Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 180 - Indra über die Verzweiflung

Yudhishthira sprach:
Oh Großvater, was sollte unsere Zuflucht und Stütze sein: Familie, Tätigkeit, Reichtum oder Weisheit? Belehre mich bitte darüber.

Bhishma sprach:
Weisheit ist die Zuflucht der Wesen. Weisheit gilt als höchste Errungenschaft. Weisheit ist die höchste Glückseligkeit in der Welt. Weisheit betrachten die Guten und Tugendhaften als Himmel. Durch Weisheit konnten Vali, Prahlada, Namuchi und Manki Glückseligkeit erreichen, nachdem sie ihren Reichtum verloren hatten. Was wäre höher als Weisheit? Diesbezüglich wird auch eine alte Geschichte über ein Gespräch zwischen Indra und Kasyapa erzählt. Höre sie, oh Yudhishthira!

Eines Tages brachte ein wohlhabender Vaisya im Genuß seines Reichtums und voller Stolz auf seinen Besitz mit seinem schlechtgeführten Wagen den Sohn eines Rishis zu Fall. Sein Name war Kasyapa, der mit beständigen Gelübden der Entsagung gewidmet war. Zu Boden geworfen und zutiefst verletzt, gab der junge Mann im äußersten Schmerz dem Zorn nach und sprach unter dem Einfluß der Verzweiflung:
Ich sollte dieses Leben abwerfen. Ein armer Mensch wird in dieser Welt nicht geachtet.

Während der Brahmane in diesem Zustand lag, stumm und erschüttert, kraftlos und am Rande des Todes, erschien ihm Indra in Gestalt eines Schakals und sprach zum ihm:
Alle (gefallenen) Wesen begehren vor allem die Geburt als Mensch. Und unter Menschen ist wiederum der Zustand eines Brahmanen sehr erwünscht. Du, oh Kasyapa, bist ein Mensch, unter Menschen ein Brahmane und unter Brahmanen sogar ein Kenner der Veden. Begabt mit dem, was so schwer erreichbar ist, solltest du dein Leben nicht aus Narrheit verwerfen! Jeder Reichtum verleitet zur Geringschätzung. Dieses Schriftwort bewahrheitet sich heute auch an dir. Mit dem Entschluß, dein Leben wegzuwerfen, handelst du aus Begierde. Oh, jene sind mit Erfolg gekrönt, die Hände haben. Ich beneide den Zustand jener Wesen, die Hände haben. Wir (Schakale) begehren Hände ebensosehr, wie du Reichtum begehrst (und nicht als Armer gelten willst). Es gibt nichts Wertvolleres als Hände. Schau, oh Brahmane, ohne Hände kann ich mir diesen Dorn nicht herausziehen, der meinen Körper quält, oder diese Insekten und Würmer loswerden, die mich beißen und schmerzlich quälen. Wem jedoch zwei Hände mit zehn Fingern geschenkt wurden, der kann sich von Plagen erlösen. Menschen mit Händen bauen sich einen Schutz vor Regen, Kälte und Hitze. Sie genießen besondere Kleidung, gutes Essen, bequeme Betten und ausgezeichnete Wohnstätten. Jene, die Hände haben, leben glücklich in dieser Welt, lassen die Tiere für sich arbeiten und beherrschen die Erde mithilfe verschiedenster Werkzeuge. Dagegen sind die Lebewesen ohne Sprache, mit wenig Kraft und ohne Hände den vielfältigsten Leiden ausgeliefert. Zum Glück, oh Asket, bist du keiner von ihnen. Zum Glück bist du kein Schakal, noch ein Wurm, eine Maus, ein Frosch oder ein anderes bemitleidenswertes Tier. Mit all dem, was dir gegeben wurde, solltest du, oh Kasyapa, zufrieden sein und noch zufriedener, wenn du bedenkst, daß du unter den lebenden Wesen ein hoher Brahmane bist. Schau doch meinen jämmerlichen Zustand an! Überall beißen mich diese Würmer, und ohne Hände kann ich sie nicht loswerden. Dennoch werfe ich mein Leben nicht weg, weil dies eine sehr sündhafte Tat ist, wodurch ich in noch leidvollere Existenzen fallen würde. Die Lebensform eines Schakals, zu der ich jetzt gehöre, ist dagegen ziemlich erträglich. Es gibt viele Arten des Lebens, die noch viel leidvoller sind.

Durch die Geburt sind bestimmte Klassen der Wesen glücklicher als andere, die größerem Leiden unterworfen sind. Aber ich sehe nirgends eine Lebensform, von der man behaupten könnte, daß sie im Besitz des vollkommenen Glückes wäre. Menschen, die Reichtum erhalten, wünschen als nächstes die Herrschaft. Haben sie die Herrschaft erreicht, folgt der Wunsch nach dem Status der Götter. Ist dieser Status gewonnen, wollen sie ein König der Himmlischen sein. Wenn du reich werden würdest, wärst du immer noch kein König, als König noch kein Gott und als Gott noch kein Götterkönig. Auf diesem Wege wirst du nie zufrieden sein. Zufriedenheit entsteht niemals aus dem Erwerb von Wünschenswertem. Durst überwindet man nicht durch das Trinken von immer mehr Wasser. Denn das Feuer der Begierde lodert desto kräftiger, je mehr man es füttert. Wohl gibt es Leiden in dir, aber auch Freude. So hast du beides, Glück und Leid. Warum bejammerst du dich?

Wie Vögel in einem Käfig, sollte man die wirklichen Quellen aller Begierden und Taten, nämlich die Gedanken und die Sinne zurückhalten. Es gibt keinen zweiten Kopf und keine dritte Hand, die abzuschlagen wäre. Was nicht existiert, kann keine Angst erzeugen. Wer die Sinnesfreude eines bestimmten Objektes nicht kennt, fühlt kaum einen Wunsch danach. Wünsche entstehen aus der wirkungsvollen Erfahrung beim Berühren, Hören oder Sehen. Du hast (als Brahmane zum Beispiel) keine Vorstellung vom Geschmack des Varuni Weins oder vom Fleisch der Ladwaka Vögel. Für andere gibt es nichts Köstlicheres. Du hast auch keine Vorstellung, oh Kasyapa, von den luxuriösen Getränken und Speisen, die es unter reichen Menschen gibt, weil du sie nie gekostet hast. Deshalb sollte das Nichtberühren, Nichtschmecken und Nichtbetrachten zweifellos das Gelübde eines Menschen sein, der Glückseligkeit erreichen will.

Natürlich können Geschöpfe, die Hände haben, mächtig und reich werden. Die Menschen versklaven sich aber auch untereinander und quälen sich gegenseitig durch Tod, Gefängnis und andere Torturen. Gleichzeitig lachen, spielen und vergnügen sie sich. Andere folgen trotz ihrer Macht der Hände, ihrer Intelligenz und Geisteskraft tadelnswerten, sündhaften und leidvollen Berufen. Selbst wenn sie sich bemühen, bessere Wege zu gehen, sind sie doch durch ihre eigenen Taten und durch die Kraft des Schicksals gebunden. Nicht einmal die niedersten Menschen der Pukkasas oder Chandalas wünschen, ihr Leben wegzuwerfen. Selbst sie hängen an ihrer Geburt. Schau nur die Macht der Illusion in dieser Welt (Maya)! Betrachte auch jene Menschen, die ohne Arme sind, von Lähmung geschlagen oder von anderen Krankheiten gequält. So kannst du dich sehr glücklich und reich unter den Mitgliedern deiner Kaste schätzen. Dein zweifachgeborener Körper ist ohne Makel, all deine Glieder sind vollkommen, und keine Schuld lastet auf dir. Es ist völlig unwürdig für dich, oh Brahmane, dein Leben wegzuwerfen, selbst wenn dir irgendeine Schuld anlasten würde, die begründet wäre und den Fall aus deiner Kaste verursachen könnte. Erhebe dich und übe Tugend! Es ist nicht angebracht, dieses Leben zu verwerfen.

Wenn du, oh Zweifachgeborener, mich hörst und Vertrauen in meine Worte hast, wirst du den höchsten Lohn der Tugend gewinnen, der auch die Essenz der Veden ist. Widme dich dem Studium der Veden, pflege aufrichtig das heilige Feuer, übe Wahrhaftigkeit, Selbstzügelung und Wohltätigkeit! Dann brauchst du keinen Reichen zu beneiden. Wer dem Vedenstudium hingegeben ist, wird fähig, die Opfer für sich selbst und andere durchzuführen und keinen Grund zur Reue haben oder irgendwelche Übel fürchten müssen. Wer unter einem verheißungsvollen Stern, an einem verheißungsvollen Tag oder zu einer verheißungsvollen Stunde geboren wurde, der kämpft mit aller Kraft um Hingabe, Wohltätigkeit, Nachkommenschaft und Zufriedenheit, um schließlich große Glückseligkeit zu erreichen. Wer dagegen unter einem unheilvollen Stern, an einem unheilvollen Tag und zur unheilvollen Stunde geboren wurde, der vernachlässigt Opfer und Nachkommenschaft und fällt schließlich unter die Dämonen. In meinem früheren Leben habe ich viel Nutzloses gelernt, suchte immer nach Begründungen und hatte wenig Glauben. Ich habe die Veden verleumdet, die vier Lebensziele verachtet und war der Wissenschaft verfallen, die nur auf sichtbaren und greifbaren Beweisen beruht. Ich pflegte verstandesmäßige Reden zu halten und verteidigte in Versammlungen meine oberflächlichen Ansichten. Ich sprach ohne Ehrfurcht über die Behauptungen der heiligen Schriften und tyrannisierte die Brahmanen. Ich war ein Ungläubiger, ein Zweifler und trotz meiner eigentlichen Unwissenheit im höchsten Maße stolz auf mein gelerntes Wissen. Aufgrund dieser Sünden, bin ich in diesen Zustand eines Schakals gesunken, oh Brahmane. Wenn überhaupt, so wird es noch hunderte Tage und Nächte (Geburten und Tode) dauern, daß ich nach dem Schakal wieder den Zustand eines Menschen erhalten kann. Dann würde ich mein Leben in Zufriedenheit verbringen, achtsam bezüglich der wahren Ziele der Existenz und dem Opfern und der Wohltätigkeit hingegeben. Ich würde erkennen, was man erkennen sollte, und vermeiden, was man vermeiden sollte.

So angesprochen, erhob sich der Asket Kasyapa und sprach:
Oh, du bist sicherlich mit großer Intelligenz und Weisheit gesegnet. Ich bin von deinen Worten höchst überrascht und beeindruckt.

Bhishma fuhr fort:
Dann schaute der Brahmane mit seiner Sicht, die durch Erkenntnis erweitert wurde, in diesem Wesen, das zu ihm gesprochen hatte, den großen Indra, den Führer der Götter und Herrn von Sachi. Daraufhin verehrte Kasyapa diesen Gott, der das Beste der Rosse als Reittier hat, und begab sich mit dem Segen der Gottheit zu seiner Wohnstätte zurück.


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