Pushpak Mahabharata Buch 5Zurück WeiterNews

Kapitel 39 - Fortsetzung der Belehrung von Vidura

Dhritarashtra sprach:
Der Mensch hat nicht die Macht, über sein eigenes Glück oder Unglück zu bestimmen. Er ist wie eine Marionette, die an vielen Schnüren bewegt wird. Wahrlich, der Schöpfer hat den Mensch als Untertanen des Schicksals erschaffen. Doch fahre fort mit deiner Belehrung, ich höre mit Interesse deine Worte.

Und Vidura fuhr fort:
Oh Bharata, selbst Vrihaspati erntete den Vorwurf der Unwissenheit, weil er zur unpassenden Zeit sprach. Die einen machen sich angenehm durch Geschenke, andere durch sanfte Worte, und dritte durch die Kraft von Beschwörungsformeln und Rauschmitteln. Wer jedoch von Natur aus angenehm ist, der wirkt immer so. Aber wer Haß in sich hat, der kann den anderen niemals als ehrlich, klug oder weise betrachten. Denn man sieht das Gute in dem, was man liebt, und alles Üble in dem, was man haßt.

Oh König, als Duryodhana geboren wurde, da sprach ich zu dir, daß du diesen Sohn verstoßen solltest, weil du mit dem Verzicht auf den einen Sohn den Wohlstand der anderen hundert Söhne gesichert hättest. Aber wenn du ihn behältst, dann wird dich der Untergang deiner hundert Söhne einholen. Ein kleiner Gewinn, der zu großem Verlust führt, sollte niemals als Gewinn betrachtet werden. Aber ein kleiner Verlust, der großen Gewinn verursacht, sollte stets Beachtung finden. Denn was langfristig Gewinn bringt, oh König, ist kein Verlust. Was aber langfristig immer größeren Verlust bringt, das ist wahrlich kein Gewinn. Einige werden berühmt durch ihre guten Eigenschaften, andere durch ihren Reichtum. Vermeide jene, oh Dhritarashtra, die durch Reichtum glänzen, aber ohne gute Eigenschaften sind.

Dhritarashtra sprach:
Alles, was du sprichst, befürworten die Weisen und ist zu meinem zukünftigen Wohl bestimmt. Ich getraue mir allerdings nicht, meinen Sohn zu verstoßen. Aber es ist wohlbekannt, daß der Sieg auf der Seite der Gerechtigkeit ist.

Vidura sprach:
Wer mit jeder Tugend und Demut begabt ist, der wird selbst das kleinste Leiden der lebenden Wesen niemals gleichgültig betrachten. Wer jedoch von anderen schlecht spricht und immer nur Streit sucht, der fügt anderen bewußt Leiden zu. Es ist unheilsam, von übelgesinnten Menschen Geschenke anzunehmen oder ihnen zu geben, denn ihre Gesellschaft ist voller Gefahr. Wer zänkisch, selbstsüchtig, schamlos und betrügerisch ist, der wird nicht als Rechtschaffener bezeichnet und seine Gesellschaft sollte stets gemieden werden. Man sollte überhaupt jene Menschen meiden, die in ihrem Wesen dem Unheilsamen geneigt sind. Denn eine solche Freundschaft unter Selbstsüchtigen endet schnell, wenn der beabsichtigte Grund dieser Verbindung verschwindet und damit auch alles Glück, was man daraus erwartet hatte. Dann reden sie schlecht von ihrem ehemaligen Freund und sind bestrebt, ihm Schaden zuzufügen. Selbst wenn der Verlust klein war, können sie aus Mangel an Selbstdisziplin keinen Frieden bewahren. Wer klug ist und alles sorgfältig betrachtet, der sollte von Anfang an eine Freundschaft mit solchen gemeinen und übelgesinnten Personen vermeiden.

Wer den armen, leidenden oder kraftlosen Mitmenschen hilft, der wird Kinder und Reichtum erhalten, und sein Wohlergehen wird kein Ende finden. Denn wer sein eigenes Wohl wünscht, der sollte immer um das Wohl seiner Mitmenschen besorgt sein. Oh König, deshalb suche unter allen Umständen das Wachstum der ganzen Familie. Du wirst dein Wohlergehen finden, oh Monarch, indem du allen Verwandten Gutes tust. Selbst jene, die weniger gute Eigenschaften haben, sollten beschützt werden. Oh Bulle der Bharatas, wieviel mehr sollten dann die gefördert werden, die mit jeglicher Tugend begabt sind und demütig deine Gunst wünschen? Respektiere die heroischen Söhne des Pandu, oh Monarch, und laß wenigstens einige Dörfer ihrer Herrschaft zugeteilt sein. So handelnd, oh König, wird der Ruhm dieser Welt dir gehören. Du bist alt genug, du solltest deine Söhne führen können.

Ich werde sagen, was dir zum Wohle gereicht. Sieh mich als einen Freund, der dir Gutes wünscht. Wer sein eigenes Wohl sucht, oh Herr, sollte niemals mit seinen Verwandten streiten. Oh Bulle der Bharatas, Wohlergehen kann nur in der Gemeinschaft wachsen und niemals getrennt von ihr. Nur gemeinsam kann man leben, gemeinsam kann man sprechen und gemeinsam kann man lieben. Das sollten Verwandte immer tun. Sie sollten sich niemals streiten. Denn in dieser Welt sind es die Mitmenschen, die ihre Mitmenschen beschützen, und es sind auch die Mitmenschen, die ihre Mitmenschen ruinieren. Die Rechtschaffenen führen zum Wohlergehen, die Übelgesinnten ins Elend.

Oh König, mögest du dich als Quelle der Gunst gerecht zu den Pandavas verhalten. Von ihnen umgeben, würdest du für deine Feinde unüberwindlich sein. Denn wenn ein Verwandter vor einem mächtigeren Verwandten zurückweichen muß, wie ein Hirsch beim Anblick eines bewaffneten Jägers, dann lädt sich der mächtigere Verwandte alle Schuld des anderen auf. Oh Bester der Menschen, du wirst es bedauern, wenn du bald vom Tod entweder der Pandavas oder deiner Söhne hörst. Bedenke alles gut. Weil das Leben selbst nicht stabil ist, sollte man von Anfang an jene Taten vermeiden, die man später bereuen wird, wenn man die Kammer des Leidens betreten muß. Man sollte nicht denken, daß niemand außer Bhargava (Rama mit der Axt) am Elend der Kshatriyas schuldig ist. In jeder intelligenten Person kann man eine Vorstellung über Gerechtigkeit und deren Konsequenzen finden.

Du bist ein altehrwürdiger Nachkomme im Kuru Stamm. Wenn Duryodhana dieses Unrecht den Pandavas zufügen will, dann ist es deine Aufgabe, oh König der Menschen, dies zu verhindern. Oh König, gib ihnen ihre Herrschaft zurück, und du wirst in dieser Welt von all deinen Sünden gereinigt und zum Gegenstand der Verehrung werden, sogar von den Selbstkontrollierten. Wer die wohlgesprochenen Worte der Weisen bezüglich ihrer Folgen bedenkt und entsprechend handelt, der verliert nie seinen Ruhm. Aber das Wissen selbst der Weisesten bleibt unvollständig, wenn es zwar gesucht, aber mißverstanden wird, oder verstanden, aber nicht gelebt wird. Der Kluge, der niemals eine Handlung durchführt, welche Sünde und Elend hervorbringt, der wird stetig im Wohlstand wachsen. Der Übelgesinnte aber, der aus Dummheit seinen einst begonnen, sündigen Weg immer weiter verfolgt, der wird fallen und tief im Sumpf versinken. Der Kluge sollte stets die folgenden sechs Kanäle beachten, durch welche die Absichten enthüllt werden. Wer Erfolg wünscht und eine lange Herrschaft, der sollte sich stets vor diesen Sechs schützen. Diese sind: Rausch, Träumerei, Unachtsamkeit vor Spionen, Selbstsucht, Vertrauen in übelgesinnte Berater und unzuverlässige Boten. Wer diese sechs Türen kennt und sie geschlossen hält, während er nach Tugend, Gewinn und Liebe strebt, wird Erfolg haben und über den Häuptern seiner Feinde stehen.

Ohne heilsame Weisheit und ohne Dienst an den Alten können weder Tugend noch Gewinn erkannt und gewonnen werden, selbst wenn man mit dem riesigen Wissen von Vrihaspati gesegnet wäre. Ein Ding geht im weiten Meer verloren, Worte an einem, der nicht zuhört, die heiligen Schriften an einem ohne Selbstkontrolle und ein Opfer von geklärter Butter in der Asche eines erloschenen Feuers. Wer klug ist, der schließt Freundschaft mit den Weisen, indem er sie zuerst mit Hilfe der Vernunft prüft, dann mit seinem Verstand beständig sucht und dabei immer Ohren, Augen und Urteilsvermögen achtsam benutzt. Demut vernichtet Schmach, Wohlwollen verhindert Fehler, Vergebung überwindet Haß, und reinigende Riten zerstören sich ankündigende Übel. Oh König, die edle Abstammung zeigt sich in der Heimat, dem Hausstand, dem Verhalten, der Nahrung und der Kleidung eines Menschen, aber vor allem in seinem (gezügelten) Begehren nach den weltlichen Freuden. Wenn sogar jene, die in ihrem Leben Befreiung erreicht haben, den Freuden nicht völlig abgeneigt sind, was sollte man da von denen sagen, die noch Sklaven ihrer Begierden sind?

Ein König sollte jene Berater hegen, welche die Weisen verehren, die mit Gelehrsamkeit, Tugend, angenehmer Erscheinung, Freunden, freundlicher Rede und einem guten Herzen begabt sind. Ob von hoher oder niedriger Geburt, wer die Regeln des höflichen Umgangs nicht überschreitet, wer die Tugend achtet, wer Demut und Bescheidenheit hat, ist edler als hundert Personen von hoher Geburt. Die Freundschaft von jenen kühlt niemals ab, deren Herzen, Ansichten, Freuden und Wünsche in jeder Hinsicht harmonieren. Der Kluge sollte einen übelgesinnten Unwissenden wie eine Grube meiden, deren Schlund mit Gras bedeckt ist, weil die Freundschaft mit solch einer Person nie beständig sein kann. Ein kluger Mensch sollte niemals Freundschaft mit denjenigen schließen, die stolz, unwissend, zornig, überstürzt und ungerecht sind. Wer dankbar, tugendhaft, ehrlich, großherzig, hingebungsvoll, selbstkontrolliert, voller Würde und verläßlich ist, der sollte als Freund gesucht werden.

Das Abtrennen der Sinne von ihren jeweiligen Objekten ist zwar wie der Tod selbst. Aber übermäßige Nachgiebigkeit könnte sogar die Götter zerstören. Demut, Liebe zu allen Wesen, Vergebung und Rücksicht auf Freunde, so sagen die Gelehrten, verlängern das Leben. Wer sich mit beständiger Entschlossenheit und tugendhaften Mitteln bemüht, das zu vollbringen, was schwer zu vollbringen ist, der hat echten Heldenmut. Denn jener Mensch erreicht alle seine Ziele, der die heilsamen Mittel für die Zukunft kennt, in der Gegenwart entschlossen ist und in der Vergangenheit voraussehen konnte, wie eine begonnene Tat enden würde. Was der Mensch in Worten, Taten und Gedanken verfolgt, macht ihn zu dem, was er ist. Deshalb sollte man immer das suchen, was zum Wohle gereicht. Beständiges Wohlwollen zur rechten Zeit, am rechten Ort und mit den rechten Mitteln, die Erfahrung der heiligen Schriften, Fleiß, Offenheit und Gemeinschaft mit den Guten, dadurch wächst das Wohlergehen. Denn Beständigkeit ist die Wurzel des Wohlstandes, des Gewinns und der Nützlichkeit. Der Mensch, der seine Ziele mit Beständigkeit verfolgt, ohne sie aus Verärgerung aufzugeben, ist wirklich groß und wird auch beständiges Glück genießen können. Oh Herr, es gibt nichts Förderlicheres für das Wohlergehen und nichts Heilsameres für einen Menschen mit Macht und Kraft, als an jedem Ort und zu jeder Zeit Vergebung zu üben. Vor allem der Schwache sollte unter allen Umständen vergeben können. Wer aber Macht hat, der sollte mit der Motivation der Tugend vergeben. Wem der Erfolg und der Mißerfolg seiner Ziele gleich lieb ist, der ist in seinem innersten Wesen vergebend.

Natürlich kann man auch die weltlichen Freuden suchen, die man erreichen kann, ohne Tugend und Gewinn von anderen zu verletzen. Aber man sollte niemals wie ein Dummkopf handeln und seinen Sinnen freien Lauf lassen. Denn Wohlstand verweilt niemals bei demjenigen, der sich selbst mit Sorgen foltert, der unheilsamen Pfaden folgt, der die Gottheit verneint, der müßig ist, der seine Sinne nicht zügelt und der sich nicht beständig bemüht. Wer bescheiden ist und aus Demut genügsam, der wird oft als schwach betrachtet und von den Unwissenden verachtet. Aber das Wohlergehen nähert sich aus Angst niemals einer überheblichen Person, die keine Grenzen kennt, die ohne Maß gibt, die erstarrte Gelübde übt oder die auf ihre eigene Weisheit stolz ist. Das Wohlergehen wohnt weder bei den Alleskönnern, noch bei den Unfähigen. Es wünscht weder die Perfektion aller Tugendregeln, noch das Fehlen jeglicher Ordnung. Blind, wie eine uralte Kuh, wohnt das Wohlergehen bei denen, die äußerlich nicht besonders auffallen.

Die Früchte der Veden sind die Durchführung der Opfer im Feuer der Welt. Die Früchte der Erfahrung der heiligen Schriften sind die heilsamen Neigungen und ein entsprechendes Verhalten. Die Früchte der Frauen sind die gemeinsamen Freuden und die Nachkommenschaft. Die Früchte des Reichtums sind Vergnügungen und Wohltätigkeit. Wer Handlungen durchführt, die dazu neigen, seinen Wohlstand in der kommenden Welt mit sündig erworbenen Reichtum zu sichern, der erntet wegen der angesammelten Sündhaftigkeit niemals die guten Früchte seiner Taten in der kommenden Welt. Inmitten von Wüsten, tiefen Wäldern, unzugänglichen Festungen, in allen Arten von Gefahren und Unruhen, oder im Angesicht tödlicher Waffen, die erhoben sind, um ihn zu schlagen, kann sich nur jener Mensch frei von Angst halten, der die Kraft des Geistes gemeistert hat. Anstrengung, Selbstdisziplin, Erfahrung, Achtsamkeit, Beständigkeit, Erinnerungsvermögen, und bedächtiges Handeln - diese erkenne als die Wurzeln des Wohlergehens. Entsagung ist die Kraft der Asketen, die Veden die Kraft der Vedenkenner, der Neid die Kraft der Übelgesinnten, und die Vergebung ist die Kraft der Tugendhaften. Wasser, Wurzeln, Früchte, Milch, geklärte Butter, der Wunsch eines Brahmanen, das Gebot eines Lehrers, sowie Medizin - diese acht behindern nicht die tugendhaften Gelübde.

Was einem selbst schadet, sollte auch anderen niemals angetan werden. Das ist, kurz gesagt, Tugend. Darüber hinaus hat die Tugend noch manch andere Gesichter. Haß kann durch Vergebung überwunden werden, der Übelgesinnte durch Gerechtigkeit, der Geizkragen durch Großzügigkeit und die Illusion durch Wahrhaftigkeit. Man sollte einem Klatschweib, einem Betrüger, einem Müßiggänger, einem Feigling, einem Jähzornigen, einem Prahler, einem Dieb, einem Undankbaren und einem Atheisten kein Vertrauen schenken. Erfolg, langes Leben, Ruhm und Macht, diese vier wachsen bei dem, der die Höherstehenden respektiert und den Alten dient. Strebe nicht nach jenen Dingen, die nur mit extremer Anstrengung erworben werden können, die die Gerechtigkeit mindern, oder dem Feind dienen. Ein alternder Mensch ohne Weisheit ist erbärmlich. Die unfruchtbare sexuelle Vereinigung ist erbärmlich. Die hungernden Leute eines Königreiches und ein Königreich ohne König sind ebenfalls erbärmlich. Die folgenden Wege bilden die Quellen für das Leiden und die Schwachheit der körperlichen Wesen, wie der Regen die Berge verwüstet: Fehlende Erfreulichkeiten sind der Kummer von Frauen, giftige Pfeile aus Worten bilden den Kummer des Herzens, Ignoranz bekümmert die Veda, Lässigkeit in den Gelübden bildet den Kummer der Brahmanen, die Selbstsüchtigen sind der Kummer für Mutter Erde, Illusion ist der Kummer der Menschen, Geschwätzigkeit bekümmert die tugendhaften Frauen, und die Trennung vom Haus ist der Kummer der Ehefrauen. Der Kummer des Goldes ist das Silber, vom Silber ist es das Zinn, vom Zinn das Blei, und vom Blei die nutzlose Schlacke. Tamasige Verträumtheit kann man nie durch Schlaf überwinden, wie auch das Weibliche durch Begierde, das Feuer durch Brennstoff, oder die Trinksucht durch Wein. Das Leben von demjenigen ist wahrlich von Erfolg gekrönt, der seine Freunde durch Freigiebigkeit, seine Feinde durch Kampf und seine Ehefrau durch einen gesicherten Lebensunterhalt gewonnen hat.

Wer viele Tausende hat, der lebt, aber wer nur einige Hunderte hat, der lebt auch. Oh Dhritarashtra, entsage der Begierde. Es gibt niemanden, der mit Wenigem durch die Hilfe anderer nicht leben könnte. Dein ganzer irdischer Reichtum aus Reis, Weizen, Tieren, Gold und Frauen könnte den Menschen nicht sättigen, der voller Begierde ist. Dies bedenkend, grämen sich die Klugen niemals um das Erreichen einer weltweiten Herrschaft. Oh König, ich sage es dir immer wieder, gewinne dir ein gerechtes Verhalten zu deinen Kindern, zu den Söhnen des Pandu und deinen eigenen Söhnen!


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