Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 286 - Die Lehre vom Selbst

Yudhishthira sprach:
Sage mir, oh Großvater, was man bezüglich der Menschen das Höchste Selbst (Adhyatma) nennt und woher es kommt. (Der Kontext läßt vermuten, daß es sich hier um die Frage nach der Pasupata Lehre handelt, die Shiva dem Daksha verkündet hat.)

Bhishma sprach:
Durch dieses Selbst kann man alles erkennen. Deshalb ist es höher als alle erkennbaren Dinge. Ich möchte dennoch mithilfe meiner Intelligenz versuchen, dieses Selbst zu beschreiben, wonach du mich gefragt hast. Höre, oh Sohn, meine Erklärung: Erde, Wind, Raum, Wasser und Feuer bilden die fünf großen Elemente. Sie sind der Ursprung und das Ende aller Kreaturen. Die Körper der lebenden Wesen, oh Stier der Bharatas, entstehen aus einer Kombination der Eigenschaften dieser fünf Elemente, welche zyklisch zur Existenz kommen und immer wieder mit der letzten Ursache aller Erscheinungen, dem Selbst, verschmelzen. Aus diesen fünf ursprünglichen Elementen werden alle Geschöpfe geformt und in diese fünf großen Elemente lösen sich alle Geschöpfe zyklisch wieder auf, wie sich die unendlichen Wellen des Ozeans erheben und wieder in den Ozean zurücksinken, woraus sie entstanden sind. Wie eine Schildkröte ihre Glieder hervorstreckt und wieder in sich zurückzieht, so entstehen die unendlich vielen Geschöpfe aus den fünf Elementen. Wahrlich, der Klang kommt aus dem Raumelement, alle feste Materie aus den Eigenschaften des Erdelements, das Leben aus dem Wind, der Geschmack vom Wasser, und die Form gilt als Eigenschaft des Feuers (bzw. Lichtes). Das ganze belebte und unbelebte Weltall besteht damit aus diesen fünf großen Elementen in jeweils verschiedenen Verhältnissen. Wenn der Untergang kommt, löst sich die unendliche Vielfalt der Geschöpfe in jene fünf auf, aus denen sie zu Beginn der neuen Schöpfung wieder erscheinen. Der Schöpfer legt in alle Kreaturen die gleichen fünf großen Elemente in Verhältnissen, die er als richtig und gut betrachtet. Der Klang, die Ohren und alle Höhlungen - diese drei haben den Raum als ihre Entstehungsursache. Der Geschmack, alle Flüssigkeiten und die Zunge gelten als Eigenschaften des Wassers. Die Form, das Auge und das Verdauungsfeuer im Bauch gelten als Anteil der Natur des Feuers. Der Geruch, die Nase und der Körper sind die Eigenschaften des Erdelements. Der Lebensatem, die Fühlbarkeit und das Handeln gelten als die Eigenschaften des Windes. So habe ich dir, oh König, alle Eigenschaften der fünf ursprünglichen Elemente erklärt.

Nachdem der Höchste Gott, oh Bharata, sie geschaffen hatte, verband er sie mit Sattwa, Rajas und Tamas, der Zeit, dem Bewußtsein und dem Denken als Sechstes. Und über allem, was du zwischen den Fußsohlen und dem Scheitel siehst, herrscht das, was man Verstand nennt. Der Mensch hat fünf Sinne, der sechste ist das Denken, das Siebente wird Verstand und das Achte wird Kshetrajna oder Seele genannt. Die Sinne und das, was der Handelnde ist, können durch ihre jeweiligen Funktionen erkannt werden. Beide sind gewöhnlich durch die drei natürlichen Qualitäten von Sattwa, Rajas und Tamas (Güte, Leidenschaft und Dunkelheit) geprägt. Die Sinne dienen zum Erfassen der Eindrücke ihrer jeweiligen Sinnesobjekte. Das Denken hat das Zweifeln (Zergliedern, Benennen, usw.) als seine Funktion. Der Verstand dient der Entscheidung, und der Kshetrajna gilt als der untätige Zeuge von allem (als reine Erkenntnisfähigkeit). Sattwa, Rajas, Tamas, Zeit und Karma, diese fünf Eigenschaften prägen den Verstand, oh Bharata, welcher der Bestimmende von allem ist. Wenn der Verstand nicht wäre, wie könnten die Sinne mit dem Denken und den fünf Eigenschaften (Sattwa, Rajas, Tamas, Zeit und Karma) bestehen? Das, wodurch der Verstand sieht, wird Auge genannt, wodurch er hört, heißt Ohr, wodurch er riecht, heißt Nase, wodurch er schmeckt, heißt Zunge, und wodurch er die verschiedenen Objekte berührt und fühlt, das nennt man Tastsinn. Es ist der Verstand, der sich vielfältig und immer wieder verwandelt. Wenn der Verstand irgendetwas wünscht, wird er zum Denken. So sind die fünf Sinne mit dem Denken, welche wie Fundamente erscheinen, immer nur Gestaltungen des Verstandes. Sie werden auch Indriyas genannt. Wenn sie unrein sind, ist auch der Verstand unrein. Damit besteht der Verstand in einem verkörperten Wesen in drei Zuständen. Manchmal ist er von Freude geprägt, manchmal vom Leiden, und manchmal ist er auch zufrieden und empfindet weder Freude noch Leid. Durch diese drei Zustände dreht sich der Verstand unaufhörlich, geprägt von den drei Qualitäten (den drei Gunas Sattwa, Rajas und Tamas). Wie der Herr der Flüsse, der wogende Ozean, stets zwischen den Kontinenten bleibt, so wandert der Verstand in den Grenzen dieser drei natürlichen Qualitäten zusammen mit dem Denken und den Sinnen. Wenn die Qualität von Rajas stark ist, wird der Verstand von Leidenschaft getrieben. Entzücken, Heiterkeit, Freude, Glück und Zufriedenheit im Herzen erscheinen, wenn die Qualität von Sattwa prägend ist. Herzschmerz, Kummer, Sorgen, Unzufriedenheit und Unversöhnlichkeit erscheinen als das Ergebnis von Rajas. Unwissenheit, Anhaftung und Verblendung, Unachtsamkeit, Verworrenheit, Terror, Gehässigkeit, Depression, Schläfrigkeit und Trägheit - wenn diese aus irgendwelchen Ursachen entstehen, dann herrscht die Eigenschaften von Tamas. Was auch immer für ein körperlicher oder geistiger Zustand erscheint, der mit Heiterkeit oder Glück verbunden ist, sollte gelassen als Zustand von Sattwa betrachtet werden. Was auch immer voller Leiden und ungemütlich erscheint, sollte man mit Achtsamkeit als Rajas erkennen, ohne sich darin zu verstricken. Was auch immer voller Verblendung oder Verwirrung ist, unverständlich und mystisch dunkel, sollte man in Verbindung mit Tamas erkennen.

So habe ich dir jene Dinge in dieser Welt erklärt, die im Verstand wohnen. Wer sie durchschaut, wird weise. Welches andere Anzeichen gäbe es für Weisheit? So durchschaue auch den Unterschied zwischen diesen beiden Subtilen: dem Verstand und dem Kshetrajna (Feldkenner, Seele oder Selbst). Der eine von ihnen, nämlich der Verstand, erschafft die Eigenschaften, der andere nicht. Obwohl sie diesbezüglich in ihrer Natur unterschiedlich erscheinen, sind sie doch immer eine Einheit, so wie der Fisch vom Wasser verschieden erscheint, aber beide eine Einheit bilden. Die Erscheinungen können nicht das Selbst erkennen, denn das Selbst ist das, was erkennt. Der Unwissende sucht das Selbst in Verbindung mit bestimmten Eigenschaften, wie bestimmte Erscheinungen mit bestimmten Objekten verbunden sind. Das ist hier jedoch nicht der Fall, weil das Selbst in Wahrheit der alleinige untätige Zeuge („Zuschauer“) von allem ist. Der Verstand hat diesbezüglich keine Chance (das Selbst durch bestimmte Eigenschaften zu erkennen). Das, was man gewöhnlich Leben nennt, entsteht aus den Wirkungen, wenn bestimmte Eigenschaften zusammenkommen. Aus diesen Ursachen entsteht auch der Verstand, der im Körper wohnt. Keiner kann diese vielfältigen Erscheinungen in ihrem absoluten Sein begreifen. Es ist das Selbst, das (als untätiger Zeuge) erkennt, und der Verstand bildet daraus die Eigenschaften der Objekte (die sogenannte „Wahrnehmung“). Diese Verbindung zwischen Verstand und Selbst ist ewig. Der im Körper wohnende Verstand nimmt alle Dinge durch die Sinne wahr, die selbst leblos und dumm sind. Wahrlich, die Sinne sind nur wie Lampen (die ihr Licht werfen, damit die Objekte in greifbaren Formen erscheinen). Eben das ist das Wesen (der Sinne, des Verstandes und des Selbst). Wer das wahrlich erkennt, der kann heiter leben, ohne von Leiden oder Freude überwältigt zu werden. Man sagt, solch ein Mensch ist frei von Ichhaftigkeit.

Daß der Verstand all diese vielfältigen Eigenschaften erschafft (bzw. „bildet“), geschieht durch seine (karmische) Natur, wie auch eine Spinne ihre Netze aufgrund ihrer Natur webt. Die Eigenschaften sollten als die Fäden erkannt werden, welche sich zu einem klebrigen Spinnennetz verweben. Sind diese Eigenschaften (durch Selbsterkenntnis) überwunden, wird man nicht mehr ins Netz verstrickt. Manche meinen, daß dann die Eigenschaften nicht mehr wahrgenommen werden, und andere sagen, daß dann die Eigenschaften nicht mehr existieren. Wenn jedoch diese Verstrickung im Herzen gelöst ist, zerstreut sich diese Frage wie alle anderen Zweifel. Das Leiden (bzw. Unwissenheit) ist überwunden, und man verweilt in Seligkeit. Wie ein Mensch ertrinkt, der in Unkenntnis von Größe und Tiefe der Furt einen reißenden Fluß durchwaten will, so muß ein Mensch untergehen, wenn er die Einheit seines Verstandes mit dem Selbst nicht kennt. Der Mensch mit beständiger Selbsterkenntnis wird dagegen nie untergehen, weil er das jenseitige Ufer dieses Wassers mit dem sicheren Floß der Selbsterkenntnis erreicht hat. Ein Mensch voller Selbsterkenntnis wird nie von jenem schrecklichen Terror getroffen, welcher die Unwissenden so ernsthaft bedrängt. Der Befreite erreicht damit keinen Zustand, der höher wäre als der Zustand irgendeiner anderen Person, sondern die zeitlose Gleichheit (die Harmonie oder Vollkommenheit). Was auch immer der Mensch mit Selbsterkenntnis an Handlungen in der Vergangenheit vollbracht hat (während er in Unwissenheit getaucht war) und in Zukunft vollbringen wird, ob sie gerecht erscheinen oder nicht, er hat beide allein durch Erkenntnis verbrannt. Durch das Erreichen der Selbsterkenntnis hört er auf, die zwei Übel anzusammeln, nämlich die Handlungen von anderen zu verurteilen und irgendwelche karmischen Handlungen unter dem Einfluß persönlicher Anhaftung auszuüben.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter