Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 258 - Wie die Göttin des Todes ihre Aufgabe übernahm

Narada fuhr fort:
Die lotusäugige Jungfrau bezwang ihren inneren Kummer und sprach mit gefalteten Händen demütig geneigt:
Oh Großer Vater, wie sollte eine Jungfrau wie ich, die von dir geboren wurde, eine solch schreckliche Tat vollbringen, mit der alle Lebewesen von Todesangst erfüllt werden? Ich fürchte alle grausamen und ungerechten Handlungen. So gebiete mir ein gerechtes Werk zu tun! Du siehst doch meine Bestürzung. Sei mir gnädig! Ich werde nicht fähig sein, die lebenden Wesen, ob jung oder alt, ihres Lebens zu berauben, die mir nichts getan haben. Oh Vater aller Wesen, ich verneige mich vor dir und bitte um Gnade. Ich werde nicht fähig sein, liebende Kinder, Freunde, Brüder, Mütter und Väter zu trennen. Wenn sie durch mich sterben, werden mich ihre Nachkommen sicherlich verfluchen. Vor all dem fürchte ich mich. Die Tränen der leidgeschlagenen Überlebenden werden mich für die Ewigkeit verbrennen. So fürchte ich dieses Werk und suche deinen Schutz, denn alle sündhaften Wesen werden in höllische Bereiche sinken müssen. Sei befriedet, oh segengewährender Gott. Ich bitte dich um Gnade, oh mächtiger Herr. Erweise mir deine Gunst, oh Großer Vater aller Welten. Oh Erster aller Götter, gewähre mir deinen Segen und laß mich mit deiner Erlaubnis strenge Entsagung üben.

Der Große Vater sprach:
Oh Mrityu, du bist von mir geschaffen worden, damit die Geschöpfe nach ihrem Werden auch wieder vergehen. So geh und vollbringe deine Aufgabe als Tod. Verliere dich nicht in Gedanken. Es muß notwendig so geschehen und kann nicht anders sein. Oh sündlose Jungfrau mit den makellosen Gliedern, vollbringe mein Gebot, das ich verkündet habe!

So angesprochen, oh Starkarmiger, schwieg die Göttin des Todes, aber stand demütig mit erhoben Händen vor dem mächtigen Herrn aller Wesen. So wurde sie von Brahma wiederholt angesprochen, aber die Jungfrau schien seine Worte nicht zu hören. Daraufhin schwieg auch der Gott der Götter und Vater aller Väter, denn wahrlich, der Selbstgeborene ist in sich selbst zufrieden. Lächelnd blickt der Weltenherr auf alle Geschöpfe. Und wir haben gehört, daß die Jungfrau, als der unbesiegte und ewig ruhmreiche Herr zufrieden war, von seiner Seite ging. Sie verließ die Region Brahmas, ohne versprochen zu haben, die Geschöpfe zu töten, und ging schnell zum heiligen Ort Dhenuka. Dort übte die Göttin härteste Entsagung und stand für fünfzehn Milliarden Jahre auf einem Bein. Nachdem sie solche äußerste Entsagung an diesem Ort vollbracht hatte, sprach der allmächtige Brahma noch einmal zu ihr: „Vollbringe mein Gebot, oh Mrityu!“ Doch die Jungfrau war immer noch nicht bereit, und so stand sie weitere zwanzig Milliarden Jahre auf einem Bein, oh Ruhmreicher, um dann zehntausend Milliarden Jahre mit den wilden Rehen im Walde zu leben (was hohen Verdienst bringt, wie Madhavi in MHB 5.120). Danach, oh Erster der Männer, verbrachte sie zweimal zehntausend Jahre, in denen sie allein von Luft lebte, worauf sich achttausend Jahre anschlossen, in denen sie das Schweigegelübde einhielt und die ganze Zeit im reinigenden Wasser stand. Dann begab sich diese Jungfrau, oh Bester der Könige, zum Fluß Kausiki. Dort verbrachte sie ihre Tage mit anderen strengen Gelübden, während sie nur von Luft und Wasser lebte. Danach, oh Monarch, ging die selige Jungfrau zur Ganga und weiter zu den Bergen des Meru. Und getragen vom Wunsch, allen Lebewesen Gutes zu tun, stand sie dort vollkommen unbeweglich wie ein Holzpfahl. Darauf ging sie zum Gipfel des Himavat, wo die Götter ihr großes Opfer durchgeführt hatten, und stand dort weitere hundert Milliarden Jahre nur auf den Zehen, um mit dieser Buße den Großen Vater zu erfreuen. Und vor ihr erscheinend, sprach der Schöpfer und Zerstörer des Weltalls erneut zu ihr: „Was ist das Ziel deiner Bemühungen, oh Tochter? Erfülle mein Gebot, das ich dir gegeben habe!“ Darauf antwortete die Jungfrau noch einmal dem Großen Vater: „Ich bin nicht fähig, den Wesen ihr Leben zu nehmen, oh Gott! Ich bemühe mich um deine Gnade.“ In Furch vor drohender Sünde flehte sie zum Großen Vater, daß sie von seinem Gebot befreit werden möge.

Doch er hieß sie schweigen und antwortete:
Keine Sünde, oh Mrityu, wird auf dich kommen! Vollbringe deine Aufgabe, oh verheißungsvolle Jungfrau, und sei der Tod für die Geschöpfe. Was ich gesprochen habe, oh Liebenswürdige, kann nicht anders sein. Ewige Gerechtigkeit soll in dir wohnen. Ich selbst und alle Götter werden stets dein Wohl suchen. Auch den anderen Wunsch, der in deinem Herzen ist, werde ich dir gewähren. Wenn du zu ihnen gehst, sollen die Lebewesen durch ihre eigene Sünde gequält sterben. Erscheine den Männern als Mann, den Frauen als Frau und den anderen als Eunuch. So wird dich (als Jungfrau) keine Sünde treffen.

So angesprochen von Brahma, oh König, antwortete die Jungfrau erneut mit gefalteten Händen diesem hochbeseelten und unvergänglichen Herrn aller Götter:
Ich kann deinem Gebot nicht folgen.

Darauf sprach der große Gott, ohne nachzugeben:
Oh Mrityu, erfülle deine Pflicht und sei den Geschöpfen der Tod! Ich gebe dir mein Wort, daß du damit keine Sünde ansammeln wirst, oh beste Jungfrau. Wenn ihre Stunde gekommen ist, dann entfessle ihre Begierde und ihren Haß gemeinsam gegen sie selbst, und die reinen Tränen, die ich aus deinen Augen fließen sah, mögen in meinen Händen die Form von schweren Gebrechen annehmen und die Lebewesen zerstören. Damit soll dir unermeßliches Verdienst gehören und keine Sünde wirst du ansammeln, wenn du dich zu allen Wesen gleich verhältst. Auf diese Weise wirst du allein die Gerechtigkeit beachten und nicht in Ungerechtigkeit verfallen. So entschließe dich zu deinem Werk und sorge dafür, daß die Geschöpfe von ihrer Begierde und ihrem Haß geschlagen werden.

So angesprochen, fürchtete die Jungfrau, die unter dem Namen Mrityu (bzw. Tod) bekannt ist, den Fluch von Brahma und antwortete „So sei es!“. Seit dieser Zeit begann sie, am Lebensende der Geschöpfe deren angesammelte Begierde und Haß zu entfesseln, um mit ihrer Hilfe den Lebensatem zu stoppen. Und jene reinen Tränen, die Mrityu (aus Mitleid) verschüttet hatte, sind die Gebrechen, wodurch die Körper der Lebewesen zerstört werden. Deshalb sollte man angesichts des Todes lebender Wesen nicht vom Kummer überwältigt werden, wenn man mithilfe von Vernunft die Ursache dafür erkannt hat. Wie die Sinne aller Wesen im traumlosen Schlaf erlöschen und zurückkehren, wenn sie aufwachen, in gleicher Weise müssen alle geborenen Wesen nach der Auflösung ihrer Körper in eine jenseitige Welt eintreten und dann in diese zurückkehren, oh Löwe unter den Königen. Das Windelement, das mit furchterregender Energie, mächtiger Kraft und schrecklichem Rauschen begabt ist, funktioniert als der Lebensatem in allen lebenden Wesen. Dieser Wind entflieht den zerstörten Körpern der Wesen und verbindet sich mit neuen Körpern, wenn die entsprechenden Bedingungen gegeben sind. Deshalb wird der Wind als Herr der Sinne bezeichnet und steht über allen anderen Elementen, die den grobstofflichen Körper bilden. Selbst die Götter müssen ohne Ausnahme (wenn ihre Verdienste erschöpft sind) sterben und in der Welt wiedergeboren werden. Nur deshalb können auch alle irdischen Wesen (wenn sie genügend Verdienst erworben haben) den Status der Götter erreichen.

So gräme dich nicht um deinen Sohn, oh Löwe unter den Königen. Dein Sohn ist zum Himmel aufgestiegen und genießt dort großes Glück. Denn dafür, oh Monarch, wurde diese Göttin des Todes vom Selbstexistenten geschaffen, und auf diese Weise begrenzt sie der Weltordnung gemäß die Lebenszeit aller Geschöpfe. Es sind die reinen Tränen, die sie um die Wesen weinte, die (durch die Hand Brahmas) zu den Gebrechen werden, die den Lebensatem aus dem Körper treiben, wenn ihre Lebenszeit abgelaufen ist.


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