Pushpak Mahabharata Buch 5Zurück WeiterNews

Kapitel 42 - Die geheime Belehrung von Sanatsujata für Dhritarashtra

Vaisampayana fuhr fort:
Daraufhin lobte der berühmte und kluge König Dhritarashtra die von Vidura gesprochenen Worte und fragte Sanatsujata im Geheimen, um das höchste von allem Wissen zu erhalten.

Der König fragte den Rishi:
Oh Sanatsujata, ich hörte, daß du der Meinung bist, daß es keinen Tod gibt. Dagegen wird gesagt, daß die Götter und Asuras asketische Entsagung üben, um dem Tod zu entgehen. Welche von diesen zwei Meinungen ist wahr?

Sanatsujata sprach:
Einige sagen, daß man den Tod durch besonderes Handeln überwinden kann. Andere sagen, daß es gar keinen Tod gibt. Du fragst mich, welche dieser Aussagen wahr ist. Höre mich an, oh König, wie ich zu dir spreche, damit deine Zweifel gelöst werden können: Oh Kshatriya, wisse, daß beide Aussagen wahr sind. Die Gelehrten sind der Meinung, daß der Tod ein Ergebnis der Unwissenheit ist. Ich behaupte sogar, daß Unwissenheit der eigentliche Tod ist. Damit wäre die Abwesenheit von Unwissenheit die Unsterblichkeit. Es kommt durch die Unwissenheit, daß die Asuras der Niederlage und dem Tod unterworfen sind, und es kommt durch die Überwindung der Unwissenheit, daß die Götter die Natur des Brahman erreicht haben. Der Tod verschlingt nicht die Wesen wie ein Tiger, denn seine Form ist nicht greifbar. Manche denken, daß Yama der Tod ist. Aber das geschieht nur wegen der Schwäche des Geistes. Das Finden von Brahman oder der Selbsterkenntnis löst den Tod auf und ist Unsterblichkeit.

Der (imaginäre) Gott (Yama) hält seine Herrschaft im Bereich der Ahnen und ist die Quelle der Seligkeit für die Tugendhaften und der Qual für die Sündigen. Es geschieht auf seinen Befehl hin, daß der Tod in Form von Haß, Begierde und Unwissenheit unter die Menschen kommt. Vom egoistischen Stolz bewegt, wandeln die Menschen auf unheilsamen Pfaden. Von ihnen schafft es niemand, sein wahres Wesen zu finden. Mit umnebeltem Verständnis und getrieben durch die Leidenschaften treffen sie auf ihren Tod und fallen wiederholt in die Hölle. Und überall hin werden sie von ihren Leidenschaften (Sinnesbegierden) verfolgt. So geschieht es, daß diese Unwissenden vom Tode sprechen.

Jene tugendhaften Menschen, welche die Früchte ihrer Handlungen begehren, werfen ihre Körper ab, wenn die Zeit gekommen ist, um ihre Früchte zu genießen, und gehen weiter zum Himmel. Damit können sie den Tod aber nicht vermeiden (denn, wenn ihr Verdienst verbraucht ist, fallen sie wieder). Körperliche Wesen sind aufgrund ihrer Unfähigkeit zur Erkenntnis des Brahman, sowie durch ihre Anhaftung an die irdischen Vergnügungen dazu genötigt, sich in einem kreisenden Zyklus von Wiedergeburten auf allen Ebenen aufzuhalten. Die natürliche Neigung der Menschen zum Ergreifen von Illusionärem ist die alleinige Ursache für die Sinnesbegierden, die zur Unwissenheit führen. Die Seele, die ständig nach Illusionen greift und sich immer nur an diese eine Beschäftigung erinnern kann, verehrt beständig die irdischen Sinnesfreuden in ihrer Umgebung. Das Greifen nach Genuß ist die Ursache für den Tod der Menschen. Begierde und Haß folgen bald hinterher. Diese drei, das Greifen nach Genuß, Begierde und Haß, führen unwissende Menschen in den Tod. Jene aber, die durch Selbstkontrolle ihre Seelen erfolgreich überwunden haben, sind dem Tod entkommen.

Wer seine Seele überwunden hat, ohne sich weiterhin durch seine ehrgeizigen Wünsche zu quälen, der hat den Tod überwunden, indem er mit Hilfe der Selbsterkenntnis dessen Realität aufgelöst hat. Denn die Unwissenheit, welche die Gestalt von Yama annimmt, kann den Weisen nie verschlingen, der sein Begehren auf diese Weise gestillt hat. Doch der Mensch, der seinen Begierden folgt, wird mit seinen Begierden wachsen und sterben. Wer jedoch dem Begehren entsagen kann, der wird alle Arten des Leidens auflösen. Die Begierde ist wahrlich Unwissenheit, Dunkelheit und Hölle für alle geschaffenen Wesen, die unter ihrer Führung all ihre Sinne an sie verlieren. Wie ein Betrunkener auf einer Straße taumelt und dabei in Furchen und Löcher fällt, so wankt ein Mensch, vom Rausch der illusionären Wünsche verführt, dem Tod entgegen. Doch was könnte der Tod einer Seele antun, die durch Begierden nicht verführt und geblendet worden ist? Für sie hat der Tod keinen Schrecken mehr, wie ein Tiger aus Stroh.

Oh Kshatriya, wenn die Macht der Begierde, welche Unwissenheit ist, aufgelöst wird, dann kann kein illusionäres Begehren mehr, nicht einmal das geringste, weder gedacht noch verfolgt werden. Diese Verbindung deiner körperlichen Seele mit Haß und Begierde, diese angesammelte Unwissenheit, das ist der Tod. Die Erkenntnis, daß der Tod auf diese Weise entsteht, reinigt den Erkennenden von jeglicher Todesangst. Denn wahrlich, wie der Lebende vernichtet wird, wenn er auf den Tod trifft, so wird der Tod selbst vernichtet, wenn er auf den Erkennenden trifft.

Dhritarashtra sprach:
Die Veden erklären die befreiende Funktion jener hohen, heiligen und ewigen Bereiche, die angeblich von den Zweifachgeborenen durch Gebete und Opfer erreichbar sind. Warum sollte ein kluger Mensch mit diesem Wissen seine Erlösung nicht in solchen (religiösen) Handlungen suchen?

Sanatsujata sprach:
So ist es, wer ohne Selbsterkenntnis bleibt, der geht seinen Weg in jene Bereiche weiter, von denen du gesprochen hast. Und auch die Veden erklären, daß dort sowohl Seligkeit als auch Befreiung sind. Aber wer diesen materiellen Körper als das Selbst erkennt und alle Begierden überwindet, der erreicht sofort Befreiung (oder das Brahman). Wer jedoch Befreiung sucht, aber dem Begehren nicht entsagen kann, der muß den zwanghaften Weg der Handlungen weitergehen, und sollte sorgfältig darauf achten, das Risiko abzubauen, daß er die bereits gegangenen Wege immer wieder gehen muß.

Dhritarashtra fragte:
Wer ist es, der diesen Ungeborenen und Ewigwährenden so bedrängt? Wenn es Er selbst ist, der dieses ganze Weltall entfaltet und durchdringt, weshalb handelt Er dann, oder begehrt nach Genuß? Oh gelehrter Weiser, darüber möchte ich die Wahrheit hören!

Sanatsujata sprach:
Bei dieser Frage ist zu bedenken: Man kann das Eine nicht mehr sehen, nachdem man es zerteilt hat. Die Kreaturen entstehen immer durch das Zusammenkommen der entsprechenden Bedingungen. Doch diese Erscheinungen schmälern nicht die Souveränität des Ungeborenen und Ewigwährenden. Auch bezüglich der Menschen gilt, das sie durch das Zusammenkommen von entsprechenden Bedingungen entstehen. Doch all das, was erscheint, ist nichts anderes als das immerwährende Höchste Wesen (Para Brahman). Die Wirklichkeit dieses Weltalls wird aus dem Höchsten Wesen geschaffen, indem es sich entfaltet. Auch die Veden beschreiben diese Macht des Höchsten Wesens zur Entfaltung, sowie die ewige Einheit all dieser Erscheinungen mit ihrem Eigentümer.

Dhritarashtra fragt:
Manche handeln in dieser Welt tugendhaft, und andere entsagen dem weltlichen Handeln. Ich frage dich, ob die Tugend wirklich fähig ist, die Sünde zu besiegen, oder wird sie schließlich durch die Sünde besiegt?

Sanatsujata sprach:
Die Früchte der Tugend und des Nichthandelns können beide für dieses hohe Ziel verwendet werden. Wahrlich, sie sind beide ein geeignetes Mittel für die Erreichung der Befreiung. Der Weise ist erfolgreich durch Erkenntnis. Der in der Welt Handelnde erwirbt Verdienst durch seine Taten und erreicht damit Weisheit. Doch solange er im Handeln noch Sünde ansammelt, wird er erneut die Früchte sowohl der Tugend als auch der Sünde ernten, bis sie verbraucht sind. So bleibt der Handelnde infolge seiner vorherigen Tugenden und Sünden seiner Gewohnheit zum Handeln immer weiter verbunden. Doch der Handelnde, der auch Erkenntnis erreicht, vermeidet Sünden durch tugendhafte Taten. Deshalb ist die Tugend so kraftvoll und sichert den Erfolg des Handelnden.

Dhritarashtra fragte:
Beschreibe mir stufenweise jene ewigen Bereiche, die angeblich als Früchte der tugendhaften Taten von den Zweifachgeborenen erreichbar sind, welche ein tugendhaftes Leben führen. Beschreibe mir auch andere Bereiche ähnlicher Art. Aber sprich noch nicht von den Handlungen, oh Gelehrter.

Sanatsujata sprach:
Jene Zweifachgeborenen, die den Yoga gemeistert haben, aber noch stolz darauf sind, wie starke Männer auf ihre Kraft, die strahlen nach dem Verlassen dieser Welt im Bereich von Brahman. Jene Zweifachgeborenen, die noch mit einem Rest von Stolz die Opfer und anderen vedischen Riten ausüben, weil die Frucht der Erkenntnis infolge ihrer Taten noch ihnen gehört, gehen, von dieser Welt befreit, zu jenem Bereich, der die Wohnstätte der Götter ist. Dann gibt es wiederum andere, die mit den Veden vertraut sind, aber die Meinung vertreten, daß die Ausführung der Opfer und Riten buchstabengetreu verbindlich ist. Sie binden sich an Äußerlichkeiten fest, obwohl sie eigentlich die Entwicklung ihres inneren Wesens suchen. Solche Ansichten sind nicht besonders förderlich.

Wo auch immer für einen Brahmanen würdige Nahrung reichlich vorhanden ist, wie das Gras während der Regenzeit, dort sollte der Yogi seinen Lebensunterhalt suchen, und seinen Körper nicht übermäßig durch Hunger und Durst quälen. Auch besonders gefahrvolle Orte sollte der Yogi meiden, um nicht die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Denn wer seine Überlegenheit nicht öffentlich hervorhebt, der ist besser als jene, die damit prahlen. Die Tugendhaften loben jene Nahrung, die von jemanden gegeben wird, der diese Gabe beim Anblick eines anderen, mit Überlegenheit Prahlenden, nicht bereut, und der nie selber ißt, ohne einen entsprechenden Anteil den Brahmanen und Gästen anzubieten. Wie manche Hunde ihre eigenen Exkremente verschlingen und daran erkranken, so verschlingt ein Yogi sein eigenes Erbrechen, wenn er durch Wichtigtuerei seinen Lebensunterhalt beschafft.

Die Weisen loben jenen Yogi, der zwar unter seinen Mitmenschen lebt, aber seine religiösen und asketischen Praktiken im Stillen vollbringt. Was sonst benötigt ein Yogi, um das Höchste Wesen zu erkennen, das ohne Ursache und ohne Attribute, unveränderlich, einzig und allein, und ohne jegliche Dualität ist? Auf diese Weise kann auch ein Kshatriya das Höchste Wesen erkennen und in seiner Seele schauen.

Welcher Dieb könnte größere Sünden begehen, als ein Mensch, der sich selbst als den Handelnden und Fühlenden betrachtet? Er beraubt damit das Höchste Wesen. Ein Yogi sollte ohne eigene Anstrengung sein, keinen Besitz ansammeln, Wohlwollen ausstrahlen, innere Stille bewahren und trotz seines großen Wissens schweigsam sein. Nur so kann er zur Erkenntnis des Brahman gelangen. Wer an weltlichen Dingen arm ist, aber reich an göttlicher Einsicht und Hingabe, der wird unüberwindlich, furchtlos und zur Wohnstätte von Brahman. Selbst jener in dieser Welt, der es durch Opferhandlungen schafft, auf die Götter zu treffen, welche alle Arten wünschenswerter Dinge gewähren können, ist nicht mit dem zu vergleichen, der das Brahman erkannt hat. Denn der Opfernde muß immer noch eigene Anstrengungen unternehmen. Nur jener ist wahrlich geehrt, der aufgrund seiner Freiheit vom Handeln durch die Götter geehrt wird. Darüber hinaus sollte ein Yogi sich nie geehrt fühlen, auch wenn andere ihn ehren. So wird es auch keinen Gram geben, wenn er mißachtet wird.

Alle Wesen handeln gemäß ihrer Natur, so wie sich die Augen von selbst öffnen und schließen. Die Wissenden ehren deshalb alle Wesen. Dann wird auch der Wissende (durch die Götter) geehrt. Nur die Unwissenden in dieser Welt, die sich zur Sünde neigen und in der Selbsttäuschung Meisterschaft erlangt haben, sie ehren niemals jene, die der Verehrung würdig sind. Im Gegenteil, sie verachten alles Ehrwürdige.

Weltlicher Lärm und asketische Stille können zusammen nicht bestehen. Wisse, die vielfältige Welt entsteht für die Begierigen, und eine andere besteht für die Yogis. Hier in dieser Welt, oh Kshatriya, sind die Sinnesfreuden der weltliche Wohlstand. Sie werden jedoch schnell zum Hindernis für den himmlischen Wohlstand, denn dieser ist ohne Weisheit kaum erreichbar. Die Gelehrten sagen, daß es verschiedene Tore zum himmlischen Wohlstand gibt, die schwer zu bewahren sind. Diese sind Wahrhaftigkeit, All-Liebe, Entsagung, Selbstkontrolle, Reinheit des Denkens und Handelns, sowie Erkenntnis. Diese sechs wirken zerstörend auf die Selbstsucht und die Unwissenheit.


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