Pushpak Mahabharata Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 131 – Usinaras Opfer

Der Falke sprach daraufhin:
Alle Könige der Erde sprechen über dich als einen frommen Herrscher. Warum läßt du dich jetzt herab, eine Tat zu begehen, die nicht dem Dharma entspricht? Ich bin vom Hunger schwer geplagt. So verweigere mir nicht aus angeblich tugendhaften Gründen die Nahrung, welche mir die Gottheit zugewiesen hat. Denn in Wahrheit verneinst du gerade die Tugend.

Der König antwortete ihm:
Oh Bester der befiederten Art, aus Angst vor dir und um deinen Fängen zu entkommen, kam die Taube wie ein Wirbelwind zu mir und flehte um ihr Leben. Wenn sie in dieser Weise meine Hilfe erbat, kannst du dann nicht erkennen, daß es für mich den höchsten Verdienst bedeutet, sie dir nicht zu übergeben? Sie zittert vor Furcht, ist völlig außer sich und erfleht von mir ihr Leben. Oh es wäre äußerst schändlich, sie im Stich zu lassen. Wer einen Brahmanen mordet, eine Kuh schlachtet, diese Mutter aller Welten, und wer jemanden im Stich läßt, der seine Hilfe erfleht ist gleichermaßen sündhaft.

Der Falke erwiderte:
Nun Herr der Erde, es ist die Nahrung, die allen Wesen ihr Leben gibt, sie hegt und erhält. Ein Mensch kann lange überleben, wenn er allem entsagt, was ihm lieb ist. Doch ohne Nahrung wird er nicht lange überleben. Ohne zu essen, oh Herrscher der Erde, wird das Leben schon bald meinen Körper verlassen und in Bereiche aufsteigen, in denen solches Ungemach unbekannt ist. Doch mit meinem Tod werden auch meine Gattin und meine Kinder vergehen. Wenn du diese eine Taube beschützt, geraten viele Leben in Gefahr. Deine Tugend steht einer anderen im Wege, und daher kann sie keine Tugend sein, sondern ist in Wahrheit eine ungerechte Tat. Doch wessen Entschlossenheit in Wahrheit gründet, dessen Tugend ist nicht widersprüchlich und trägt ihren Namen zu recht. Man sollte immer die Tugenden gegeneinander abwägen und dann die wählen, welche nicht im Widerspruch zu anderen steht, oh großer Prinz. So bedenke und suche nach einer Balance der Tugenden, oh König, und nimm die beste an.

Dazu meinte der König:
Oh bester Vogel, du sprichst Worte, in denen viel Gutes steckt. Ich meine wohl, du bist Suparna, der König der Vögel. Ich zögere nicht im Geringsten auszusprechen, daß du voll und ganz die Wege der Tugend kennst. Du sprichst viele Wunder über die Tugend aus, so weiß ich, es gibt nichts über die Tugend, was du nicht kennst. Doch wie kannst du dann die Zurückweisung eines Hilfesuchenden als tugendhaft betrachten? Deine Mühe galt der Nahrungssuche, oh Wanderer der Lüfte. So kannst du deinen Hunger auch mit etwas anderem stillen, etwas sättigenderem. Ich werde dir jede Art der Nahrung beschaffen, welche dir behagt: einen Ochsen, einen Eber, einen Hirsch oder einen Büffel.

Doch der Falke meinte:
Oh großer König, nach Eber, Ochse oder anderen Tieren gelüstet es mich nicht. Was soll ich mit anderem Fleisch? O Kshatriya, überlaß mir die Taube, denn sie hat mir der Himmel als Nahrung bestimmt. Es ist die ewige Bestimmung, daß Falken Tauben essen, Herrscher der Erde. So umarme nicht länger stützend einen Baum, ohne zu wissen, daß er aus eigener Kraft stehen kann.

So bat der König:
Oh Wanderer der Lüfte, ich werde dir das reiche Land meiner Vorfahren übergeben oder irgend etwas anderes, was du begehrst. Die einzige Ausnahme bildet diese Taube, die mich um Schutz anflehend aufsuchte. Alles andere werde ich dir gern geben, was es auch sei. Laß mich wissen, was ich tun kann, um diese Taube zu retten. Denn ich kann sie dir unter keinen Umständen ausliefern.

Der Falke sprach:
Nun, großer Herrscher der Menschen, da du nun einmal eine Zuneigung für diese Taube empfindest, so schneide dir einen Teil deines eigenen Fleisches ab, der so schwer ist, wie diese Taube. Wenn du findest, daß beides in Balance ist, dann gib mir dein Fleisch, und ich werde zufrieden sein.

Da schnitt der König ein Stück seines eigenen Fleisches ab, wog es gegen die Taube, doch die Taube war viel schwerer. So schnitt er mehr ab und gab es dazu. Doch wieder war die Taube schwerer, egal, wieviel er auch abschnitt. Und als er kein Fleisch mehr auf den Knochen hatte, so stieg er selbst auf die Waage.

Da sprach der Falke:
Oh tugendhafter König, ich bin Indra, und die Taube ist Agni, der Träger der geklärten Opferbutter. Wir kamen zu deinem Opferplatz, um deinen Verdienst zu prüfen. Weil du alles Fleisch von deinem Körper geopfert hast, wird dein Ruhm herrlich sein und alle anderen in der Welt überstrahlen. So lange die Menschen von dir erzählen, wird dein Glanz anhalten, und du wirst in den heiligen Bereichen wohnen.

Nach diesen Worten kehrte Indra in den Himmel zurück. Und auch König Usinara stieg in strahlender Gestalt zum Himmel auf, nachdem er Himmel und Erde mit dem Verdienst seiner frommen Taten erfüllt hatte. Schau, oh Yudhishthira, die Wohnstatt des Monarchen mit dem edlen Herzen. Hier trifft man die heiligen Weisen und Götter zusammen mit den tugendhaften und hochbeseelten Brahmanen.


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