So sprach der hilflose Bhima zur Schlange:
Sei mir gewogen, oh Schlange, und sag mir, wer du bist und was du mit mir vorhast. Ich bin Bhimasena, der Sohn des Pandu und jüngere Bruder von Yudhishthira, dem Gerechten. Oh bestes Reptil, ich habe sonst die Kraft von tausend Elefanten, wie kann es sein, daß du mich so einfach überwältigst? Ich habe schon unzählige mähnenbewehrte Löwen, Tiger, Büffel und Elefanten erlegt. Mächtige Rakshasas, Nagas und Pisachas können der Kraft meiner Arme nicht widerstehen. Verfügst du über irgendeine Magie? Oder hast du einen Segen empfangen? Ich kann mich auf Äußerste anstrengen und bin doch in deiner Gewalt. Oh, nun glaube ich, daß die Kraft der Menschen untauglich und fehlbar ist, denn du, oh Schlange, hast meine große Stärke einfach vereitelt.
Bei diesen Worten des heldenhaften Bhima mit den edlen Taten hatte ihn die Schlange mit ihrem gewaltigen Körper gänzlich umwunden und nur seine beiden, muskulösen Arme freigelassen. Dann gab sie zur Antwort:
Welch gutes Schicksal ist mein, denn nach langer Zeit des Hungerns haben mir die Götter dich heute zur Nahrung bestimmt. Ja, den verkörperten Wesen ist ihr Leben lieb. Doch ich sollte dir erzählen, wie ich zu diesem Schlangenkörper kam. Höre, du Frommer, ich kam in diese Notlage durch den Zorn der Maharshis. Und ich will ihren Fluch loswerden, deshalb erzähle ich dir auch alle Einzelheiten. Du hast sicher vom königlichen Weisen Nahusha gehört. Er war der Sohn von Ayu und hat deine Ahnenlinie fortgeführt. Wisse, ich bin dieser Nahusha. Ich habe die Brahmanen beleidigt, und die Kraft von Agastyas Verwünschung brachte mich in diese Lage. Du bist mit mir verwandt. Gern ruhen meine Augen auf dir. Zwar sollte ich dich deswegen nicht töten, und doch werde ich dich noch heute verschlingen müssen. Denn dies ist die Fügung des Schicksals. Keiner, sei es Büffel oder Elefant, der am sechsten Teil des Tages in meine Reichweite kommt, kann mir entkommen. Dies ist der Segen, den ich erhielt. So wisse, bester Mann, daß du nicht unter die Gewalt eines niedrigen, sondern eines starken Tieres kamst. Als ich schnell und abrupt von Indras Thron und aus seinem Palast fiel, da flehte ich den ehrbaren Weisen Agastya an, mich von diesem Fluch zu befreien. Voller Mitgefühl sagte da der Energiereiche:
Oh König, nach einiger Zeit wirst du befreit sein.
Als Schlange fiel ich zur Erde und behielt meine Erinnerung. Und obwohl es so lange her ist, weiß ich noch alles, was der Weise zu mir sagte:
Die Person, welche um die Beziehung zwischen der Seele und dem Höchsten Wesen weiß, und damit deine Fragen beantworten kann, wird dich erlösen. Und außerdem werden alle starken und dir überlegenen Wesen sofort ihre Kraft verlieren, wenn du sie berührst.
Das waren die Worte des Mitfühlenden, der sich mir geneigt zeigte, bevor er verschwand. So wurde ich zur Schlange, oh Strahlender, vollbringe sündige Taten, lebe in unreiner Hölle und warte auf den Moment der Erlösung.
Da sprach der starkarmige Bhima zur Schlange:
Weder ärgere ich mich, oh mächtige Schlange, noch gebe ich mir die Schuld. Was Glück oder Elend anbelangt, haben die Menschen nur manchmal die Macht, diese beiden zu erlangen oder zu vermeiden, doch meistens nicht. Daran sollte man sich nicht aufreiben. Wer könnte das Schicksal durch eigene Anstrengung vereiteln? Ich erachte das Schicksal als Höchstes und eigenes Wollen als wenig nützlich. Denn das Schicksal gab mir diesen Schlag, ich verlor die Kraft meiner Arme und kam in diese Situation ohne ersichtlichen Grund. Nun, ich traure nicht so sehr um meinen Tod, eher um meine Brüder, weil sie ohne Königreich im Exil des Waldes leben. Dieser Himalaya ist unwirtlich und voller Yakshas und Rakshas. Wenn sie mich suchen, werden sie außer sich sein. Wenn sie erfahren, daß ich tot bin, werden sie alle Mühen fahrenlassen, denn bis jetzt haben meine rauhen Worte sie angestachelt, daß Königreich wiederzugewinnen. Vielleicht wird nur der kluge und in jeder Tradition gelehrte Arjuna nicht von Trauer überwältigt, denn ihn können weder Götter noch Rakshasas besiegen. Dieser Starke und Tapfere ist mit nur einer Hand in der Lage, sogar den König der Himmlischen von seinem Thron zu werfen. Was sollte ich da über den betrügerischen Sohn Dhritarashtras sagen, den alle guten Menschen meiden und den Unwissenheit und Niedertracht erfüllen? Ach, ich traure um meine arme Mutter, die ihre Söhne so sehr liebt, und sich um unseren Ruhm mehr sorgt, als all unsere Feinde. Ach Schlange, sollen denn all die Wünsche unserer verlorenen Mutter durch meinen Tod unerfüllt bleiben? Und die heldenhaften Zwillinge Nakula und Sahadeva, die immer mir, ihrem älteren Bruder, folgten, der sie mit der Kraft seiner Arme beschützte, sie werden ganz depressiv werden, wenn ich nicht mehr bin, all ihre heldenhafte Entschlossenheit verlieren und im Kummer versinken. Ja, so meine ich.
Auf diese Weise klagte Vrikodara lang und laut, doch die Schlange hielt ihn fest umschlungen, und er kam nicht frei.
In der Zwischenzeit bemerkte Yudhishthira gräßlich Omen und wurde beunruhigt. Er beobachtete das Auflodern der Horizonte, das Auftauchen der Schakale auf der rechten Seite der Einsiedelei und ihre angstvollen und unheilverkündenden Rufe. Häßliche Vatikas mit nur einem Flügel, einem Auge und einem Bein spieen Blut und blickten zur Sonne. Der Wind blies trocken und gewaltsam und wirbelte Staub auf. Mit einem Mal schrien alle Tiere und Vögel des Waldes. Die schwarze Krähe krächzte von hinten: „Geh! Geh!“ Und Yudhishthiras rechter Arm begann zu zwicken, seine Brust und das linke Bein zuckten. Sein linkes Auge krampfte sich zusammen und kündete von Übel. So befürchtete der Kluge große Gefahr und fragte Draupadi:
Wo ist Bhima?
Jene antwortete ihm, Bhima wäre ausgegangen, und so machte sich der starkarmige Yudhishthira mit Dhaumya auf den Weg, ihn zu suchen. Arjuna gab er den Auftrag, Draupadi zu beschützen, und die Zwillinge hieß er, über die Brahmanen zu wachen. So folgten die beiden Bhimas Spuren und suchten ihn im weiten Wald. Im Osten fanden sie große, erschlagene Elefanten, und die Erde zeigte Bhimas Fußspuren. Als nächstes entdeckten sie ganze Herden von toten Rehen und zermalmten Löwen, und wußten um Bhimas Kurs. Sie folgten den ausgerissenen Bäumen, die der Wind von Bhimas Oberschenkeln entwurzelt hatte, als er die Tiere verfolgte. Und als sie an einen Ort kamen, der von heftigen Winden ausgedörrt war, voller stachliger Pflanzen, brackig, ohne klares Wasser, mit Schottersteinen bedeckt, Baumstümpfen und trockenen Büschen, uneben und gefährlich zu begehen, da entdeckten sie in einer Höhle des Berges Bhima, wie er bewegungslos in den Windungen der stattlichen Schlange hing.