Lehm, und dem Dharma treu folgten sie den Pflichten ihrer Kaste. Es gab keine Lügner, Egoisten, Diebe, Narren, Böswillige, Neidvolle, Zornige, Unersättliche oder Süchtige. Alle waren von Herzen gut und im Geist zufrieden. Die Erde gab stets genügend Getreide, die Wolken regneten zur rechten Zeit, die Kühe gaben reichlich Milch, und die Bäume trugen gute Früchte. Es herrschten weder Hunger noch Krankheit, und keiner starb vor seiner Zeit. Die Menschen waren stets heiter, reich, gesund und voller Energie, Schönheit und Tugend. Die Ehefrauen waren treu und ihren Männern ergeben. Brahmanen, Kshatriyas, Vaisyas und Shudras erfüllten das Dharma ihrer Kaste mit allen Pflichten und Opfern und erreichten das große Ziel der Befreiung.

Als das goldene Krita Zeitalter zu Ende ging und das silberne Treta begann, verfiel das Dharma vor deinen Augen, und die Menschen konnten durch die vedischen Riten nicht mehr all ihre Wünsche erfüllen. Ihre Herzen wurden von Angst ergriffen, die Riten wurden immer komplizierter und mühevoller und die Hindernisse immer größer. Durch Ungerechtigkeit und Untugend entstanden Sorgen und Leiden, die Askese wurde schwächer, und die Veden verloren an Kraft. Du sahst es und brachtest die Gesetzesbücher (Smritis) in die Welt, die den Sinn der Veden erklären und so von Sünde reinigen, welche die Ursache aller Sorgen und Leiden ist. Denn wer außer dir könnte für die Menschen in diesem schrecklichen Ozean der Welt ihr väterlicher Beschützer, Retter, Wohltäter und Herr sein?

Danach begann das bronzene Dwapara Zeitalter, und die Menschen gaben auch die heilsamen Gebote der Gesetzesbücher auf. Das Dharma verschwand zur Hälfte aus der Welt, und die Menschheit wurde von geistigen und körperlichen Krankheiten geplagt. Zu ihrer Rettung gabst du ihnen die heiligen und lehrreichen Geschichten und Mythen (die Samhitas, Puranas, Epen usw.).

Nun ist das eiserne Kali-Zeitalter angebrochen und das Dharma weitestgehend verschwunden. Unheilsame Taten und Illusionen haben die Herrschaft der Welt übernommen. Die Menschen folgen sündhaften Wegen, die Veden haben ihre Macht verloren, die Gebote der Gesetzesbücher wurden vergessen, und die heiligen Geschichten aus der Vergangenheit verlieren ihre überzeugende Kraft, um die vielfältigen Wege zur Befreiung aufzuzeigen. Die Menschen werden ihre religiösen Riten mißachten, jede Selbstbeherrschung verlieren, von Stolz berauscht sein und unheilsame Taten pflegen. Begierig, unersättlich, grausam, betrügerisch und bösartig werden sie von Sorgen und Krankheiten gequält und ein zu kurzes, unerfülltes Leben haben. Es wird ihnen an wahrer Schönheit fehlen, wahrhafter Kraft und reinem Edelmut. Sie werden sich mit dem Niederen verbinden, wie feige Diebe leben, andere verleumden und unterdrücken, streiten und hinterlistig handeln. Ohne Schamgefühl brechen sie ihre Ehen und haben keine Furcht mehr vor Sünde. Innerlich arm und ausgebrannt fühlen sie sich krank und unbefriedigt. Die Zweifachgeborenen werden wie Sklaven leben und ihre eigenen Opfer vernachlässigen, um sich bedenkenlos als Priester in den Opfern anderer zu verkaufen. In ihrer unersättlichen Gier gehen sie unheilsame Wege, vollbringen sündhafte Taten und versinken in Lüge, Unwissenheit, Betrug und Hochmut. Sie werden ihre Töchter verkaufen, jede Sittlichkeit verlieren und weder Gelübde noch Askese üben. So wenden sie sich von ihrem geistigen Ursprung ab, täuschen sich selbst und betrachten sich persönlich als klug und weise. Ohne wahre Hingabe und Vertrauen in die Gottheit benutzen sie ihre geistige Kraft, um anderen zu schaden. Die vielen, komplizierten Riten sind zunehmend äußerer Schein, sie verzehren unreine Nahrung, folgen unheilsamen Gewohnheiten, werden zu Sklaven ihrer Sinne, versinken in Abhängigkeiten, begehren niedere Gemeinschaft und würden für Geld sogar ihre eigenen Ehegatten verkaufen. So wird man die Zweifachgeborenen nur noch an ihrer heiligen Schnur erkennen. Sie werden keine Gebote mehr beim Essen und Trinken beachten, nicht wissen, was zu tun oder zu lassen ist, die heiligen Schriften verspotten, keine frommen Gedanken hegen und die Tugend verachten.

In diesem Zeitalter hast du für die Befreiung der Wesen die Tantras mit den entsprechenden Schriften (den Nigamas und Agamas) geschaffen, die Wohlergehen und Erlösung durch Verehrung des männlichen und weiblichen Aspektes der Gottheit mittels Mantras und Yantras (Gebete und Bilder) gewähren. Darin lehrst du verschiedene Yogaübungen, die Prinzipien der Entstehung, Erhaltung und Auflösung, sowie das körperliche Binden und Loslassen mit den natürlichen Qualitäten von Güte, Leidenschaft und Trägheit, die den Erfolg der Gebete an die Götter bestimmen. Du lehrst auch die tausenden Wege der Meditation über das Wesen der Weiblichkeit und der Symbolik der Totenköpfe, Leichen, Leichenfeuer und ähnlichem. Du selbst hast die Göttlichkeit und Natürlichkeit unter den Menschen schwinden lassen. Doch wenn in diesem Zeitalter die Natürlichkeit schwindet (und die Leidenschaft überwiegt), wie könnte dann die Göttlichkeit bestehen? Ein natürlicher Mann sammelt einfach Blätter, Blüten, Früchte und Wasser mit eigenen Händen. Er schaut nicht nach Dienern aus und denkt nicht einmal an eine Ehefrau (und ein Hausvaterleben). Ein Göttlicher gleicht einem Gott, der sein Herz rein hält, die Gegensätze überwindet, weder Liebe noch Haß hegt, keine weltliche Anhaftung kennt, allen vergibt und alles als gleichwertig betrachtet. Doch wie könnte nun ein Mensch, der mit ruhelosem Geist im Kali-Zeitalter lebt und voller Leidenschaft, Herrscherwahn und Illusion ist, zur Ruhe kommen und die Reinheit der Göttlichkeit erreichen? Dafür hast du ihnen den Mediationsweg über die fünf bindenden Prinzipien der Leidenschaft gegeben, die man Wein, Fleisch, Fisch, Samen und Vereinigung nennt (die Pancha-Tattwas). Denn die Menschen im eisernen Zeitalter sind voller Habgier, Lust und Hunger, gehen nicht die Wege der Tugend und fallen in Sünde. Sie trinken viel Wein, um sich zu erfreuen, verlieren im Rausch jede Vernunft und können nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden. Sie werden die Ehefrauen anderer schänden, wie Verrückte umherlaufen und in ihrer unersättlichen Begierde alle Grenzen mißachten. Durch zuviel Essen und Trinken werden viele Krankheiten entstehen, die ihnen Kraft und Sinne rauben. Mit verwirrten Sinnen ertrinken sie in Seen, fallen in tiefe Gruben, verlaufen sich in dichten Wäldern, Bergen oder weiten Wüsten, oder stürzen von den Dächern ihrer Häuser (symbolisch gemeint). Sie werden sich mit ihren Verwandten streiten und sogar mit ihren Eltern. Manche werden wie Wasserfälle schwatzen und andere wie Tote schweigen. Durch übelgesinnte und grausame Taten wird das Dharma immer weiter verfallen. Ich fürchte, oh Herr, selbst das, was du ihnen zum Guten bestimmt hast, werden sie ins Üble kehren. Oh Meister der Welt, wer wird noch Yoga üben und die heilsamen Wege gehen? Wer wird die heiligen Hymnen singen, die Yantras malen und Mantras sprechen? Unter dem Einfluß des Kali-Zeitalters werden die Menschen zunehmend übelgesinnt und an vielfältige Sünden und Laster gebunden. Oh gütiger Herr und Retter der Gequälten, sei gnädig und zeige ihnen die Wege zu einem erfüllten Leben voller Kraft und Gesundheit, Vernunft und Weisheit, Freude und Lebensmut, Reinheit, Treue und Achtung vor den Älteren, Mitgefühl und Frieden, wohlversorgten Verwandten und Kindern, zur Verehrung der Götter und Lehrer, zu Mediation über die Gottheit, Verständnis des Dharma und Erkenntnis des Brahman. Oh Herr, sage bitte, was die Menschen der verschiedenen Kasten und Lebensweisen tun oder lassen sollten, damit sie ihr Wohlergehen in dieser und der jenseitigen Welt erreichen können. Denn wer außer dir könnte ihr Beschützer in den drei Welten sein?


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