Dann sprach Lomasa:
Ihr Söhne des Pandu, ihr habt viele Berge und Flüsse, Städte und Wälder gesehen, viele schöne Tirthas besucht und mit euren Händen heilige Wasser berührt. Dieser Weg hier führt zum himmlischen Berg Mandara. Seid also achtsam und gesammelt. Ihr werdet nun zur Heimstatt der Himmlischen und göttlichen Weisen mit den verdienstvollen Taten aufsteigen. Seht ihr den mächtigen und schönen Strom (Alakanda) fließen, dessen heiliges Wasser von Heerscharen Himmlischer verehrt wird und welcher seine Quelle unter dem Jujube Baum hat? Immerzu wird er von den hochbeseelten Vaihayasas, Valakhilyas und Gandharvas besucht und verehrt. Die Weisen Marichi, Pulaha, Bhrigu und Angiras, welche das Singen der Sama Hymnen gewohnt sind, rezitieren sie stets an diesem Ort. Hier spricht der Herr der Himmlischen mit den Maruts seine täglichen Gebete, und die Aswins und Sadhyas begleiten ihn dabei. Sonne, Mond, Planeten und alle leuchtenden Sterne ziehen sich abwechselnd bei Tag oder Nacht ruhend hierher zurück. Oh höchst glücklicher Monarch, erinnere dich, hier ist die Quelle der Ganga, deren herabstürzende Wasser der Weltenbeschützer Mahadeva mit dem Bullen als Zeichen auf seinem Haupt empfing. Nun ihr Kinder, tretet vor die Göttin mit den sechs Eigenschaften hin und verbeugt euch vor ihr mit konzentriertem Geist.
Die Söhne des Pandu folgten den Worten des hochbeseelten Lomasa und verbeugten sich ehrend vor der durch das Firmament fließenden Ganga. Dann setzten sie ihre fromme Reise fort.
Nach einer Weile erblickten die Männer in der Ferne ein weißes Objekt, welches sich wie der Berg Meru in riesigen Ausmaßen in alle Richtungen erstreckte. Lomasa wußte genau, daß die Söhne des Pandu ihn dazu befragen wollten und so kam er ihnen zuvor und sprach:
Hört mir zu, ihr Besten der Menschen. Was ihr vor euch seht, so groß wie ein Berg und so hell wie der Gipfel des Kailash, ist der vom mächtigen Daitya Naraka übriggebliebene Haufen Knochen. Auf dem Gipfel des Berges liegend, sieht er selbst wie ein Berg aus. Der Daitya wurde von Vishnu, der Höchsten Seele, zum Wohle der Himmlischen geschlagen. Der Dämon mit dem großen Geist strebte nach Indras Platz, übte Enthaltsamkeit nach vedischen Geboten und strengste Buße für zehntausend Jahre. Durch seine Askese und auch die Stärke seiner Arme war er unbezwingbar geworden und verfolgte Indra ständig. Indra wußte um die Macht seines Gegenspielers und wurde bedrückt und verzweifelt. So dachte er an die ewige Gottheit Vishnu, und sogleich manifestierte sich der würdevolle und allem innewohnende Herr des Universums vor ihm. Alle Weisen und Götter stimmten in bittende Gebeten an Vishnu ein. Er war so strahlend, daß in seiner Gegenwart sogar der leuchtend schöne Agni blaß erschien. Der donnertragende Indra beugte vor Vishnu sein Haupt und erzählte ihm von seiner Furcht.
Und Vishnu antwortete:
Ich weiß um die Ursache deiner Furcht, oh Shakra. Es ist Naraka, der Herr der Daityas. Mit der Kraft seiner erfolgreichen Askese zielt er auf deine Position. Um dich zu besänftigen, werde ich seine Seele von seinem Körper trennen, auch wenn er so asketisch ist. Gedulde dich nur einen Moment, oh Herr der Himmlischen.
Dann streckte Vishnu seine Hand aus und Naraka verlor das Bewußtsein durch die Berührung. Er fiel zur Erde, als ob ihn der Blitz getroffen hätte. So starb er wie durch ein Wunder, und seine Knochen liegen allesamt noch an diesem Ort.
Hier manifestierte sich noch eine andere Tat Vishnus: Einst sank die Erde verloren in die niederen Bereiche ab, doch Vishnu hob sie wieder hoch in Gestalt eines Ebers mit nur einem Stoßzahn.
Yudhishthira bat:
Oh Verehrter, bitte erzähl uns in allen Einzelheiten, wie Vishnu, der Herr der Himmlischen, die hundert Yojanas in die Tiefe gesunkene Erde wieder anhob. Wie wurde die Göttin Erde wieder stabilisiert, die mit hohem Schicksal behaftete Zuflucht aller geschaffenen Wesen, die alle Sorten von Getreide hervorbringt und damit Segen spendet? Durch wessen Macht sank sie so tief? Und unter welchen Umständen zeigte das Höchste Wesen seine größte Leistung? Oh Vorzüglichster der Zweifachgeborenen, ich möchte all dies erfahren, wie es damals geschah. Dir ist es sicher bekannt.
Lomasa sprach:
Nun, Yudhishthira, dann höre in voller Länge die Geschichte, die du zu hören wünschst.
In längst vergangener Zeit, mein Kind, gab es eine schreckliche Periode im Krita Yuga, in der die ewige und ursprüngliche Gottheit die Pflichten von Yama nahm. Während der Gott der Götter dies tat, starb keine einzige Kreatur, doch die Geburten gingen weiter wie bisher. Da vermehrten sich die Vögel, wilden Tiere, Kühe, Schafe, Hirsche und Raubtiere gewaltig, oh Standhafter. Auch die Menschen vervielfachten sich bald um das Tausend- und Zehntausendfache und waren überall zu finden wie Wasser. Diese gewaltige Last war fürchterlich und die Erde sank bedrückt für hundert Yojanas in die Tiefe. Die Göttin fühlte Schmerzen in allen Gliedern, und ihre Sinne schwanden unter der Bürde dahin, als sie verzweifelt den Schutz Narayanas suchte, dieses Vorzüglichsten der Götter.
Die Erde sprach:
Durch deine Gunst, oh Besitzer der sechs Eigenschaften, konnte ich solange in meiner Position ausharren. Doch nun erdrückt mich diese Last, und ich kann sie nicht länger ertragen. Bitte, oh Verehrungswürdiger, befreie mich von diesem Gewicht. Ich flehe um deine Hilfe, oh Herr, so bitte, gewähre mir deine Gunst.
Deutlich und vollkommen sicher sprach da Vishnu:
Fürchte nichts, oh geplagte Erde, du Träger aller Schätze. Ich werde handeln und dich erleichtern.
So entließ er die mit Bergen als Ohrringen geschmückte Erde und verwandelte sich plötzlich in einen strahlenden Eber mit nur einem Stoßzahn. Sein rotglühendes Auge verbreitete Angst und Schrecken, und seine glänzenden Nüstern dampften. Dann begann er anzuschwellen und den Raum auszufüllen. Er, der die Veden durchdringt, hielt die Erde mit seinem leuchtenden Stoßzahn und zog sie die hundert Yojanas wieder in die Höhe. Dabei entstand ein gewaltiges Beben, welches sogar die Himmlischen und asketischen Weisen erschütterte. Überall im Himmel, am Firmament und auf der Erde erscholl ein lautes Wehklagen, und weder Götter noch Menschen fanden Ruhe und Frieden. So eilten die Himmlischen und Weisen zum strahlenden Brahma auf seinem Thron. Sie traten vor den Herrn der Himmlischen und Zeugen aller Taten der Wesen, falteten ihre Hände und sprachen:
Oh Herr, alle geschaffenen Wesen werden bedrängt und finden keine Ruhe, sogar die Ozeane leiden. Die ganze Erde ist versunken. Warum? Und durch wessen Einfluß ist das ganze Universum in Aufruhr? Wenn es dir genehm ist, dann erkläre uns alles, denn wir sind höchst verwirrt.
Brahma antwortete:
Oh ihr Unsterblichen, nährt nicht die Angst der Dämonen vor allen möglichen Erscheinungen in euch. Hört auf den Grund dieser Erregung. Der Tumult im Himmel wurde durch den Einfluß des ruhmreichen Wesens hervorgebracht, dieser alldurchdringenden, ewigwährenden und nie vergehenden Seele. Vishnu, die Höchste Seele, hebt die Erde aus den Tiefen, in die sie zuvor hundert Yojanas gesunken war, und alles ist deswegen in Aufruhr. Erkennt es nun und zerstreut eure Zweifel.
Die Himmlischen fragten:
Wo ist das Wesen, welches mit Leichtigkeit die Erde anhebt? Oh Besitzer der sechs Eigenschaften, nenne uns den Ort. Wir werden dorthin gehen.
Brahma sprach:
Geht nur. Und möge euch Gutes widerfahren. Ihr werdet ihn in den Gärten von Nandana ruhen sehen. Dort ist auch der glorreiche und ehrenwerte Suparna (Garuda) sichtbar. Das Höchste Wesen, in dem sich die Welten manifestieren, hat die Erde angehoben und loderte dabei in Gestalt eines Ebers, wie das alles verzehrende Feuer zur universalen Auflösung. Auf seiner Brust kann man wahrlich das Juwel Srivatsa erkennen. Geht nur und schaut das Wesen, welches keinen Verfall kennt.
So gingen die Himmlischen mit dem Großen Vater an ihrer Spitze zu dieser unendlichen Seele, lauschten den Lobpreisungen, verehrten es und kehrten wieder in ihre Bereiche zurück.
Vaisampayana sprach:
Nach dieser Geschichte setzten die Pandavas sogleich mit neuem Mut ihre Reise fort und schritten auf dem Pfad aus, den ihnen Lomasa wies.